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Johann Gottfried Herder

Johann Gottfried

Herder

aus

Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit

Zwölftes Buch

II

Meder und Perser

Die Meder sind in der Geschichte der Welt durch Kriegstaten und Üppigkeit bekannt; durch Erfindungen oder eine bessere Einrichtung des Staats haben sie sich nie ausgezeichnet. Ein tapfres reitendes Bergvolk waren sie in einem nördlichen, großenteils rauhen Lande; als solches warfen sie das alte assyrische Reich um, dessen Sultane im Harem träge schlummerten; sie entzogen sich auch bald dem neuen assyrischen Reiche. Ebenso schnell aber gerieten sie durch ihren klugen Dejoces unter eine strenge, monarchische Herrschaft, die zuletzt an Pracht und Üppigkeit den Persern selbst vorging. Endlich wurden sie unter dem großen Cyrus mit jener ganzen Flut von Völkern vereinigt, die Persiens Monarchen zu Herren der Welt erhöhte.

Wenn bei einem Fürsten die Geschichte Dichtung zu werden scheint, ist es beim Stifter des persischen Reiches, Cyrus; man möge dies Götterkind, den Erobrer und Gesetzgeber der Völker, von den Hebräern oder Persern, von Herodot oder von Xenophon beschrieben lesen. Ohne Zweifel hat der letztgenannte, schöne Geschichtschreiber, der von seinem Lehrer bereits die Idee einer Cyropädie bekam, bei seinen Feldzügen in Asien wahre Nachrichten von ihm gesammelt, die aber, weil Cyrus lange tot war, nach asiatischer Weise von ihm nicht anders als in jenem hohen Ton des Lobes sprechen konnten, den man in allen Beschreibungen dieser Völker von ihren Königen und Helden gewohnt ist. Xenophon wurde also dasselbe gegen Cyrus, was Homer gegen Achill und Ulysses wurde, bei welchen dem Dichter auch wahre Nachrichten zum Grunde lagen. Für uns ist's indessen einerlei, ob einer oder der andere das Wahrere sage; gnug, Cyrus überwand Asien und stiftete ein Reich, das vom Mittelländischen Meer an bis zum Indus reichte. Hat Xenophon von den Sitten der alten Perser, unter denen Cyrus erzogen wurde, wahr geredet, so mag der Deutsche sich freuen, daß er mit diesem Volk wahrscheinlich eines verwandten Stammes ist, und jeder seiner Prinzen möge die Cyropädie lesen.

Aber, du großer und guter Cyrus, wenn meine Stimme zu deinem Grabmal in Pasagarda gelangen könnte, so würde sie deinen Staub fragen, warum du ein solcher Eroberer wurdest. Bedachtest du im jugendlichen Lauf deiner Siege, wozu dir und deinen Enkeln die unzähligen Völker, die unübersehlichen Länder, die du unter deinen Namen zwangst, nutzen sollten? Konnte dein Geist ihnen allen gegenwärtig sein? Konnte er auf alle folgenden Geschlechter fortlebend wirken? Und wenn dies nicht ist, welche Last legst du deinen Nachkommen auf, einen so zusammengestickten Königspurpur zu tragen? Seine Teile fallen auseinander oder drücken den Tragenden zugrunde. Dies war die Geschichte Persiens unter den Nachfolgern Cyrus'. Sein Eroberungsgeist hatte ihnen ein so hohes Ziel vorgesteckt, daß sie ihr Reich erweitern wollten, auch da es nicht mehr zu erweitern war; sie verwüsteten also und rannten allenthalben an, bis sie zuletzt durch die Ehrsucht eines beleidigten Feindes selbst ihr trauriges Ende fanden. Kaum zweihundert Jahr hat das persische Reich gewährt; und es ist zu verwundern, daß es so lange währte: denn seine Wurzel war so klein, seine Aste dagegen waren so groß, daß es notwendig zu Boden stürzen mußte.

Wenn je die Menschlichkeit im Reich der Menschheit Platz gewinnt, so wird man aus ihrer Geschichte zuerst dem tollen Eroberungsgeist entsagen lernen, der in wenigen Generationen notwendig sich selbst verderbt. Ihr treibt Menschen wie eine Herde, ihr bindet sie wie tote Massen zusammen und denkt nicht, daß dennoch ein lebender Geist in ihnen sei und daß vielleicht das letzte, äußerste Stück des Baues losreiße und euch zerschmettre. Das Reich eines Volks ist eine Familie, ein wohlgeordnetes Hauswesen; es ruht auf sich selbst; denn es ist von der Natur gegründet und steht und fällt nur mit den Zeiten. Ein zusammengezwungenes Reich von hundert Völkern und hundertzwanzig Provinzen ist ein Ungeheuer, kein Staatskörper.

Ein solches war Persiens Monarchie von Anfange an; sogleich nach Cyrus' Zeiten aber fiel sie als ein solches heller ins Auge. Sein ihm so ungleicher Sohn wollte weiter erobern als sein Vater: wie ein Unsinniger ging er auf Ägypten und Äthiopien los, so daß kaum der Hunger der Wüste ihn zurückzutreiben vermochte. Was hatte er und sein Reich davon? Was für Nutzen von ihm hatten die eroberten Länder? Er verwüstete Ägypten, zerstörte die prächtigen thebaischen Tempel und Kunstdenkmale: ein sinnloser Zerstörer! Ermordete Geschlechter ersetzen sich in andern Geschlechtern; dergleichen Werke aber ersetzen sich nie. Noch jetzt liegen sie in ihren Trümmern undurchsucht und beinah unverstanden; jeder Wanderer flucht dem Wahnsinn des Trunkenen, der uns diese Schätze der Alten Welt ohne Ursache und Zweck raubte.

Kaum hatte den Kambyses seine eigne Wut gestraft, so fuhr selbst der weisere Darius fort, wo jener es gelassen hatte. Er bekriegte die Scythen und Indier; er plünderte die Thrazier und Mazedonier; mit allem erbeutete er nichts, als daß er in Macedonien den Funken ausstreute, der einst dem letzten Könige seines Namens die Flamme übers Haupt wehen sollte. Unglücklich zog er gegen die Griechen, noch unglücklicher sein Nachfolger Xerxes; und wenn man nun in diesen despotischen Kriegszügen das Verzeichnis der Schiffe und Völker liest, die die ganze persische Welt dem tollen Erobrer zollen mußte; wenn man die Blutbäder betrachtet, die bei jeder Empörung ungerecht unterjochter Länder am Euphrat, am Nil, am Indus, am Araxes, am Halys angerichtet wurden, damit nur das, was einmal persisch hieß, auch persisch bliebe: nicht weibische Tränen, wie Xerxes vergoß, da er seine unschuldigen Schlachtschafe übersah, blutige Tränen des Unmuts wird man weinen, daß ein so unsinniges, völkerfeindliches Reich den Namen eines Cyrus an seiner Stirn trage. Hatte ein persischer Verwüster der Welt solche Reiche, Städte und Denkmale, als er zerstörte und zerstören wollte, Babylon, Thebe, Sidon, Griechenland, Athen, gegründet? Konnte er sie gründen?

Es ist ein hartes, aber gutes Gesetz des Schicksals, daß, wie alles Übel, so auch jede Übermacht sich selbst verzehre. Persiens Verfall fing mit dem Tode Cyrus' an, und ob es sich gleich, insonderheit durch Darius' Anstalten, noch ein Jahrhundert hin von außen in seinem Glanz erhielt, so nagte doch in seinem Innern der Wurm, der in jedem despotischen Reich nagt. Cyrus teilte seine Herrschaft in Statthalterschaften, die er noch durch sein Ansehen in Schranken erhielt, indem er eine schnelle Kommunikation durch alle Provinzen errichtete und darüber wachte. Darius teilte das Reich, wenigstens seinen Hofstaat, noch genauer ein und stand auf seiner hohen Stelle als ein gerechter und tätiger Herrscher. Bald aber wurden die großen Könige, die zum despotischen Thron geboren waren, tyrannische Weichlinge. Xerxes, selbst auf seiner schimpflichen Flucht aus Griechenland, da er auf ganz andere Dinge hätte denken sollen, begann schon zu Sardes eine schändliche Liebe. Seine meisten Nachfolger gingen diesem Wege nach, und so waren Bestechungen, Empörungen, Verrätereien, Mordtaten, unglückliche Unternehmungen u. f. beinah die einzigen Merkwürdigkeiten, welche die spätere Geschichte Persiens darbeut. Der Geist der Edeln war verderbt, und die Unedeln verdarben mit; zuletzt war kein Regent seines Lebens mehr sicher; der Thron wankte auch unter seinen guten Fürsten, bis Alexander nach Asien brach und in wenigen Schlachten dem von innen unbefestigten Reich ein fürchterliches Ende machte. Zum Unglück traf dies Schicksal einen König, der ein besseres Glück verdiente; unschuldig büßte er seiner Vorfahren Sünde und kam durch schändliche Verräterei um. Wenn eine Geschichte der Welt uns mit großen Buchstaben sagt, daß Ungebundenheit sich selbst verderbe, daß eine grenzen- und fast gesetzlose Gewalt die furchtbarste Schwäche sei und jede weiche Satrapenregierung sowohl für den Regenten als fürs Volk das unheilbarste Gift werde, so sagt's die persische Geschichte.

Auf keine andere Nation hat daher auch dieses Reich einen günstigen Einfluß gehabt: denn es zerstörte und baute nicht, es zwang die Provinzen, diese dem Gürtel der Königin, jene dem Haar oder Halsschmuck derselben, einen schimpflichen Tribut zu zollen, es knüpfte sie aber nicht durch bessere Gesetze und Einrichtungen aneinander. Aller Glanz, alle Götterpracht und Götterfurcht dieser Monarchen ist nun dahin; ihre Satrapen und Günstlinge sind, wie sie selbst, Asche, und die Talente, die sie erpreßten, ruhen vielleicht gleichfalls in der Erde. Selbst die Geschichte derselben ist Fabel: eine Fabel, die sich im Munde der Morgenländer und Griechen fast gar nicht verbindet. Auch die alten persischen Sprachen sind tot, und die einzigen Reste ihrer Herrlichkeit, die Trümmern Persepolis', sind nebst ihren schönen Schriftzügen und ihren Ungeheuern Bildern bisher unerklärte Ruinen. Das Schicksal hat sich gerächt an diesen Sultanen: wie durch den giftigen Wind Samum sind sie von der Erde verweht, und wo, wie bei den Griechen, ihr Andenken lebt, lebt es schimpflich, die Basis einer ruhmreichen, schöneren Größe.

Das einzige, was uns die Zeit von Denkmalen des Geistes der Perser gegönnt hätte, wären die Bücher Zoroasters, wenn die Echtheit derselben erwiesen wäre.202) Aber als Bücher fügen sie sich so wenig zu manchen andern Nachrichten von der Religion dieses Volkes; sie tragen auch so offenbare Merkmale einer Vermischung mit spätem Meinungen der Brahmanen und Christen an sich, daß man nur den Grund ihres Lehrgebäudes für echt anerkennen und solchen sodann leicht an Stelle und Ort bringen mag. Die alten Perser nämlich waren, wie alle wilden, insonderheit Bergnationen, Verehrer der lebendigen Weltelemente; da dies Volk aber nicht in seiner Roheit blieb, sondern durch Siege beinah bis zum höchsten Gipfel der Üppigkeit aufstieg, so war es nach asiatischer Weise notwendig, daß es auch ein durchdachteres System oder Cerimoniel der Religion bekam, welches ihm denn sein Zoroaster oder Zerduscht, unterstützt vom Könige Darius Hystaspes, gab. Offenbar liegt in diesem System das Cerimoniel der persischen Regimentsverfassung zum Grunde: wie die sieben Fürsten um den Thron des Königs stehen, so stehen die sieben Geister vor Gott und verrichten seine Befehle durch alle Welten. Ormuzd, das gute Lichtwesen, hat mit dem Fürsten der Finsternis, Ahriman, unaufhörlich zu kämpfen, in welchem Kampf ihm alles Gute dient: ein Staatsbegriff, der selbst durch Personifikationen der Feinde Persiens, die im Zend-Avesta durchgängig als Diener Ahrimans, als böse Geister, erscheinen, in sein völliges Licht tritt. Auch alle sittlichen Gebote der Religion sind politisch; sie beziehen sich auf Reinigkeit des Körpers und Geistes, auf Eintracht in den Familien und wechselseitigen Diensteifer; sie empfehlen den Ackerbau und die Pflanzung nützlicher Bäume, die Ausrottung des Ungeziefers, das auch als ein Heer böser Dämonen in leiblicher Gestalt erscheint, die Achtsamkeit des Wohlstandes, die frühe Wahl und Fruchtbarkeit der Ehen, die Erziehung der Kinder, die Verehrung des Königs und seiner Diener, die Liebe gegen den Staat: und dies alles auf persische Weise. Kurz der Grund dieses Systems erscheint durch sich selbst als eine politische Religion, wie sie zu Darius' Zeiten nirgends als in einem Perserreich hat erdacht und eingeführt werden mögen. Notwendig mußten dabei alte Nationalbegriffe und Meinungen auch des Aberglaubens zum Grunde liegen. Dahin gehört die Verehrung des Feuers, die bei den Naphthaquellen am Kaspischen Meer gewiß ein alter Gottesdienst war, obgleich die Errichtung der Feuertempel nach Zoroasters Weise in vielen Gegenden sich aus spätem Zeiten herschreibt. Dahin gehört so mancher abergläubische Gebrauch zu Reinigung des Körpers und jene ungeheure Furcht vor den Dämonen die fast bei jedem sinnlichen Gegenstande den Gebeten, Wünschen und Weihungen der Parsen zum Grunde liegt. Alles dies zeigt, auf welcher niedern Stufe der Geisteskultur damals noch das Volk gestanden, dem zugut diese Religion erfunden wurde- und dies widerspricht abermals dem Begriff nicht den wir von den alten Persern haben. Der kleine Teil dieses Systems endlich, der auf allgemeine Begriffe der Natur ausgeht, ist völlig aus der Lehre der Magier geschöpft, welche er nach seiner Weise nur reinigt und veredelt. Er unterwirft beide Prinzipien der Schöpfung, das Licht und Dunkel, einem unendlichen hohem Wesen, das er die grenzenlose Zeit nennt, läßt allenthalben das Böse vom Guten überwunden und zuletzt also verschlungen werden, daß alles sich in ein seliges Lichtreich ende. Von dieser Seite betrachtet, wird Zoroasters Staatsreligion eine Art philosophischer Theodizee, wie sie seine Zeit und die Begriffe, die in ihr herrschten, gewähren konnten.

Zugleich ergibt sich aus diesem Ursprung auch die Ursache, warum diese Religion nicht zu jener Festigkeit einer Brahmanen- oder Lamaseinrichtung kommen konnte. Das despotische Reich war lange vor ihr eingerichtet, und so war oder wurde sie nur eine Art Mönchsreligion, die ihre Lehren jener Einrichtung bequemte. Ob nun Darius gleich die Magier, die wirklich ein Reichsstand Persiens waren, gewaltsam unterdrückte und dagegen diese Religion, die dem Könige nur geistige Fesseln anlegt, gern einführte, so mußte solche immer doch nur eine Sekte, wenngleich ein Jahrhundert hin die herrschende Sekte, werden. Weit umher hat sich also der Feuerdienst ausgebreitet, zur Linken über Medien bis nach Kappadocien hin, wo noch zu Strabo Zeiten Feuerkapellen standen, zur Rechten bis an den Indus. Da aber das persische Reich, von innen zerrüttet, unter Alexanders Glück völlig dahinsank, so war es auch mit dieser seiner Staatsreligion am Ende. Ihre sieben Amschaspands dienten nicht mehr, und kein Bild des Ormuzd saß mehr auf dem persischen Throne. Sie hatte also ihre Zeit überlebt und war ein Schattenbild, wie die jüdische Religion außer ihrem Lande. Die Griechen duldeten sie, die Mahomedaner verfolgten sie endlich mit unsäglicher Härte, und so entfloh ihr trauriger Rest in einen Winkel Indiens, wo er wie eine Trümmer der Vorwelt, ohne Ursach und Absicht, seinen alten, nur für Persiens Monarchie bestimmten Glauben und Aberglauben fortsetzt und ihn, vielleicht ohne daß er's selbst weiß, mit Meinungen der Völker, unter welche ihn das Schicksal geworfen, vermehrt hat. Eine Vermehrung solcher Art ist Natur der Sache und der Zeiten; denn jede Religion, die aus ihrem ursprünglichen Boden und Kreise herausgerissen ist, muß von der lebendigen Welt Einflüsse annehmen, mit der sie lebt, Übrigens ist der Haufe der Parsen in Indien ein ruhiges, einträchtiges, fleißiges Volk, das, auch als Gesellschaft betrachtet, es manchen andern Religionen zuvortut. Sie unterstützen ihre Armen mit großem Eifer und verbannen jedes übelgesittete, unverbesserliche Mitglied aus ihrer Gemeine. [203]

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