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Johann Wolfgang von Goethe

Der Tragödie zweiter Teil

Tiefe Nacht

LYNKEUS DER TÜRMER auf der Schloßwarte singend.
Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Ich blick in die Ferne,
Ich seh in der Näh,
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mirs gefallen,
Gefall ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!

Pause.

Nicht allein mich zu ergötzen,
Bin ich hier so hoch gestellt:
Welch ein greuliches Entsetzen
Droht mir aus der finstern Welt!
Funkenblicke seh ich sprühen
Durch der Linden Doppelnacht;
Immer stärker wühlt ein Glühen,
Von der Zugluft angefacht.
Ach, die innre Hütte lodert,
Die bemoost und feucht gestanden!
Schnelle Hülfe wird gefodert,
Keine Rettung ist vorhanden.
Ach, die guten alten Leute,
Sonst so sorglich um das Feuer,
Werden sie dem Qualm zur Beute!
Welch ein schrecklich Abenteuer!
Flamme flammet, rot in Gluten
Seht das schwarze Moosgestelle;
Retteten sich nur die Guten
Aus der wildentbrannten Hölle!
Züngelnd lichte Blitze steigen
Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;
Äste, dürr, die flackernd brennen,
Glühen schnell und stürzen ein.
Sollt ihr, Augen, dies erkennen!
Muß ich so weitsichtig sein!
Das Kapellchen bricht zusammen
Von der Äste Sturz und Last.
Schlängelnd sind mit spitzen Flammen
Schon die Gipfel angefaßt.
Bis zur Wurzel glühn die hohlen
Stämme, purpurrot im Glühn. -
Lange Pause, Gesang:
Was sich sonst dem Blick empfohlen,
Mit Jahrhunderten ist hin!

FAUST auf dem Balkon, gegen die Dünen.
Von oben welch ein singend Wimmern?
Das Wort ist hier, der Ton zu spat.
Mein Türmer jammert; mich im Innern
Verdrießt die ungeduldge Tat.
Doch sei der Lindenwuchs vernichtet
Zu halbverkohlter Stämme Graun,
Ein Luginsland ist bald errichtet,
Um ins Unendliche zu schaun.
Da seh ich auch die neue Wohnung,
Die jenes alte Paar umschließt,
Das im Gefühl großmütiger Schonung
Der späten Tage froh genießt.

MEPHISTOPHELES UND DIE DREIE unten.
Da kommen wir mit vollem Trab;
Verzeih: es ging nicht gütlich ab!
Wir klopften an, wir pochten an,
Und immer ward nicht aufgetan.
Wir rüttelten, wir pochten fort:
Da lag die morsche Türe dort.
Wir riefen laut und drohten schwer;
Allein wir fanden kein Gehör,
Und wies in solchem Fall geschicht:
Sie hörten nicht, sie wollten nicht!
Wir aber haben nicht gesäumt,
Behende dir sie weggeräumt.
Das Paar hat sich nicht viel gequält:
Vor Schrecken fielen sie entseelt.
Ein Fremder, der sich dort versteckt
Und fechten wollte, ward gestreckt.
In wilden Kampfes kurzer Zeit
Von Kohlen, ringsumher gestreut,
Entflammte Stroh: nun loderts frei
Als Scheiterhaufen dieser drei.

FAUST. Wart ihr für meine Worte taub?
Tausch wollt ich, wollte keinen Raub!
Dem unbesonnenen, wilden Streich,
Ihm fluch ich: teilt es unter euch!

CHORUS. Das alte Wort, das Wort erschallt:
Gehorche willig der Gewalt!
Und bist du kühn und hältst du Stich,
So wage Haus und Hof und - dich! Ab.

FAUST auf dem Balkon.
Die Sterne bergen Blick und Schein,
Das Feuer sinkt und lodert klein;
Ein Schauerwindchen fächelts an,
Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.
Geboten schnell, zu schnell getan! -
Was schwebet schattenhaft heran?

 

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