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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

Rittersaal

Dämmernde Beleuchtung.
Kaiser und Hof sind eingezogen.

HEROLD. Mein alt Geschäft, das Schauspiel anzukünden,
Verkümmert mir der Geister heimlich Walten;
Vergebens wagt man, aus verständigen Gründen
Sich zu erklären das verworrene Schalten.
Die Sessel sind, die Stühle schon zur Hand;
Den Kaiser setzt man grade vor die Wand;
Auf den Tapeten mag er da die Schlachten
Der großen Zeit bequemlichstens betrachten.
Hier sitzt nun alles, Herr und Hof im Runde,
Die Bänke drängen sich im Hintergrunde;
Auch Liebchen hat in düstern Geisterstunden
Zur Seite Liebchens lieblich Raum gefunden.
Und so, da alle schicklich Platz genommen,
Sind wir bereit: die Geister mögen kommen!
Posaunen.

ASTROLOG. Beginne gleich das Drama seinen Lauf!
Der Herr befiehlts: ihr Wände, tut euch auf!
Nichts hindert mehr, hier ist Magie zur Hand:
Die Teppche schwinden, wie gerollt vom Brand;
Die Mauer spaltet sich, sie kehrt sich um,
Ein tief Theater scheint sich aufzustellen,
Geheimnisvoll ein Schein uns zu erhellen,
Und ich besteige das Proszenium.

MEPHISTOPHELES aus dem Souffleurloche auftauchend.
Von hier aus hoff ich allgemeine Gunst;
Einbläsereien sind des Teufels Redekunst.
Zum Astrologen.
Du kennst den Takt, in dem die Sterne gehn,
Und wirst mein Flüstern meisterlich verstehn.

ASTROLOG. Durch Wunderkraft erscheint allhier zur Schau,
Massiv genug, ein alter Tempelbau.
Dem Atlas gleich, der einst den Himmel trug,
Stehn reihenweis der Säulen hier genug;
Sie mögen wohl der Felsenlast genügen,
Da zweie schon ein groß Gebäude trügen.

ARCHITEKT. Das wär antik! ich wüßt es nicht zu preisen!
Es sollte plump und überlästig heißen.
Roh nennt man edel, unbehülflich groß.
Schmalpfeiler lieb ich, strebend, grenzenlos;
Spitzbögiger Zenit erhebt den Geist;
Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist.

ASTROLOG. Empfangt mit Ehrfurcht sterngegönnte Stunden!
Durch magisch Wort sei die Vernunft gebunden;
Dagegen weitheran bewege frei
Sich herrliche, verwegne Phantasei!
Mit Augen schaut nun, was ihr kühn begehrt!
Unmöglich ists, drum eben glaubenswert.

Faust steigt auf der andern Seite des Proszeniums herauf.

ASTROLOG. Im Priesterkleid, bekränzt, ein Wundermann,
Der nun vollbringt, was er getrost begann!
Ein Dreifuß steigt mit ihm aus hohler Gruft,
Schon ahn ich aus der Schale Weihrauchduft.
Er rüstet sich, das hohe Werk zu segnen;
Es kann fortan nur Glückliches begegnen.

FAUST großartig. In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
Im Grenzenlosen, ewig einsam wohnt,
Und doch gesellig! Euer Haupt umschweben
Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
Was einmal war in allem Glanz und Schein,
Es regt sich dort; denn es will ewig sein.
Und ihr verteilt es, allgewaltige Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.
Die einen faßt des Lebens holder Lauf,
Die andern sucht der kühne Magier auf;
In reicher Spende läßt er voll Vertrauen,
Was jeder wünscht, das Wunderwürdige schauen.

ASTROLOG. Der glühnde Schlüssel rührt die Schale kaum,
Ein dunstiger Nebel deckt sogleich den Raum;
Er schleicht sich ein, er wogt nach Wolkenart,
Gedehnt, geballt, verschränkt, geteilt, gepaart.
Und nun erkennt ein Geistermeisterstück:
So wie sie wandeln, machen sie Musik!
Aus luftgen Tönen quillt ein Weißnichtwie;
Indem sie ziehn, wird alles Melodie.
Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt;
Ich glaube gar, der ganze Tempel singt!
Das Dunstige senkt sich; aus dem leichten Flor
Ein schöner Jüngling tritt im Takt hervor.
Hier schweigt mein Amt, ich brauch ihn nicht zu nennen:
Wer sollte nicht den holden Paris kennen!

DAME. O! welch ein Glanz aufblühender Jugendkraft!

ZWEITE. Wie eine Pfirsche frisch und voller Saft!

DRITTE. Die fein gezogenen, süß geschwollnen Lippen!

VIERTE. Du möchtest wohl an solchem Becher nippen?

FÜNFTE. Er ist gar hübsch, wenn auch nicht eben fein.

SECHSTE. Ein bißchen könnt er doch gewandter sein.

RITTER. Den Schäferknecht glaub ich allhier zu spüren,
Vom Prinzen nichts und nichts von Hofmanieren.

ANDRER. Eh nun! halb nackt ist wohl der Junge schön;
Doch müßten wir ihn erst im Harnisch sehn!

DAME. Er setzt sich nieder, weichlich, angenehm.

RITTER. Auf seinem Schoße wär Euch wohl bequem?

ANDRE. Er lehnt den Arm so zierlich übers Haupt.

KÄMMERER. Die Flegelei! das find ich unerlaubt!

DAME. Ihr Herren wißt an allem was zu mäkeln.

DERSELBE. In Kaisers Gegenwart sich hinzuräkeln!

DAME. Er stellts nur vor! er glaubt sich ganz allein.

DERSELBE. Das Schauspiel selbst, hier sollt es höflich sein!

DAME. Sanft hat der Schlaf den Holden übernommen.

DERSELBE. Er schnarcht nun gleich! natürlich ists, vollkommen!

JUNGE DAME entzückt.
Zum Weihrauchsdampf was duftet so gemischt,
Das mir das Herz zum innigsten erfrischt?

ÄLTERE. Fürwahr! es dringt ein Hauch tief ins Gemüte:
Er kommt von ihm!

ÄLTESTE. Es ist des Wachstums Blüte,
Im Jüngling als Ambrosia bereitet
Und atmosphärisch ringsumher verbreitet.

Helena hervortretend.

MEPHISTOPHELES. Das wär sie denn! Vor dieser hätt ich Ruh:
Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu.

ASTROLOG. Für mich ist diesmal weiter nichts zu tun,
Als Ehrenmann gesteh, bekenn ichs nun.
Die Schöne kommt, und hätt ich Feuerzungen -
Von Schönheit ward von jeher viel gesungen;
Wem sie erscheint, wird aus sich selbst entrückt,
Wem sie gehörte, ward zu hoch beglückt.

FAUST. Hab ich noch Augen? Zeigt sich tief im Sinn
Der Schönheit Quelle reichlichstens ergossen?
Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn.
Wie war die Welt mir nichtig, unerschlossen!
Was ist sie nun seit meiner Priesterschaft?
Erst wünschenswert, gegründet, dauerhaft!
Verschwinde mir des Lebens Atemkraft,
Wenn ich mich je von dir zurückgewöhne! -
Die Wohlgestalt, die mich voreinst entzückte,
In Zauberspiegelung beglückte,
War nur ein Schaumbild solcher Schöne! -
Du bists, der ich die Regung aller Kraft,
Den Inbegriff der Leidenschaft,
Dir Neigung, Lieb, Anbetung, Wahnsinn zolle!

MEPHISTOPHELES aus dem Kasten.
So faßt Euch doch und fallt nicht aus der Rolle!

ÄLTERE DAME. Groß, wohlgestaltet, nur der Kopf zu klein.

JÜNGERE. Seht nur den Fuß! Wie könnt er plumper sein!

DIPLOMAT. Fürstinnen hab ich dieser Art gesehn;
Mich deucht, sie ist vom Kopf zum Fuße schön.

HOFMANN. Sie nähert sich dem Schläfer listig-mild.

DAME. Wie häßlich neben jugendreinem Bild!

POET. Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt.

DAME. Endymion und Luna! wie gemalt!

DERSELBE. Ganz recht! Die Göttin scheint herabzusinken,
Sie neigt sich über, seinen Hauch zu trinken:
Beneidenswert! - Ein Kuß! - Das Maß ist voll.

DUENNA. Vor allen Leuten! Das ist doch zu toll!

FAUST. Furchtbare Gunst dem Knaben! -

MEPHISTOPHELES. Ruhig! still!
Laß das Gespenst doch machen, was es will!

HOFMANN. Sie schleicht sich weg, leichtfüßig; er erwacht.

DAME. Sie sieht sich um! Das hab ich wohl gedacht.

HOFMANN. Er staunt! Ein Wunder ists, was ihm geschieht.

DAME. Ihr ist kein Wunder, was sie vor sich sieht.

HOFMANN. Mit Anstand kehrt sie sich zu ihm herum.

DAME. Ich merke schon, sie nimmt ihn in die Lehre;
In solchem Fall sind alle Männer dumm:
Er glaubt wohl auch, daß er der Erste wäre.

RITTER. Laßt mir sie gelten! Majestätisch-fein!

DAME. Die Buhlerin! Das nenn ich doch gemein!

PAGE. Ich möchte wohl an seiner Stelle sein!

HOFMANN. Wer würde nicht in solchem Netz gefangen!

DAME. Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen,
Auch die Verguldung ziemlich abgebraucht.

ANDRE. Vom zehnten Jahr an hat sie nichts getaugt.

RITTER. Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste;
Ich hielte mich an diese schönen Reste.

GELAHRTER. Ich seh sie deutlich, doch gesteh ich frei:
Zu zweiflen ist, ob sie die rechte sei.
Die Gegenwart verführt ins Übertriebne,
Ich halte mich vor allem ans Geschriebne.
Da les ich denn, sie habe wirklich allen
Graubärten Trojas sonderlich gefallen,
Und wie mich dünkt, vollkommen paßt das hier:
Ich bin nicht jung, und doch gefällt sie mir.

ASTROLOG. Nicht Knabe mehr! Ein kühner Heldenmann,
Umfaßt er sie, die kaum sich wehren kann.
Gestärkten Arms hebt er sie hoch empor -
Entführt er sie wohl gar?

FAUST. Verwegner Tor!
Du wagst! du hörst nicht! Halt! das ist zu viel!

MEPHlSTOPHELES.
Machst dus doch selbst, das Fratzengeisterspiel!

ASTROLOG. Nur noch Ein Wort! Nach allem, was geschah,
Nenn ich das Stück den Raub der Helena.

FAUST. Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle?
Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand?
Er führte mich durch Graus und Wog und Welle
Der Einsamkeiten her zum festen Strand.
Hier faß ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,
Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
So fern sie war, wie kann sie näher sein!
Ich rette sie, und sie ist doppelt mein.
Gewagt! Ihr Mütter! Mütter! müßts gewähren!
Wer sie erkannt, der darf sie nicht entbehren.

ASTROLOG. Was tust du, Fauste! Fauste! - Mit Gewalt
Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
Berührt ihn! - Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!

Explosion, Faust liegt am Boden. Die Geister gehen in Dunst auf.

MEPHISTOPHELES, der Fausten auf die Schulter nimmt.
Da habt ihrs nun! Mit Narren sich beladen,
Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.

Finsternis, Tumult.

 

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