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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

Am obern Peneios wie zuvor

SIRENEN.
Stürzt euch in Peneios Flut!
Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,
Lied und Lieder anzustimmen,
Dem unseligen Volk zugut.
Ohne Wasser ist kein Heil!
Führen wir mit hellem Heere
Eilig zum Ägäischen Meere,
Würd uns jede Lust zuteil.

Erdbeben.

Schäumend kehrt die Welle wieder,
Fließt nicht mehr im Bett darnieder;
Grund erbebt, das Wasser staucht,
Kies und Ufer berstend raucht.
Flüchten wir! Kommt alle, kommt!
Niemand, dem das Wunder frommt!
Fort ihr edlen, frohen Gäste,
Zu dem seeisch-heitern Feste,
Blinkend wo die Zitterwellen,
Ufernetzend, leise schwellen,
Da, wo Luna doppelt leuchtet,
Uns mit heilgem Tau befeuchtet!
Dort ein freibewegtes Leben,
Hier ein ängstlich Erdebeben!
Eile jeder Kluge fort!
Schauderhaft ists um den Ort.

SEISMOS in der Tiefe brummend und polternd.
Einmal noch mit Kraft geschoben,
Mit den Schultern brav gehoben!
So gelangen wir nach oben,
Wo uns alles weichen muß.

SPHINXE. Welch ein widerwärtig Zittern,
Häßlich-grausenhaftes Wittern!
Welch ein Schwanken, welches Beben,
Schaukelnd Hin- und Wiederstreben!
Welch unleidlicher Verdruß!
Doch wir ändern nicht die Stelle,
Bräche los die ganze Hölle.
Nun erhebt sich ein Gewölbe
Wundersam. Es ist derselbe,
Jener Alte, längst Ergraute,
Der die Insel Delos baute,
Einer Kreißenden zulieb
Aus der Wog empor sie trieb.
Er, mit Streben, Drängen, Drücken,
Arme straff, gekrümmt den Rücken,
Wie ein Atlas an Gebärde,
Hebt er Boden, Rasen, Erde,
Kies und Grieß und Sand und Letten,
Unsres Ufers stille Betten.
So zerreißt er eine Strecke
Quer des Tales ruhige Decke.
Angestrengtest, nimmer müde,
Kolossal-Karyatide,
Trägt ein furchtbar Steingerüste,
Noch im Boden bis zur Büste;
Weiter aber solls nicht kommen:
Sphinxe haben Platz genommen.

SEISMOS. Das hab ich ganz allein vermittelt,
Man wird mirs endlich zugestehn,
Und hätt ich nicht geschüttelt und gerüttelt,
Wie wäre diese Welt so schön!
Wie ständen eure Berge droben
In prächtig-reinem Ätherblau,
Hätt ich sie nicht hervorgeschoben
Zu malerisch-entzückter Schau!
Als, angesichts der höchsten Ahnen,
Der Nacht, des Chaos, ich mich stark betrug
Und in Gesellschaft von Titanen
Mit Pelion und Ossa als mit Ballen schlug:
Wir tollten fort in jugendlicher Hitze,
Bis, überdrüssig, noch zuletzt
Wir dem Parnaß als eine Doppelmütze
Die beiden Berge frevelnd aufgesetzt -
Apollen hält ein froh Verweilen
Dort nun mit seliger Musen Chor.
Selbst Jupitern und seinen Donnerkeilen
Hob ich den Sessel hoch empor.
Jetzt so, mit ungeheurem Streben,
Drang aus dem Abgrund ich herauf
Und fordere laut zu neuem Leben
Mir fröhliche Bewohner auf.

SPHINXE. Uralt, müßte man gestehen,
Sei das hier Emporgebürgte,
Hätten wir nicht selbst gesehen,
Wie sichs aus dem Boden würgte.
Bebuschter Wald verbreitet sich hinan,
Noch drängt sich Fels auf Fels bewegt heran;
Ein Sphinx wird sich daran nicht kehren:
Wir lassen uns im heiligen Sitz nicht stören.

GREIFE. Gold in Blättchen, Gold in Flittern
Durch die Ritzen seh ich zittern.
Laßt euch solchen Schatz nicht rauben!
Imsen, auf! es auszuklauben.

CHOR DER AMEISEN. Wie ihn die Riesigen
Emporgeschoben,
Ihr Zappelfüßigen,
Geschwind nach oben!
Behendest aus und ein!
In solchen Ritzen
Ist jedes Bröselein
Wert zu besitzen.
Das Allermindeste
Müßt ihr entdecken
Auf das geschwindeste
In allen Ecken!
Allemsig müßt ihr sein,
Ihr Wimmelscharen:
Nur mit dem Gold herein!
Den Berg laßt fahren!

GREIFE. Herein! herein! Nur Gold zuhauf!
Wir legen unsre Klauen drauf;
Sind Riegel von der besten Art:
Der größte Schatz ist wohl verwahrt.

PYGMÄEN. Haben wirklich Platz genommen.
Wissen nicht, wie es geschah.
Fraget nicht, woher wir kommen;
Denn wir sind nun einmal da!
Zu des Lebens lustigem Sitze
Eignet sich ein jedes Land;
Zeigt sich eine Felsenritze,
Ist auch schon der Zwerg zur Hand.
Zwerg und Zwergin, rasch zum Fleiße,
Musterhaft ein jedes Paar;
Weiß nicht, ob es gleicherweise
Schon im Paradiese war.
Doch wir findens hier zum besten,
Segnen dankbar unsern Stern;
Denn im Osten wie im Westen
Zeugt die Mutter Erde gern.

DAKTYLE. Hat sie in Einer Nacht
Die Kleinen hervorgebracht,
Sie wird die Kleinsten erzeugen;
Finden auch ihresgleichen.

PYGMÄEN-ÄLTESTE. Eilet, bequemen
Sitz einzunehmen!
Eilig zum Werke!
Schnelle für Stärke!
Noch ist es Friede:
Baut euch die Schmiede,
Harnisch und Waffen
Dem Heer zu schaffen!
Ihr Imsen alle,
Rührig im Schwalle,
Schafft uns Metalle!
Und ihr Daktyle,
Kleinste, so viele,
Euch sei befohlen,
Hölzer zu holen!
Schichtet zusammen
Heimliche Flammen:
Schaffet uns Kohlen!

GENERALISSIMUS. Mit Pfeil und Bogen
Frisch ausgezogen!
An jenem Weiher
Schießt mir die Reiher,
Unzählig nistende,
Hochmütig brüstende,
Auf einen Ruck
Alle wie einen,
Daß wir erscheinen
Mit Helm und Schmuck!

ISMEN UND DAKTYLE. Wer wird uns retten!
Wir schaffen's Eisen
Sie schmieden Ketten.
Uns loszureißen,
Ist noch nicht zeitig;
Drum seid geschmeidig!

DIE KRANICHE DES IBYKUS. Mordgeschrei und Sterbeklagen!
Ängstlich Flügelflatterschlagen!
Welch ein Ächzen, welch Gestöhn
Dringt herauf zu unsern Höhn!
Alle sind sie schon ertötet,
See von ihrem Blut gerötet!
Mißgestaltete Begierde
Raubt des Reihers edle Zierde.
Weht sie doch schon auf dem Helme
Dieser Fettbauch-Krummbein-Schelme!
Ihr Genossen unsres Heeres,
Reihenwanderer des Meeres,
Euch berufen wir zur Rache
In so nahverwandter Sache.
Keiner spare Kraft und Blut:
Ewige Feindschaft dieser Brut!
Zerstreuen sich krächzend in den Lüften.

MEPHISTOPHELES in der Ebne.
Die nordischen Hexen wußt ich wohl zu meistern,
Mir wirds nicht just mit diesen fremden Geistern.
Der Blocksberg bleibt ein gar bequem Lokal:
Wo man auch sei, man findet sich zumal.
Frau Ilse wacht für uns auf ihrem Stein,
Auf seiner Höh wird Heinrich munter sein,
Die Schnarcher schnauzen zwar das Elend an,
Doch alles ist für tausend Jahr getan.
Wer weiß denn hier nur, wo er geht und steht,
Ob unter ihm sich nicht der Boden bläht?
Ich wandle lustig durch ein glattes Tal,
Und hinter mir erhebt sich auf einmal
Ein Berg, zwar kaum ein Berg zu nennen,
Von meinen Sphinxen mich jedoch zu trennen,
Schon hoch genug! - Hier zuckt noch manches Feuer
Das Tal hinab und flammt ums Abenteuer:
Noch tanzt und schwebt mir lockend, weichend vor,
Spitzbübisch gaukelnd, der galante Chor.
Nur sachte drauf! Allzu gewohnt ans Naschen,
Wo es auch sei, man sucht was zu erhaschen.

LAMIEN Mephistopheles nach sich ziehend.
Geschwind! geschwinder!
Und immer weiter!
Dann wieder zaudernd,
Geschwätzig plaudernd!
Es ist so heiter,
Den alten Sünder
Uns nachzuziehen
Zu schwerer Buße!
Mit starrem Fuße
Kommt er geholpert,
Einhergestolpert;
Er schleppt das Bein,
Wie wir ihn fliehen,
Uns hinterdrein!

MEPHISTOPHELES stillstehend.
Verflucht Geschick! Betrogne Mannsen!
Von Adam her verführte Hansen!
Alt wird man wohl, wer aber klug?
Warst du nicht schon vernarrt genug?
Man weiß: das Volk taugt aus dem Grunde nichts,
Geschnürten Leibs, geschminkten Angesichts.
Nichts haben sie Gesundes zu erwidern,
Wo man sie anfaßt, morsch in allen Gliedern.
Man weiß, man siehts, man kann es greifen,
Und dennoch tanzt man, wenn die Luder pfeifen!

LAMIEN innehaltend. Halt! er besinnt sich, zaudert, steht!
Entgegnet ihm, daß er euch nicht entgeht!

MEPHISTOPHELES fortschreitend.
Nur zu! und laß dich ins Gewebe
Der Zweifelei nicht törig ein;
Denn wenn es keine Hexen gäbe,
Wer, Teufel! möchte Teufel sein!

LAMIEN anmutigst. Kreisen wir um diesen Helden!
Liebe wird in seinem Herzen
Sich gewiß für Eine melden.

MEPHISTOPHELES. Zwar mit ungewissem Schimmer
Scheint ihr hübsche Frauenzimmer,
Und so möcht ich euch nicht schelten.

EMPUSE eindringend. Auch nicht mich! als eine solche
Laßt mich ein in eure Folge!

LAMIEN. Die ist in unserm Kreis zu viel,
Verdirbt doch immer unser Spiel.

EMPUSE zu Mephistopheles.
Begrüßt von Mühmichen Empuse,
Der Trauten mit dem Eselsfuße!
Du hast nur einen Pferdefuß,
Und doch, Herr Vetter, schönsten Gruß!

MEPHISTOPHELES. Hier dacht ich lauter Unbekannte
Und finde leider Nahverwandte;
Es ist ein altes Buch zu blättern:
Vom Harz bis Hellas immer Vettern!

EMPUSE. Entschieden weiß ich gleich zu handeln,
In vieles könnt ich mich verwandeln;
Doch Euch zu Ehren hab ich jetzt
Das Eselsköpfchen aufgesetzt.

MEPHISTOPHELES. Ich merk, es hat bei diesen Leuten
Verwandtschaft Großes zu bedeuten;
Doch mag sich, was auch will, eräugnen,
Den Eselskopf möcht ich verleugnen.

LAMIEN. Laß diese Garstige! sie verscheucht,
Was irgend schön und lieblich deucht;
Was irgend schön und lieblich wär,
Sie kommt heran: es ist nicht mehr!

MEPHISTOPHELES.
Auch diese Mühmchen, zart und schmächtig,
Sie sind mir allesamt verdächtig,
Und hinter solcher Wänglein Rosen
Fürcht ich doch auch Metamorphosen.

LAMIEN. Versuch es doch! sind unsrer viele.
Greif zu! und hast du Glück im Spiele,
Erhasche dir das beste Los!
Was soll das lüsterne Geleier?
Du bist ein miserabler Freier,
Stolzierst einher und tust so groß! -
Nun mischt er sich in unsre Scharen:
Laßt nach und nach die Masken fahren
Und gebt ihm euer Wesen bloß!

MEPHISTOPHELES. Die Schönste hab ich mir erlesen -
Sie umfassend.
O weh mir! welch ein dürrer Besen!
Eine andere ergreifend.
Und diese? - Schmähliches Gesicht!

LAMIEN. Verdienst dus besser? dünk es nicht!

MEPHISTOPHELES. Die Kleine möcht ich mir verpfänden -
Lazerte schlüpft mir aus den Händen
Und schlangenhaft der glatte Zopf!
Dagegen faß ich mir die Lange -
Da pack ich eine Thyrsusstange,
Den Pinienapfel als den Kopf!
Wo wills hinaus? - Noch eine Dicke,
An der ich mich vielleicht erquicke!
Zum letztenmal gewagt! Es sei!
Recht quammig, quappig: das bezahlen
Mit hohem Preis Orientalen -
Doch ach! der Bovist platzt entzwei!

LAMIEN. Fahrt auseinander! schwankt und schwebet
Blitzartig! schwarzen Flugs umgebet
Den eingedrungenen Hexensohn!
Unsichre, schauderhafte Kreise!
Schweigsamen Fittichs, Fledermäuse!
Zu wohlfeil kommt er doch davon.

MEPHISTOPHELES sich schüttelnd.
Viel klüger, scheint es, bin ich nicht geworden;
Absurd ists hier, absurd im Norden,
Gespenster hier wie dort vertrackt,
Volk und Poeten abgeschmackt.
Ist eben hier eine Mummenschanz
Wie überall ein Sinnentanz.
Ich griff nach holden Maskenzügen
Und faßte Wesen, daß michs schauerte -
Ich möchte gerne mich betrügen,
Wenn es nur länger dauerte.
Sich zwischen dem Gestein verirrend.
Wo bin ich denn? wo wills hinaus?
Das war ein Pfad, nun ists ein Graus.
Ich kam daher auf glatten Wegen,
Und jetzt steht mir Geröll entgegen.
Vergebens klettr ich auf und nieder:
Wo find ich meine Sphinxe wieder?
So toll hätt ich mirs nicht gedacht:
Ein solch Gebirg in einer Nacht!
Das heiß ich frischen Hexenritt:
Die bringen ihren Blocksberg mit.

OREAS vom Naturfels. Herauf hier! Mein Gebirg ist alt,
Steht in ursprünglicher Gestalt.
Verehre schroffe Felsensteige,
Des Pindus letztgedehnte Zweige!
Schon stand ich unerschüttert so,
Als über mich Pompejus floh.
Daneben das Gebild des Wahns
Verschwindet schon beim Krähn des Hahns.
Dergleichen Märchen seh ich oft entstehn
Und plötzlich wieder untergehn.

MEPHISTOPHELES. Sei Ehre dir, ehrwürdiges Haupt,
Von hoher Eichenkraft umlaubt!
Der allerklarste Mondenschein
Dringt nicht zur Finsternis herein. -
Doch neben am Gebüsche zieht
Ein Licht, das gar bescheiden glüht.
Wie sich das alles fügen muß!
Fürwahr, es ist Homunculus!
Woher des Wegs, du Kleingeselle?

HOMUNCULUS. Ich schwebe so von Stell zu Stelle
Und möchte gern im besten Sinn entstehn,
Voll Ungeduld, mein Glas entzweizuschlagen;
Allein was ich bisher gesehn,
Hinein da möcht ich mich nicht wagen.
Nur, um dirs im Vertrauen zu sagen:
Zwei Philosophen bin ich auf der Spur!
Ich horchte zu, es hieß: »Natur! Natur!«
Von diesen will ich mich nicht trennen,
Sie müssen doch das irdische Wesen kennen,
Und ich erfahre wohl am Ende,
Wohin ich mich am allerklügsten wende.

MEPHISTOPHELES. Das tu auf deine eigne Hand!
Denn wo Gespenster Platz genommen,
Ist auch der Philosoph willkommen.
Damit man seiner Kunst und Gunst sich freue,
Erschafft er gleich ein Dutzend neue.
Wenn du nicht irrst, kommst du nicht zu Verstand!
Willst du entstehn, entsteh auf eigne Hand!

HOMUNCULUS. Ein guter Rat ist auch nicht zu verschmähn.

MEPHISTOPHELES. So fahre hin! Wir wollens weiter sehn.
Trennen sich.

ANAXAGORAS zu Thales.
Dein starrer Sinn will sich nicht beugen;
Bedarf es weitres, dich zu überzeugen?

THALES. Die Welle beugt sich jedem Winde gern;
Doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.

ANAXAGORAS. Durch Feuerdunst ist dieser Fels zu Handen.

THALES. Im Feuchten ist Lebendiges erstanden.

HOMUNCULUS zwischen beiden.
Laßt mich an eurer Seite gehn!
Mir selbst gelüstets zu entstehn.

ANAXAGORAS. Hast du, o Thales, je in einer Nacht
Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?

THALES. Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen
Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen.
Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,
Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.

ANAXAGORAS. Hier aber wars! Plutonisch-grimmig Feuer,
Äolischer Dünste Knallkraft, ungeheuer,
Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste,
Daß neu ein Berg sogleich entstehen mußte.

THALES. Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt?
Er ist auch da, und das ist gut zuletzt.
Mit solchem Streit verliert man Zeit und Weile
Und führt doch nur geduldig Volk am Seile.

ANAXAGORAS. Schnell quillt der Berg von Myrmidonen,
Die Felsenspalten zu bewohnen:
Pygmäen, Imsen, Däumerlinge
Und andre tätig-kleine Dinge.
Zum Homunculus.
Nie hast du Großem nachgestrebt,
Einsiedlerisch-beschränkt gelebt;
Kannst du zur Herrschaft dich gewöhnen,
So laß ich dich als König krönen.

HOMUNCULUS. Was sagt mein Thales?

THALES. Wills nicht raten!
Mit Kleinen tut man kleine Taten,
Mit Großen wird der Kleine groß.
Sieh hin! die schwarze Kranichwolke!
Sie droht dem aufgeregten Volke
Und würde so dem König drohn.
Mit scharfen Schnäbeln, krallen Beinen,
Sie stechen nieder auf die Kleinen;
Verhängnis wetterleuchtet schon.
Ein Frevel tötete die Reiher,
Umstellend ruhigen Friedensweiher.
Doch jener Mordgeschosse Regen
Schafft grausam-blutgen Rachesegen,
Erregt der Nahverwandten Wut
Nach der Pygmäen frevlem Blut.
Was nützt nun Schild und Helm und Speer?
Was hilft der Reiherstrahl den Zwergen?
Wie sich Daktyl und Imse bergen!
Schon wankt, es flieht, es stürzt das Heer.

ANAXAGORAS nach einer Pause feierlich.
Konnt ich bisher die Unterirdischen loben,
So wend ich mich in diesem Fall nach oben. -
Du droben, ewig Unveraltete,
Dreinamig-Dreigestaltete,
Dich ruf ich an bei meines Volkes Weh,
Diana, Luna, Hekate!
Du Brusterweiternde, im Tiefsten Sinnige,
Du Ruhigscheinende, Gewaltsam-Innige,
Eröffne deiner Schatten grausen Schlund!
Die alte Macht sei ohne Zauber kund!
Pause.
Bin ich zu schnell erhört?
Hat mein Flehn
Nach jenen Höhn
Die Ordnung der Natur gestört?
Und größer, immer größer nahet schon
Der Göttin rundumschriebner Thron,
Dem Auge furchtbar, ungeheuer!
Ins Düstre rötet sich sein Feuer. -
Nicht näher! drohend-mächtige Runde
Du richtest uns und Land und Meer zugrunde!
So wär es wahr, daß dich thessalische Frauen
In frevlend-magischem Vertrauen
Von deinem Pfad herabgesungen?
Verderblichstes dir abgerungen? -
Das lichte Schild hat sich umdunkelt:
Auf einmal reißts und blitzt und funkelt!
Welch ein Geprassel! welch ein Zischen!
Ein Donnern, Windgetüm dazwischen! -
Demütig zu des Thrones Stufen! -
Verzeiht! ich hab es hergerufen.
Wirft sich aufs Angesicht.

THALES. Was dieser Mann nicht alles hört und sah!
Ich weiß nicht recht, wie uns geschah,
Auch hab ichs nicht mit ihm empfunden.
Gestehen wir: es sind verrückte Stunden,
Und Luna wiegt sich ganz bequem
An ihrem Platz so wie vordem.

HOMUNCULUS. Schaut hin nach der Pygmäen Sitz:
Der Berg war rund, jetzt ist er spitz!
Ich spürt ein ungeheures Prallen,
Der Fels war aus dem Mond gefallen;
Gleich hat er, ohne nachzufragen,
So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
Doch muß ich solche Künste loben,
Die schöpferisch, in einer Nacht,
Zugleich von unten und von oben
Dies Berggebäu zustand gebracht.

THALES. Sei ruhig! Es war nur gedacht.
Sie fahre hin, die garstige Brut!
Daß du nicht König warst, ist gut.
Nun fort zum heitern Meeresfeste!
Dort hofft und ehrt man Wundergäste.
Entfernen sich.

MEPHISTOPHELES an der Gegenseite kletternd.
Da muß ich mich durch steile Felsentreppen,
Durch alter Eichen starre Wurzeln schleppen!
Auf meinem Harz der harzige Dunst
Hat was vom Pech, und das hat meine Gunst,
Zunächst dem Schwefel. - Hier, bei diesen Griechen,
Ist von dergleichen kaum die Spur zu riechen;
Neugierig aber wär ich, nachzuspüren,
Womit sie Höllenqual und -flamme schüren.

DRYAS. In deinem Lande sei einheimisch klug,
Im fremden bist du nicht gewandt genug.
Du solltest nicht den Sinn zur Heimat kehren,
Der heiligen Eichen Würde hier verehren!

MEPHISTOPHELES. Man denkt an das, was man verließ;
Was man gewohnt war, bleibt ein Paradies. -
Doch sagt: was in der Höhle dort
Bei schwachem Licht sich dreifach hingekauert?

DRYAS. Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort
Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert!

MEPHISTOPHELES.
Warum denn nicht! - Ich sehe was - und staune!
So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn:
Dergleichen hab ich nie gesehn!
Die sind ja schlimmer als Alraune!
Wird man die urverworfnen Sünden
Im mindesten noch häßlich finden,
Wenn man dies Dreigetüm erblickt?
Wir litten sie nicht auf den Schwellen
Der grauenvollsten unsrer Höllen;
Hier wurzelts in der Schönheit Land,
Das wird mit Ruhm antik genannt! -
Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,
Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus-Vampyren.

PHORKYADEN. Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,
Wer sich so nah an unsre Tempel wage!

MEPHISTOPHELES. Verehrteste! Erlaubt mir, euch zu nahen
Und euren Segen dreifach zu empfahen!
Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter,
Doch, irr ich nicht, weitläufiger Verwandter.
Altwürdige Götter hab ich schon erblickt,
Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt;
Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern,
Ich sah sie gestern - oder ehegestern;
Doch euresgleichen hab ich nie erblickt!
Ich schweige nun und fühle mich entzückt.

PHORKYADEN. Er scheint Verstand zu haben, dieser Geist.

MEPHISTOPHELES.
Nur wunderts mich, daß euch kein Dichter preist.
Und sagt: wie kams, wie konnte das geschehn:
Im Bilde hab ich nie euch Würdigste gesehn!
Versuchs der Meißel doch, euch zu erreichen,
Nicht Juno, Pallas, Venus und dergleichen!

PHORKYADEN. Versenkt in Einsamkeit und stillste Nacht,
Hat unser Drei noch nie daran gedacht!

MEPHISTOPHELES. Wie sollt es auch, da ihr, der Welt entrückt,
Hier niemand seht und niemand euch erblickt!
Da müßtet ihr an solchen Orten wohnen,
Wo Pracht und Kunst auf gleichem Sitze thronen,
Wo jeden Tag, behend, im Doppelschritt,
Ein Marmorblock als Held ins Leben tritt,
Wo -

PHORKYADEN. Schweige still und gib uns kein Gelüsten!
Was hülf es uns, und wenn wirs besser wüßten?
In Nacht geboren, Nächtlichem verwandt,
Beinah uns selbst, ganz allen unbekannt!

MEPHISTOPHELES. In solchem Fall hat es nicht viel zu sagen,
Man kann sich selbst auch andern übertragen.
Euch dreien gnügt ein Auge, gnügt ein Zahn;
Da ging es wohl auch mythologisch an,
In zwei die Wesenheit der drei zu fassen,
Der dritten Bildnis mir zu überlassen,
Auf kurze Zeit.

EINE. Wie dünkts euch? ging es an?

DIE ANDERN. Versuchen wirs! - Doch ohne Aug und Zahn.

MEPHISTOPHELES.
Nun habt ihr grad das Beste weggenommen;
Wie würde da das strengste Bild vollkommen!

EINE. Drück du ein Auge zu, 's ist leicht geschehn,
Laß alsofort den einen Raffzahn sehn,
Und im Profil wirst du sogleich erreichen,
Geschwisterlich vollkommen uns zu gleichen.

MEPHISTOPHELES. Viel Ehr! Es sei!

PHORKYADEN. Es sei!

MEPHISTOPHELES als Phorkyas im Profil. Da steh ich schon,
Des Chaos vielgeliebter Sohn!

PHORKYADEN. Des Chaos Töchter sind wir unbestritten.

MEPHISTOPHELES.
Man schilt mich nun, o Schmach! Hermaphroditen.

PHORKYADEN. Im neuen Drei der Schwestern welche Schöne!
Wir haben zwei der Augen, zwei der Zähne!

MEPHISTOPHELES. Vor aller Augen muß ich mich verstecken,
Im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken. Ab.

 

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