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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried  

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Erstes Buch

VII

Durch die Strecken der Gebirge wurden unsre beiden Hemisphäre ein Schauplatz der sonderbarsten Verschiedenheit und Abwechslung

Ich verfolge auch hier noch den Anblick der allgemeinen Weltkarte. In Asien streckt sich das Gebirge  in der größesten Breite des Landes fort, und ohngefähr in der Mitte ist sein Knote; wer sollte denken,  daß es auf dem untern Hemisphär gerade anders, in  die größeste Länge, sich strecken würde? Und doch  ist's also. Schon dies macht eine gänzliche Verschiedenheit beider Weltteile. Die hohen Striche Siberiens, die nicht nur den kalten Nord- und Nordostwinden  ausgesetzt, sondern auch durch die mit ewigem  Schnee bedeckten Urgebirge vom erwärmenden Südwinde abgeschnitten sind, mußten also (zumal da ihr  öfters salziger Boden dazukam) auch noch in manchen südlichen Strichen so erstarrend kalt werden, als  wir sie aus Beschreibungen kennen, bis hie und da  andre Reihen dieser Berge sie vor den schärfern Winden schützten und mildere Talgegenden bilden konnten. Unmittelbar unter diesem Gebirge aber, in der  Mitte Asiens, welche schöne Gegenden breiteten sich  nieder! Sie waren durch jene Mauern vor den  erstarrenden Winden des Nords gedeckt und bekamen von ihnen nur kühlende Lüfte. Die Natur änderte  daher auch südlich den Lauf der Gebirge und ließ sie  auf den beiden Halbinseln Indostans, Malakka, Ceylon u. f. längs hinablaufen. Hiemit gab sie beiden Seiten dieser Länder entgegengesetzte Jahrszeiten, regelmäßige Abwechselungen und machte sie auch dadurch zu den glücklichsten Erdstrichen der Welt. In  Afrika kennen wir die innern Gebirgreihen zuwenig;  indessen wissen wir, daß auch dieser Weltteil in die  Länge und Breite durchschnitten, wahrscheinlich also  in seiner Mitte gleichfalls sehr abgekühlt ist. In Amerika dagegen wie anders! Nördlich streichen die kalten Nord- und Nordostwinde lange Strecken hinab,  ohne daß ein Gebirge sie bräche. Sie kommen aus  dem großen Eisrevier her, das sich bisher aller Durchfahrt widersetzt hat und das der eigentliche, noch unbekannte Eiswinkel der Welt zu nennen wäre. Sodenn streichen sie über große Erdstriche erfrornen Landes  hin, und erst unter den Blauen Gebirgen wird das  Land milder. Noch immer aber mit so plötzlichen Abwechselungen der Hitze und Kälte als in keinem andern Lande: wahrscheinlich, weil es dieser ganzen  Nordhalbinsel an einer zusammenhängenden festen  Gebirgmauer fehlet, Winde und Witterung zu lenken  und ihnen ihre bestimmtere Herrschaft zu geben. - Im untern Südamerika gegenteils wehen die Winde vom  Eise des Südpols und finden abermals statt eines  Sturmdachs, das sie bräche, vielmehr eine Bergkette,  die sie von Süd gen Nord hinaufleitet. Die Einwohner der mittlern Gegenden, so glückliche Erdstriche es  von Natur sind, müssen also oft zwischen diesen bei- den einander entgegengesetzten Kräften in einer nassen heißen Trägheit schmachten, wenn nicht kleinere  Winde von den Bergen oder dem Meere her ihr Land  erfrischen und kühlen.

Setzen wir nun die steile Höhe des Landes und seines einförmigen Bergrückens hinzu, so wird uns die  Verschiedenheit beider Welteile noch auffallender und klärer. Die Cordilleras sind die höchsten Gebirge der  Welt; die Alpen der Schweiz sind beinah nur ihre  Hälfte. An ihrem Fuß ziehen sich die Sierras in langen Reihen hinab, die gegen die Meeresfläche und die tiefen Talabgründe selbst noch hohe Gebirge sind [5];  nur über sie zu reisen, gibt Symptome der Übelkeit  und plötzlichen Entkräftung an Menschen und Tieren, die bei den höchsten Gebirgen der Alten Welt eine  unbekannte Erscheinung sind. Erst an ihrem Fuß  fängt das eigentliche Land an; und dieses an den meisten Orten wie eben, wie plötzlich verlassen von den  Gebirgen! Am östlichen Fuß der Cordilleras breitet  sich die große Ebne des Amazonenstroms, die einzige in ihrer Art, fort; wie die peruanischen Bergstrecken  gleichfalls die einzigen ihrer Art bleiben. Auf tausend  Fuß hat jener Strom, der zuletzt ein Meer wird, noch  nicht 2/5 Zoll Fall, und man kann eine Erdstrecke von Deutschlands größester Länge durchreisen, ohne sich  einen Fuß hoch über die Meeresfläche zu erheben. [6]  Die Berge Maldonado am Platastrom sind gegen die  Cordilleras auch von keinem Belang; und so ist das  ganze östliche Südamerika als eine große Erdenfläche anzusehen, die jahrtausendelang Überschwemmungen, Morästen und allen Unbequemlichkeiten des  niedrigsten Landes der Erde ausgesetzt sein mußte  und es zum Teil noch ist. Der Riese und der Zwerg  stehn hier also nebeneinander, die wildeste Höhe  neben der tiefsten Tiefe, deren ein Erdenland fähig ist. Im südlichen Nordamerika ist's nicht anders. Louisiana ist so seicht wie der Meeresboden, der zu ihm führet, und diese seichte Ebne geht weit ins Land hinauf.  Die großen Seen, die ungeheuren Wasserfälle, die  schneidende Kälte Kanadas u. f. zeigen, daß auch der  nordliche Erdstrich hoch sein müsse und daß sich hier abermals, obwohl in einem kleinern Grad, Extreme  gesellen. Was dies alles auf Früchte, Tiere und Menschen für Wirkungen habe, wird die Folge zeigen. Anders ging die Natur auf unserm obern Hemisphär zu Werk, auf dem sie Menschen und Tieren  ihren ersten Wohnsitz bereiten wollte. Lang und breit  zog sie die Gebirge auseinander und leitete sie in  mehreren Ästen fort, so daß alle drei Weltteile  zusammenhangen könnten und ohngeachtet der Verschiedenheit von Erdstrichen und Ländern allenthalben ein sanfterer Übergang ward. Hier durfte kein  Weltstrich in äonenlanger Überschwemmung liegen,  noch sich auf ihm jene Heere von Insekten, Amphibien, zähen Landtieren und andrer Meeresbrut bilden,  die Amerika bevölkert haben. Die einzige Wüste  Kobi ausgenommen (die Mondgebirge kennen wir  noch nicht), und es heben sich keine so breite  Strecken wüster Erdhöhen in die Wolken, um in ihren Klüften Ungeheuer hervorzubringen und zu nähren.  Die elektrische Sonne konnte hier aus einem trocknern, sanfter gemischten Erdreich feinere Gewürze,  mildere Speisen, eine reifere Organisation befördern,  auch an Menschen und allen Tieren.

Es wäre schön, wenn wir eine Bergkarte oder vielmehr einen Bergatlas hätten, auf dem diese Grundsäulen der Erde in den mancherlei Rücksichten aufgenommen und bemerkt wären, wie sie die Geschichte  des Menschengeschlechts fordert. Von vielen Gegenden ist die Ordnung und Höhe der Berge ziemlich  genau bestimmt; die Erhebung des Landes über die  Meeresfläche, die Beschaffenheit des Bodens auf seiner Oberfläche, der Fall der Ströme, die Richtungen  der Winde, die Abweichungen der Magnetnadel, die  Grade der Hitze und Wärme sind an andern bemerkt  worden, und einiges davon ist auch schon auf  einzelnen Karten bezeichnet. Wenn mehrere dieser  Bemerkungen, die jetzt in Abhandlungen und Reisebeschreibungen zerstreut liegen, genau gesammelt  und auch auf Karten zusammengetragen würden: welche schöne und unterrichtende physische Geographie  der Erde würde damit in einem Überblicke auch der  Natur- und Geschichtsforscher der Menschheit haben!  Der reichste Beitrag zu Varenius', Lulofs und Bergmanns vortrefflichen Werken. Wir sind aber auch hier nur im Anfange: die Ferber, Pallas, Saussure, Soulavie u. a. sammlen in einzelnen Erdstrecken zu der reichen Ernte von Aufschlüssen, die wahrscheinlich  einst die peruanischen Gebirge (vielleicht die interessantsten Gegenden der Welt für die größere Naturgeschichte) zur Einheit und Gewißheit bringen werden.

 

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