Spielgemeinschaft ODYSSEE - Inhaltsübersicht

Jean Baptiste Molière

Tartuffe

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ERSTER AUFZUG

ERSTER AUFTRITT

Frau Pernelle. Elmire. Marianne. Cléante. Damis. Dorine. Flipote.

Fr a u P e r n e l l e.
Wir gehn, Flipote! Ich mag mich nicht mehr streiten.
E l m i r e.
Kaum halt ich Schritt mit Ihnen.
F r a u P e r n e l l e.
Liebes Kind, erspar dir ruhig diese Förmlichkeiten, die doch nur leere Flausen sind.
E l m i r e.
Man tut, was sich gehört. Doch darf ich fragen,
was Sie, Frau Mutter, plötzlich so verstimmt?
Fr a u P e r n e l l e.
Wie soll man denn dies Treiben hier ertragen, wo keiner die geringste Rücksicht nimmt? Ich muß mich freilich ausgetrieben fühlen, stoß ich auf Widerspruch allüberall, denn jeder will sein Mütchen an mir kühlen -:
das schnattert wie in einem Gänsestall!
D o r i n e.
Doch...
F r a u P e r n e l l e.
Du, mein Herzensschatz, bist keck und unverschämt - und bist doch hier nur Magd!
Du steckst dein Näschen frech in jeden Dreck ...
Damis.
Ich...
F r a u P e r n e l l e.
Du?! Du bist ein Dummkopf, kurz gesagt. Als Großmutter darf ich dies Wort wohl wagen. Stets hab ich deinem Vater prophezeit, du würdest ganz aus der Familie schlagen und ihm nur Schande bringen, Schimpf und Leid!
M a r i a n n e.
Ich glaube...
F r a u P e r n e l l e.
Sieh mal an: das Schwesterlein! Vor Schüchternheit wird es tagtäglich blasser -
Jedoch man kennt sie ja, die >stillen Wasser<:
ich fall auf dies Getue nicht herein.
E l m i r e.
Ich muß Sie bitten, Mutter.
F r a u P e r n e l l e.
Sprich dich ruhig aus, geliebte Schwiegertochter! Leider muß ich sagen, nichts hat mich so geärgert hier im Haus wie dein Skandal erregendes Betragen! Du solltest Vorbild sein in Zucht und Scham, wie's deine sel'ge Mutter war. Statt dessen wirfst du das Geld hinaus für Modekram und kleidest dich verschwendrisch wie Prinzessen! Will eine Frau nur einem Mann gefallen, braucht sie nicht so viel Schleifen, Rüschen, Schnallen.
C l é a n t e.
Nach alledem ...
Fr a u P e r n e l l e.
Der Schwager meldet sich! Sie wissen, Herr, wie sehr ich Sie verehre.
Doch wenn ich meines Sohnes Gattin wäre, bät' ich Sie himmelhoch und flehentlich, sich möglichst selten bei uns einzufinden, denn was Sie oft als Lebensweisheit künden, ist Gift für Menschen mit geradem Sinn. Verwundert Sie's, daß ich so offen bin?
Ich mach nun mal - bringt's Sturm auch in die Stube - aus meinem Herzen keine Mördergrube!
D a m i s.
Ihr Herr Tartuffe ist wirklich zu beneiden!
F r a u P e r n e l l e.
Ein guter Mensch! Jawohl, den mag ich leiden! Drum werd ich wütend und bin tief verletzt, wenn sich ein Narr wie du ihm widersetzt.
D a m i s.
Zum Teufel! Soll ich's diesem Mucker gönnen, daß er uns alle hämisch kujoniert und wir nicht mehr vergnüglich leben können, wenn's dieser Kerl nicht gnädigst konzediert?!
D o r i n e.
Wenn man ihm glaubte, wenn er tobend eifert, käm' man sich wie ein Schwerverbrecher vor, denn es gibt nichts, was dieser Nörgler nicht begeifert!
F r a u P e r n e l l e.
Er tadelt euch mit Recht. Denn hoch empor zu himmelnaher Gottesfürchtigkeit weist er die Pfade euch aus niedren Sphären. Und deshalb wird mein Sohn es euch schon lehren, daß ihr ihn achtet und ihm dankbar seid!
D a m i s.
Nie wird das sein! Nichts in der Welt kann mich - und auch mein Vater nicht - ihm näherbringen! Ich gäb' mich selber auf, versuchte ich, mich zu bezwingen und sein Lob zu singen. Drum seh ich schwarz, denn früher oder später kommt es zum Krach mit diesem Leisetreter!
D o r i n e.
Das ist's ja, was am meisten uns entrüstet, daß sich ein fremder Kerl hier eingenistet! Als Bettler kam er an, die Schuh' zerrissen, in Fetzen hing vom Leib sein schäb'ger Flaus -: und der will nun von alldem nichts mehr wissen und Herr und Meister sein im Haus!
F r a u P e r n e l l e.
Weiß Gott, es stände besser um die Welt, wollte sich jeder seinen frommen Wünschen fügen!
D o r i n e.
Sie sind's allein, die ihn für heilig hält:
der ganze Kerl besteht ja nur aus lauter Lügen!
F r a u P e r n e l l e.
Schweig, Lästermaul!
D o r i n e.
Er und das Diebsgesicht von Diener sind mir nicht geheuer.
F r a u P e r n e l l e.
Wer dieser Diener ist, berührt mich nicht, jedoch für ihn leg ich die Hand ins Feuer. Kein Wunder, daß er euch nicht sehr behagt, weil er euch rücksichtslos die Wahrheit sagt! Als Gottes echter Streiter und Verkünder sieht er in euch mit Recht nur arme Sünder.
D o r i n e.
Nun gut. Doch warum dürfen wir in letzter Zeit nicht mal den harmlosesten Gast empfangen?
Muß er um unser Seelenheil so bangen, daß er sofort Alarm schlägt, tobt und schreit -?
Warum wohl, meinen Sie, nimmt er das gar so wichtig? Mit scheint, der gute Mann ist
(auf Elmire deutend) eifersüchtig -!

F r a u P e r n e l l e.
Halt deinen Mund! Erst denken und dann reden. Der wilde Trubel hier verärgert jeden. So viel Besuche bringen Scherereien, es drängen sich die Wagen vor dem Tor, trepp auf, trepp ab das Lärmen der Lakaien - das kommt den Nachbarn arg verdächtig vor.
Und wenn auch keiner etwas Böses tut: man spricht darüber - und das ist nicht gut.
C l é a n t e.
Sie wollen, gnäd'ge Frau, die bösen Zungen der lieben Nachbarschaft zum Schweigen bringen? Das ist noch niemand auf der Welt gelungen und wird auch Ihnen, fürcht ich, nicht gelingen. Sonst müßte man, um kein Gerücht zu nähren, dem besten Freunde kalt den Rücken kehren. Nichts gibt's, was gegen Neid und Mißgunst schützt, und blöder Klatsch blüht auf in allen Gassen, doch wenn man selbst ein reines Herz besitzt, kann man die Leute ruhig reden lassen.
D o r i n e.
Die erste, die uns in den Mund der Leute brachte, war Daphne, unsre gute Nachbarin. Weil jeder sie und ihren Mann verlachte, ward sie aus Rachsucht zur Verleumderin. Und so was lauert nun mit scheelen Augen auf jeden Ausdruck einer kleinen Zärtlichkeit und jeden Blick, um daraus sprungbereit das Gift für ein Skandälchen sich zu saugen! Denn durch dies unentwegte Spötteln, Sticheln, Hetzen glaubt man sich selbst in bestes Licht zu setzen; und kann man sich auch Achtung nicht erschleichen, indem man andrer Ehrenschild zerbeult, so kann man dadurch wenigstens erreichen, daß man den schlechten Ruf mit andren teilt.
F r a u P e r n e l l e.
Sprach ich von Daphne? Also gut, dann laßt Orantes stilles, gotterfülltes Leben euch Vorbild sein! Und der sind tief verhaßt die Dinge, die sich hier im Haus begeben.
D o r i n e.
Ein wirklich gutes Beispiel! Diese Frau ist in der Tat ein leibgewordner Psalter! Nur senkte leider erst das hohe Alter auf ihre Seele diesen Himmelstau - - Man weiß, daß sie mit ihrer Gunst nicht geizte, solang sie jung war und die Männer reizte:
doch als ihr Mündchen nicht mehr rund und rot war und auch die Augen ihren Glanz verloren, entsagte sie - der Weisheit tief verschworen - still einer Welt, für die sie längst schon tot war. Das ist galanter Frauen Los auf Erden, daß die Verehrer eines Tags entschwinden:
und sind sie dann allein mit ihren Sünden, bleibt ja den Ärmsten nichts als fromm zu werden. Nun paukt man Sitte und Moral nach Noten -nichts ist erlaubt, und alles ist verboten! Man lästert, spioniert und spinnt Intrigen und sieht nur Schlechtigkeit bei Frau und Mann, denn ungern gönnt man andren ein Vergnügen, das man sich selber nicht mehr leisten kann.
Frau Pernelle. (zu Elmire).
Nur dir zuliebe redet sie das Blaue vom Himmel runter, Kind! Und ich muß dazu schweigen. Doch wenn auch das schlaue mundfert'ge Fräulein noch so meisterlich aufs Reden sich versteht, will ich zum Schluß auch einmal sagen, was gesagt sein muß:
Das Klügste, schwör ich, was mein Sohn je tat, war, daß er diesen frommen Menschen bat, bei uns zu bleiben -: ihn, den Gott uns schickte, um euch verirrte Schäfchen zu bekehren! Und wenn er tadelnd in den Staub euch drückte, sollt ihr nur um so williger auf ihn hören, denn euere Empfänge, Bälle, Plauderstunden hat sicherlich der Satan selbst erfunden. Wann hörte man da je ein frommes Wort? Nur Singsang, Tändelei und Schlüpfrigkeiten! Und ein vernünft'ger Mensch schleicht still sich fort, denn langsam will ihm der Verstand entgleiten, nimmt man das Große klein, das Kleine wichtig. Erst gestern sagte ein Gelehrter mir sehr richtig:
»Hier geht's ja zu wie einst beim Turm zu Babel, denn jeder wetzt nach Herzenslust den Schnabel!« Und die Bemerkung hat er nur gemacht, weil ... (auf Cléante deutend)
seht mir doch den Herrn da an -: er lacht! Wenn ihr Hanswurste braucht, laßt andre springen! (Zu Elmire.) Ich schweige jetzt und gehe. Schluß und aus!
Das aber sag ich euch: mich bringen zehn Pferde nicht mehr hier in dieses Haus!
(Gibt Flipote eine Ohrfeige.)
Was stehst du da und hältst Maulaffen feil?! Beim güt'gen Gott, du kriegst heut noch dein Teil! Marsch, alte Schlampe, raus!!
(Alle ab außer Cléante und Dorine.)

ZWEITER AUFTRITT

Cléante. Dorine.

C l é a n t e.
Ich halte mich zurück, sonst fängt sie draußen nochmal damit an, die gute alte Frau -
D o r i n e.
Sie haben Glück, daß sie die Worte nicht mehr hören kann, sonst setzte sie sich wild zur Wehr und schrie: »Wie? Ich - ein altes Weib?! Viel eher Sie!«
C l é a n t e.
Wie schade, daß sie gegen uns so bitter und so hart ist, nur weil sie in Tartuffe wie blind vernarrt ist!
D o r i n e.
Und doch ist alles nur ein kleiner, dummer Spaß an ihrem Sohn gemessen! Wenn Sie den erst sähen, Sie könnten diese Welt nicht mehr verstehen. Ein Mann, der früher Mut und Stolz besaß, ist plötzlich wie von wüstem Wahn umfangen, seit er dem Lumpenkerl ins Garn gegangen:
er nennt ihn Bruderherz, möcht ihn am liebsten küssen, und tanzt vor ihm wie ein verliebter Pfau - und über seinen zärtlichen Ergüssen vergißt er Mutter, Tochter, Sohn und Frau! Nur ihm vertraut er alle Heimlichkeiten und läßt sich wie ein Schulbub von ihm leiten. Bei Tisch gehören ihm die besten Bissen, und frißt er dann für sechse, freut er sich, schiebt in den feisten Rücken ihm ein Kissen, und wenn er schließlich rülpst, sagt er: »Gott schütze dich!« Er ist total verrückt nach ihm, er betet ihn an und nimmt als höchste Seelennahrung, was er an Albernheiten austrompetet, und was er tut, gilt ihm als Offenbarung. Der aber weiß die Karten schlau zu mischen und ihm sein Lügensüppchen aufzutischen. Und während er das Geld ihm stiehlt, ergeht er sich gegen uns in Sittlichkeitsgezeter! Sogar der Frechling, der bei ihm den Diener spielt, belästigt uns mit seinen weisen Lehren und will, indes er tückisch nach uns schielt, uns Schminke, Wangenrot und Pflästerchen verwehren. Erst gestern hat der Lump ein neues Seidentuch mit frecher Hand in Stücke mir gerissen, als er's in meinem kleinen Predigtbuch als Lesezeichen fand -: ich müßte wissen, schrie er, man dürfe derlei Satansschlingen mit Heiligem nicht in Berührung bringen!

DRITTER AUFTRITT

Elmire. Marianne. Damis. Cléante. Dorine.

E l m i r e. (mit Marianne und Damis zurückkommend zu Cléante).
Sei froh, daß du nicht mitgingst, denn sie fing kurz vor der Tür nochmal von vorne an. Dann aber sah ich meinen Mann aufs Haus zukommen, als sie endlich ging. Und da er mich anscheinend nicht gesehen, will ich, bis er mich ruft, nach oben gehen.
C l é a n t e.
Dann muß ich also deine Sünden büßen und ihn erwarten, um ihn zu begrüßen -
(Elmire mit Marianne ab.)
D a m i s. (zu Cléante).
Benutzen Sie die günstige Minute, um ihm mal kräftig auf den Zahn zu fühlen, wie es mit Mariannes Hochzeit steht -: der gute Tartuffe scheint mir auch da zu hetzen und zu wühlen und meinem Vater unentwegt im Ohr zu liegen, um diese Heirat wieder abzubiegen!
Sie wissen ja, ich spreche auch für mich, denn wie Marianne und Valère sich lieben,
so fühle zu des Freundes Schwester ich mit aller Herzensglut mich hingetrieben.
D o r i n e.
Er kommt!
(Alle ab außer Cléante und Dorine.)

VIERTER AUFTRITT

Orgon. Cléante. Dorine.

O r g o n. (eintretend).
Mein lieber Schwager, welches Glück, Sie hier zu treffen!
C l é a n t e.
Ja, ich wollte grade gehen - Es freut mich sehr, vom Ausflug Sie zurück und wohl und munter wieder hier zu sehen. War's draußen nicht noch reichlich kühl im Freien?
O r g o n. (zu Dorine).
Dorine!
(Zu Cléante.)
Lieber Schwager, Sie verzeihen, daß ich als Hausvater zunächst mal frage, was hier geschehn ist während der zwei Tage, die ich verreist war ...
(Zu Dorine.)
Also sprich dich aus:
wie geht's - wie steht's? Ist alles wohl im Haus?
D o r i n e.
Die gnäd'ge Frau war leider ernstlich krank:
sie hatte ziemlich hohes Fieber und ...
O r g o n. (sie unterbrechend).
Und Herr Tartuffe?
D o r i n e.
Na, dem geht's Gott sei Dank vorzüglich. Dick und fett und kerngesund!
O r g o n.
Der Gute!
Do r i n e.
Abends war es Ihrer Frau unmöglich, etwas zu essen, weil sie schrecklich litt.
Ihr Kopfweh wurde schließlich unerträglich -
O r g o n.
Und Herr Tartuffe?
D o r i n e.
Der aß mit gutem Appetit zwei Rebhühner mit Kraut und drauf in frommer Eile noch ein gewalt'ges Stück gehackter Hammelkeule.
O r g o n.
Der Gute!
D o r i n e.
Ihre Frau hat in der ganzen Nacht vor Schmerzen kaum ein Auge zugemacht. Das Fieber stieg - wir waren sehr in Sorgen und wachten bei ihr bis zum frühen Morgen.
O r g o n.
Und Herr Tartuffe?
D o r i n e.
Der fühlte nach dem Essen sich wohlig müde, kroch ins warme Bettchen und schlief laut schnarchend fest und traumvergessen bis in den hellen Morgen wie ein Frettchen.
O r g o n.
Der Gute!
D o r i n e.
Ganz zum Schluß hat Ihre Gattin doch unsrem Wunsch nach einem Aderlaß entsprochen, und der hat dann des Fiebers Kraft gebrochen -
O r g o n.
Und Herr Tartuffe?
D o r i n e.
Der süße Schlummer hat ihn erquickt. Jedoch um sich noch mehr zu stählen zum harten Kampf um unsre armen Seelen und um das Blut, das Ihre arme Frau verloren, rasch aufzufüllen, trank er ganz allein zum ersten Frühstück schon zwei Flaschen Wein!
O r g o n.
Der Gute!
D o r i n e.
Beide fühlen sich wie neugeboren. Nun aber will ich Sie nicht länger stören, denn Ihre Gattin wird es sicher gerne hören, welch tiefen Eindruck es auf Sie gemacht hat daß sie die Nacht so qualvoll zugebracht hat - (Rasch ab.)

FÜNFTER AUFTRITT

Orgon. Cléante.

C l é a n t e.
Das Mädchen macht sich lustig über Sie, lacht Ihnen einfach offen ins Gesicht! Doch - nichts für ungut, lieber Schwager - hat sie nicht im Grunde recht mit ihrer Ironie? Sie treiben wirklich dieses Spiel zu weit. Wie kann man blindlings sein und andrer Leben so in die Hände eines Fremden geben! Soll dieser Mann, den Sie aus tiefster Not befreit, nun gar ...
O r g o n.
Nur sachte, Schwager, nicht den Mund verbrennen! Sie reden über einen, den Sie gar nicht kennen.
C l é a n t e.
Persönlich kenne ich ihn freilich nicht. Indessen nehm ich, nach allem, was ich hörte, an ...
O r g o n.
Mein lieber Schwager, kennten Sie den Mann, Sie würden auch die Welt um sich vergessen!
Das ist ein Mensch! Ein Mensch!! Ein Mensch schlechthin! Wer an ihn glaubt, hat ewigen Gewinn und findet hier schon seinen Seelenfrieden, denn einen Pfifferling gilt ihm die Welt hienieden. Ich bin, seit er in meinen Lebenskreis getreten, ein andrer Mensch geworden - er hat mich gelehrt, die weltlichen Gefühle abzutöten und alles, was den innren Frieden stört. Heut könnt' ich Frau und Kinder sterben sehen und dazu lächeln, als sei nichts geschehen!
C l é a n t e.
Das ist der Gipfel wahrer Menschlichkeit! -
O r g o n.
Sie hätten auch - wie ich - den Augenblick gesegnet, in dem Sie diesem Gottesmann begegnet! Tagtäglich kam er, stets zur gleichen Zeit, zum Gottesdienst und ließ sich still und bieder mir gegenüber auf die Knie nieder.
Fast allen fiel es auf, mit welch inbrünst'ger Lust er Gnade und Barmherzigkeit erflehte - er seufzte ächzend, schlug sich an die Brust und warf sich hart zu Boden im Gebete! Und wenn ich ging, stand er schon an der Tür und reichte still geweihtes Wasser mir. Von seinem Knecht, der ihn in allem sich zum Vorbild nimmt, erfuhr ich dann am Ende, daß sich sein Herr in großer Not befände, und steckte ihm was zu gelegentlich. Er aber wies mit demutvollem Blick bescheiden einen Teil des Gelds zurück:
»Zuviel!« rief er, »die Hälfte wär' zuviel! Womit verdien ich denn Ihr Mitgefühl?!« Und gab vor meinen Augen selig-heiter, was ich nicht nahm, an andre Arme weiter. Doch seit ich ihn ins Haus genommen habe, lohnt mir der Himmel vielfach jede Gabe, denn alles tadelt er geflissentlich und intressiert sich selbst für meine Frau -:
wenn wer ihr schöne Augen macht, weiß er's genau und ist beinahe eifersüchtiger als ich! Sie glauben nicht, wie feinfühlig er ist, welch beinah lächerliche Kleinigkeiten dem frommen Mann Gewissensqual bereiten! Erst gestern klagte er, er sei ein schlechter Christ, weil er im Jähzorn einen Floh zerdrückte, der während des Gebets ihn böse zwickte -!
C l é a n t e.
Zum Teufel, Schwager, sind Sie denn von Sinnen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein -? Aber sei's, wies sei: wir müssen endlich mal damit beginnen ...
O r g o n.
Sie sind ein Freigeist, Schwager. Ja, ich weiß, daß da bei Ihnen manches nicht ganz stimmt. Und weil das meist ein böses Ende nimmt, bat ich Sie oft schon, sich den Mund nicht zu verbrennen.
C l é a n t e.
Wie traurig ist's, daß Menschen Ihrer Art nie ruhig-sachlich debattieren können!
Blind muß man sein. Wer den Verstand sich wahrt und nicht auf jeden faulen Zauber reinfällt, ist ein Freigeist oder gar der Antichrist!
Ihr Drohen macht die Hölle mir nicht heiß. Ich weiß schon, was ich rede. Und Gott weiß, wie ich es meine. Und so sage ich:
Es gibt viel falsche Frömmigkeit und falsches Heldentum, und wie die echten Helden ihren Ruhm nicht ausposaunen, scheuen echte Christen sich, mit ihrer Frömmigkeit zu paradieren und sie wie Possenreißer vorzuführen. Sind denn Gottgläubigkeit und Frömmlerei für einen Mann wie Sie nicht zweierlei?! Gilt Ihnen die verlogne Maske mehr als eines ehrlichen Gesichtes Klarheit? Lockt Sie ein abgefeimtes Spiel so sehr, daß Ihnen Lüge lieber ist als Wahrheit? Ob nicht bei dem viel eher was nicht stimmt, der falsches Geld für bare Münze nimmt? Gott, sind die Menschen komisch! Keiner wagt sich so zu geben, wie er wirklich ist, und jeder wird als Ketzer angeklagt, der diese Welt mit nüchternem Verstande mißt!
Nichts darf in den gegebnen Grenzen bleiben - selbst wenn das beßre Ich aus einem spricht, muß man's ins Ungemeßne übertreiben, denn sonst genügt's der innren Hoffart nicht! - Verzeihn Sie diese kleine Randbemerkung -
0 r g o n.
Sie war mir eine wahre Herzensstärkung, verehrter Schwager! Ja, Sie sind ein Mann, von dem man tausend Dinge lernen kann!
Sie sind ein Cato unsrer Zeit! Sie lassen die tiefsten Offenbarungen verblassen! Und Ihnen gegenüber müssen ja wir kleinen, einfachen Menschen mehr als dumm erscheinen -
C l é a n t e.
Ich bin nicht weise, lieber Schwager, ich bin auch nicht stolz auf meinen Doktorhut:
nur streng zu unterscheiden müh ich mich, was echt ist und was falsch, was schlecht ist und was gut Kein Heros alter oder neuer Zeit gilt mehr mir als ein wahrhaft frommer Mann, und höchster Weltruhm reicht mir nicht heran an tiefdurchglühte echte Gläubigkeit. Das aber sind für mich nicht leere Worte, und darum ist mir nichts verhaßter als die Sorte frömmelnder Scharlatane, die auf offner Gasse mit gotteslästerlich verlogener Grimasse frech ihren Spott mit Dingen treiben, die uns anderen das Heiligste bedeuten, denn es ist höchster Diebstriumph für sie, den wahren Gottesglauben auszubeuten. Sie würdigen die Frömmigkeit herab zur Handelsware, mit der man Amt und Würden sich erschleicht:
mit triefend frommen Reden öffnet man sich leicht den Weg zum Wohlstand, der für dieses sonderbare Gesindel ja der Weg zum Himmel ist - er heißt: verdienen! Da fällt's nicht schwer, mit gleisnerischen Mienen Gott anzuflehen und sich zu kastein, wenn man sogar bei Hofe damit Gunst gewinnen kann! Falsch sind die Frömmler, käuflich und mit allen Hunden gehetzt - und darum leider auch gefährlich. Denn widersetzt sich einer ihnen ehrlich, ist ein probates Mittel rasch gefunden, um diesen Widersacher mit geweihten Waffen, die keine Gegenwehr erlauben, aus dem Weg zu schaffen. Kaltblütig mordet man den bösen Feind, indem man »Gott« sagt - und sich selber meint. Dies Heuchlerpack macht überall sich breit, doch Gott sei Dank gibt's auch in unsrer Zeit noch Menschen, die als Vorbild wahrhaft guten Lebens uns allen durch ihr Tun und Lassen dienen können. Ich brauche ihre Namen nicht zu nennen -:
Sie kennen Sie. Da wartet man vergebens auf eitler Selbstverherrlichung Fanfaren und schwülstig aufgeblähte Reden!
Denn diese herzensfrommen Menschen sind und waren sich immer selbst genug und lassen jeden nach seiner Art sein eignes Leben führen, ohne zu tadeln und zu korrigieren, weil sie's als Überheblichkeit empfinden, dem Nebenmenschen alle kleinen Sünden hochmütig vorzuwerfen. Einzig durch ihr eignes Leben versuchen sie, ein Beispiel uns zu geben. Nie halten einen andren sie für schlecht, von dem man Schlechtes redet, denn ihr Denken ist rein. Und weil sie duldsam sind und streng gerecht, verschmähen sie es, bösem Klatsch Gehör zu schenken. Selbst einwandfrei zu leben ist ihr höchstes Ziel. Sie sehn in allen Menschen Gottes Kinder:
die Sünde hassen sie, doch nicht die Sünder, und sind erfüllt von tiefem Mitgefühl. Drum fordern sie Gehorsam gegenüber Gottes Willen nur insoweit, als sie ihn selbst erfüllen. Das sind die Menschen, die ich liebe. Die uns allen Vorbild sind auch ohne große Worte. Doch Ihr Tartuffe ist nicht von dieser Sorte. Blindgläubiges Vertrauen nur verleitet Sie, dem Mann zu glauben. Wie von Wahn umnebelt stehn Sie da!
0 r g o n.
Sind Sie nun endlich fertig, lieber Schwager?
C l é a n t e.
Ja.
0 r g o n. (sich zum Gehen wendend).
Auf Wiedersehn.
C l é an t e.
Halt! Laufen Sie nicht fort!
Wir wollen die Debatte unterbrechen und lieber jetzt von andren Dingen sprechen -:
Valère erhielt Ihr väterliches Wort als Bräutigam und künft'ger Schwiegersohn -?
O r g o n.
So ist's.
C l é a n t e.
Sie haben ja auch schon den Tag des Hochzeitsfestes festgesetzt -
O r g o n.
Gewiß.
C l é a n t e.
Warum verschiebt man diese Feier jetzt?
O r g o n.
Ich weiß nicht.

C l é a n t e.
Sollten's etwa neue Pläne sein -?
O r g o n.
Vielleicht.
C l é a n t e.
Sie brächten's über sich, Ihr Wort zu brechen?
O r g o n.
Das sag ich nicht.
C l é a n t e.
Dann lösen Sie doch Ihr Versprechen, das Sie Valère gegeben haben, ein!
O r g o n.
Wenn es sich machen läßt ...
C l é a n t e.
Warum dies Hin und Her? Ein einz'ges klares Wort genügt mir, denn Valère bat mich als Freund, Sie deshalb zu befragen.
O r g o n.
Das walte Gott!
C l é an t e.
Und was soll ich ihm sagen?
O r g o n.
Was Ihnen gut scheint.
C l é a n t e.
Nein, wir müssen nun eindeutig wissen, was Sie wollen!
O r g o n.
Immer das nur tun, was Gottes Wille ist. (Will gehen.)
C l é an t e.
Halt! Ehrlich ins Gesicht:
Sie gaben ihm Ihr Jawort - gilt es oder nicht?
O r g o n.
Auf Wiedersehn! (Geht rasch ab.)
C l é a n t e. (allein).
Verteufelte Geschichte!
Mir scheint es um das Glück Valères nicht gut zu stehen -
Jedoch, was hilft's? Ich muß nun zu ihm gehen,
daß ich ihm alles schonungslos berichte -

ZWEITER AUFZUG

ERSTER AUFTRITT

Orgon. Marianne.

O r g o n.
Marianne!
M a r i a n n e.
Vater -?
O r g o n.
Komm zu mir, mein Kind. Ich möchte mit dir reden - aber im Vertrauen.
(Er öffnet vorsichtig die Tür zu einem kleinen Nebenzimmer im Hintergrund, schaut hinein und schließt sie wieder.)
M a r i a n n e.
Was suchen Sie?
O r g o n.
Ich wollte nur mal schauen, ob wir hier ohne unliebsame Zeugen sind, denn diese Kammer ist für Lauscher wie gemacht.
(Auf Marianne zugebend.)
Wir sind allein, Marianne. Gib gut acht, was ich dir sage. Immer hab ich dich bis jetzt als gutes, folgsames und braves Kind geschätzt.
M a r i a n n e.
Für Ihre Liebe, Vater, schuld ich Ihnen kindlichen Dank.
O r g o n.
Das ist sehr schön gesagt. Doch um die Liebe wirklich zu verdienen, mußt du auch alles tun, was mir behagt.
M a r i a n n e.
Das scheint mir meiner Pflichten Inbegriff.
O r g o n.
Bravo, mein Kind! Was sagst du zu Tartuffe?
M a r i a n n e.
Wer? Ich?!
O r g o n.
Ja, du. Doch überleg es dir genau.
M a r i a n n e.
Ach Gott, ich sage, was Sie gerne hören -

ZWEITER AUFTRITT

Orgon. Marianne. Dorine.

D o r i n e. (tritt unbemerkt ein und verbirgt sich hinter Orgon).
0 r g o n.
Ein kluges Wort, mein Kind. Dann sage mir, daß er ein Mann ist, den man hoch verehren und lieben muß. Gesteh mir ruhig, daß du dich in ihn verliebt hast und nichts brennender dir wünscht auf Erden, als eines solchen Mannes Frau zu werden. Nun?
M a r i a n n e. (erschrocken zurückweichend).
Ich -?!
O r g o n.
So sprich dich aus!
M a r i a n n e.
Wie, bitte?
O r g o n.
Sprich!
M a r i a n n e.
Ich hab mich wohl verhört?
O r g o n.
Wieso?
M a r i a n n e.
Von wem soll ich gestehen, daß ich mir nichts so wünsche hier auf Erden, als eines solchen Mannes Frau zu werden -?
O r g o n.
Nun - von Tartuffe!
M a r i a n n e.
Nie - nie wird das geschehen! Weiß Gott, die Lüge wäre zu abscheulich!
O r g o n.
Und trotzdem wird sie bald schon Wahrheit sein:
ich will es - und mein Wille sei dir heilig.
M a r i a n n e.
Sie wollten wirklich, Vater?
O r g o n.
Diese Ehe ist mir ein willkommnes Mittel, um Tartuffe an uns zu binden. Punkt. Streusand drauf. Das Weitre wird sich finden. Und da du einverstanden bist ...
(Er bemerkt Dorine.) Wo kommst du her?
Dich kitzelt wohl die Neugier gar zu sehr, daß du hier spionieren mußt, mein Schatz -?
D o r i n e.
Wahrhaftig, Neugier scheint mir hier am Platz, denn ganz durch Zufall ist mir eben was von einem Heiratsplan zu Ohr gekommen. Doch selbstverständlich habe ich den dummen Spaß auch nicht für ein Minütchen ernst genommen.
O r g o n.
Warum? Was ist daran so unwahrscheinlich?
D o r i n e.
Der Spaß ist doch zu albern und zu peinlich.
Und sagten Sie es selbst mir ins Gesicht, ich lachte nur und glaubte Ihnen nicht!
O r g o n.
Verlaß dich drauf, daß du es glauben lernst!
D o r i n e.
Sie wollen uns mit kleinen Scherzen necken -
O r g o n.
Du wirst den tiefren Sinn sehr bald entdecken.
D o r i n e.
Ach Unsinn!
O r g o n. (zu Marianne).
Kind, es ist mein voller Ernst!
D o r i n e.
Ihr Vater will mit uns sein Späßchen treiben!
O r g o n.
Ich sage dir...
D o r i n e.
Und wenn Sie noch so ernsthaft bleiben, ich glaube Ihnen nichts.
O r g o n. (wütend).
Du freches Frauenzimmer!
D o r i n e.
Nun gut, dann glauben wir's - für Sie nur um so schlimmer!
Ist es denn möglich, daß ein kluger Mann mit ausgewachsnem Barte im Gesicht so kindische Ideen haben kann?!
O r g o n.
Nimm dich in acht! Denn länger duld ich's nicht, daß du dir Frechheiten erlaubst, die mir und allen seit längrer Zeit schon auf die Nerven fallen.
D o r i n e.
Nur ruhig, Herr Orgon, warum so böse Worte? Sie springen gern den Menschen ins Gesicht. Doch Ihre Tochter paßt nun einmal nicht zu einem Frömmler dieser Sorte! Sie hat an andre Pflichten noch zu denken - Und was bezwecken Sie mit diesem Ehebund? Sie sind doch reich - warum Ihr Kind verschenken an einen Bettler?!
0 r g o n.
Hältst du endlich deinen Mund? Nennt er auch heute gar nichts mehr sein eigen, ist er grad deshalb doppelt zu verehren. Vor seiner Armut muß man sich verneigen, sie macht den Weg ihm frei zu höhren Sphären! Er hat sein Hab und Gut ja nur verloren, weil er, der kleinen Erdendinge satt und ganz der Ewigkeit verschworen, sich darum gar nicht mehr gekümmert hat. Nun soll's mit meiner Hilfe ihm gelingen, die Adelsgüter, die er fordern kann, den unberechtigten Besitzern abzuringen. Er ist - damit ihr's wißt - ein Edelmann!
D o r i n e.
Das sagt er Ihnen so. Nur - ich verstehe nicht, wie dieser Dünkel zu der Demut paßt, die er zur Schau trägt! Wer im Himmelslicht sich glaubensselig sonnen möchte, haßt die Eitelkeiten dieser Welt. Und unbekannt ist ihm der Stolz auf Abstammung und Stand. Was soll auf einmal diese Hoffart? Schön, ich weiß, Sie mögen das nicht gerne hören. Ob Adel oder nicht, soll uns nicht stören, wir wollen lieber auf ihn selber sehn:
bedenken Sie doch bitte, ob zu diesem Manne ein Mädchen paßt wie Ihre Marianne -? Ein Vater darf nicht einzig seinen Vorteil wahren, er muß doch auch die Möglichkeiten von Gefahren voraussehn. Und mir ist um Ihre Tochter bang, zwingt man ihr einen Gatten auf, den sie nicht liebt. Denn ob ein Eheweibchen ehrbar bleibt ihr Leben lang, hängt von dem Manne ab, den man ihr gibt! Macht man bei manchen Ehemännern die gewisse Geste (sie deutet das Gehörntsein an), so ist der Mann meist selber schuld daran, denn es gibt Männer, denen auch die beste, sittsamste Ehefrau nicht treu sein kann! Wer seine Tochter einem Mann gibt, den sie haßt, ist Gott verantwortlich für ihre Sünden -:
graut Ihnen nicht vor der Gewissenslast?
O r g o n. (zu Marianne).
Die Kleine will mir Lebensweisheiten verkünden!
D o r in e.
Gut wär's, Sie schlügen sie nicht in den Wind!
O r g o n. (zu Marianne).
Was kümmert uns der Unsinn, liebes Kind. Ich als dein Vater kann allein ermessen, was gut für dich ist. Freilich hat Valère mein Jawort. Doch ich hörte jetzt, er war von böser Sucht zum Glücksspiel ganz besessen. Und davon abgesehn hab ich gefunden, daß er im Grunde doch ein Freigeist ist, den man beim Gottesdienst sehr oft vermißt.
D o r i n e.
Er soll sich wohl zu ganz bestimmten Stunden dort - wie gewisse andre Leute - zeigen,
die einzig hingehn, um gesehn zu werden -?
O r g o n.
Ich rede nicht mit dir. Du wirst nun schweigen!
(Zu Marianne.) Er aber ist der beste Mensch auf Erden mit all dem Reichtum einer reinen Seele! Und wenn ich dich, mein Kind, mit ihm vermähle, weiß ich, er wird an nichts mehr andres denken, als dich zu lieben und dir Glück zu schenken. Kein Streit wird sein, weil du ihm alles giltst! So werdet ihr, kindlichem Glück ergeben, still-zärtlich wie zwei Turteltauben leben - und du kannst aus ihm machen, was du willst.
D o r i n e.
Dann wird sie einen Hahnrei aus ihm machen!
O r g o n.
Pfui, was für Worte!
D o r i n e.
Mir sieht's ganz so aus, als hätte er als Ehemann im Haus trotz Mariannes Tugend nichts zu lachen.
O r g o n. (zu Dorine).
Hör endlich auf, mich ständig hier zu stören und dich in Dinge einzumischen, die dich gar nichts angehn!
D o r i n e.
Ja, wenn Sie's nicht wären, Herr Orgon! Alles tu ich nur für Sie!
O r g o n.
Zu freundlich. Doch jetzt, rat ich dir, sei still!
D o r i n e.
Ich liebe Sie!
O r g o n.
Und wenn ich das nicht will?
D o r i n e.
... muß ich Sie gegen Ihren Willen lieben.
O r g o n.
Das ist denn doch...
D o r i n e.
Ich gebe treulich acht, daß nicht ein Schelm Sie sich gefügig macht, des Hauses fleckenlosen Ruf zu trüben.
O r g o n.
Wirst du nun schweigen?
Do r i n e.
Unverantwortlich wär's, ließe ich Sie blind ins Unglück rennen.
O r g o n.
Du Schlangenbrut! Kein Wort mehr - oder ich ...
D o r i n e.
Ein guter Christ muß sich bezähmen können.
O r g o n.
Weiß Gott, jetzt läuft mir doch die Galle über! Darum zum letzten Mal: halt deinen Mund!
Do r i n e.
Gut denn. Ich schweige. Und ich denk mir lieber mein Teil.
O r g o n.
Denk, was du magst. Doch noch ein Wörtchen - und...
(Wendet sich wieder zu Marianne.)
Als Mann von Welterfahrung, Marianne, überblicke ich alle Dinge klarer.
D o r i n e. (für Sich).
Ich ersticke, wenn ich nicht reden kann -
(Sie verstummt rasch, als Orgon sich ihr zuwendet.)
O r g o n. (zu Marianne).
Tartuffe ist doch als Mann - wenn auch kein Weiberheld - so doch ...
D o r i n e. (für sich).
Ein Scharlatan!
O r g o n.
... so wertvoll, daß man ihn auch ohne heiße Liebesschwüre allein des innren Reichtums wegen ...
(Er wendet sich Dorine zu und betrachtet sie herausfordernd mit über die Brust gekreuzten Armen.)
D o r i n e.
Na, ich gratuliere! Doch machte man die Hölle mir so heiß und gäb' mich einem ungeliebten Mann zu eigen, wollt' ich es dem gleich nach der Hochzeit zeigen, daß eine Frau sich auch zu rächen weiß!
O r g o n. (zu Dorine).
Dir kann, scheint's, mein Verbot nicht imponieren -?
D o r i n e.
Wieso? Ich rede nicht mit Ihnen.
O r g o n.
Na, was dann?
D o r i n e.
Kann ich nicht mit mir selbst Gespräche führen?
O r g o n.
Jetzt hat es zwölf geschlagen! Solcher Frechheit kann man nur noch handgreiflich begegnen -
(Er bereitet sich vor, ihr eine Ohrfeige zu geben, aber jedesmal, wenn er ihr während des folgenden Dialogs einen lauernden Blick zuwirft, macht Dorine ein völlig unbeteiligtes Gesicht und schweigt. Zu Marianne.)
Mein liebes Kind, du wirst den Tag noch segnen... an dem ich dir... den Mann erwählt ... den du ... (Zu Dorine.) Du sagst ja nichts -?
D o r i n e.
Ich hab mir nichts zu sagen.
O r g o n.
Ein Wörtchen nur -!
D o r i n e.
Ich wüßte nicht, wozu
O r g o n.
Ich gebe acht!
D o r i n e.
Der Teufel müßt' mich plagen.
O r g o n. (zu Marianne).
Nun denn, mein Kind, du wirst gehorsam sein und meine Wünsche demütig erfüllen.
D o r i n e. (fortlaufend).
Wenn ich's wär', sagt' ich nein - und zehnmal nein!! (Ab.)
O r g o n. (hat Dorine eine Ohrfeige versetzen wollen, aber sein Ziel verfehlt).
Was für ein Satansweib - um Gottes willen! -hast du da um dich, Marianne! Ich versündigte mich noch an ihr, träf' ich sie wieder. Wir reden später weiter, Kind. Zu sehr hat mich ihr Widerspruch erregt - mir zittern alle Glieder! Ich muß mich erst in frischer Luft ergehen und mich beruhigen. Auf Wiedersehen! (Ab.)

DRITTER AUFTRITT

Marianne. Dorine.

Do r i n e. (wieder hereinkommend).
Hat's Ihnen denn die Sprache ganz verschlagen, daß ich hier Ihre Rolle spielen muß? Sie hören sich den hirnverrückten Redefluß geduldig an - und wissen nichts zu sagen?
M a r i a n n e.
Was soll ich tun, wenn mich mein Vater zwingt?
D o r i n e.
Alles, um der Gewalttat zu entgehen.
M a r i a n n e.
Das wäre-?
D o r i n e.
Geben Sie ihm zu verstehen, daß man zwar gern für seine Liebe Opfer bringt, doch nicht um andrer Wünsche zu erfülln. Daß Sie nur einen Mann um Ihretwillen heiraten wollen - und nicht seinetwegen, und daß Sie drum den größten Wert drauf legen, daß Ihnen dieser Mann - und nicht nur ihm - gefällt. Und daß - ist er auf seinen Herrn Tartuffe so toll, daß er ihn für die Krone aller Schöpfung hält - er ihn gefälligst selbst heiraten soll!
M a r i a n n e.
Mich hinderten Respekt und Mädchenscham, mit meinem Vater derart umzuspringen -
D o r i n e.
Jetzt aber ruhig Blut vor allen Dingen! Valère ist schließlich doch Ihr Bräutigam es fragt sich also, lieben Sie ihn oder nicht?
M a r i a n n e.
Wie schrecklich ungerecht bist du zu mir, daß du mit ernsthaft zweifelndem Gesicht
so fragen kannst, Dorine! Hab ich dir nicht hundertmal in restlosem Vertrauen gezeigt, wie tief mein armes Herz in Not ist?
Do r i n e.
Auf Worte kann man keine Häuser bauen. Was weiß ich, ob die Glut nicht längst verloht ist -
M a r i a n n e.
Dorine - du kannst zweifeln? Nein, wie häßlich! Wie oft hab ich bei dir um ihn geweint -
D o r i n e.
Dann lieben Sie ihn also?
M a r i a n n e.
Unermeßlich!
D o r i n e.
Und er liebt Sie doch gleichfalls, wie mir scheint -?
M a r i a n n e.
Ich glaube, ja.
D o r i n e.
Und alle beide brennen Sie nur darauf, sich Mann und Frau zu nennen?
M a r i a n n e.
Ach ja, Dorine.
D o r i n e.
Doch wie stehen Sie dann, frage ich, zu Ihres Vaters neuem Heiratsplan?
M a r i a n n e.
Will er mich dazu zwingen, töt' ich mich.
D o r i n e.
An diesen Ausweg hab ich nicht gedacht. Sieh an, dies höchst probate Mittel finde ich famos:
man stirbt ein bißchen - und ist alle Sorgen los! Weiß Gott, vor Wut zerspringen könnte ich bei dem Geschwätz!
M a r i a n n e.
Warum so ärgerlich, Dorine? Lieber solltest du dich doch erbarmen und tiefes Mitleid haben mit mir Armen.
D o r i n e.
Nicht einen Funken Mitleid habe ich mit Leuten, die so leicht mürbe werden und mit Albernheiten auftrumpfen!
M a r i a n n e.
Sag, was soll ich tun? Ich habe Angst.
D o r i n e.
Wer wahrhaft liebt, hält stand in allen Dingen.
M a r i a n n e.
Halt ich nicht zu Valère, wie du's verlangst? Muß er nicht Vaters Einverständnis sich erzwingen?
Do r i n e.
Aha! Jetzt trägt Ihr Bräutigam die Schuld daran, daß Ihr Herr Vater ein vernarrter Starrkopf ist, den sein Tartuffe so um den Finger wickeln kann, daß er sein fest gegebnes Wort vergißt.

M a r i a n n e.
Versteh mich doch: wenn ich mich gar zu heftig wehre, sieht jeder, wie verliebt ich in Valère bin. Soll ich für ihn denn meine Mädchenehre - wenn ich auch meiner Sinne kaum noch Herr bin - aufopfern und - von meiner Kindespflicht zu schweigen -mein nacktes Herz den Leuten schamlos zeigen -?
D o r i n e.
Sie haben recht: das geht nicht. Offenbar lockt Sie es doch ein wenig, Frau Tartuffe zu werden - Wie unverantwortlich wär' es von mir, das seh ich klar, wollt' ich durch Widerspruch den schönen Plan gefährden. Mit welchem Recht behindere ich Sie?
Sie machen eine glänzende Partie! Der Herr Tartuffe - oho! - das ist doch wer!
Ja, Herr Tartuffe ist, wenn man's recht betrachtet, kein Mann, von dem man nicht recht weiß, woher -nein, er Ist überall beliebt und hochgeachtet! Und seine Frau zu werden ist kein kleines Glück. In seiner Heimatstadt kennt jeder ihn persönlich. Auch äußerlich ist er nicht unansehnlich:
die Haut ist prall, das Öhrchen rot und dick! Mit einem Mann von solchen Qualitäten wird jede gerne in die Ehe treten.
M a r i a n n e.
0 Gott!
D o r i n e.
Wie werden Sie sich zärtlich zeigen, ist dieser hübsche Mann erst ganz Ihr eigen!
M a r i a n n e.
Hör bitte auf mit deinen bösen Witzen und hilf mir lieber, mich zu schützen!
Ich tue alles, was du willst und was ich kann.
D o r i n e.
O nein, ein braves Kind muß folgsam sich bescheiden, und gäb' der Vater einen Affen ihm zum Mann. Was wollen Sie? Sie sind doch zu beneiden! Mit einer Postkutsche geht's rasch in seine Heimatstadt, wo er viel liebe Tanten, Onkelchen und Vettern hat, die sich schon lang auf Ihre Ankunft freun, denn alle wollen gern von Ihnen unterhalten sein. Nun geht es in die große Welt: im Sonntagsstaat machen Sie artig Ihre Pflichtvisiten, dann sind Sie überall auch wohl gelitten bei Frau Finanzinspektor und Frau Rechnungsrat, die Ihnen gnädigst einen Stuhl anbieten! Und schließlich treibt der Karneval die tollsten Blüten:
da gibt es einen Ball mit Dudelsackmusik und manchmal gar ein Marionettenstück! Und wenn dann auch Ihr Mann ...
M a r i a n n e.
Hör auf - du tötest mich! So hilf mir doch, dem Unglück zu entgehen.
D o r i n e.
Auf Wiedersehn!
M a r i a n n e.
Dorine! Sieh, ich bitte dich
D o r i n e.
Sie haben's so gewollt - und drum wird's so geschehen.
M a r i a n n e.
Mein liebes Mädchen -
D o r i n e.
Nein.
M a r i a n n e.
Du weißt, mein Inbegriff...
D o r i n e.
Nichts da: Sie werden in den sauren Apfel beißen müssen.
M a r i a n n e.
Dich ließ ich immer alle meine Schmerzen wissen -
D o r i n e.
Hilft alles nichts: Sie werden Frau Tartuffe.
M a r i a n n e.
Nun gut. Läßt dich mein Schicksal völlig kalt, laß mich auch hoffnungslos verzweifelt sein, denn die Verzweiflung gibt mir schon ein Mittel ein, wie ich mich retten kann aus aller Welt Gewalt! (Sie will gehen.)
D o r i n e.
Halt! Nicht so rasch! Ich bin schon wieder gut. Mit Ihnen muß man trotzdem Mitleid haben.
M a r i a n n e.
Du weißt es nun: quält man mich bis aufs Blut, könnt ihr mich vor der Hochzeit schon begraben.
D o r i n e.
Sie nehmen alles gleich so furchtbar schwer. Kommt Zeit, kommt Rat! Doch sieh: da ist Valère!

VIERTER AUFTRITT

Valère. Marianne. Dorine.

V a l è r e.
Es wird da eine Neuigkeit herumgeschwätzt, die mich, mein gnäd'ges Fräulein, staunen läßt -
M a r i a n n e.
Was ist's?
V a l è r e.
Daß Sie Tartuffe heiraten -
M a r i a n n e.
Eins steht fest: mein Vater hat sich's in den Kopf gesetzt.
V a l è r e.
Ihr Vater-?!
M a r i a n n e.
... hat sich's anders überlegt und schlug mir eben diese Heirat vor.
V a l è r e.
Doch nicht im Ernst?
M a r i a n n e.
In vollem Ernst. Und er beschwor mich flehentlich, den Plänen, die er hegt, mich nicht zu widersetzen.
V a l è r e.
Darf ich wissen, ob Sie bereits Entscheidungen getroffen -?
M a r i a n n e.
Ich weiß nicht recht-
V a l è r e.
Sie sprechen wirklich offen! Sie wissen nicht . .
M a r i a n n e.
Nein.
V a l è r e.
Nein?!
M a r i a n n e.
Sie müssen mir ehrlich raten -!
V a l è r e.
Gut. Heiraten Sie den Mann.
M a r i a n n e.
Das raten Sie mir?
V a l è r e.
Ja.
M a r i a n n e.
Und ehrlich?
V a l è r e.
Ehrlich. Denn etwas Beßres finden Sie wohl schwerlich - -
M a r i a n n e.
Nun gut: ich nehme Ihren Ratschlag an.
V a l è r e.
Und offenbar fällt Ihnen das nicht schwer -?
M a r i a n n e.
Nicht schwerer, als es Ihnen fiel, mir diesen Rat zu geben.
V a l è r e.
Ich glaubte, daß er Ihnen sehr willkommen war -
M a r i a n n e.
Und ich befolg ihn nur, um Ihnen nicht zu widerstreben.
D o r i n e. (für sich, indem sie sich in den Hintergrund zurückzieht).
Ich bin gespannt, wie weit die das noch treiben -!
V a l è r e.
So soll von all den heißen Liebesschwüren nur diese kleine Lüge übrigbleiben?
M a r i a n n e.
Wir wollen das Gespräch nicht weiterführen. Sie sagten frei, ich solle den Mann nehmen, den mir mein Vater zugedacht hat.
Und ich - ich muß mich wohl dazu bequemen, da mir Ihr Rat die Wahl so leicht gemacht hat - -
V a l è r e.
Verdrehn Sie mir das Wort doch nicht im Mund! Sie wußten längst schon, was wir jetzt erst wissen, und suchen nun frivol nach einem Grund, den Treuebruch nicht eingestehn zu müssen!
M a r i a n n e.
Sie haben recht: so ist's.
V a l è r e.
Nie haben Sie aus tiefstem Herzen mich geliebt: nie - nie!
M a r i a n n e.
Ich kann es Ihnen nicht verbieten, so zu denken.
V a l è r e.
Das können Sie - weiß Gott! - nicht. Ja, das stimmt.
Drum will auch ich mein armes Herz verschenken:
ich weiß schon eine, die mich freudig nimmt.
M a r i a n n e.
Das glaub ich gern. Ein so verdienter Mann weiß, wieviel Liebe er verlangen kann!
V a l è r e.
Was heißt Verdienst? Ich bilde mir nicht ein, ein allseits vielbegehrter Mann zu sein. Doch kenn ich eine stille, schöne Seele, die mich mit ihrer Güte trösten wird, wenn sie erfährt, wie bös ich mich geirrt, und ihr mein ganzes Herzeleid erzähle.
M a r i a n n e.
Ihr Herzeleid ist wohl nicht allzu schwer - Sie werden sich sehr rasch zu trösten wissen!
V a l è r e.
Versuchen will ich's. Fühlt man, von Verrat zerrissen, im tiefsten Herzen sich so trostlos leer, erwacht der Stolz, die Wunden nicht zu zeigen und zu vergessen, was man heiß geliebt. Bringt man den Schmerz auch dadurch nicht zum Schweigen, genügt es, daß man sich den Anschein gibt. Nur eins läßt sich mit Manneswürde nicht vereinen: der treulosen Geliebten nachzuweinen!
M a r i a n n e.
Das ist sehr edel und sehr groß gedacht.
V a l è r e.
Ich glaube, jeder Mensch wird mich verstehen.
Sie würden es wahrscheinlich lieber sehen, wenn ich die Glut, die Sie in mir entfacht, in meinem Leben nicht mehr löschen könnte, bis ich in namenloser Qual verbrennte, säh' ich Sie, sehnsuchtskrank nach Zärtlichkeiten, in eines andren Arm hinübergleiten!
M a r i a n n e.
Im Gegenteil. Nichts wär' für mich so schön, wie Sie in Ihrem neuen Glück zu sehn.
V a l è r e.
Das freute Sie?
M a r i a n n e.
Gewiß.
V a l è r e.
Genug der Quälereien. Mein sehr verehrtes Fräulein, Sie verzeihen, wenn ich nun eile, Ihre Wünsche zu erfüllen - (Er wendet sich zum Gehen.)
M a r i a n n e.
Oh, bitte sehr!
V a l è r e. (wieder auf sie zu gehend).
Nur um der Wahrheit willen sei festgestellt, daß Sie zu diesem Schritt letzter Verzweiflung mich getrieben haben.
M a r i a n n e.
Mag sein.
V a l è r e. (geht einen Schritt zur Tür und bleibt stehen).
Wenn ich ihn tue, sind wir beide quitt, weil Sie zu dem Entschluß das Beispiel gaben.
M a r i a n n e.
Ich gab das Beispiel? Gut.
V a l è r e. (kehrt noch einmal zurück).
Sie werden sehen, wie rasch all Ihre Wünsche in Erfüllung gehen!
(Geht zur Tür.)
M a r i a n n e.
Wie es beliebt.
V a l è r e. (macht halt und wendet sich um).
Auf Nimmerwiedersehen gehe ich -
M a r i a n n e.
Glück auf den Weg!
V a l è r e. (ist zur Tür gegangen und dreht sich um).
Wie bitte?
M a r i a n n e.
Nun-?
V a l è r e.
Sie riefen mich -?
M a r i a n n e.
Ich?! Träumen Sie?
V a l è r e.
Dann ist es Zeit zu gehen. Auf Wiedersehen, Gnädigste!
M a r i a n n e.
Auf Wiedersehen.
V a l è r e. (geht langsam zur Tür).
D o r i n e. (zu Marianne).
Sie haben wohl den letzten Rest Verstand verloren?
Ich habe mich gezwungen, still zu bleiben,
um mal zu sehn, wie weit es zwei Verrückte treiben.
Halt, Herr Valère!
(Sie packt ihn am Arm und hält ihn fest.)
V a l è r e. (tut so, als ob er sich freimachen wollte).
Laß du mich ungeschoren!
D o r i n e.
Hierher, sag ich!
V a l è r e.
So laß mich doch! Ich platze vor Wut. Nie wird es dir gelingen,
mich von dem Plan, den sie mir eingab, abzubringen.
D o r i n e.
Sie bleiben!
V a l è r e.
Was du sagst, ist für die Katze.
D o r i n e.
Sieh an!
M a r i a n n e. (für sich).
Er leidet unter meiner Gegenwart und fühlt von mir sich fortgetrieben -
Nun gut. Das Letzte bleibe mir und ihm erspart - (Sie will gehen.)
D o r i n e. (läßt Valère los und läuft Marianne nach).
Nun die! Wohin?
M a r i a n n e.
Nein, laß mich.
D o r i n e.
Hiergeblieben!
M a r i a n n e.
Bemüh dich nicht, es hat ja keinen Sinn.
V a l è r e. (für sich).
Es quält sie, daß ich nicht gegangen bin -
Drum ist's das beste, wenn ich still-verstohlen ...
(Will sich davonschleichen.)
D o r i n e. (läßt Marianne los und läuft Valère nach).
Jetzt wieder der! Euch soll der Teufel holen!
Schluß mit den Späßen. Beide seid ihr still!
(Sie nimmt Valère und Marianne bei der Hand und führt sie zusammen.)
V a l è r e. (zu Dorine).
Was soll das nur?
M a r i a n n e. (zu Dorine).
Was willst du denn?
D o r in e.
Ich will, daß ihr euch aussöhnt und nur daran denkt, wie man die Sache noch zum Guten lenkt.
(Zu Valère).
Sind Sie denn toll, sich derart aufzuführen ~
V a l è r e.
Du hast ja selbst gehört, was sie mir sagte.
D o r i n e. (zu Marianne).
Und Sie - so ganz die Fassung zu verlieren!

M a r i a n n e.
Du weißt doch, was er mir zu raten wagte!
Do r i n e.
Wie töricht sind Sie alle beide! (Zu Valère.) Sie hat doch nichts anderes im Sinn, als Ihnen zu gehören! (Zu Marianne.) Und er liebt Sie allein und möchte heute noch Ihr Gatte sein -: das kann ich wohl beschwören.
M a r i a n n e. (zu Valère).
Und trotzdem haben Sie mir diesen Rat gegeben?
V a l è r e. (zu Marianne).
Und trotzdem wünschten Sie mir Glück zum neuen Leben?
D o r in e.
Närrische Liebesleute! Gebt die Hände her! (Zu Valère.) Rasch her damit!
V a l è r e. (gibt Dorine die Hand).
Wozu?
D o r i n e. (zu Marianne).
Die Ihre bitte!
M a r i a n n e. (gibt ihr zögernd die Hand).
Was soll das nur?
D o r i n e. (führt sie zusammen).
Hierher! Ab in die Mitte!
(Sie fügt beider Hände zusammen. Valère und Marianne
stehen eine Weile Hand in Hand, ohne sich anzusehen.)
Sie lieben sich ja beide viel - viel mehr, als sie es wissen.
V a l è r e. (sich Marianne zuwendend).
Wollen wir die Dinge nicht mal ohne Vorurteil betrachten, die uns beinahe auseinanderbrachten?
M a r i a n n e. (wendet den Kopf und lächelt Valère zu).
D o r i n e.
Die Liebe macht verrückt - das sieht man hier.
V a l è r e. (zu Marianne).
Hab ich nicht Grund, mich bitter zu beklagen, daß Sie imstande waren - ja, das sag ich klipp und klar -, so häßlich böse Worte mir zu sagen?
M a r i a n n e.
Und Sie? Sie waren lieblos-undankbar!
D o r i n e.
Es eilt wohl nicht, das gründlichst abzuschätzen. Jetzt gilt's, die Heirat zu verhindern!
M a r i a n n e.
Nun, so sag uns doch: was sollen wir denn tun?
D o r i n e.
Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen.
(Zu Marianne.) Ihr Vater ist ein Starrkopf.
(Zu Valère.) Doch was will das heißen?
(Zu Marianne.) Sie aber müssen gegenüber seinen vernarrten Plänen ganz willfährig scheinen, damit er - wenn mal alle Stricke reißen - nicht unerbittlich auf die Trauung dringt, denn Zeit gewinnen, ist hier alles. Plötzlich quält eine rätselhafte Krankheit Sie entsetzlich und fordert Aufschub. Oder es gelingt der alte Schwindel mit der üblen Vorbedeutung:
Sie stoßen unterwegs auf ein Begräbnis - ein Spiegel löst sich von der Wand und bricht - ein Traumerlebnis erschreckt Sie mitten in der Hochzeitsvorbereitung Und schließlich kann das Schlimmste nicht geschehen, verweigern Sie Ihr Jawort vorm Altar.
Doch wenn das glücken soll - das ist wohl klar -, darf man Sie nie mehr beieinander sehen! (Zu Valère.) Sie machen unterdessen Ihre Freunde mobil, die Ihnen ihre Hilfe zugesagt.
(Zu Marianne.)
Ihr Bruder ist ja auch dabei, wird seinem Feinde Tartuffe das Bräutchen wieder abgejagt. Nun gilt's noch, Ihre Mutter zu gewinnen. (Zu Valère.) Auf Wiedersehen!
V a l è r e. (zu Marianne).
Was wir auch ersinnen an Abwehrplänen -: meine Hoffnung sind nur Sie!
M a r i a n n e. (zu Valère).
Die väterliche Macht bedrückt mich schwer, jedoch mein ganzes Herz gehört Valère!
V a l è r e.
Sie machen mich so froh! Ich werde nie ...
D o r i n e.
Daß doch Verliebte endlos schwätzen müssen! (Zu Valère.)
Gehn Sie jetzt endlich Ihrer Wege! Schluß und aus!
V a l è r e. (hat sich zum Gehen gewendet und kommt zurück).
Für Sie riskier ich ...
D o r i n e.
Schluß mit den Ergüssen! (Sie packt sie an der Schulter und treibt sie auseinander.) Sie gehen dort - und Sie, mein Fräulein, dort hinaus!

DRITTER AUFZUG

ERSTER AUFTRITT

Damis. Dorine.

D a m i s.
Der Teufel breche gleich mir das Genick - ihr dürft mich alle einen Prahlhans nennen, hält der Respekt vor Vater länger mich zurück, dem Lump nach meiner Art eins aufzubrennen!
D o r i n e.
Nur ruhig Blut! Warum so exaltiert? Ihr Vater sprach davon - man spricht so viel - Nicht alles, was man plant, wird ausgeführt:
mit vielen Wünschen kommt man nicht zum Ziel.
D a m i s.
Dem üblen Burschen lege ich sein Handwerk schnell;
ich fordere ihn einfach zum Duell!
D o r i n e.
Das ist ja heller Wahnsinn! Überlassen Sie Ihrer Mutter alles Weitre jetzt. Nur sie weiß Ihren Vater richtig anzufassen und wird auch von Tartuffe sehr hochgeschätzt. Vielleicht ist er sogar in sie verliebt, denn was sie sagt, erweckt ihm Lustgefühle -:
das wär' ein Wässerchen auf unsre Mühle! Und nur in unserem Intresse gibt sie eben jetzt ihm hier ein Stelldichein, um ihm der Heirat wegen, die Sie quält, scharf auf den Zahn zu fühlen und gewiß zu sein, was ihm zu seinem vollen Glück noch fehlt. Zugleich will sie ganz offen ihm erklären, welch böser Aufruhr gegen ihn entsteht, will er nur die geringste Hoffnung nähren, daß dieser Wunsch ihm in Erfüllung geht. Zwar habe ich ihm Ihrer Mutter Auftrag nicht persönlich sagen können, denn das Diebsgesicht von Diener ließ mich nicht zu ihm herein, dieweil sein Herr grad sein Gebet verrichte - er meinte nur, er werde gleich zur Stelle sein. Und all das machen Sie uns nun zunichte, wenn Sie nicht gehn!
D a m i s.
Warum soll ich nicht hören, was man bespricht? Ich werde niemand stören.
D o r i n e.
Die beiden müssen ganz allein und ohne Zeugen sich unterhalten können.
D a m i s.
Ich verspreche dir zu schweigen.
D o r i n e.
Sie grade, der Sie immer aus dem Häuschen geraten, wären wohl der Rechte, dem's gelingt, daß er uns alles durcheinanderbringt! Sie gehen jetzt!
D a m i s.
Ich spiele still das Mäuschen und hör nur zu.
D o r i n e.
Gott, sind Sie unausstehlich! Er kommt! Hinaus mit Ihnen! Wird's allmählich?!
D a m i s. (schlüpft in das kleine Nebenzimmer im Hintergrund der Bühne).

ZWEITER AUFTRITT

Tartuffe. Dorine.

T a r t u f f e. (erscheint in der Tür und sagt, sobald er Dorine bemerkt, zu seinem hinter ihm stehenden Diener, der jedoch unsichtbar bleiben kann).
Verschließ mein Büßerhemd und meine Geißel gut, mein lieber Laurent, und erflehe alle Tage, daß Gott an dir ein Gnadenwunder tut! Kommt jemand, der mich sprechen will, so sage, ich wäre im Gefängnis, um den armen Sündern durch Almosen ihr hartes Los zu lindern.
D o r i n e. (für sich).
Der ganze Kerl nur Heuchelei und Prüderie!
T a r t u f f e.
Was wünschen Sie?
D o r i n e.
Ich soll...
T a r t u f f e. (zieht ein Taschentuch hervor und reicht es Dorine mit abgewandtem Gesicht).
0 Gott! Ich bitte Sie, sich dieses Taschentuch erst vorzustecken, wenn Sie mir etwas auszurichten haben!
D o r i n e.
Wozu?
T a r t u f f e.
Um Ihres Busens Blöße zu bedecken, denn solche Teufelsdinge untergraben die Sittlichkeit und wecken sündige Gedanken.
D o r i n e.
Sie sind wohl vor Versuchung schlecht geschützt, bringt Sie das bißchen Fleisch schon innerlich ins Wanken -? Wahrhaftig, ich begreife nicht, daß Sie das so erhitzt, denn ich gerate nicht so leicht in Brand. Ich könnte Sie - das darf ich ruhig eingestehen - hier splitternackend vor mir sehen und würde nicht von Lüsten übermannt!
T a r t u f f e.
Wenn Sie sich nicht gebührend auszudrücken wissen, werd ich mich augenblicks zurückziehn müssen!

Do r i n e.
Nicht doch! Ich wollte Sie gewiß nicht kränken. Die Gnädigste - sie wird sogleich erscheinen - befahl mir, Sie zu bitten, ihr doch einen ganz kleinen Augenblick Gehör zu schenken.
T a r t u f f e.
Gewiß. Sehr gern!
D o r i n e. (für sich).
Was er für Augen macht! Die Sache ist schon so, wie ich's gedacht -
T a r tu f f e.
Kommt Sie jetzt gleich?
D o r i n e.
Ich glaube sie zuhören - Entschuldigen Sie mich, ich will nicht länger stören. (Ab.)

DRITTER AUFTRITT

Tartuffe. Elmire.

T a r t u f f e. (ihr entgegen gehend).
Möge der gnadenreiche Himmel Ihnen der Seele und des Leibs Gesundheit schenken und alles, was Sie tun, zum Guten lenken:
das wünscht der Ärmste aller, die im Staub dem Höchsten dienen!
E l m i r e.
Ihr frommer Wunsch verpflichtet mich zu Dank.
Doch warum stehen? Setzen wir uns lieber.
T a r tu f f e.
Wie geht es Ihnen, Gnädigste? Sie waren krank -?
E l m i r e.
Ein bißchen Fieber - das ging rasch vorüber.
T a r t u f f e.
Ich bilde mir nicht ein, daß meine Bitten, die ich zum Höchsten sandte, dazu mitgeholfen hätten, hab ich auch im Gebete tief um Sie gelitten, um Sie aus Ihren Nöten zu erretten.
E l m i r e.
Wie rührend sind Sie und wie hilfsbereit!
T a r t u f f e.
Um Sie zu retten, würde ich das Letzte geben, und - wenn's drauf ankäm' - auch das eigne Leben!
E l m i r e.
Sie treiben's mit der Christenpflicht zu weit. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll -?
T a r t u f f e.
Es ist an mir, mich meines Dankes Zoll ...
E l m i r e.
Ich bat Sie her, um mich ganz im Vertrauen mit Ihnen auszusprechen, und bin froh, daß hier nicht hundert Augen auf uns schauen -
T a r t u f f e.
Oh, Gnädigste, mir geht es ebenso! Ich bin entzückt, daß wir allein sind: Sie und ich!
Um diese Stunde hab ich Gott so oft gebeten, doch leider blieb er taub vor meinen Herzensnöten.
E l m i r e.
Bei dieser Unterredung handelt's sich für mich darum, daß Sie ganz offen reden und mich wirklich einmal in ihr Herz sehn lassen.
(Man sieht, daß die Tür zum Nebenzimmer, in dem Damis
sich versteckt hat, um einen Spalt geöffnet wird.)
T a r t u f f e.
Auch ich will die Gelegenheit beim Schopfe fassen und Ihnen beichten, wie's auf meines Herzens Grund in Wahrheit aussieht. Lassen Sie mich eingestehen, daß mich nicht böse Schmähsucht trieb, wenn ich empört war, daß so viel Besucher sich einfanden, nur um Sie, die schönste Frau, zu sehen! Ich weiß, mein Eifer wurde bald zur Sucht - Doch wollt' ich nur ...
E l m i r e.
So hab ich mir's auch ausgelegt:
Sie haben als Beschützer mich umhegt -
T a r t u f f e. (faßt Elmires Hand und preßt sie inbrünstig).
So ist es, Gnädigste! Hat man sein Herz nicht mehr in Zucht ...
E l m i r e. (entzieht ihm ihre Hand).
Sie tun mir weh -!
T a r t u f f e.
In reinem Überschwang! Denn - ach! - nichts liegt mir ferner ... Und es wird sich erweisen, daß ich lieber (Er legt seine Hand auf Elmires Knie.)
E l m i r e.
Ihre Hand verirrt sich!
T a r t u f f e. (tut so, als habe er nur den Stoff ihres Kleides befühlen wollen).
Ein wundervoller Stoff -: weich wie Ihr Gang!
E l m i r e.
Ich bin so kitzlig, lassen Sie das bitte! (Sie rückt mit ihrem Sessel von ihm weg, er rückt ihr nach.)
T a r t u f f e. (betastet ihr Busentuch).
Auch das ein Meisterwerk der Weberei!
Ja, heutzutage macht man solcherlei Gewebe wirklich kunstvoll!
E l m i r e.
Töricht, wer's bestritte. Doch nun zur Sache, wenn's beliebt. Mein Mann - so heißt es - will Valère sein Jawort brechen und Ihnen seine Tochter geben -: kann das wahr sein? Aber bitte sprechen Sie offen!
T a r t u f f e.
Nun, er sprach davon gelegentlich - Jedoch, verehrte gnäd'ge Frau, ich muß gestehen, das wäre nicht das höchste Glück für mich, nach dem ich fiebre in geheimem Flehen -:
ich sehe doch begehrenswertre Seligkeiten, die meiner Sehnsucht letztes Ziel bedeuten
E l m i r e.
Ich weiß, wie fern Sie aller Erdenlust...
T a r t u f f e.
Hab ich ein Herz von Stein in meiner Brust?
E l m i r e.
Und trotzdem bin ich überzeugt, daß Sie nur himmlisch-hohe Freuden locken können -
T a r tu f f e.
Wenn auch die heil'gen Feuer in uns brennen nach Himmelsreinheit, löschen sie doch nie die Glut der Liebe, die uns an die Erde bindet, und unsre Sinne sind so leicht entzündet, erschuf der Höchste eine Frau vollendet schön. Sie aber hat er dazu ausersehn, - sooft er sich auch spiegelte in Ihresgleichen -sein Ideal der Schönheit zu erreichen! An Ihr Gesicht hat Gott sich so verschwendet, daß es das Herz entzückt, das Auge blendet, und wenn es leuchtend mir entgegenstrahlt, muß ich in Ihnen auch den Schöpfer ehren und mich in tiefer Liebesglut verzehren, denn hier hat Gott sein eignes Bild gemalt! Als ich zuerst die süße Qual verspürte, argwöhnte ich, daß mich der Böse in Versuchung führte, und ich versuchte, Ihren Anblick ganz zu meiden, um nicht an meiner Seele Schaden zu erleiden. Dann aber, schönste aller Frauen, sah ich ein, so tiefe Leidenschaft kann keine Sünde sein und hebt die irdischen Moralgesetze auf -:
drum ließ ich meiner Liebe freien Lauf. Ich weiß, es ist ein tollkühn-dreistes Unternehmen, bekenn ich offen meine Leidenschaft - und ich vertraue nicht auf meine schwache Kraft:
nur Ihre Güte kann mich schön beschämen. All meine Hoffnung, ja, mein ganzes Sein leg ich mit diesem Wort in Ihre Hände:
Lust oder Leid - und beides ohne Ende - entscheiden Sie, verehrte Frau, allein! Nun harr ich Ihres Urteilsspruchs vertrauensvoll, ob ich beglückt - ob ich verdammt sein soll -!
E l m i r e.
Oh, Sie verstehn es, einer Frau sich zu erklären! Ich aber - ich bin in der Tat wie vor den Kopf geschlagen, von Ihnen grade solch ein Wort zu hören! Ich meine auch, Sie müßten Sorge tragen, daß Ihr Gelüst nicht so mit Ihnen durchgehn kann, und daß Sie überlegen müßten, was Sie reden! - Ein frommer Mann wie Sie, der jeden ...
T a r t u f f e.
Bin ich auch fromm, so bleib ich doch ein Mann!
Wenn Sie in Ihrer Schönheit Glanz sich zeigen, spricht nur das Herz - und der Verstand muß schweigen. In meinem Munde zwar - das weiß ich selbst genau - mag seltsam klingen, was ich Ihnen sagte, doch - Sie verzeihn! - ich bin kein Engel, gnäd'ge Frau, und steh ich nun vor Ihnen als der Angeklagte, den man verdammt, so müssen Sie sich selbst verdammen, denn Ihrer Anmut zauberhafter Reiz setzte mein Herz so lichterloh in Flammen und ist der Urgrund meines Herzeleids! Vergeblich die Gebete, Fasten, Tränen -:
Ihr Anblick schürte meines Herzens Qual. Mit Blicken und mit Seufzern sagte ich es tausendmal, drum mußte einmal ich mein innres Sehnen in Worte fassen. Wenn Sie nun mit güt'gem Herzen Verständnis für die Leiden Ihres ärmsten Sklaven zeigen, wenn Sie es nicht verschmähn, gerührt von seinen Schmerzen, zu mir Unwürdigem herabzusteigen -:
dann will ich Ihnen, holdeste der Frauen, ein in alle Ewigkeit ergebner Diener sein! Ich werde Ihre Ehre nie gefährden, bei mir sind Sie vor Überraschungen geschützt. Ich sehe doch, wie sich die Herrn vom Hof gebärden, nach denen jede Frau ihr Mündchen spitzt:
die müssen überall sich prahlerisch mit den Erfolgen ihrer Liebeshändel brüsten, und wenn sie eine ihrer Liebsten küßten, erzählen sie es kurz nachher bei Tisch! Mit diesen eitlen Schwätzerein entehren sie alle Fraun, die ihnen ihre Gunst gewähren. Jedoch ein Mann wie ich nimmt sich in acht und weiß sein heimlich Stilles Glück zu wahren:
er ist auf seinen eignen guten Ruf bedacht und schützt drum auch die Liebste vor Gefahren.
Drum wird - wenn Sie mein heißes Flehn erhören, nie jemand das Vergnügen unsrer Liebe stören -!
E l m i r e.
Ich weiß um Ihre Wünsche nun Bescheid - Sie sprachen ja in aller Deutlichkeit. Doch meinen Sie nicht auch, daß, wenn ich meinem Mann berichte, was Ihr Herz für mich empfindet, die tiefe Freundschaft, die ihn an Sie bindet, darunter recht erheblich leiden kann -?
T a r t u f f e.
Ich baue fest auf Ihre Güte, gnäd'ge Frau, und weiß, Sie lassen mich die Kühnheit nicht bereuen. Sie kennen aller Menschen Schwächen zu genau, um sie nicht zu verstehn und zu verzeihen. Befragen Sie nur Ihren Spiegel: dann verstehn Sie gut, warum auch ich nicht blind sein kann als Mensch von Fleisch und Blut.

E l m i r e.
Die meisten Frauen wüßten, was sie täten - Doch ich will diesmal noch verschwiegen sein, um den Skandal nicht unnütz breitzutreten -:
vorausgesetzt, Sie willigen in die Bedingung ein, daß Sie sich nun mit aller Kraft bemühn, die Heirat Mariannes mit Valère zustandzubringen, und jeden bösen Trieb in sich bezwingen, die Macht, die Ihnen meines Manns Leichtgläubigkeit verliehn, noch weiter zu mißbrauchen, um im stillen mit fremdem Gut die Taschen sich zu füllen! Und außerdem ...

VIERTER AUFTRITT

Elmire. Damis. Tartuffe.

D a m i s. (tritt rasch aus dem Nebenzimmer).
Nein, liebe Mutter, nein!
Was hier geschah, soll kein Geheimnis sein
Dem Himmel dank ich's, der mich hergeführt:
da drinnen habe ich gelauscht und jedes Wort verstanden. Nun mach ich dieses Schurken Übermut zuschanden, der mich und alle schon zu lange kujoniert!
Die Stunde will ich hochwillkommen heißen, wo ich mich rächen kann für seine Hinterlist, um ihm die Heuchlermaske vom Gesicht zu reißen, damit mein Vater einsieht, wer er wirklich ist:
ein Schuft, der ihm die Frau verführen will!
E l m i r e.
Nein, nein, Damis, ich bitte dich, schweig still!
Viel besser ist's, er sieht sein Unrecht ein und müht sich, die Verzeihung zu verdienen, die ich ihm zugesagt -: drum rede mir nicht drein! Ich mache immer gerne gute Mienen zum bösen Spiel - und lächle über solche Narreteien, statt meinem Mann die Ohren vollzuschreien.
D a m i s.
Sie mögen Ihre guten Gründe haben, dies alles still in Schweigen zu begraben, doch ich hab gleichfalls Gründe, welche mich zu rücksichtslosem Handeln zwingen. Ihn jetzt noch schonen, wäre lächerlich! Zu lange mußte ich die Wut hinunterschlingen über des unverschämten Heuchlers Dreistigkeit, der alles hier im Hause durcheinanderbrachte. Nun währte es gottlob die längste Zeit, daß er auch meinen Vater sich zum Narren machte. Und daß er meine Liebe, wie auch die Valères, zu hintertreiben suchte. Dumm und feige wär's, den Vater diesen Lump nicht offen sehn zu lassen, wie er in Wahrheit ist - jetzt, wo der Himmel mir die Möglichkeit gab, endlich ihn zu fassen. Auf meinen Knien dank ich Gott dafür! Und wenn ich die Gelegenheit nicht nützte, die er in seiner Gnade mir beschert, wär' ich's wahrhaftig nicht mehr wert, daß er uns fernerhin beschützte -
E l m i r e.
Damis
D a m i s.
Nein, Mutter, hindern Sie mich nicht daran. Wie lange - ohne Hoffnung - quälten wir uns beide! Mir tobt das Herz in wilder Freude, daß ich mich endlich - endlich rächen kann! Und darum nutz ich die Gelegenheit. Sieh an: da kommt der rechte Mann zur rechten Zeit!


FÜNFTER AUFTRITT

Orgon. Elmire. Damis. Tartuffe.

D a m i s.
Herr Vater, zur Begrüßung muß ich Ihnen jetzt ein kleines Zwischenfällchen unterbreiten, das Sie wahrscheinlich in Erstaunen setzt. Verschwendrisch lohnt man Ihnen Ihre Freundlichkeiten, mit Zinseszins zahlt dieser Herr zurück den Preis für Ihren opferwill'gen Glauben:
sein Eifer geht so weit, daß er Ihr Eheglück antasten will und Ihnen Ihre Gattenehre rauben. Ich überraschte ihn, wie meiner Mutter er ganz offen die verruchte Leidenschaft erklärte! Sie freilich nahm in Ihrer Güte alles nicht so schwer:
sie wollte schweigen und verzeihen. Und verwehrte auch mir, davon zu sprechen. Aber ich kann diese dreiste Freveltat nicht dulden und glaube, daß wir Ihnen Wahrheit schulden.
E l m i r e.
Verirrungen so primitiver Art berühren mich nicht so, daß ich des Gatten Ruhe stören möchte. Und wenn sich eine Frau dem ehrbar widersetzt, wird auch des Gatten Ehre nicht verletzt. So denke ich - so scheint's mir auch das Rechte.
(Zu Damis.)
Und könntest du je meinem Wunsch dich fügen, Damis, so hättest du geschwiegen! (Ab.)

SECHSTER AUFTRITT

Orgon. Damis. Tartuffe.

O r g o n.
0 Gott! Kann's wahr sein, was ich da vernahm?
T a r t u f f e.
Ja, Bruderherz, ich bin ein Bösewicht, ein armer gottvergeßner Sünder ohne Scham, ein Lump, auf Diebstahl, Raub und Mord erpicht! Es gibt nicht einen Tag in meinem Leben, den keine böse Missetat befleckt.
Nie wieder wird es einen Menschen geben, der so wie ich in Schimpf und Schande steckt! Und nun hat Gott mir diesen Tag bestimmt, daß er mich hart in Zucht und Strafe nimmt. Drum mag man mich verdammen und beleidigen, ich neige mich und will mich nicht verteidigen. Oh, glauben Sie nur alles, was man sagt, und wappnen Sie sich mit dem Zorne des Gerechten:
selbst wenn man mich nun aus dem Hause jagt wie einen Dieb, wag ich's nicht anzufechten. Die strengste Strafe, die all meine Sünden sühnte, wär' noch viel milder, als ich sie verdiente!
O r g o n. (zu Damis).
Gottloser Bube, wagst du es, mit frechen Lügen die Reinheit seines Wesens anzuzweifeln?
D a m i s.
Soll sein verlognes Winseln denn - bei allen Teufeln! - über die klar erwiesne Wahrheit siegen?
O r g o n.
Schweig, Galgenstrick!
T a r t u f f e.
Verbieten Sie ihm nicht den Mund. Sie tun ihm Unrecht, Bruderherz, wenn Sie ihn schelten:
bei mir gilt's, Böses streng mit Bösem zu vergelten. Ich bin ja, wie Sie hörten, ein Verbrecher. Und Sie dürfen sich nicht durch mein Äußres täuschen lassen, geliebter Seelenbruder! Immer trügt der Schein. Warum soll ich denn besser als die andren sein? Man muß die Dinge klar ins Auge fassen:
ich bin nur der, für den man mich hier hält. Und gelte ich auch sonst für alle Welt als wahrhaft tugendhafter Gottesstreiter:
ich bin ein Lump in Wahrheit - und nichts weiter.
(Zu Damis.) Ja, sprechen Sie sich aus, mein lieber Sohn, behandeln Sie mich nur getrost als Missetäter! Nennen Sie Schuft mich, Mörder, Dieb, Verräter, ich nehm es schweigend hin als meiner Taten Lohn. Wenn Sie mit wüsten Schimpfworten mich überschütten, will ich in Demut still vor Ihnen knien, denn hab ich hier für meine Sünden schwer gelitten, wird mir im Himmel gnädiger verziehen.
(Er kniet vor Damis nieder.)
O r g o n. (zu Tartuffe).
Zu viel, verehrter Bruder!
(Zu Damis). Kann dich gar nichts rühren, du Taugenichts?
D a m i s.
Sie lassen sich verführen durch dies Geschwätz?!
O r g o n.
Halt deinen Mund, du Luder!
(Er will Tartuffe helfen, sich zu erheben.)
Erheben Sie sich bitte, lieber Seelenbruder.
(Zu Damis.) Abscheulicher!
D a m i s.
Wär's möglich, daß ...
O r g o n.
Schweig still!
D a m i s.
Ich kenne mich nicht mehr vor Wut. Ich will ...
O r g o n.
Ein Wort noch - und ich brech dir das Genick!
T a r t u f f e.
Um Gottes willen. Bruder, mäßigen Sie sich! Viel eher treffe mich das ärgste Mißgeschick, als daß er Unrecht leiden soll um mich.
O r g o n. (zu Damis.)
Du Undankbarer!
T a r t u f f e.
Lassen Sie ihn doch in Ruhe.
Ich flehe kniend Sie um Gnade für ihn an! (Kniet nieder.)
O r g o n. (wirft sich vor Tartuffe nieder und umarmt ihn).
Ist das ein Mann! 0 Gott, ist das ein Mann!
(Zu Damis.) Sieh seine Güte!
D a m i s.
Güte?!
O r g o n.
Schweig!
D a m i s.
Dies alberne Getue ...
O r g o n.
Du schweigst! Ich weiß, warum du mich so auf ihn hetzt:
ihr alle haßt ihn - und ich sehe jetzt Frau, Kinder und Gesinde gegen ihn verbündet, und daß ihr jedes Mittel recht und billig findet, daß ihr mir diesen frommen Mann entzieht. Jedoch, je mehr ihr euch darum bemüht, bin ich bestrebt, ihn fester noch an mich zu binden. Und ärgert sich das ganze Haus auch grün und blau:
ich gebe meine Tochter ihm zur Frau! Und damit wird der Streit sein Ende finden.
D a m i s.
Sie wollen meine arme Schwester zwingen ...
O r g o n.
Gewiß. Und um euch alle recht in Wut zu bringen, findet die Hochzeit noch heut abend statt! Euch allen biet ich Trotz. Ihr sollt begreifen, daß ich hier Herr im Hause bin. Ich hab es satt, zu tanzen, wie die andren pfeifen!
Schnell wirf dich ihm zu Füßen! Auf den Knien wird dir vielleicht, du Bösewicht, verziehn.
D a m i s.
Wie? Ich?! Vor diesem Hundsfott, diesem abgefeimten ...
O r g o n.
Du bockst, du Lump? Du willst ihn neu verleumden -?
(Zu Tartuffe.) Rasch einen Stock her! Keine Milde mehr!
(Zu Damis.)
Hinaus! Du zeigst dich nie mehr hier im Haus!
Ich rate dir im guten: trau dich niemals mehr hierher!
D a m i s.
Ich gehe schon. Jedoch...
O r g o n.
Mit uns ist es endgültig aus. Du bist enterbt. Jetzt geht's auf Hieb und Stich:
mein väterlicher Fluch begleitet dich!
(Damis ab.)

SIEBENTER AUFTRITT

Orgon. Tartuffe.

O r g o n.
Daß ich auch diese Blasphemie erlebe -!
T a r t u f f e.
Vergebe Gott ihm, wie ich ihm vergebe.
(Zu Orgon.)
Verstehen Sie es, Bruderherz, wie es mich schmerzt, daß man mich grad bei Ihnen angeschwärzt -?
O r g o n.
Ach, Gott!
T a r t u f f e.
Schon der Gedanke quält mich ganz unsäglich, vor Ihnen als ein Undankbarer dazustehen. Mich schaudert's! Der Verdacht ist mir so unerträglich, daß ich dran sterben werde und vor Schmerz vergehen!
O r g o n. (läuft, in Tränen ausbrechend, zu der Tür, durch die Damis gegangen ist).
Du Schurke! Warum hab ich dich nicht umgebracht und dadurch deine Schandtat gutgemacht!?
(Zu Tartuffe.)
Erholen Sie sich, Bruder, grämen Sie sich nicht!
T a r t u f f e.
Wozu sich länger über diesen Fall verbreiten? Ich sehe, wieviel Unzuträglichkeiten
durch mich entstehn: drum ist es meine Pflicht, Sie zu verlassen, Bruder.
O r g o n.
Spotten Sie auch noch -?
T a r t u f f e.
Man haßt mich hier im Haus. Sie sehen doch, wie alle sich bemühen, das Vertraun zu untergraben, das Sie mir in so reichem Maß erwiesen haben.
O r g o n.
Was tut's? Schenk ich denn irgendwem Gehör?
T a r t u f f e.
Man wird nicht rasten und nicht ruhn, mich anzuklagen! Wird Ihnen morgen wieder etwas zugetragen, wirkt die Verdächtigung vielleicht schon mehr - -
O r g o n.
Nein, nie, mein Freund!
T a r t u f f e.
Oh, Bruder, eine Frau kennt jeden Weg zum Herzen ihres Mannes zu genau!
O r g o n.
Ich schwöre Ihnen...
T a r t u f f e.
Bitte, lassen Sie mich ziehn! Ich möchte keinen Anlaß zu Verdächtigungen geben.
O r g o n.
Sie bleiben, Freund! Hier geht es um mein Leben.
T a r t u f f e.
Nun denn: so opfre ich mich auf für IHN!
Doch wenn Sie wollen ...

O r g o n.
Gott sei Dank!
T a r t u f f e.
Kein Wort mehr drüber. Dann aber wollen wir von jetzt an lieber auf unsrer Hut sein, denn des Gatten Ehre ist leicht verletzlich. Und die Freundespflicht gebietet mir, daß ich mit Ihrer Gattin nicht ein Wort mehr rede -: so, als ob sie nicht vorhanden wäre; damit wir auch den bösen Schein vermeiden, um jeden Argwohn an der Wurzel zu beschneiden.
O r g o n.
Im Gegenteil! Um allen Trotz zu bieten, sollen Sie stets und ständig um sie sein! Nichts wird mich inniger erfreun, als wenn sie alle toben, schreien, wüten! Und mehr noch: um sie alle tödlich zu verletzen, bin ich entschlossen, Sie zu meinem Erben einzusetzen. Drum gehe ich jetzt auf der Stelle zum Notar, um Ihnen all mein Hab und Gut zu übereignen! Gern will ich alles, was mir früh'r das Liebste war, gern will ich Sohn und Frau und Kindeskind verleugnen, um einen wahren Herzensfreund, der obendrein mein Schwiegersohn wird, ganz an mich zu binden! Nun, lieber Bruder? Willigen Sie ein?
T a r t u f f e.
Gott wird mich stets bereit zu allem finden.
O r g o n.
Der Gute! Warum also Zeit verlieren?
So sei es -: mögen alle auch vor Neid krepieren!




VIERTER AUFZUG

ERSTER AUFTRITT

Cléante. Tartuffe.

C l é a n t e.
Man spricht schon in der ganzen Stadt darüber, und der Skandal, der jedermann erregt, wird nicht zu Ihren Gunsten ausgelegt. Und darum war mir's um so lieber, daß ich Sie hier noch traf und Ihnen Mann zu Mann ganz offen meine Meinung sagen kann. Ich will mich nicht mit all dem auseinandersetzen, was man sich überall erzählt -:
ich hör kaum hin und laß die Leute schwätzen. Doch hätte sich Damis auch schwer verfehlt und Ihnen diese Schandtat fälschlich zugeschoben, wär's dann nicht Christenpflicht, ihm zu verzeihn, statt sich in böser Rachlust auszutoben? Kann es denn ernstlich Ihre Absicht sein, daß hier ein Sohn - mag er auch Ihren Groll verdienen - seines Vaters Haus verlassen soll? Ich sag es Ihnen unverblümt und frei:
es nehmen alle gegen Sie Partei! Und könnten meine Worte Sie bewegen, so rat ich Ihnen, treiben Sie es nicht zu weit und seien Sie bemüht, den Streitfall beizulegen. Legen Sie alle Rachsucht und Gehässigkeit auf den Altar der Nächstenliebe nieder, und geben Sie den Sohn dem Vater wieder!
T a r t u f f e.
0 Gott, wie herzlich gerne tät, ich das! Ich hege gegen ihn nicht den geringsten Groll:
ihm ist verziehn - mein Herz ist frei von Haß. Gern machte ich das Maß der Gnade voll, dann aber würde Gottes Wille nicht geschehen, denn wenn er wiederkäme, war's an mir zu gehen. Nach seinem unerhörten Angriff gegen mich kann ich unmöglich noch mit ihm zusammenleben. Das würde dem Geschwätz nur neue Nahrung geben, denn alle Leute dächten sicherlich, ich trieb' ein abgefeimtes Gaukelspiel! Natürlich fühlt der Kerl sich schuldig, sagte man sich, und nur darum heuchelt er nun Mitgefühl mit seinem Widersacher, denn im tiefsten Grund hat er ja Angst vor ihm -: er läßt ihn jetzt nur laufen, um dadurch sich sein Schweigen zu erkaufen - -
C l é a n t e.
Nein, diese Gründe leuchten mir nicht ein, die sind wohl an den Haaren nur herbeigezogen. Und was, verehrter Herr, hat Sie bewogen, in dieser Sache Gottes Staatsanwalt zu sein? Hat Gott um Ihren Beistand Sie gebeten, um einen Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehn? Sie sollten sich um besseres bemühn, als hier des Himmels Interessen zu vertreten! Statt dessen aber immer daran denken, daß Gott uns vorschreibt, unsren Schuld'gern zu vergeben, denn wenn Sie nur nach Gottes Willen leben, kann Menschenurteil Sie nicht treffen oder kränken. Sie wollen also eine gute Tat nicht wagen aus Angst, was andre Leute dazu sagen? Nein, keine Sorge, Herr! Tun wir, was Gott gefällt, sind wir erhaben über jedes Urteil dieser Welt!
T a r t u f f e.
Ich sagte Ihnen doch, daß ich ihm gern vergebe -:
und das ist's, was der Himmel mir befiehlt. Jedoch er fordert nicht, daß ich mit dem zusammenlebe, der mir - wie er es tat - die Ehre stiehlt.
C l é a n t e.
Das aber nehmen Sie ganz seelenruhig-still als Gottes unanzweifelbaren Ratschluß hin, daß Ihnen nun sein Vater in verbohrtem Eigensinn sein ganzes Hab und Gut verschreiben will, obwohl es Recht und Anstandspflicht verböten, dies unverdiente Erbe anzutreten?

T a r t u f f e.
Nie käme einer, der mich kennt, auf den Gedanken, ich wollte dadurch nur mich selbst bereichern! Mir liegt es ferne, Güter dieser Erde aufzuspeichern - nie brachte mich ihr trügerischer Glanz ins Wanken! Und wenn ich mich trotzdem entschlossen habe, die Schenkung seines Vaters anzunehmen, so brauche ich mich meiner Gründe nicht zu schämen. Denn es geschah aus Angst, daß diese Gottesgabe sonst in die Hände unwürdiger Menschen fiele, die damit in gottslästerlichem Spiele den bösesten und ärgsten Mißbrauch trieben, statt sie - wie mir's vom Himmel vorgeschrieben - zu Almosen und wohltätigen Spenden nach Gottes gütigen Geboten zu verwenden.
C l é a n t e.
Ich glaube, diese Angst, mein Herr, ist unbegründet, zumal sie darin ihren Ausdruck findet, daß man den rechtmäßigen Erben um sein Gut betrügt! Wenn Ihnen selbst an Geldeswert nichts liegt, wäre es besser, diese Sorgen dem zu überlassen, der das Vermögen seines Vaters erben soll. Und triebe er es später noch so toll -ja, sollte er es würdelos verprassen, wär' das noch immer besser, meine ich, als daß man glaubt, Sie hätten's ihm mit Lug und Trug geraubt! Ich meine, Ihr Gewissen müßte Sie schon hindern, den Vorschlag seines Vaters zu erwägen:
wie kann ein frommer Mann nur den Gedanken hegen, den vom Gesetz bestimmten Erben auszuplündern? Und können Sie nun mit Damis nicht mehr zusammenleben, weil Sie ihn so in tiefster Seele hassen, kann es für Sie doch nur den einen Ausweg geben, selbst dieses Haus hier schleunigst zu verlassen. Sie werden doch nicht wollen, daß zum Schluß der Sohn des Hauses Ihnen weichen muß?!
Nur so, mein Herr, beweisen Sie es mir, daß Sie ein Ehrenmann sind -
T a r t u f f e.
Schon halb vier!
Da muß ich leider - denn mich rufen fromme Pflichten - auf eine Weiterführung des Gesprächs verzichten - (Ab.)
C l é a n t e. (allein).
Den Teufel auch ...

ZWEITER AUFTRITT

Elmire. Marianne. Cléante. Dorine.

D o r i n e. (zu Cléante).
Ach, helfen Sie uns doch!
(Auf Marianne deutend.)
Die Ärmste will vor Todesangst vergehen und ist verzweifelt, denn ihr Vater will heut abend noch den Ehepakt mit diesem Schuft besiegelt sehen. Kommt er nicht schon -? Wir müssen unbedingt nun alle Willenskraft zusammenfassen und dürfen - was auch kommt - nicht lockerlassen, bis uns es - sei's mit List, sei's mit Gewalt - gelingt, die Wahnsinnstat an Mutter, Frau und Kindern in letzter Stunde zu verhindern!

DRITTER AUFTRITT

Orgon. Elmire. Marianne. Cléante. Dorine.

0 r g o n.
Ich freue mich, daß ihr so schön beisammen seid.
(Zu Marianne.)
Für dich, mein Kind, hab ich ein Schriftstück hier bereit, das dir erwünscht sein wird -: du weißt, was es enthält -
M a r i a n n e. (wirft sieh ihm zu Füßen).
Im Namen Gottes flehe ich Sie an, der sieht, welch wilder Schmerz mein Innerstes zerreißt - bei allem, was Ihr Herz bewegen kann, Herr Vater: Pochen Sie dies eine Mal nicht mitleidlos auf Ihre Vaterrechte! Erlösen Sie mich von der bittren Qual des Kindes, das so gern gehorchen möchte -
Oh, lassen Sie nicht zu, daß ich auf meines Lebens Schwelle die schönste Kindespflicht wie einen Fluch erdulde, und machen Sie mir dieses Leben, das ich Ihnen schulde, durch Ihre Herzenshärte nicht zur Hölle!
Darf ich die süße Hoffnung nicht mehr nähren, die ich so lange treu im Herzen trug, dem einen, den ich liebe, zu gehören, so sei es damit auch des Leids genug. Auf meinen Knien appelliere ich an Ihre Güte, Herr Vater: zwingen Sie mir diesen Mann nicht auf, den ich im innersten Gemüte verabscheun muß und niemals lieben kann! Und wenn Sie taub und unerbittlich bleiben, wird die Gewalt mich zur Verzweiflung treiben.
O r g o n. (der sich weich werden fühlt, für sich).
Bleib hart, mein Herz, nur keine menschlich-dumme Schwäche!
M a r i a n n e.
Ich weiß, Sie schätzen ihn sehr hoch. Dem widerspreche ich nicht und achte Ihre Überzeugung. Verschwenden Sie an ihn nur alle Liebe, alle Neigung -ja, schenken Sie ihm ruhig Ihr Vermögen und meines noch dazu, wenn's nicht genügt. All das verstehe ich, das kann mich nicht erregen, solange man nicht herrisch über mich verfügt. Drum lassen Sie mich lieber hinter Klostermauern in strenger Einsamkeit und Zucht den trüben Rest des Daseins, das mir noch gegönnt ist, still vertrauern -
O r g o n.
Da sieht man ja, wie du dich gehenläßt! Sagt mal der Vater nein zum ersten besten Freier, spricht schnurstracks so ein dummes Ding von Kranz und Schleier.
Steh auf! Willst du dein Leben ganz dem Himmel weihen, gibt diese Ehe dir die schönste Möglichkeit dazu:
je wen'ger du ihn magst, je mehr kannst du das Fleisch kasteien.
Nun aber laß gefälligst mich in Ruh!
D o r i n e.
Das wäre...
0 r g o n.
Schweig und rede nicht dazwischen. Du hast kein Recht, dich frech hier einzumischen.
C l é a n t e.
Ob dann in dieser Angelegenheit mein Ratschlag offenere Ohren findet -?
O r g o n.
Ihr Ratschlag ist mir lieb und wert zu jeder Zeit,
Herr Schwager, er ist immer wohl begründet.
Ich gebe viel darauf. Jedoch - wenn Sie erlauben -
ich möchte heute nur mir selber glauben.
E l m i r e.
Ich steh wie vor den Kopf geschlagen da und kann nur über deine Blindheit staunen. Wie kannst du nur - trotz aller deiner Launen - verleugnen wollen, was tatsächlich hier geschah?
0 r g o n.
Ich weiß, was man mich glauben machen will, doch weiß ich auch, wie blind du diesem ungeratnen Sohn in Affenliebe zugetan bist -: darum schwiegst du still und gingst - aus Angst, daß der gerechte Lohn dem schändlichen Verrate folgen sollte, den er an diesem guten Mann begehen wollte.
Nur deshalb warst du auch so ruhig, als ich kam, denn hätte er in Wahrheit das gewagt, weswegen dieser Galgenstrick ihn angeklagt, so hättest du dich nicht gekannt vor Wut und Scham!
E l m i r e.
Muß man denn immer, wenn ein dumm-verliebter Mann in seiner Leidenschaft den Mund nicht halten kann, gleich eine große Szene daraus machen mit Augenrollen, Tränen, Schimpftiraden? Ich zieh es vor, darüber still zu lachen, statt alle Welt zum Zuschaun einzuladen. Man kann sich seiner Ehre ohne Wutausbrüche wehren:
ich liebe jene wilden Weiber nicht, die, wenn sie ein gewagtes Wort nur hören, spornstreichs bereit sind, jedem ins Gesicht zu springen, um mit Zähnen und mit scharfen Tatzen ihm mindestens die Augen auszukratzen. Behüt' mich Gott vor dem verlogenen Getue, das eine Frau zum Drachen ihrer Tugend macht! Gibt man nur sorgsam auf sich selber acht, kann man mit überlegen-kühler Ruhe, und ohne häusliche Skandale einzuschalten, sich jeden Störenfried vom Halse halten.
0 r g o n.
Ich weiß Bescheid! Mir macht man hier nichts weis.
E l m i r e.
Das ist ein Starrsinn, den ich nicht mehr fasse! Sag mir, mein Lieber, gäbst du ihn auch dann nicht preis, wenn ich es dich mit eignen Augen sehen lasse?
O r g o n.
Mit eignen Augen -?
E l m i r e.
Ja.
O r g o n.
Phantastereien!
E l m i r e.
Nehmen wir mal an, ich zeigte alles dir in mehr als klarem Licht -?
0 r g o n.
Papperlapapp!
E l m i r e.
Was ist das für ein Mann!
Antworte mir doch wenigstens. Ich rede nicht, um dich von meiner Ehrlichkeit zu überzeugen. Doch setzen wir den Fall, du könntest am gegebnen Ort den ganzen Vorfall selbst mitansehn und ihn Wort für Wort verfolgen -: würdest du dann auch noch zu der Ansicht neigen, dein Schützling sei ein reiner Gottesstreiter?
O r g o n.
Dann sagte ich ... Ach, was! Geschwätz - nichts weiter! Denn das ist einfach gar nicht menschenmöglich.
E l m i r e.
Nun wird es Zeit, daß man von deinem Irrwahn dich befreit! Und außerdem ist es mir unerträglich, daß man mich hier vor aller Welt der Lüge zeiht. Drum muß ich jetzt ein Schauspiel inszenieren, um ihn im wahren Licht dir vorzuführen.
O r g o n.
Ich nehme dich beim Wort. Tu, was du willst. Man wird ja sehen, ob du dein Versprechen auch erfüllst!
E l m i r e. (zu Dorine).
Ruf ihn hierher.
D o r i n e.
Der Kerl ist arg gewitzt und wird sich nicht so leicht ertappen lassen -
E l m i r e. (zu Dorine).
Nur keine Angst! Denn wenn ein Mann verliebt ist, nützt ihm keine Schlauheit - weiß man ihn nur anzufassen. Und dem da dreht die Eigenliebe einen Strick! Geh, hol ihn mir. (Zu Cléante und Marianne.) Und ihr zieht euch zurück. (Dorine, Cléante und Marianne ab.)

VIERTER AUFTRITT

Elmire. Orgon.

E l m i r e.
Rück diesen Tisch her und versteck dich drunter.
O r g o n.
Ich sollte...
E l m i r e.
Selbstverständlich mußt du dich verstecken.
O r g o n.
Warum denn grade unterm Tisch?
E l m i r e.
Nur munter - munter!
Wie das gemeint ist, wirst du bald entdecken. Das eine merk dir: alles kommt jetzt darauf an, daß er dich weder sehn noch hören kann!
O r g o n.
Das scheint mir eigentlich zu weit zu führen - Trotzdem, ich will jetzt wissen, was du planst.
E l m i r e.
Du wirst dich besser amüsieren, als du ahnst.
(Nachdem Orgon sich unterm Tisch versteckt hat.)
Ich werde im Gespräch manch heiklen Punkt berühren, du wirst auch sehr gewagte Worte von mir hören, doch all das darf dich nicht empören.
Um ihm die Maske vom Gesicht zu reißen und dir den Kerl im wahren Licht zu zeigen, muß ich ihn süß-verführerisch willkommen heißen und tun, als wäre ich ihm ganz leibeigen. Doch da ich die Komödie nur deinetwegen in Szene setze und mich seinem Wunsch nur scheinbar füge, kann ich dies kleine Spiel der Liebeslüge beendigen, sobald es zweifelsfrei dir klar ist, wie sehr du dich von ihm hast täuschen lassen und daß, was dir Damis erzählte, wahr ist. Du magst ermessen, wann es Zeit ist, zuzufassen, um mich nicht allzulange der verliebten Gier des schamlos-üblen Wüstlings auszusetzen, die ich für dich erdulden muß, um dir das Trugbild deines Irrwahns zu zerfetzen. Du leitest dieses Spiel - du hältst Gericht. Und wenn ...
Er kommt! Sei still und rühr dich nicht.

FÜNFTER AUFTRITT

Tartuffe. Elmire. Orgon (unter dem Tisch).

T a r t u f f e.
Sie riefen mich hierher, berichtete man mir -
E l m i r e.
So ist's: ich möchte Ihnen etwas anvertrauen.
Doch möchte ich Sie bitten, erst die Tür fest zu verriegeln und recht sorgsam nachzuschauen, ob diesmal niemand da ist, der uns stört.
T a r t u f f e. (geht zur Tür, schließt sie ab und kehrt zurück).
E l m i r e.
Wir beide haben schließlich andre Sorgen, als Szenen zu erleben wie heut morgen, denn dieser Auftritt war ja unerhört! Vor Angst um Sie war ich zu Anfang wie gelähmt. Und wenn ich mich auch - wie Sie sahen - mühte, Damis im Zaum zu halten und in Güte die Sache beizulegen, war ich doch zu tief beschämt, um alles abzuleugnen. Gott sei Dank ist schließlich doch noch alles gutgegangen, und wir sind sicherer, als wir es je verlangen und träumen konnten! Weil mein Mann ja blind und krank vor Ehrfurcht Ihnen gegenüber ist, ging das Gewitter an uns vorüber, und kein Blitz schlug ein -:
im Gegenteil - um diese Tugendritter zu ärgern, sollen Sie jetzt immer um mich sein! So guckt uns keiner mehr in unsre Karten - wir können ruhig jetzt die Tür verriegeln, und ich darf Ihnen auch mein Herz entsiegeln, wenn Sie das auch vielleicht nicht mehr erwarten -
T a r t u f f e.
Ja, ich gestehe, Gnädigste, ich bin erstaunt,
denn heute morgen waren Sie nicht halb so gut gelaunt -
E l m i r e.
Wie wenig müssen Sie uns Frauen kennen, hat mein geringer Widerstand Sie schon beleidigt! Sie ahnen nicht, worauf wir vor Verlangen brennen wenn eine Frau so schwächlich sich verteidigt. Die Scham verhindert uns in solchen Augenblicken, uns dem Geliebten ganz zu offenbaren, und lodert unser Herz auch vor Entzücken, will man die Haltung wenigstens bewahren. Man sagt entrüstet: nein! Jedoch am Ton, in dem man's sagt, erkennt der andre schon, daß es ein Ja bedeutet, dem nur unser Mund sich eine Weile schamvoll noch verschließt. Und dieser Widerstand, den man geheim genießt, verspricht schon alles und tut alles kund. Ich weiß: nun müßte ich mich selber hassen, da ich Sie in mein Herz hab blicken lassen!
Zu spät - nun habe ich das Wort schon ausgesprochen - Glauben Sie denn, ich hätte, um Damis zu zügeln, mir die Zunge fast zerbrochen, ich hätte, ohne wütend aufzufahren, Sie geduldig angehört, als Sie mit unbeschwerten, glühenden Worten Ihre Liebe mir erklärten - kurzum: ich hätte Ihnen nicht sofort das Wort verwehrt, hätt' ich dies alles insgeheim nicht gern gehört? Was trieb mich denn dazu, mit aller Kraft Sie von der Heirat mit Marianne abzubringen, wenn nicht die eigne, nur geheimgehaltne Leidenschaft? Und darum will es mir auch nicht gelingen, gleichmütig zuzusehn, wie man durch diese Ehe, die nun beschlossen ist, mir meine ältren Rechte auf Liebe raubt und mich aus eines Mannes Nähe vertreibt, den ich allein besitzen möchte!
T a r t u f f e.
Oh, Gnädigste, welch tiefe Seligkeit birgt dies Geständnis aus geliebtem Munde! All meine Sinne segnen diese Stunde in nie gekannter, süßer Trunkenheit! Mein ganzes Herz in Ihre Hand zu legen, bedeutet mir das höchste Erdenglück - Doch plötzlich taumle ich in irrer Angst zurück, weil sich - verzeihen Sie! - gelinde Zweifel regen:
es könnte sein, daß Sie mich nur mit kleinen Lügen blenden, um Mariannes Heirat abzuwenden -?
Ich kann - darf ich die Angst in Worte kleiden - die kaum erhoffte Wirklichkeit nicht fassen, eh' Sie mich nicht die ersten süßen Freuden der langersehnten Liebe kosten lassen und mich durch diese Gunst verpflichten, auf diese andre Ehe zu verzichten -
E l m i r e. (hustet, um Orgon zum Eingreifen zu veranlassen).
Mein Gott, verlangen Sie, daß auf den ersten Streich die Festung sich bedingungslos ergibt? Man ringt sich das Geständnis ab, daß man Sie liebt - und hat noch nicht genug getan?! Muß ich denn gleich, um Ihr Vertrauen wieder zu erringen, das allerletzte Liebesopfer bringen -?
T a r t u f f e.
Wenn man sich eines Glücks so wenig würdig fühlt, wagt man auch kaum, es wirklich zu erhoffen, und kann's nicht glauben - das bekenn ich offen - eh' man nicht mit den Engeln Harfe spielt - So wenig glaub ich, Ihre Güte zu verdienen und das verwegen angestrebte Ziel je zu erreichen, daß nur ein handgreifliches Zeichen, verehrte gnäd'ge Frau, von Ihnen mich von der Wahrheit überzeugen kann.
E l m i r e.
Sie sind ein unerbittlicher Tyrann in Ihrer Liebe! Und mein Herz ergreift Verwirrung und Bedrängnis, wenn Sie so gewaltsam in einem Siegeszug und unaufhaltsam erobern wollen, was sonst langsam reift. Gibt es denn keinen Schutz vor Ihrem Drängen, daß man nicht einmal Atem holen kann? Ich fühl mich wie in eines Tigers Fängen! Sie legen es ja mit Gewalt drauf an, die Schwachheit meines Herzens auszubeuten, um mich zum Letzten zu verleiten!
T a r t u f f e.
Ist Ihnen wirklich auch ums Herz so heiß:
warum verweigern Sie mir den Beweis?
E l m i r e.
Und wie verantworte ich das vor Gott, dem Herrn, dessen Gebote Sie uns ständig lehren?
T a r t u f f e.
Ist das der einz'ge Grund, weshalb Sie sich noch wehren, erlös ich Sie von diesen Skrupeln gern: die sollen unser Glück nicht länger hindern!
E l m i r e.
Droht Gottes Strafe nicht auch Liebessündern?
T a r t u f f e.
Von diesen lächerlichen Ängsten, schönste Frau, kann ich Sie spielend-leicht befreien. Der liebe Gott verbietet - nimmt man es genau - uns zwar gewisse Dinge, die das Herz erfreuen, doch läßt er selbstverständlich auch gelegentlich in ganz besondren Fällen mit sich handeln:
man kann - und das ist eine Wissenschaft für sich - die Sünde selbst in eine gute Tat verwandeln, indem man reinen Herzens sie begeht und beim Begehen Gottes Huld erfleht. Sie werden diese höhre Weisheit bald erfassen, wenn Sie sich gläubig von mir führen lassen. Vergessen Sie die dumme Angst! Sind Sie erst mein, soll alles andre meine Sorge sein.
(Elmire hustet heftig.)
Sie sind erkältet, Gnädigste?
E l m i r e.
Ich leide ganz unsäglich.
T a r tu f f e.
Wie wär's mit einem Stück Lakritze?
E l m i r e.
Danke. Für diesen bösen Husten, dran ich kranke, ist scheinbar eine Heilung sehr schwer möglich -
T a r t u f f e.
Wie traurig!
E l m i r e.
Trauriger, als Sie es ahnen -
T a r t u f f e.
Um Ihnen einen Weg aus Ihren Hemmungen zu bahnen, darf ich beteuern, daß ich streng verschwiegen bin. Und schließlich sündigt man im tiefsten Sinn nur dann, wenn es die böse Welt erfährt:
geheime Sünde ist nicht tadelnswert.
E l m i r e.
(nachdem sie nochmal laut gehustet und heftig auf den Tisch geschlagen hat).
Ich sehe ein, ich kann nicht länger widerstreben und muß mich Ihren Wünschen fügen, denn anders werden Sie sich nicht zufriedengeben und vom Verdacht befrein, ich wollte Sie belügen. Zwar kommt mir das - weiß Gott! - sehr bitter an, denn so war es wahrhaftig nicht gemeint. Doch da Sie's fordern, da man, wie es scheint, mit Worten Sie nicht überzeugen kann und Sie auf diesem Unterpfand bestehen -:
nun gut, so muß es denn geschehen.
Wenn ich mich dadurch einer Sünde schuldig mache, fällt sie auf den zurück, der sie erzwang, und alles andre ist nun Ihre Sache!
T a r t u f f e.
Ja, Gnädigste, so soll es sein mein Leben lang.
E l m i r e.
Schnell, öffnen Sie die Tür, und sehen Sie sich um, ob sich nicht draußen auf dem Flur mein Mann herumtreibt -?
T a r t u f f e.
Gar nicht nötig, denn er ist so dumm, daß man ihm sorglos auf der Nase tanzen kann! Ich habe ihn gottlob so weit gebracht, daß er nichts glaubt, mag er auch alles sehen. Und daß man ihn dabei zum Narren macht, wird unsren heimlichen Genuß erhöhen.
E l m i r e.
Ich bitte Sie trotzdem, gehn Sie geschwind, und sehen Sie, ob wir hier sicher sind!
(Tartuffe ab.)

SECHSTER AUFTRITT

Orgon. Elmire.

O r g o n. (unterm Tisch hervorkommend).
Ist das ein fürchterlicher Mensch! Ein wüstes Vieh! Das überleb ich nicht - das bricht mir noch das Herz.
E l m i r e.
Du zeigst dich schon? Das ist doch nur ein Scherz -?
Rasch wieder ins Versteck - es ist noch viel zu früh!
So harmlose Gespräche bringen dich schon aus dem Gleise?
Nein, warte noch: dann hast du die Beweise -
O r g o n.
Der Kerl ist eine Ausgeburt der Hölle!
E l m i r e.
Wie leicht bereut man später derart schnelle.
Urteile! Übereile nichts und lerne schweigen,
bis dich die Tatsachen endgültig überzeugen.
(Sie hört Tartuffe kommen und verbirgt Orgon hinter sich.)

SIEBENTER AUFTRITT

Tartuffe. Elmire. Orgon.

T a r t u f f e. (ohne Orgon zu bemerken).
Ich gratuliere, Gnädigste, die Sache glückt! Ich habe überall mich umgesehen:
kein Menschenwesen weit und breit. Ich bin entzückt ...
(Während er mit ausgebreiteten Armen auf Elmire zugeht, um sie an sich zu ziehen, tritt Elmire rasch beiseite, so daß er sich Orgon gegenübersieht.)
O r g o n. (tritt ihm entgegen).
Nur sachte - sachte! Nicht so wild aufs Ganze gehen mit Ihren leidenschaftlichen Gelüsten!
O Gott -: das also ist der fromme Mann, der sich nicht schämt, sich frech damit zu brüsten, daß er mir auf der Nase tanzen kann! Wie leicht Sie doch Ihr Gleichgewicht verlieren:
mein Kind will er zur Frau - und meine Frau verführen! Ich Dummkopf trottete da blind im Kreise und ließ die Warner seine Sünden büßen.
Doch nach dem Schauspiel, das Sie mich hier hören ließen, verzichte ich auf weitere Beweise.
E l m i r e. (zu Tartuffe).
Was hier geschah, war nicht nach meinem Willen:
Sie zwangen mich, Ihr Treiben zu enthüllen.
T a r t u f f e. (zu Orgon).
Sie könnten glauben ...?
O r g o n.
Schluß! Das Spiel ist aus! Kein Wort mehr, Herr. Verlassen Sie mein Haus!
T a r t u f f e.
Ich wollte doch nur...
O r g o n.
Reden hat hier keinen Zweck. Marsch, sag ich. Scheren Sie sich weg!
T a r t u f f e.
Wenn einer von uns beiden dieses Haus verläßt, so werden Sie es sein, Herr, das steht fest. Dies Haus hier ist mein Eigentum. Vergebliches Bemühen, rasch einen Streit vom Zaun zu brechen und meine Ehre in den Schmutz zu ziehen -:
ich habe Mittel, mich für diesen Schimpf zu rächen, den man mit diesem frech-frivolen Streich mir - und damit auch Gott zugleich - hier angetan hat! Sie bereuen es noch, daß Sie wagen, wie einen Dieb mich aus dem Haus zu jagen! (Ab.)

ACHTER AUFTRITT

Elmire. Orgon.

E l m i r e.
Was untersteht sich dieser Kerl? Was sagt er da?
O r g o n.
Verflucht! Da gibt es wirklich nichts zu lachen!
E l m i r e.
Warum?
O r g o n.
Ich war ein Tor! 0 Gott, was soll ich machen? Die Schenkung quält mich - und was noch geschah -
E l m i r e.
Die Schenkung?
O r g o n.
Das ist ein für allemal geschehen. Und doch ist das das Schlimmste nicht, was an mir frißt -
E l m i r e.
Was dann?
O r g o n.
Ich sag dir's später. Laß mich erst mal sehen, ob die Kassette meines Freundes nicht verschwunden ist....




FÜNFTER AUFZUG

ERSTER AUFTRITT

Orgon. Cléante.

C l é a n t e.
Wo wollen Sie denn hin?
O r g o n.
Weiß ich's?
C l é a n t e.
Mir scheint, es wäre an der Zeit, daß wir vereint
berieten, was man jetzt noch machen kann.
O r g o n.
Ich bin verzweifelt. Alles ist verloren. Hätte ich wenigstens noch die Kassette!
C l é a n t e.
Und was für ein Geheimnis hängt daran?
O r g o n.
Argas, mein armer Freund, gab sie mir in Verwahr, als er aus unsrem Lande flüchten mußte:
mich wählte er aus seiner Freundesschar als den Verläßlichsten sich, weil er wußte, von diesen Dokumenten, die er mir gegeben, hing alles für ihn ab - sogar sein Leben!
C l é a n t e.
Und dies Vertrauen haben Sie betrogen?
O r g o n.
Weil ich Gewissensbisse spürte, hab ich den Schandkerl ins Vertraun gezogen, der mich mit schlauen Reden rasch dazu verführte, zu treuen Händen die Kassette ihm zu übergeben, um selber nicht mehr in Gefahr zu schweben. Er meinte, käm' die Sache vor Gericht, könnte ich ruhig den Besitz bestreiten und es belaste auch mein Gewissen nicht, mit einem Eid der Strafe zu entgleiten.
C l é an t e.
0 weh, das sind mir freilich böse Dinge:
jetzt haben Sie den Kopf fest in der Schlinge! Wer so viel Trümpfe in den Händen hat, kann schon ein recht riskiertes Spielchen wagen. Von Ihnen aber war es doppelt dumm, ihn wegzujagen, da Sie doch wußten, daß das Blatt für Sie verteufelt schlecht stand. Und Sie hätten versuchen müssen, alles gütlich beizulegen, um wenigstens den letzten Rest zu retten!
O r g o n.
Mit diesem Schuft, der nur des Geldes wegen vor mir den gottergebnen Büßer spielte, auch noch verhandeln? Bettelarm hab ich ihn aufgenommen! Jetzt soll mir nochmal so ein frommer Bruder kommen:
ich will verdammt sein, wenn ich Mitleid fühlte! Ich werde grausam wie ein Teufel zu ihm sein.
C l é a n t e.
Warum nur immer alles übertreiben? Nein, Sie müssen endlich lernen, Maß zu halten, statt von der einen Torheit in die andre zu verfallen. Vernunft nur kann die Welt uns schön gestalten. Sie mußten einsehn, daß Sie in die Krallen eines verruchten Scharlatans geraten waren -:
muß man darum das Kind gleich mit dem Bad ausschütten, um nun mit jedem wahrhaft Frommen zu verfahren, als wär' er schuld dran, daß Sie Schaden litten? Nur weil ein frecher Gauner Sie mit seinen verwegnen Gaukeleien hinters Licht geführt, wollen Sie echte Gottesgläubigkeit verneinen und den verdammen, dem Ihr Dank gebührt? Nein, derart dumme Konsequenzen mag irgendein vernarrter Freigeist ziehen:
Sie aber sollten sich fortan erst recht bemühen, Scheinheiligkeit von wahrer Tugend abzugrenzen. Nie darf man sein Vertrauen wahllos-blind verschenken, wer von der graden Straße abweicht, hat sich bald verirrt. Man muß auf seiner Hut sein, wenn ein Heuchler uns umgirrt, und doch des wahren Frommen gern gedenken. Statt einen Unschuldigen zu verletzen, soll man viel eher mal auf eine falsche Karte setzen.

ZWEITER AUFTRITT

Orgon. Cléante. Damis.

D a m i s.
Herr Vater, ist es wirklich wahr, daß dieser Schuft es wagt, Sie zu bedrohen? Will er wahrhaftig jedes Anstands bar in frevelhaftem Übermut mit rohen Gewaltmaßnahmen Ihre Wohltaten vergelten?
0 r g o n.
Ja, lieber Sohn. Ich muß mich selber schelten -
D a m i s.
Ich werde ihn gottsjämmerlich verbläuen!
Ihm gegenüber weich zu werden, wäre dumm. Doch um Sie rasch von diesem Hundsfott zu befreien, gibt's noch ein beßres Mittelchen: ich bring ihn um!
C l é a n t e.
So tobt sich Jugend immer maßlos aus! Nein, junger Freund, mäßigen Sie sich bitte, denn übers Faustrecht sind wir längst hinaus. So was ist heutzutage nicht mehr Sitte, und es ist auch gefährlich, selbst zu richten!

DRITTER AUFTRITT

Frau Pernelle. Orgon. Elmire. Cléante. Marianne. Damis. Dorine.

F r a u P e r n e l l e.
Was hör ich da für schreckliche Geschichten?
0 r g o n.
Ich muß es diesmal leider selbst bezeugen, was mir der Kerl als Dank für meine Güte bot. Voll Mitleid half ich ihm aus seiner Not, ich nahm ihn auf, und was ich hatte, war sein eigen.
Er durfte wie mein Bruder mit mir leben, ich tat, was man für seinen besten Freund kaum tut - ich wollte ihm mein Kind zur Ehe geben und übertrug ihm all mein Hab und Gut -:
und nun sah ich den Gauner danach gieren, mir meine Frau heimtückisch zu verführen! Doch damit nicht genug: frech nutzt er mein Vertrauen und meine hirnverbrannte Güte aus, um darauf seine dunklen Pläne aufzubauen. Vertreiben will er mich aus meinem eignen Haus. Ich soll so arm sein, wie er selbst gewesen, als ich ihn von der Straße aufgelesen -
D o r i n e.
Der Gute!
F r a u P e r n e l l e.
Nein, ich kann's nicht glauben, lieber Sohn, daß er so schändlichen Vergehens fähig wäre.
O r g o n.
Oho!
F r a u P e r n e l l e.
Auf den Gerechten lauern Neid und Hohn!
O r g o n.
Was soll das heißen? Kommen Sie mir auch noch in die Quere, Frau Mutter?
F r a u P e r n e l l e.
Das soll heißen, daß man hier im Haus kein gottgefällig-frommes Leben führt und daß man ihn deshalb verfolgt mit neidgebornem Haß.
O r g o n.
Und wenn's so wäre - löscht das etwa aus, was hier geschehen ist?
F r a u P e r n e l l e.
In deiner frühsten Jugend war meiner Lehren stete Kehrreimmelodie:
nichts in der Welt ist so verhaßt wie wahre Tugend, die Neider sterben, doch der Neid stirbt nie!
O r g o n.
Was soll mir das? Geschehen ist geschehen.
F r a u P e r n e l l e.
Man ließ wahrscheinlich alle bösen Zungen auf dich los -
O r g o n.
Ich sagte doch: ich hab es selbst gesehen!
F r a u P e r n e l l e.
Die Bosheit der Verleumder ist erschrecklich groß.
O r g o n.
Sie quälen mich, Frau Mutter. Lassen Sie sich sagen, daß ich - ich selber - Zeuge dieser Schandtat war!
F r a u P e r n e l l e.
Das Gift, das Lästerzungen zu uns tragen, bringt auch den Stärksten in Gefahr.
O r g o n.
Das ist doch heller Wahnsinn! Nein, ich hab's gesehen!
Mit eignen Augen hab ich es gesehen, sag ich doch.
Gesehen!! Muß ich Ihnen das denn noch und noch
in Ihre Ohren schreien, daß Sie es verstehen?
F r a u P e r n e l l e.
Du lieber Gott! Wer danach urteilt, was er sieht, der täuscht sich oft: das ist ein altes Lied.
O r g o n.
Ich platze!
F r a u P e r n e l l e.
Argwohn ist dem Menschen angeboren, und Gottes Wille ist oft rätselvoll.
O r g o n.
So hat ihn Gott vielleicht dazu erkoren, daß er mir meine Frau verführen soll?!
F r a u P e r n e l l e.
Wer seinen Nächsten einer Schandtat zeihen will, muß dafür seine guten Gründe haben. Und darum hättest du ergeben-still abwarten müssen, bis sie sich ganz klar ergaben.
O r g o n.
Ei, gottsverdammt! Verlangen Sie noch bessere Beweise?
Abwarten sollte ich es wohl, bis er vor meinen Augen meine Frau ... Was rede ich daher? Sie bringen mich noch völlig aus dem Gleise!
F r a u P e r n e l l e.
Ach was, er ist ein wahrhaft frommer Mann. Drum will ich es nicht glauben und nicht hören, daß man ihm etwas vorwirft, was nicht wahr sein kann.
O r g o n.
0 Gott! Wenn Sie nicht meine Mutter wären, ich wüßte nicht, was ich in meiner Wut jetzt täte ...
D o r i n e. (zu Orgon).
Ja, so rächt sich alles, was man tut. Heut morgen wollten Sie uns um die Welt nicht glauben, und jetzt - jetzt glaubt man Ihnen nicht.
C l é a n t e.
Mit diesem unsinnigen Wortgeplänkel rauben wir uns die letzte Möglichkeit, dem Bösewicht die dunklen Pläne zu durchkreuzen.
D a m i s.
Wie? Sie nehmen an, daß er in seiner Perfidie es wirklich wagen könnte ...
E l m i r e.
Nein, das kann nicht sein. Sein Undank wäre allzu offensichtlich.
C l é an t e. (zu Orgon).
Verlassen Sie sich nicht darauf, denn er wird kein noch so gemeines Mittel scheuen, um sogar gerichtlich mit tausend heimtückischen Winkelzügen zu seinem Raub zu kommen und uns kleinzukriegen. Vorhin schon sagte ich es Ihnen ehrlich:
da Sie die Waffen ihm geliefert haben, war es sehr töricht und auch leider sehr gefährlich, daß Sie dem Lump so brüsk den Laufpaß gaben.
O r g o n.
Das seh ich ein. Was sollen wir nun unternehmen?
Als mir der Schuft so frech entgegentrat, konnte ich die Empörung über den Verrat beim besten Willen nicht bezähmen.
C l é a n t e.
Am besten wär's, geläng' es uns, zur Not Sie beide wieder halbwegs auszusöhnen -
E l m i r e.
Ich hätte wissen sollen, was uns droht, dann hätt ich es nie zu diesen Szenen je kommen lassen und wär' nicht so weit gegangen. Viel eher noch ...
O r g o n. (zu Dorine, als er Herrn Loyal eintreten sieht).
Was will der Herr? Geh hin und frag ihn, was er wünscht. Ich bin nicht in der Laune, jetzt Besuche zu empfangen.

VIERTER AUFTRITT

Orgon. Frau Pernelle. Elmire. Marianne. Cléante.
Damis. Dorine. Loyal.

L o y a l. (im Hintergrund der Bühne zu Dorine).
Gott grüße Sie, mein tugendsames Fräulein! Bitte führen Sie gütigst mich zum Hausherrn.
D o r i n e.
Leider hat er grad Besuch. Ich kann nicht garantieren, ob er zu sprechen ist -
L o y a l.
Es wär mir in der Tat höchst peinlich, käme ich hier ungelegen! Jedoch ich werde ihn nicht lange stören und hoffe auch, sein Wohlgefallen zu erregen.
D o r i n e.
Ihr Name bitte?
L o y a l.
Es genügt dem Herrn vielleicht, zu hören, daß Herr Tartuffe mich schickt in seiner Angelegenheit -

D o r i n e. (zu Orgon).
Da ist ein Mann, der höflich und gesittet im Auftrag Herrn Tartuffes um eine Unterredung bittet, von der er annimmt, daß sie Sie erfreut.
C l é a n t e. (zu Orgon).
Sie müssen unbedingt mit ihm verhandeln, um zu erfahren, wer er ist und was er bringt.
O r g o n. (zu Cléante).
Er kommt vielleicht, um wieder anzubandeln -? Wie soll ich mich verhalten, daß uns das gelingt?
C l é a n t e.
Bezähmen Sie vor allem Ihre Wut, und heißen Sie Versöhnungsangebote unbesehen gut.
L o y a l. (zu Orgon).
Ich grüße Sie, verehrter Herr! Der güt'ge Gott vernichte all Ihre Feinde und sei Ihnen stets so zugeneigt, wie ich es Ihnen wünsche!
O r g o n. (leise zu Cléante).
Dieses Süßholzraspeln zeigt, daß er zu Kreuze kriecht und die Geschichte in Ordnung bringen will!
L o y a l.
Mein Herr, Ihr Haus war mir von jeher ganz besonders lieb und teuer:
schon Ihr Herr Vater schickte mich zu manchem Auftrag aus.
O r g o n.
Verzeihen Sie, mein Herr, es tut mir ungeheuer leid, daß ich mich nicht mehr erinnern kann, wer Sie ...
L o y a l.
Ich heiße Loyal und stamme aus der Normandie. Ich bin - wenn mich auch schlechte Menschen darum hassen - hier als Gerichtsvollzieher angestellt und muß seit vierzig Jahren mich damit befassen - mit Gottes Hilfe und als Ehrenmann vor aller Welt! -, Gerechtigkeit zu üben. Und so komm ich auch zu Ihnen, wertet Herr, um hier nach Recht und Brauch in Anbetracht vorausgegangner Streitigkeiten auftragsgemäß zur Exekution zu schreiten.
O r g o n.
Sie kommen...?
L o y a l.
Wollen Sie doch gütigst nicht erschrecken! Ich komme, um ein Urteil zu vollstrecken:
Sie müssen dieses Haus hier ohne Säumen mit allem Hausrat nebst den werten Anverwandten räumen.
O r g o n.
Ich soll dies Haus...?
L o y a l.
Ja, ich muß darum bitten.
Sie wissen doch, dies Haus gehört nun unbestritten dem guten Herrn Tartuffe. Und außerdem ist auch Ihr ganzes Hab und Gut sein eigen. Ich hin bereit, sofern es Ihnen angenehm, den rechtlich gültigen Vertrag der Schenkung vorzuzeigen, an dem jedweder Widerspruch zerbricht.
D a m i s. (zu Loyal).
Die Frechheit ist ja einfach beispiellos!
L o y a l. (zu Damis).
Mit Ihnen, junger Mann, verhandle ich hier nicht. (Auf Orgon deutend.)
Mit diesem Herrn da rede ich. Er denkt zu groß und gütig, und er ist als frommer Christ der Letzte, der sich den Anordnungen des Gerichtes widersetzte!

0 r g o n.
Erlauben Sie ...
L o y a l.
Und wenn man Ihnen Millionen böte, Sie wagten nicht, den Gang des Rechtes aufzuhalten. Als Ehrenmann ertragen Sie ergeben alle Nöte und lassen mich hier meines Amtes walten.
D a m i s.
Von mir kann dieser Kerl im schwarzen Kittel sich gern eine gut gemessene Tracht Prügel holen!
L o y a l. (zu Orgon).
Es sei dem jungen Herrn doch angelegentlichst empfohlen, zu schweigen oder fortzugehen, denn ansonst wär' ich gezwungen, werter Herr, der Ordnung wegen protokollarisch seine Drohung festzulegen!
Das merke er sich ein für allemal.
D o r i n e. (für sich).
Herr Loyal benimmt sich wenig loyal -
L o y a l.
Ich liebe alle guten Menschen herzlich und habe diesen Auftrag, lieber Herr, nur übernommen, weil ich mir dachte, Ihnen wäre es willkommen und Sie empfänden es vielleicht besonders schmerzlich, hätt' man an meiner Stelle einen Mann gewählt, dem Takt und Höflichkeit des Herzens fehlt.
O r g o n.
Was kann man einem Menschen Schlimmres antun, als Hals über Kopf ihn aus dem Haus zu jagen?
L o y a l.
Wir lassen Ihnen gerne Zeit, Herr. Jedenfalls kann ich die Exekution bis morgen früh vertagen. Damit die Sache auch formell in Ordnung geht, erscheine ich heut abend mit zehn Mann bei Ihnen - völlig unauffällig und diskret! Und Sie vertrauen mir die Schlüssel Ihres Hauses an, eh' Sie zu Bett gehn. Niemand wird Sie stören, und was geschehen muß, geschieht in allen Ehren. Am nächsten Morgen halten Sie sich bitte früh bereit, das Haus bis auf das kleinste Möbelstück zu räumen, und meine Leute werden Ihnen jederzeit behilflich sein, damit Sie nicht die Frist versäumen. Ich werde alles streng vermeiden, was den Akt erschwert, doch dafür darf ich auch verlangen, daß Sie morgen nach besten Kräften dafür sorgen, daß niemand mich bei meiner Arbeit stört!
O r g o n. (für sich).
Die letzten hundert Louisdor, die mir verbleiben, gäb' ich mit innigem Vergnügen hin, könnt' ich dem Kerl dafür so recht nach meinem Sinn eins kräftig unter seine freche Nase reiben!
C l é a n t e. (leise zu Orgon).
Jetzt kommt's drauf an, die Ruhe zu bewahren.
D a m i s.
Kaum halt ich's aus - ich fühl die Hand mich jucken, dem Burschen für sein unverfrorenes Gebaren ...
D o r i n e.
Ich finde auch, Herr Loyal, Ihr feister Rücken böt' reichlich Platz für einen derben Stock!
L o y a l.
Ich könnte Ihre losen Reden bitter sühnen, mein süßes Kind, so wie Sie es verdienen:
vor Strafe schützt bekanntlich auch kein Weiberrock.

C l é a n t e. (zu Loyal).
Es ist wohl Zeit, den Wortstreit zu beendigen. Ich bitte Sie, uns Ihren Auftrag auszuhändigen und dann gefälligst Ihres Wegs zu gehen.
L o y a l. (überreicht ihm den Räumungsbefehl).
Sehr gern, mein Herr. Auf frohes Wiedersehen! Gott segne Sie, so wie er Sie bisher beglückt hat! (Ab.)
0 r g o n.
Der Teufel hole dich und den, der dich geschickt hat!

FÜNFTER AUFTRITT

Orgon. Frau Pernelle. Elmire. Cléante. Marianne. Damis. Dorine.

O r g o n.
Und nun, Frau Mutter? Hatte ich nicht recht? Läßt auch dies Schriftstück Sie noch nicht verstehen, trotzdem Sie alles selbst mit angesehen, daß er ein Lump ist und von Grund auf schlecht -?
F r a u P e r n e l l e.
Ich bin - weiß Gott - wie vor den Kopf geschlagen - aus allen Wolken falle ich -!
D o r i n e.
Ich weiß nicht recht, warum Sie sich beklagen? Der fromme Plan des Gottesmanns verwirklicht sich, den er aus purer Nächstenliebe sich ersann:
er weiß, wie leicht das Heil der Menschen, die zu viel besitzen, an Hab und Gut und Geld gefährdet werden kann, und um uns davor zu beschützen, hat er uns - reinweg aus Barmherzigkeit - von diesem goldnen Überfluß befreit -
0 r g o n.
Halt deinen Mund! Wie oft muß ich das sagen?
C l é a n t e. (zu Orgon).
Erwägen wir doch lieber alle Möglichkeiten, die uns noch bleiben.
E l m i r e.
Allen Leuten muß man sein undankbares, schändliches Betragen ins Ohr posaunen -: das macht den Vertrag zunichte. Erscheint der Kerl mit seinem heimtückischen Spiel vor aller Welt im rechten Lichte, erreicht er sicher nicht sein Ziel!

SECHSTER AUFTRITT

Valère. Orgon. Frau Pernelle. Elmire. Cléante. Marianne. Damis. Dorine.

V a l è r e.
Verzeihen Sie, mein Herr, daß ich Sie ganz und gar unangemeldet überfalle! Doch es eilt, denn jeder Augenblick des Zögerns bringt Gefahr. Ein Freund, der Freud und Leid mit mir getreulich teilt und weiß, wie sehr Ihr Schicksal mich berührt in allen Dingen, hat mir zuliebe seine Schweigepflicht verletzt, die er dem Staate schuldet, und mir eben jetzt Nachrichten übermittelt, die Sie zwingen, sofort aus unsrem Land zu flüchten! Der Lump, der Sie am Narrenseil geführt, hat Sie aus Rachbegier beim König denunziert. Er hat - so wußte man mir zu berichten - ihm die Kassette eines Staatsverbrechers ausgehändigt mit höchst verräterischen Protokollen, die Sie, obwohl vom Inhalt ganz genau verständigt, entgegen Ihrer Bürgerpflicht verborgen haben sollen. Noch kenn ich nicht die nähren Einzelheiten, doch ist bereits ein Haftbefehl ergangen -:
und er, der Schuft, soll den Beamten selbst begleiten, um so sicherer Sie einzufangen!

C l é an t e.
Der Plan ist klar: nur so kann's ihm gelingen, die Beute ungestraft in Sicherheit zu bringen.
O r g o n.
Ein böses Tier ist dieser Mensch fürwahr!
V a l è r e.
Auch das geringste Zögern bringt Sie in Gefahr! Mein Wagen steht schon vor der Tür zur Flucht bereit, und hier sind tausend Louisdor für Ihren Unterhalt. Verlieren Sie um Gottes willen keine Zeit, denn dieses Streiches tödlicher Gewalt kann man sich nur durch rasche Flucht entziehen. Ich führe Sie und werde Sie begleiten, bis Sie vor der Gefahr und allen Widrigkeiten geschützt sind.
0 r g o n.
Es ist rührend, wie Sie sich bemühen!
So bleibt mir nur der fromme Wunsch: Gott gebe, daß ich den heiß erflehten Tag erlebe, an dem ich Ihnen alles das vergelten kann, was Sie als treuer Freund an mir getan! Lebt wohl, ihr alle! Und seid immer treu bemüht
C l é a n t e.
Nur fort! Was hier zu tuen ist, geschieht. (Er drängt Orgon hinaus.)

SIEBENTER AUFTRITT

Tartuffe. Ein Polizeibeamter. Frau Pernelle. Orgon. Elmire.
Cléante. Marianne. Valère. Damis. Dorine.

T a r t u f f e. (tritt Orgon entgegen und hält ihn auf).
Nur sachte - sachte, Herr, warum so eilig?
Es ist nicht weit zu dem Quartier, das für Sie offensteht.
Im Namen Seiner Gnädigen Majestät:
Sie sind verhaftet!
O r g o n.
Ist dir gar nichts heilig, du niederträchtiger Verräter? Dieser Schlag, mit dem du mich zugrunde richtest, mag für dich die Krone deiner Schurkereien sein -
T a r t u f f e.
Ich bin erhaben über solche Schimpferein,
die mich im Innren nicht berühren:
ich bin gewohnt, für Gott das Ärgste zu ertragen.
C l é a n t e.
Sie halten sich im Zaum - das muß man sagen!
D a m i s.
Und so ein Schuft wagt, Gott im Mund zu führen!
T a r t u f f e.
Ihr wütendes Gekläff erregt mich nicht:
ich stehe hier und tue meine Pflicht.
M a r i a n n e.
Sie haben allen Grund, sich hier im Haus mit diesem Auftrag auch noch aufzuspielen -
T a r t u f f e.
Geht solch ein Auftrag von so hoher Stelle aus, hat man das Recht, sich hochgeehrt zu fühlen.
0 r g o n.
Daß ich dir half aus tiefer - tiefer Not, das hast du Undankbarer - scheint's - vergessen?!

T a r t u f f e.
0 nein. Ich weiß, daß man mir manches bot. Doch meines Königs und des Staates Interessen stehen mir höher als private Dankbarkeit:
sie sind mir heilig! Darum bin ich stets bereit, für sie das Allerletzte hinzugeben:
Freund, Frau und Anverwandte selbst das eigne Leben!
E l m i r e.
Verlogner Lump!
D a m i s.
Wie das dem Schandkerl immer glückt, daß er aus allem sich, was wir verehren, ein Lügenmäntelchen zusammenflickt!
C l é a n t e.
Wenn es so ist, wie Sie es uns erklären, daß Sie hier nur im Staatsintresse handeln, warum hat Ihr Gewissen sich erst dann geregt, als es ans Licht kam, daß Sie es drauf angelegt, heimtückisch mit der Frau des Hausherrn anzubandeln? Und warum haben Sie ihn jetzt erst denunziert, als er gezwungen war, Sie aus dem Haus zu jagen? Stand Ihr Entschluß schon fest, ihn anzuklagen, wie konnten Sie sich trotzdem ungeniert von ihm sein Haus und sein Vermögen übereignen lassen?
T a r t u f f e. (zum Polizeibeamten).
Mein Herr, ich bitte Sie, jetzt zuzufassen, um mich von diesem Schwätzer zu befrein!
P o l i z e i b e a m t e r.
Sie haben recht. Auch mir scheint's an der Zeit zu sein.
Und da Sie mich drum bitten, fasse ich nun endlich zu: Sie sind verhaftet! Und Sie folgen mir jetzt ins Gefängnis, wo schon ein Quartier für Sie bereitsteht.
T a r t u f f e.
Wie?! Sie meinen mich?
P o l i z e i b e a m t e r.
Ja, freilich.
T a r t u f f e.
Ins Gefängnis - ich?! Wer unterstände ...
P o l i z e i b e a m t e r.
Nicht Ihnen hab ich dies Geheimnis zu entdecken. (Zu Organ.) Erholen Sie sich nun von Ihrem Schrecken, verehrter Herr, das Spiel ist nun zu Ende! Denn uns regiert ein König, der ein Feind der Lüge ist, ein Herrscher, der ins Herz der Menschen blickt und sich nicht täuschen läßt durch Trug und Hinterlist, betreibt man auch das Spiel noch so geschickt! Er läßt nicht das Geringste sich entgleiten, er übereilt nichts, und mit unbeirrbarem Verstand prüft er die kleinsten Kleinigkeiten und hält die Zügel fest in seiner Hand. Die wahrhaft Frommen stehen hoch bei ihm in Ehren, und doch macht diese Liebe ihn nicht blind:
grad weil ihm echte Christen lieb und teuer sind, weiß er sich aller Heuchler zu erwehren. Auch dieser da vermochte nicht, ihn einzufangen viel feinren Netzen ist er schon entgangen! Sofort hat Seine Majestät erkannt, daß hier ein abgefeimter Gauner vor ihm stand. Doch als er Sie verriet, hat er sich selbst verraten und - Gottes Mühlen mahlen langsam, aber fein! - sich vor dem höchsten Herrn entpuppt als ein Verbrecher, der unzählig viele Missetaten getarnt mit falschem Namen schon begangen hat! Und wollte man sein Schuldregister ganz enthüllen, so könnte man damit leicht Blatt für Blatt ein paar gewichtig-dicke Bände füllen. Kurzum: als Seine Majestät erkannte, welch schnöden Mißbrauch er mit Ihrer Güte trieb, schrieb er's zum andren. Und wenn ich so ruhig blieb, geschah's nur, um zu sehn, wie weit er sich verrannte in seiner bodenlosen Frechheit, um ihn dann der Strafe zuzuführen, der er nicht entrinnen kann. Der König gab mir den Befehl, ich soll ihm jedes Schriftstück nehmen, das Sie je ihm gaben, auch den Vertrag, mit dem Sie ihm vertrauensvoll Ihr Haus und all Ihr Hab und Gut verschrieben haben. Doch damit nicht genug, vergibt er Ihnen, daß Sie, um einem alten Freund zu dienen, dessen Papiere bei sich aufbewahrten:
das ist der Dank dafür, daß Sie in vorbildlicher Treue sich einstmals schützend um ihn scharten, als er um seine Königsrechte rang. Aufs neue will er beweisen, daß er keine gute Tat vergißt und treuen Untertanen dankbar ist. Wo er nur kann, vergibt er seinen Feinden, die guten Menschen aber macht er sich zu Freunden.
D o r i n e.
Gott sei gelobt!
F r a u P e r n e l l e.
Ich atme auf!
E l m i r e.
Wir sind gerettet!
0 r g o n. (zu Tartuffe, der von dem Beamten abgeführt wird).
Du Schandkerl, du - jetzt kriegst du deinen Lohn!
(Polizeibeamter mit Tartuffe ab.)

ACHTER AUFTRITT

Frau Pernelle. Organ. Elmire. Marianne. Cléante. Valère. Damis. Dorine.

C l é a n t e.
Halt, lieber Schwager, nicht in diesem Ton! Da uns der König aller Qual entkettet, ist's doppelt unsre Pflicht, die Würde zu bewahren. Der Elende geht der verdienten Strafe nun entgegen, und sollte sein Gewissen sich noch regen, wär's häßlich, ihn mit harten Worten anzufahren. Wir wollen lieber hoffen, daß er seine Tat bereut und sich bekehrt zu tugendhaftem Leben, so daß vielleicht nach seiner Strafe Prüfungszeit der König sich herbeiläßt, seine Schuld ihm zu vergeben. Sie aber eilen jetzt, um ihm auf Ihren Knien zu danken, daß er Ihnen gnädigst seine Hold geliehen!
0 r g o n.
Das ist das rechte Wort zur rechten Zeit. Mit Freuden werfe ich mich ihm zu Füßen, um Seiner Majestät in tiefer Dankbarkeit zu huldigen. Dann will ich den in meine Arme schließen und durch die Tat ihm meinen Dank beteuern, der treu für seine Liebe litt und Stritt - und wir beschließen diesen Tag damit, daß wir Valères und Mariannes Hochzeit feiern!

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