Spielgemeinschaft ODYSSEE - Inhaltsübersicht
http://goethe.odysseetheater.com 

Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

 

Inszenierungen des ODYSSEE-Theaters:


Zeittafel zu Leben und Werk

1806 - 1812

1749- 1765- 1771- 1775- 1786- 1794- 1806 - 1813- 1832

Dieses Symbol verweist jeweils auf weiterführende Texte Goethes Dieses Symbol verweist jeweils auf weiterführende Texte Goethes, insbesondere auf seine autobiographischen Schriften "Dichtung und Wahrheit" und "Italienische Reise" bzw. auf Eckermanns "Gespräche mit Goethe".

Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß ich's Wahrheit.
Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige. [1]

 

Die Auseinandersetzung mit der Romantik (1806-1812)

1806 Im April beendet Goethe den Ersten Teil seines Faust

14. Oktober: Schlacht bei Jena. Napoleon besiegt die preußische Armee. Besetzung Weimars.

Franz II. legt die Kaiserkrone nieder, was das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bedeutet.

19. Oktober: Nach achtzehn Jahren "wilder Ehe" erfolgt die Trauung Goethes mit Christiane Vulpius, die ihr zwar zuerst zögernd, aber endlich doch die soziale Anerkennung in der Weimarer Gesellschaft gibt. Den Durchbruch erzwang dabei die Schriftstellerin Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer, die ihre Teegesellschaft demonstrativ für Christiane öffnete: "Wenn Goethe ihr seinen Namen gibt, werden wir ihr wohl eine Tasse Tee reichen können ...". 

Von nun an begibt sich Goethe jährlich zum Sommerurlaub nach Karlsbad (bis 1819).

Christiane Vulpius
Christiane Vulpius
1807 Im April wird Goethe erstmals von Bettina von Brentano besucht. Sie war die Tochter des Kaufmanns Peter Anton Brentano und dessen zweiter Frau, Goethes Jugendfreundin Maximiliane von La Roche, Enkelin der erfolgreichen Autorin Sophie von La Roche, und Schwester des romantischen Dichters Clemens von Brentano, dessen Freund Achim von Arnim sie 1811 ehelichte. 

Schon im Juli des Vorjahres hatte sie Goethes Mutter in Frankfurt besucht und ließ sich Anekdoten aus Goethes Jugendzeit erzählen - um eine geheime Biographie dieses "Göttlichen" zu bilden. Bettina war Goethe in schwärmerischer Liebe zugetan und hat sich später gerne als Goethes Psyche bezeichnet oder sich zu seiner Mignon hochstilisiert. Drei Jahre nach Goethes Tod erschienen ihre verklärten Erinnerungen unter dem Titel Goethes Briefwechsel mit einem Kinde:

Hier auf dem Tisch liegen Trauben im Duft und Pfirsich im Pelz und buntgemalte Nelken; die Rose liegt vorne und fängt den einzigen Sonnenstrahl auf, der durch die verschlossenen Fensterladen dringt. Wie glüht die Rose! Psyche nenne ich sie; – wie lockt das glühende Rot den Strahl in den innersten Kelch! Wie duftet sie; – hier lobt das Werk den Meister. Rose, wie lobst du das Licht! – Wie Psyche den Eros lobt. – Unendlich schön ist Eros, und seine Schönheit durchleuchtet Psyche wie das Licht die Rose. – Und ich, die da wähnt, von Deiner Schönheit ebenso durchleuchtet zu sein, trete vor den Spiegel, ob es mich auch wie sie verschönt.

Bettina von Arnim-Brentano
Bettina von Arnim-Brentano
Medaillonbild von
Achim von Bärwald, 1809
Mai bis September verbringt Goethe in Karlsbad.

Sonette

Audio-File: Johann Wolfgang von Goethe, Natur und Kunst. Sprecher: Wolfgang Peter

Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen
Und haben sich, eh man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und beide scheinen gleich mich anzuziehen.

Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemeßnen Stunden
Mit Geist und Fleiß uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.

So ists mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.

Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben. [2]

Goethe arbeitet Wilhelm Meisters Wanderjahre, Band I. 

Während wiederholter Aufenthalte bei einem Jenaer Buchhändler wandelt sich Goethes anfänglich väterliche Zuneigung zu dessen achtzehnjähriger Pflegetochter Minna Herzlieb in leidenschaftliche Liebe. Minna ist wahrscheinlich das Vorbild für Ottilie in dem Roman Die Wahlverwandtschaften 

Minna Herzlieb
Minna Herzlieb
Ölgemälde von Luise Seidler, 1812
1808 Goethes Mutter stirbt.

Am 2. Oktober wird Goethe beim Fürstentag in Erfurt von Napoleon empfangen.

1809 Die Wahlverwandtschaften: Ein Roman, bei dem die Affinität chemischer Substanzen als Gleichnis auf die Liebesbeziehung zweier Paare übertragen wird:

Denken Sie sich ein A, das mit einem B innig verbunden ist, durch viele Mittel und durch manche Gewalt nicht von ihm zu trennen; denken Sie sich ein C, das sich ebenso zu einem D verhält; bringen Sie nun die beiden Paare in Berührung: A wird sich zu C, C zu B werfen, ohne daß man sagen kann, wer das andere zuerst verlassen, wer sich mit dem andern zuerst wieder verbunden habe... Die Wahlverwandtschaften, 4. Kapitel

Bettine von Arnim vor dem Entwurf ihres Goethe-Denkmals. Radierung von Ludwig Emil Grimm, 1838
Bettine von Arnim vor dem Entwurf ihres Goethe-Denkmals.
Radierung von Ludwig Emil Grimm, 1838
1810 In Teplitz wird Goethe von Bettina von Brentano besucht. Ihre delikaten und phantasievoll ausgemalten erotischen Erinnerungen daran hat sie handschriftlich festgehalten:

Es war in der Abenddämmerung im heißen Augustmonat, in Teplitz, er saß am offenen Fenster, ich stand vor ihm und hielt ihn umhalst, und mein Blick wie ein Pfeil scharf ihm ins Auge gedrückt blieb drin haften, bohrte sich tiefer und tiefer ein. Vielleicht weil ers nicht länger ertragen mochte, frug er, ob mir nicht heiß sei, und ob ich nicht wolle, dass mich die Kühlung anwehe, ich nickte, so sag' er: "Mache doch den Busen frei, dass ihm die Abendluft zugute komme." Und da er sah, dass ich nichts dagegen sagte, obschon ich rot ward, so öffnete er meine Kleidung; er sah mich an und sagte: "Das Abendrot hat sich auf deine Wangen eingebrennt", und dann küsste er mich auf die Brust und senkte die Stirne darauf. - "Kein Wunder," sagte ich, "meine Sonne geht mir ja im eigenen Busen unter." Er sah mich an, lang, und waren beide still...

Metamorphose der Tiere

Goethe hat in seiner Metamorphosenlehre wesentliche Aspekte der modernen Evolutionstheorien vorweggenommen, ohne dabei allerdings wie diese in das materialistische Fahrwasser zu kommen. Goethe fragt nicht danach, welches vorgeblichen Zweckes wegen eine bestimmte tierische Gestalt entstanden sei, sondern wie sie sich gesetzmäßig entwickelt hat - darin stimmt die moderne Entwicklungslehre überein. Goethe geht aber darüber noch hinaus: Allen Tieren liegt seiner Ansicht nach ein nur geistig erfassbarer Urorganismus zugrunde, der sich in jeder einzelnen Tierart auf jeweils spezifisch einseitige Weise offenbart. Auch der menschliche Organismus entspricht diesem urbildlichen Typus, und zwar nicht in einseitiger, sondern in ausgewogen allseitig geprägter Weise - ohne dass Goethe damit andeuten will, dass der Mensch deswegen nur ein höher entwickeltes Tier sei. Im Gegenteil: gerade durch die zart verhüllte Allseitigkeit, mit welcher der Typus hier im menschlichen Organismus wirkt, erklimmt der Mensch eine Entwicklungsstufe, die ihn über das tierische Dasein erhebt.

Ich war völlig überzeugt, ein allgemeiner, durch Metamorphose sich erhebender Typus gehe durch die sämtlichen organischen Geschöpfe durch, lasse sich in allen seinen Teilen auf gewissen mittlern Stufen gar wohl beobachten und müsse auch noch da anerkannt werden, wenn er sich auf der höchsten Stufe der Menschheit ins Verborgene bescheiden zurückzieht. [2]

Das Tier ist durch seine Einseitigkeit an  eine bestimmte Umwelt und an bestimmte Verhaltensweisen sehr eng gebunden, während der Mensch nicht durch die beengenden Grenzen seines Organismus gefesselt wird, sondern frei der Welt gegenübertritt. Ähnliche Ansichten hatte schon Herder im zweiten Buch seiner Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit festgehalten, nämlich:

... daß der Mensch ein Mittelgeschöpf unter den Tieren, d. i. die ausgearbeitete Form sei, in der sich die Züge aller Gattungen um ihn her im feinsten Inbegriff sammeln. 

Herder. Kupferstich von Moritz Steinla nach dem Gemälde von Friedrich Rehberg
Johann Gottfried Herder
Kupferstich von Moritz Steinla nach dem Gemälde von Friedrich Rehberg

Jedem Geschlecht hat die Natur genuggetan und sein eignes Erbe gegeben. Den Affen hat sie in soviel Gattungen und Spielarten verteilt und diese so weit verbreitet, als sie sie verbreiten konnte. Du aber, Mensch, ehre dich selbst. Weder der Pongo noch der Longimanus ist dein Bruder; aber wohl der Amerikaner, der Neger. Ihn also sollt du nicht unterdrücken, nicht morden, nicht stehlen; denn er ist ein Mensch, wie du bist; mit dem Affen darfst du keine Brüderschaft eingehn.

Johann Gottfried Herder
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 2. Teil, 7. Buch, I

Und noch wenige Tage vor seinem Tod schreibt Goethe in einem Brief an Wilhelm von Humboldt:

Die Tiere werden durch ihre Organe belehrt, sagten die  Alten; ich setze hinzu: die Menschen gleichfalls, sie  haben jedoch den Vorzug, ihre Organe dagegen wieder zu belehren.

Im Gespräch mit Eckermann äußerte sich Goethe so:

»Es ist dem Menschen natürlich,« sagte Goethe, »sich als das Ziel der Schöpfung zu betrachten und alle übrigen Dinge nur in bezug auf sich und insofern sie ihm dienen und nützen. Er bemächtiget sich der vegetabilischen und animalischen Welt, und indem er andere Geschöpfe als passende Nahrung verschlingt, erkennet er seinen Gott und preiset dessen Güte, die so väterlich für ihn gesorget. Der Kuh nimmt er die Milch, der Biene den Honig, dem Schaf die Wolle, und indem er den Dingen einen ihm nützlichen Zweck gibt, glaubt er auch, daß sie dazu sind geschaffen worden. Ja er kann sich nicht denken, daß nicht auch das kleinste Kraut für ihn da sei, und wenn er dessen Nutzen noch gegenwärtig nicht erkannt hat, so glaubt er doch, daß solches sich künftig ihm gewiß entdecken werde.

Und wie der Mensch nun im allgemeinen denkt, so denkt er auch im besonderen, und er unterläßt nicht, seine gewohnte Ansicht aus dem Leben auch in die Wissenschaft zu tragen und auch bei den einzelnen Teilen eines organischen Wesens nach deren Zweck und Nutzen zu fragen.

Dies mag auch eine Weile gehen, und er mag auch in der Wissenschaft eine Weile damit durchkommen; allein gar bald wird er auf Erscheinungen stoßen, wo er mit einer so kleinen Ansicht nicht ausreicht und wo er, ohne höheren Halt, sich in lauter Widersprüchen verwickelt.

Solche Nützlichkeitslehrer sagen wohl: der Ochse habe Hörner, um sich damit zu wehren. Nun frage ich aber: warum hat das Schaf keine? und wenn es welche hat, warum sind sie ihm um die Ohren gewickelt, so daß sie ihm zu nichts dienen?

Etwas anderes aber ist es, wenn ich sage: der Ochse wehrt sich mit seinen Hörnern, weil er sie hat.

Die Frage nach dem Zweck, die Frage Warum? ist durchaus nicht wissenschaftlich. Etwas weiter aber kommt man mit der Frage Wie? Denn wenn ich frage: wie hat der Ochse Hörner? so führet mich das auf die Betrachtung seiner Organisation und belehret mich zugleich, warum der Löwe keine Hörner hat und haben kann.

So hat der Mensch in seinem Schädel zwei unausgefüllte hohle Stellen. Die Frage Warum? würde hier nicht weit reichen, wogegen aber die Frage Wie? mich belehret, daß diese Höhlen Reste des tierischen Schädels sind, die sich bei solchen geringeren Organisationen in stärkerem Maße befinden und die sich beim Menschen, trotz seiner Höhe, noch nicht ganz verloren haben.

Die Nützlichkeitslehrer würden glauben, ihren Gott zu verlieren, wenn sie nicht den anbeten sollen, der dem Ochsen die Hörner gab, damit er sich verteidige. Mir aber möge man erlauben, daß ich den verehre, der in dem Reichtum seiner Schöpfung so groß war, nach tausendfältigen Pflanzen noch eine zu machen, worin alle übrigen enthalten, und nach tausendfältigen Tieren ein Wesen, das sie alle enthält: den Menschen.

Man verehre ferner den, der dem Vieh sein Futter gibt und dem Menschen Speise und Trank, so viel er genießen mag; ich aber bete den an, der eine solche Produktionskraft in die Welt gelegt hat, daß, wenn nur der millionteste Teil davon ins Leben tritt, die Welt von Geschöpfen wimmelt, so daß Krieg, Pest, Wasser und Brand ihr nichts anzuhaben vermögen. Das ist mein Gott!«

Farbenlehre

Die zweite wesentliche Säule der goetheanistischen Naturwissenschaft. Im Vorwort schreibt Goethe:

Ob man nicht, indem von den Farben gesprochen werden soll, vor allen Dingen des Lichtes zu erwähnen habe, ist eine ganz natürliche Frage, auf die wir jedoch nur kurz und aufrichtig erwidern: es scheine bedenklich, da bisher schon so viel und mancherlei von dem Lichte gesagt worden, das Gesagte zu wiederholen oder das oft Wiederholte zu vermehren.

Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfasste wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.

Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genausten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken: denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will.

Ebenso entdeckt sich die ganze Natur einem anderen Sinne. Man schließe das Auge, man öffne, man schärfe das Ohr, und vom leisesten Hauch bis zum wildesten Geräusch, vom einfachsten Klang bis zur höchsten Zusammenstimmung, von dem heftigsten leidenschaftlichen Schrei bis zum sanftesten Worte der Vernunft ist es nur die Natur, die spricht, ihr Dasein, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so dass ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich Lebendiges fassen kann.

So spricht die Natur hinabwärts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot noch stumm; ja dem starren Erdkörper hat sie einen Vertrauten zugegeben, ein Metall, an dessen kleinsten Teilen wir dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, gewahr werden sollten. [5]

Goethes Farbenkreis
Goethes Farbenkreis zur Symbolisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens, 1809
Quelle: biblint.de

Goethe hat diesen sechsteiligen Farbenkreis im Abschnitt über die Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe für das Kapitel Allegorischer, symbolischer, mystischer Gebrauch der Farbe seiner Farbenlehre bestimmt, wobei jeder Farbe  eine bestimmte menschliche Seeleneigenschaft zugeordnet wird:

Dass zuletzt auch die Farbe eine mystische Deutung erlaube, lässt sich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin sich die Farbenmannigfaltigkeit darstellen lässt, solche Urverhältnisse andeutet, die sowohl der menschlichen Anschauung als der Natur angehören, so ist wohl kein Zweifel, dass man sich ihrer Bezüge, gleichsam als einer Sprache, auch da bedienen könne, wenn man Urverhältnisse ausdrücken will, die nicht ebenso mächtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker schätzt den Wert und Gebrauch des Triangels; der Triangel steht bei dem Mystiker in großer Verehrung; gar manches lässt sich im Triangel schematisieren und die Farbenerscheinung gleichfalls, und zwar dergestalt, dass man durch Verdopplung und Verschränkung zu dem alten geheimnisvollen Sechseck gelangt.

Goethe, Farbenlehre, 918

Farben entstehen, wie Goethe durch seine Versuche bemerken konnte, durch Abdunklung des Lichts oder durch Aufhellung der Finsternis. Dringt weißes Licht durch ein trübes Medium, etwa durch ein Blatt Papier oder durch die von Dünsten erfüllte Luft, so verfärbt es sich gelblich bis rötlich - ein Phänomen, das man bei jedem Sonnenauf- oder -untergang leicht beobachten kann. Je mehr die Luft von Dünsten erfüllt ist, desto stärker ist die Rotfärbung. Blickt man hingegen anderseits mit dem Licht durch die sonnendurchhellte und von Dünsten erfüllte Luft in das finstere Weltall, so erscheint dessen absolute Schwärze zum Himmelsblau aufgehellt. Je dichter die Dünste sind, desto heller und weißlicher erscheint der Himmel. Je feiner die Dünste werden, desto tiefer und dunkler leuchtet das Blau und kann in der dünnen Luft des Hochgebirges sogar ins Violett übergehen. Die aktiven, warmen rotgelben Farbtöne stehen so den passiven, kühlen blauvioletten Farben polar gegenüber. Grün entsteht erst sekundär durch Mischung des Gelben mit dem Roten, während sich Rot und Violett, einander durchdringend, zum prächtigen Purpur (von Goethe auch als Pfirsichblüt bezeichnet) steigern. Aus diesen Urphänomenen leitet sich schließlich der sechsteilige Farbenkreis Goethes ab, und darin drückt sich auch das von Goethe so oft angesprochene Gesetz von Polarität und Steigerung sehr deutlich aus. Das waren ihm die zwei großen Triebräder aller Natur:

... der Begriff von Polarität und von Steigerung, jene der Materie, insofern wir sie materiell, diese ihr dagegen, insofern wir sie geistig denken, angehörig; jene ist in immerwährendem Anziehen und Abstoßen, diese in immerstrebendem Aufsteigen. Weil aber die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, so wie sich's der Geist nicht nehmen läßt, anzuziehen und abzustoßen; wie derjenige nur allein zu denken vermag, der genugsam getrennt hat, um zu verbinden, genugsam verbunden hat, um wieder trennen zu mögen. Über Polarität und Steigerung, aus "Erläuterungen zu dem aphoristischen Aufsatz über die Natur""

Oder an anderer Stelle:

Was in die Erscheinung tritt, muß sich trennen, um nur zu erscheinen. Das Getrennte sucht sich wieder, und es kann sich wieder finden und vereinigen; im niedern Sinne, indem es sich nur mit seinem Entgegengestellten vermischt, mit demselben zusammentritt, wobei die Erscheinung Null oder wenigstens gleichgültig wird. Die Vereinigung kann aber auch im höhern Sinne geschehen, indem das Getrennte sich zuerst steigert und durch die Verbindung der gesteigerten Seiten ein Drittes, Neues, Höheres, Unerwartetes hervorbringt. Polarität

Von diesen wenigen Urphänomenen der Farbenstehung ging Goethe dann systematisch zu immer komplexeren Erscheinungen über und versuchte sie konsequent aus den Urphänomenen abzuleiten. So untersuchte er etwa das Phänomen des Regenbogens oder die Erscheinung farbiger Schatten, wie man sie in der Dämmerung häufig erleben kann. Namentlich beschäftigte er sich aber auch mit den Farberscheinungen, die entstehen, wenn man Licht durch ein Glasprisma fallen lässt. Er setze sich damit in strengen Gegensatz zu den Anschauungen Isaac Newtons, der bei seiner spekulative Theorie von diesen schon sehr komplexen prismatischen Erscheinungen ausging und postulierte, dass alle Farben bereits im weißen Licht enthalten wären und daraus durch Lichtbrechung mittels des Glasprismas einzeln heraussortiert würden: 

Dass Newton bei seinen prismatischen Versuchen die Öffnung so klein als möglich nahm, um eine Linie zum Lichtstrahl bequem zu symbolisieren, hat eine unheilbare Verwirrung über die Welt gebracht, an der vielleicht noch Jahrhunderte leiden. Sprüche in Prosa, aus: 4. Abt. - Naturwissenschaft

Die moderne Naturwissenschaft hat sich bisher wesentlich an Newtons Ansichten orientiert, während Goethes Farbenlehre bis heute noch wenig beachtet wurde:

Ferner bekam es mir schlecht, daß ich einsah, die Newtonische Lehre vom Licht und der Farbe sei ein Irrtum, und daß ich den Mut hatte, dem allgemeinen Credo zu widersprechen. Ich erkannte das Licht in seiner Reinheit und Wahrheit, und ich hielt es meines Amtes, dafür zu streiten. Jene Partei aber trachtete in allem Ernst, das Licht zu verfinstern, denn sie behauptete: das Schattige sei ein Teil des Lichtes. Es klingt absurd, wenn ich es so ausspreche, aber doch ist es so. Denn man sagte: die Farben, welche doch ein Schattiges und Durchschattetes sind, seien das Licht selber, oder, was auf eins hinauskommt, sie seien des Lichtes bald so und bald so gebrochene Strahlen. Friedr. Sorets Gespräche mit Goethe in Eckermanns Bearbeitung

Dass Newtons Theorie problematisch ist, hat man zwar da und dort erkannt, konnte sich aber doch nicht zu Goethes Ansichten durchringen, die nicht in die mechanistisch orientierte Physik des 19. Jahrhunderts passen wollten:

Was aber das Allersonderbarste ist: der Mensch, wenn er auch den Grund des Irrtums aufdeckt, wird den Irrtum selbst deshalb doch nicht los. Mehrere Engländer, besonders Dr. Reade, sprechen gegen Newton leidenschaftlich aus: "das prismatische Bild sei keineswegs das Sonnenbild, sondern das Bild der Öffnung unseres Fensterladens, mit Farbensäumen geschmückt; im prismatischen Bilde gebe es kein ursprünglich Grün, dieses entstehe durch das Übereinandergreifen des Blauen und Gelben, so dass ein schwarzer Streif ebenso gut als ein weißer in Farben aufgelöst scheinen könne, wenn man hier von Auflösen reden wolle." Genug, alles, was wir seit vielen Jahren dargetan haben, legt dieser gute Beobachter gleichfalls vor. Nun aber lässt ihn die fixe Idee einer diversen Refrangibilität nicht los; doch kehrt er sie um und ist womöglich noch befangener als sein großer Meister. Anstatt durch diese neue Ansicht begeistert aus jenem Chrysalidenzustande sich herauszureißen, sucht er die schon erwachsenen und entfalteten Glieder aufs neue in die alten Puppenschalen unterzubringen. Sprüche in Prosa, aus: 4. Abt. - Naturwissenschaft

Es ist charakteristisch für Goethes ganzheitlich orientierten Forschungsstil, dass er sich bei seinen Untersuchungen nicht auf die bloßen physikalischen Farberscheinungen beschränkt, sondern auch seelische Faktoren mit einbezieht und ihr wechselseitiges Zusammenspiel studiert. Einen ganz besonderen Raum in Goethes Farbenlehre nimmt dementsprechend das Kapitel über die sinnlich-sittliche Wirkung der Farben ein, in dem Goethe sehr ausführlich beschreibt, wie die einzelnen Farben auf das menschliche Gemüt wirken. Dabei zeigt sich die selbe Polarität wie schon bei den rein physikalischen Erscheinungen. Die rotgelben Farbtöne wirken auf das Gemüt erheiternd (man denke nur an die sprichwörtliche rosarote Brille) und regen den Willen zur Aktivität an, während die blauvioletten Farben eine gedämpfte, wehmütige, oft auch andächtige Stimmung erregen, die die Seele sehnsuchtsvoll in die Ferne zieht. Durch solche Betrachtungen wird zwanglos die Brücke von der Physik zur bildenden Kunst und zu einem tieferen Verständnis des ästhetischen Geschmacks geschlagen. Das Auge nimmt das Licht nicht passiv auf, sondern reagiert aktiv darauf; ein inneres Licht kommt gleichsam dem äußeren entgegen:

Die Farben, die wir an den Körpern erblicken, sind nicht etwa dem Auge ein völlig Fremdes, wodurch es erst zu dieser Empfindung gleichsam gestempelt würde; nein. Dieses Organ ist immer in der Disposition, selbst Farben hervorzubringen, und genießt einer angenehmen Empfindung, wenn etwas der eignen Natur Gemäßes ihm von außen gebracht wird, wenn seine Bestimmbarkeit nach einer gewissen Seite hin bedeutend bestimmt wird. Ästhetische Wirkungen, aus "Farbenlehre, Die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe"

Wie sich Licht und Finsternis zum Auge verhalten, studiert Goethe genau und untersucht besonders das Phänomen der Nachbilder und Blendungsbilder, die man bei geschlossenem Auge noch kurzzeitig beobachten kann, nachdem das Auge zuvor dem Licht ausgesetzt war. Es herrscht dabei ein Gesetz von Totalität und Harmonie:

Wenn das Auge die Farbe erblickt, so wird es gleich in Tätigkeit gesetzt, und es ist seiner Natur gemäß, auf der Stelle eine andre, so unbewußt als notwendig, hervorzubringen, welche mit der gegebenen die Totalität des ganzen Farbenkreises enthält. Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine spezifische Empfindung, das Streben nach Allgemeinheit...

Gelb fordert Rotblau

Blau fordert Rotgelb

Purpur fordert Grün

und umgekehrt. Totalität und Harmonie, aus "Farbenlehre, Die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe"

Natur und Geist sind für Goethe eben nicht vollkommen getrennte Welten, zwischen denen eine unüberbrückbarer Kluft aufgerissen ist, sondern sie stehen im innigsten Verhältnis zueinander:

Licht und Geist, jenes im Physischen, dieser im Sittlichen herrschend, sind die höchsten denkbaren unteilbaren Energien. Sprüche in Prosa, aus: 4. Abt. - Naturwissenschaft

Goethe war bestrebt, Wissenschaft, Kunst und Religion, die sich im Zuge der abendländischen Geistesgeschichte immer weiter voneinander entfernt hatten, wieder einander näher zu bringen. Er wurde damit zum Wegbereiter einer ganzheitlichen Weltauffassung, die heute dringender denn je gefordert ist. Weit entfernt davon, ein verstaubter Klassiker zu sein, für den man letztlich nur mehr museales Interesse zeigen kann, hat er methodisch und systematisch fruchtbare Keime für die Zukunft gelegt, die es erst noch zu entfalten gilt.

Wiederfinden

Ist es möglich! Stern der Sterne,
Drück ich wieder dich ans Herz!
Ach, was ist die Nacht der Ferne,
Für ein Abgrund, für ein Schmerz!
Ja, du bist es, meiner Freuden
Süßer, lieber Widerpart!
Eingedenk vergangner Leiden
Schaudr ich vor der Gegenwart.

Als die Welt im tiefsten Grunde
Lag an Gottes ewger Brust,
Ordnet' er die erste Stunde
Mit erhabner Schöpfungslust.
Und er sprach das Wort: »Es werde!«
Da erklang ein schmerzlich Ach!
Als das All mit Machtgebärde
In die Wirklichkeiten brach! 

Auf tat sich das Licht; so trennte
Scheu sich Finsternis von ihm,
Und sogleich die Elemente
Scheidend auseinander fliehn.
Rasch in wilden, wüsten Träumen
Jedes nach der Weite rang,
Starr, in ungemeßnen Räumen,
Ohne Sehnsucht, ohne Klang. 

Stumm war alles, still und öde,
Einsam Gott zum ersten Mal!
Da erschuf er Morgenröte,
Die erbarmte sich der Qual;
Sie entwickelte dem Trüben
Ein erklingend Farbenspiel,
Und nun konnte wieder lieben,
Was erst auseinanderfiel. 

Und mit eiligem Bestreben
Sucht sich, was sich angehört;
Und zu ungemeßnem Leben
Ist Gefühl und Blick gekehrt.
Sei's Ergreifen, sei es Raffen,
Wenn es nur sich faßt und hält!
Allah braucht nicht mehr zu schaffen,
Wir erschaffen seine Welt. 

So mit morgenroten Flügeln
Riß es mich an deinen Mund,
Und die Nacht mit tausend Siegeln
Kräftigt sternenhell den Bund.
Beide sind wir auf der Erde
Musterhaft in Freud und Qual,
Und ein zweites Wort: Es werde!
Trennt uns nicht zum zweiten Mal.

1811 Dichtung und Wahrheit, Erster Teil

Bettina von Brentano heiratet Achim von Arnim und weilt von August bis September in Weimar und ist fast täglich bei Goethe zu Gast. Am 13. September, als sie gemeinsam mit Christiane eine Gemäldeausstellung mit Werken Johann Heinrich Meyers besuchte, eskalierte die latent schon längst vorhandene Spannung zwischen den beiden Frauen zu einem handfesten Streit, bei dem Christiane schwer beleidigt wurde: Bettina bezeichnete sie öffentlich als "wildgewordene Blutwurst". Goethe verbot daraufhin den Arnims sein Haus. Eine Versöhnung kam nie mehr zustande, aber Bettina hat aus der Ferne stets an ihrer schwärmerischen Verehrung Goethes festgehalten. 

1812 -1814 Goethe trifft mehrmals mit Ludwig van Beethoven zusammen und beginnt einen bis 1828 währenden  Briefwechsels mit dem Dichter Friedrich de la Motte Fouqué
1812 Dichtung und Wahrheit, Zweiter Teil

Begegnung mit Kaiserin Maria Ludovica von Österreich.


< zurück | weiter >


[1] Goethe, Maximen und Reflexionen, Goethe-BA Bd. 18, S. 504

[2] Goethe, Tag- und Jahreshefte, Goethe-BA Bd. 16, S. 16

[5] Goethe, Farbenlehre, siehe http://www.farben-welten.de/farbenlehre/1physiologisch/vorwort.htm

Diese Seite als PDF drucken
Wolfgang Peter, Ketzergasse 261/3, A-2380 Perchtoldsdorf, Austria Tel/Fax: +43-1- 86 59 103 Mobil: 0676 9 414 616 
www.odysseetheater.com             Impressum             Email: wolfgang@odysseetheater.com

Free counter and web stats