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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

Am obern Peneios

MEPHISTOPHELES umherspürend.
Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,
So find ich mich doch ganz und gar entfremdet:
Fast alles nackt, nur hie und da behemdet,
Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
Und was nicht alles, lockig und beflügelt,
Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt! -
Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
Doch das Antike find ich zu lebendig;
Das müßte man mit neustem Sinn bemeistern
Und mannigfaltig modisch überkleistern.
Ein widrig Volk! Doch darf michs nicht verdrießen,
Als neuer Gast anständig sie zu grüßen. -
Glückzu den schönen Fraun, den klugen Greisen!

GREIF schnarrend.
Nicht Greisen! Greifen! - Niemand hört es gern,
Daß man ihn Greis nennt. Jedem Worte klingt
Der Ursprung nach, wo es sich her bedingt:
Grau, grämlich, griesgram, greulich, Gräber, grimmig,
Etymologisch gleicherweise stimmig,
Verstimmen uns.

MEPHISTOPHELES. Und doch, nicht abzuschweifen,
Gefällt das Grei im Ehrentitel Greifen.

GREIF wie oben und immer sofort.
Natürlich! Die Verwandtschaft ist erprobt,
Zwar oft gescholten, mehr jedoch gelobt;
Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.

AMEISEN von der kolossalen Art.
Ihr sprecht von Gold: wir hatten viel gesammelt,
In Fels- und Höhlen heimlich eingerammelt!
Das Arimaspenvolk hats ausgespürt:
Sie lachen dort, wie weit sies weggeführt.

GREIFE. Wir wollen sie schon zum Geständnis bringen.

ARIMASPEN. Nur nicht zur freien Jubelnacht!
Bis morgen ists alles durchgebracht,
Es wird uns diesmal wohl gelingen.

MEPHISTOPHELES hat sich zwischen die Sphinxe gesetzt.
Wie leicht und gern ich mich hierher gewöhne!
Denn ich verstehe Mann für Mann.

SPHINX. Wir hauchen unsre Geistertöne,
Und ihr verkörpert sie alsdann.
Jetzt nenne dich, bis wir dich weiter kennen!

MEPHISTOPHELES. Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen! -
Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
Gestürzten Mauern, klassisch-dumpfen Stellen;
Das wäre hier für sie ein würdig Ziel.
Sie zeugten auch: im alten Bühnenspiel
Sah man mich dort als Old Iniquity.

SPHINX. Wie kam man drauf?

MEPHISTOPHELES. Ich weiß es selbst nicht, wie.

SPHINX. Mag sein! Hast du von Sternen einige Kunde?
Was sagst du zu der gegenwärtgen Stunde?

MEPHISTOPHELES aufschauend.
Stern schießt nach Stern, beschnittner Mond scheint helle,
Und mir ist wohl an dieser trauten Stelle,
Ich wärme mich an deinem Löwenfelle.
Hinauf sich zu versteigen, wär zum Schaden;
Gib Rätsel auf, gib allenfalls Charaden!

SPHINX. Sprich nur dich selbst aus, wird schon Rätsel sein.
Versuch einmal, dich innigst aufzulösen:
»Dem frommen Manne nötig wie dem bösen,
Dem ein Plastron, asketisch zu rapieren,
Kumpan dem andern, Tolles zu vollführen,
Und beides nur, um Zeus zu amüsieren.«

ERSTER GREIF schnarrend. Den mag ich nicht!

ZWEITER GREIF stärker schnarrend. Was will uns Der?

BEIDE. Der Garstige gehöret nicht hierher!

MEPHISTOPHELES brutal.
Du glaubst vielleicht, des Gastes Nägel krauen
Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
Versuchs einmal!

SPHINX milde. Du magst nur immer bleiben,
Wird dichs doch selbst aus unsrer Mitte treiben;
In deinem Lande tust dir was zugute,
Doch, irr ich nicht, hier ist dir schlecht zumute.

MEPHISTOPHELES.
Du bist recht appetitlich oben anzuschauen;
Doch untenhin - die Bestie macht mir Grauen.

SPHINX. Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße:
Denn unsre Tatzen sind gesund,
Dir mit verschrumpftem Pferdefuße
Behagt es nicht in unserm Bund.
Sirenen präludieren oben.

MEPHISTOPHELES. Wer sind die Vögel, in den Ästen
Des Pappelstromes hingewiegt?

SPHINX. Gewahrt Euch nur! Die Allerbesten
Hat solch ein Singsang schon besiegt.

SIRENEN. Ach, was wollt ihr euch verwöhnen
In dem Häßlich-Wunderbaren!
Horcht, wir kommen hier zu Scharen
Und in wohlgestimmten Tönen:
So geziemet es Sirenen!

SPHINXE sie verspottend in derselben Melodie.
Nötigt sie herabzusteigen!
Sie verbergen in den Zweigen
Ihre garstigen Habichtskrallen,
Euch verderblich anzufallen,
Wenn ihr euer Ohr verleiht.

SIRENEN. Weg! das Hassen weg! das Neiden!
Sammeln wir die klarsten Freuden,
Unterm Himmel ausgestreut!
Auf dem Wasser, auf der Erde
Seis die heiterste Gebärde,
Die man dem Willkommnen beut.

MEPHISTOPHELES. Das sind die saubern Neuigkeiten,
Wo aus der Kehle, von den Saiten
Ein Ton sich um den andern flicht.
Das Trallern ist bei mir verloren:
Es krabbelt wohl mir um die Ohren,
Allein zum Herzen dringt es nicht.

SPHINXE. Sprich nicht vom Herzen! das ist eitel:
Ein lederner, verschrumpfter Beutel,
Das paßt dir eher zu Gesicht!

FAUST herantretend.
Wie wunderbar! das Anschaun tut mir Gnüge:
Im Widerwärtigen große, tüchtige Züge.
Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
Wohin versetzt mich dieser ernste Blick!
Auf Sphinxe bezüglich.
Vor solchen hat einst Ödipus gestanden!
Auf Sirenen bezüglich.
Vor solchen krümmte sich Ulyß in hänfnen Banden!
Auf Ameisen bezüglich.
Von solchen ward der höchste Schatz gespart,
Auf Greife bezüglich.
Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt!
Vom frischen Geiste fühl ich mich durchdrungen:
Gestalten groß, groß die Erinnerungen.

MEPHISTOPHELES. Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
Denn wo man die Geliebte sucht,
Sind Ungeheuer selbst willkommen.

FAUST zu den Sphinxen.
Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
Hat eins der euren Helena gesehn?

SPHINXE. Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
Die letztesten hat Herkules erschlagen.
Von Chiron könntest dus erfragen;
Der sprengt herum in dieser Geisternacht;
Wenn er dir steht, so hast dus weit gebracht.

SIRENEN. Sollte dirs doch auch nicht fehlen!
Wie Ulyß bei uns verweilte,
Schmähend nicht vorübereilte,
Wußt er vieles zu erzählen;
Würden alles dir vertrauen,
Wolltest du zu unsern Gauen
Dich ans grüne Meer verfügen.

SPHINX. Laß dich, Edler, nicht betrügen!
Statt daß Ulyß sich binden ließ,
Laß unsern guten Rat dich binden!
Kannst du den hohen Chiron finden,
Erfährst du, was ich dir verhieß. Faust entfernt sich.

MEPHISTOPHELES verdrießlich.
Was krächzt vorbei mit Flügelschlag,
So schnell, daß mans nicht sehen mag,
Und immer eins dem andern nach?
Den Jäger würden sie ermüden.

SPHINX. Dem Sturm des Winterwinds vergleichbar,
Alcides Pfeilen kaum erreichbar:
Es sind die raschen Stymphaliden,
Und wohlgemeint ihr Krächzegruß,
Mit Geierschnabel und Gänsefuß.
Sie möchten gern in unsern Kreisen
Als Stammverwandte sich erweisen.

MEPHISTOPHELES wie verschüchtert.
Noch andres Zeug zischt zwischendrein.

SPHINX. Vor diesen sei Euch ja nicht bange!
Es sind die Köpfe der Lernäischen Schlange,
Vom Rumpf getrennt, und glauben was zu sein. -
Doch sagt: was soll nur aus Euch werden?
Was für unruhige Gebärden?
Wo wollt Ihr hin? - Begebt Euch fort:
Ich sehe, jener Chorus dort
Macht Euch zum Wendehals. Bezwingt Euch nicht,
Geht hin! begrüßt manch reizendes Gesicht!
Die Lamien sinds! lustfeine Dirnen,
Mit Lächelmund und frechen Stirnen,
Wie sie dem Satyrvolk behagen;
Ein Bocksfuß darf dort alles wagen.

MEPHISTOPHELES.
Ihr bleibt doch hier, daß ich euch wiederfinde?

SPHINX. Ja! Mische dich zum luftigen Gesinde!
Wir, von Ägypten her, sind längst gewohnt,
Daß unsereins in tausend Jahre thront.
Und respektiert nur unsre Lage:
So regeln wir die Mond- und Sonnentage.
Sitzen vor den Pyramiden
Zu der Völker Hochgericht,
Überschwemmung, Krieg und Frieden -
Und verziehen kein Gesicht.

 

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