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August Strindberg

August Strindberg

Auszüge aus dem

BLAUBUCH

 

 

Unglückliche Liebe

Unglückliche Liebe

Egon Schiele, Das Paar, 1915Die gewöhnlichste Ursache von Krankheiten des Gemüts sollen zerstörte Illusionen oder, mit einem andern Wort, getäuschte Hoffnungen sein, unglückliche Liebe eingeschlossen. 

Die Seele hat sich aus dem Körper gestreckt und sich einer andern Seele aufzupfropfen begonnen; geht diese dann ihres Weges und nimmt die Seele des Unglücklichen mit sich, so daß sie diesem fortgenommen wird, hat er sich selbst verloren, ist er entzwei gegangen. Aber es gibt für den Leeren eine Art, sich mit einer neuen Seele zu füllen; und die besteht darin, daß er das Göttliche im Gebet sucht.

Dann wird eine neue Seele in ihm geboren, und er ist von neuem geboren, gerettet.

Wer beim Bruch einer Liebesverbindung sich nach dem Treulosen sehnt, der gegangen ist, sehnt sich eigentlich danach, seine Seele zurückzuerhalten, sehnt sich nach sich selbst; denn kehrt der Fortgelaufene zurück, gewährt er keine Befriedigung, kein Glück; das war auch eine Illusion. Aber bei dem unangenehmen Wiedersehen kann durch einen stürmischen Austausch von Worten und Gedanken der Verlassene sein Prana zurücknehmen, sein Eigentum von den feindlichen Bestandteilen des andern trennen und geheilt aus der Begegnung hervorgehen.

Das ist wie eine Erbteilung oder Gütertrennung. Aber manchmal dauert diese Krise das ganze Leben. Ein Mann ging treulos von einer Frau, und sie brach entzwei. Aber ihr schlimmstes Leiden war die Wahrnehmung, daß er mit einer andern Frau ging und ihre Seele besudelte, die er noch mit sich herumtrug. Um den gefährlichen Kontakt zu unterbrechen, peinigte sie ihren Körper durch Wachen und Fasten, Durst und eiskaltes Wasser. Manchen gelingt es damit, aber ihr nicht! Darum blieb ihr nur übrig, sich das Leben zu nehmen, und das tat sie.

Aber er, der Treulose, mußte etwas von seiner Seele bei ihr niedergelegt haben, denn als sie starb, wurde er schwermütig und schwand dahin, so daß sein neues Weib ihn aufgab.

-Sie hat ihn bis in den Tod geliebt! sagten die Leute.

-Das hat sie nicht getan; sie hat ihn gehaßt, aber sie mußte ihre Seele wiederhaben, und diese Sehnsucht nannte sie lieben.

 

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