Johann Wolfgang von Goethe
Der Tragödie zweiter Teil
gekürzte Fassung der Spielgemeinschaft
ODYSSEE
in fünf Akten
Erster Akt
Anmutige Gegend
Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet,
unruhig, schlafsuchend. Dämmerung. Geisterkreis
schwebend bewegt, anmutige kleine Gestalten.
ARIEL. (Gesang, von Äolsharfen begleitet.)
Die ihr dies Haupt umschwebt im luft'gen Kreise,
Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,
Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,
Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,
Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.
Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.
Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,
Dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut;
Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,
Wenn er gestärkt dem Tag entgegenruht;
Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,
Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.
(Ungeheures Getöse verkündet das Herannahen der
Sonne.)
ARIEL.
Horchet! horcht dem Sturm der Horen!
Tönend wird für Geistesohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsentore knarren rasselnd,
Phöbus' Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört sich nicht.
Schlüpfet zu den Blumenkronen,
Tiefer, tiefer, still zu wohnen,
In die Felsen, unters Laub;
Trifft es euch, so seid ihr taub.
FAUST. Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,
Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen;
Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig
Und atmest neu erquickt zu meinen Füßen,
Beginnest schon, mit Lust mich zu umgeben,
Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. -
In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben,
Und Zweig und Äste, frisch erquickt, entsprossen
Dem duft'gen Abgrund, wo versenkt sie schliefen;
Auch Farb' an Farbe klärt sich los vom Grunde,
Wo Blum' und Blatt von Zitterperle triefen -
Ein Paradies wird um mich her die Runde.
Hinaufgeschaut! - Der Berge Gipfelriesen
Verkünden schon die feierlichste Stunde;
Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen,
Das später sich zu uns hernieder wendet.
Sie tritt hervor! - und leider schon geblendet,
Kehr' ich mich weg, vom Augenschmerz
durchdrungen.
So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!
Der Wassersturz, das Felsenriff durchbrausend,
Ihn schau' ich an mit wachsendem Entzücken.
Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend,
Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer,
Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,
Umher verbreitend duftig kühle Schauer.
Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.
Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:
Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.
Kaiserliche Pfalz. Saal des Thrones
Staatsrat in Erwartung des Kaisers. Trompeten.
Hofgesinde aller Art, prächtig gekleidet, tritt vor.
Der Kaiser gelangt auf den Thron, zu seiner
Rechten der Astrolog.
KAISER. Und also, ihr Getreuen, Lieben,
Willkommen aus der Näh' und Ferne!
Doch sagt, warum in diesen Tagen,
Wo wir der Sorgen uns entschlagen,
Und Heitres nur genießen wollten,
Warum wir uns ratschlagend quälen sollten?
Doch weil ihr meint, es ging' nicht anders an,
Geschehen ist's, so sei's getan.
KANZLER.
Die höchste Tugend, wie ein Heiligenschein,
Umgibt des Kaisers Haupt; nur er allein
Vermag sie gültig auszuüben:
Gerechtigkeit! - Was alle Menschen lieben,
Was alle fordern, wünschen, schwer entbehren,
Es liegt an ihm, dem Volk es zu gewähren.
Doch ach! Was hilft dem Menschengeist Verstand,
Dem Herzen Güte, Willigkeit der Hand,
Wenn's fieberhaft durchaus im Staate wütet
Und Übel sich in Übeln überbrütet?
Der raubt sich Herden, der ein Weib,
Kelch, Kreuz und Leuchter vom Altare,
Berühmt sich dessen manche Jahre
Mit heiler Haut, mit unverletztem Leib.
Der Bürger hinter seinen Mauern,
Der Ritter auf dem Felsennest
Verschwuren sich, uns auszudauern,
Und halten ihre Kräfte fest.
Der Mietsoldat wird ungeduldig,
Mit Ungestüm verlangt er seinen Lohn,
Und wären wir ihm nichts mehr schuldig,
Er liefe ganz und gar davon.
Ein jeder hat für sich zu tun.
Die Goldespforten sind verrammelt,
Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt,
Und unsre Kassen bleiben leer.
KAISER (nach einigem Nachdenken zu
Mephistopheles.)
Sag, weißt du Narr nicht auch noch eine Not?
MEPHISTOPHELES.
Ich? Keineswegs.
Wo fehlt's nicht irgendwo auf dieser Welt?
Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld.
Vom Estrich zwar ist es nicht aufzuraffen;
Doch Weisheit weiß das Tiefste herzuschaffen.
In Bergesadern, Mauergründen
Ist Gold gemünzt und ungemünzt zu finden,
Und fragt ihr mich, wer es zutage schafft:
Begabten Manns Natur- und Geisteskraft.
KANZLER.
Natur und Geist - so spricht man nicht zu
Christen.
Deshalb verbrennt man Atheisten,
Weil solche Reden höchst gefährlich sind.
Natur ist Sünde, Geist ist Teufel,
Sie hegen zwischen sich den Zweifel,
Ihr mißgestaltet Zwitterkind.
MEPHISTOPHELES.
Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.
KAISER. Dadurch sind unsre Mängel nicht erledigt,
Es fehlt an Geld, nun gut, so schaff es denn.
MEPH. Ich schaffe, was ihr wollt, und schaffe mehr;
Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer;
Es liegt schon da, doch um es zu erlangen,
Das ist die Kunst, wer weiß es anzufangen?
Bedenkt doch nur: in jenen Schreckensläuften,
Wo Menschenfluten Land und Volk ersäuften,
Wie der und der, so sehr es ihn erschreckte,
Sein Liebstes da- und dortwohin versteckte.
So war's von je in mächtiger Römer Zeit,
Und so fortan, bis gestern, ja bis heut.
Das alles liegt im Boden still begraben,
Der Boden ist des Kaisers, der soll's haben.
KANZLER.
Für einen Narren spricht er gar nicht schlecht,
Das ist fürwahr des alten Kaisers Recht.
ASTROLOG (wie oben.)
Herr, mäßige solch dringendes Begehren,
Laß erst vorbei das bunte Freudenspiel;
Zerstreutes Wesen führt uns nicht zum Ziel.
Erst müssen wir in Fassung uns versühnen,
Das Untre durch das Obere verdienen.
Wer Gutes will, der sei erst gut;
Wer Freude will, besänftige sein Blut;
Wer Wein verlangt, der keltre reife Trauben;
Wer Wunder hofft, der stärke seinen Glauben.
KAISER. So sei die Zeit in Fröhlichkeit vertan!
Und ganz erwünscht kommt Aschermittwoch an.
Indessen feiern wir, auf jeden Fall,
Nur lustiger das wilde Karneval.
(Trompeten. Exeunt.)
MEPHISTOPHELES.
Wie sich Verdienst und Glück verketten,
Das fällt den Toren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten,
Der Weise mangelte dem Stein.
Weitläufiger Saal mit Nebengemächern
verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz
KNABE LENKER. Plutus, des Reichtums Gott genannt,
Derselbe kommt in Prunk daher,
Der hohe Kaiser wünscht ihn sehr.
PLUTUS. Nun ist es Zeit, die Schätze zu entfesseln!
Die Schlösser treff' ich mit des Herolds Rute.
Es tut sich auf! schaut her! in ehrnen Kesseln
Entwickelt sich's und wallt von goldnem Blute,
Zunächst der Schmuck von Kronen, Ketten,
Ringen;
Es schwillt und droht, ihn schmelzend zu
verschlingen.
WECHSELGESCHREI DER MENGE.
Seht hier, o hin! wie's reichlich quillt,
Die Kiste bis zum Rande füllt. -
Man bietet's euch, benutzt's nur gleich
Und bückt euch nur und werdet reich. -
HEROLD. Was soll's, ihr Toren? soll mir das?
Es ist ja nur ein Maskenspaß.
Heut abend wird nicht mehr begehrt;
Glaubt ihr, man geb' euch Gold und Wert?
GESCHREI UND GEDRÄNG.
O weh! Es ist um uns getan. -
Entfliehe, wer entfliehen kann! -
Zurück, zurück, du Hintermann! -
NYMPHEN IM CHOR. (Sie umschließen den
großen Pan.)
Auch kommt er an! -
Das All der Welt
Wird vorgestellt
Im großen Pan.
Ihr Heitersten, umgebet ihn,
Im Gaukeltanz umschwebet ihn:
DEPUTATION DER GNOMEN
(an den großen Pan.)
Wenn das glänzend reiche Gute
Fadenweis durch Klüfte streicht,
Nur der klugen Wünschelrute
Seine Labyrinthe zeigt,
Wölben wir in dunklen Grüften
Troglodytisch unser Haus,
Und an reinen Tageslüften
Teilst du Schätze gnädig aus.
Dies vermagst du zu vollenden,
Nimm es, Herr, in deine Hut:
Jeder Schatz in deinen Händen
Kommt der ganzen Welt zugut.
HEROLD (den Stab anfassend, welchen Plutus
in der Hand behält.)
Die Zwerge führen den großen Pan
Zur Feuerquelle sacht heran;
Sie siedet auf vom tiefsten Schlund,
Dann sinkt sie wieder hinab zum Grund,
Und finster steht der offne Mund;
Wallt wieder auf in Glut und Sud,
Der große Pan steht wohlgemut,
Freut sich des wundersamen Dings,
Und Perlenschaum sprüht rechts und links.
Wie mag er solchem Wesen traun?
Er bückt sich tief hineinzuschaun. -
Nun aber fällt sein Bart hinein! -
Wer mag das glatte Kinn wohl sein?
Die Hand verbirgt es unserm Blick. -
Nun folgt ein großes Ungeschick:
Der Bart entflammt und fliegt zurück,
Entzündet Kranz und Haupt und Brust,
Zu Leiden wandelt sich die Lust. -
Zu löschen läuft die Schar herbei,
Doch keiner bleibt von Flammen frei,
Und wie es putscht und wie es schlägt,
Wird neues Flammen aufgeregt;
Verflochten in das Element,
Ein ganzer Maskenklump verbrennt.
O ewig unglücksel'ge Nacht,
Was hast du uns für Leid gebracht!
Verkünden wird der nächste Tag,
Was niemand willig hören mag;
Doch hör' ich aller Orten Schrein:
»Der Kaiser leidet solche Pein.«
O wäre doch ein andres wahr!
Der Kaiser brennt und seine Schar.
Schon geht der Wald in Flammen auf,
Sie züngeln lackend spitz hinauf
Ein Aschenhaufen einer Nacht
Liegt morgen reiche Kaiserpracht.
PLUTUS.
Schrecken ist genug verbreitet,
Hilfe sei nun eingeleitet! -
Schlage, heil'gen Stabs Gewalt,
Daß der Boden bebt und schallt!
Du, geräumig weite Luft,
Fülle dich mit kühlem Duft!
Zieht heran, umherzuschweifen,
Nebeldünste, schwangre Streifen,
Deckt ein flammendes Gewühl!
Rieselt, säuselt, Wölkchen kräuselt,
Schlüpfet wallend, leise dämpfet,
Löschend überall bekämpfet,
Ihr, die lindernden, die feuchten,
Wandelt in ein Wetterleuchten
Solcher eitlen Flamme Spiel! -
Drohen Geister, uns zu schädigen,
Soll sich die Magie betätigen.
Lustgarten
Morgensonne.
Der Kaiser, Hofleute · Faust, Mephistopheles,
anständig, nicht auffallend, nach Sitte gekleidet;
beide knieen.
FAUST.
Verzeihst du, Herr, das Flammengaukelspiel?
KAISER (zum Aufstehn winkend.)
Ich wünsche mir dergleichen Scherze viel. -
Auf einmal sah ich mich in glühnder Sphäre,
Es schien mir fast, als ob ich Pluto wäre.
Aufwirbelten viel tausend wilde Flammen
Und flackerten in ein Gewölb' zusammen.
Durch fernen Raum gewundner Feuersäulen
Sah ich bewegt der Völker lange Zeilen,
Sie drängten sich im weiten Kreis heran
Und huldigten, wie sie es stets getan.
Von meinem Hof erkennt' ich ein und andern,
Ich schien ein Fürst von tausend Salamandern.
MEPHISTOPHELES.
Das bist du, Herr! weil jedes Element
Die Majestät als unbedingt erkennt.
Gehorsam Feuer hast du nun erprobt;
Wirf dich ins Meer, wo es am wildsten tobt,
Und kaum betrittst du perlenreichen Grund,
So bildet wallend sich ein herrlich Rund;
.....
Den Sitz alsdann auf des Olymps Revier...
KAISER. Die luft'gen Räume, die erlass' ich dir:
Noch früh genug besteigt man jenen Thron.
MEPHISTOPHELES.
Und, höchster Herr! die Erde hast du schon.
KAISER.
Welch gut Geschick hat dich hieher gebracht,
Unmittelbar aus Tausend Einer Nacht?
KANZLER, (der langsam herankommt.)
Durchlauchtigster, ich dacht' in meinem Leben
Vom schönsten Glück Verkündung nicht zu geben:
Rechnung für Rechnung ist berichtigt,
Die Wucherklauen sind beschwichtigt.
Los bin ich solcher Höllenpein;
Im Himmel kann's nicht heitrer sein.
So hört und schaut das schicksalschwere Blatt,
Das alles Weh in Wohl verwandelt hat.
Er liest. »Zu wissen sei es jedem, der's begehrt:
Der Zettel hier ist tausend Kronen wert.
Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand,
Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.
Nun ist gesorgt, damit der reiche Schatz,
Sogleich gehoben, diene zum Ersatz.«
KAISER. Und meinen Leuten gilt's für gutes Gold?
Dem Heer, dem Hofe gnügt's zu vollem Sold?
So sehr mich's wundert, muß ich's gelten lassen.
MEPHISTOPHELES.
Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt,
Ist so bequem, man weiß doch, was man hat;
Man braucht nicht erst zu markten, noch zu
tauschen,
Kann sich nach Lust in Lieb' und Wein
berauschen.
KAISER. Das hohe Wohl verdankt euch unser Reich;
Erfüllt mit Lust die Würden eures Platzes,
Wo mit der Obern sich die Unterwelt,
In Einigkeit beglückt, zusammenstellt.
MEPHISTOPHELES (solus.)
Wer zweifelt noch an unsres Narren Witz!
Finstere Galerie
Faust. Mephistopheles.
MEPHISTOPHELES.
Was ziehst du mich in diese düstern Gänge?
FAUST.
Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn,
Will Helena und Paris vor sich sehn;
Das Musterbild der Männer so der Frauen
In deutlichen Gestalten will er schauen.
Geschwind ans Werk! ich darf mein Wort nicht
brechen.
MEPHISTOPHELES.
Unsinnig war's, leichtsinnig zu versprechen.
FAUST. Du hast, Geselle, nicht bedacht,
Wohin uns deine Künste führen;
Erst haben wir ihn reich gemacht,
Nun sollen wir ihn amüsieren.
MEPHISTOPHELES.
Du wähnst, es füge sich sogleich;
Denkst Helenen so leicht hervorzurufen
Wie das Papiergespenst der Gulden. -
Mit Hexen-Fexen, mit Gespenst-Gespinsten,
Kielkröpfigen Zwergen steh' ich gleich zu
Diensten;
Doch Teufels-Liebchen, wenn auch nicht zu
schelten,
Sie können nicht für Heroinen gelten.
FAUST. Da haben wir den alten Leierton!
Bei dir gerät man stets ins Ungewisse.
Der Vater bist du aller Hindernisse,
Für jedes Mittel willst du neuen Lohn.
Mit wenig Murmeln, weiß ich, ist's getan;
Wie man sich umschaut, bringst du sie zur Stelle.
MEPHISTOPHELES.
Das Heldenvolk geht mich nichts an,
Es haust in seiner eignen Hölle;
Doch gibt's ein Mittel.
FAUST. Sprich, und ohne Säumnis!
MEPHISTOPHELES.
Ungern entdeck' ich höheres Geheimnis.
Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,
Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit;
Von ihnen sprechen ist Verlegenheit.
Die Mütter sind es!
FAUST, (aufgeschreckt.)Mütter!
MEPHISTOPHELES. Schaudert's dich?
FAUST. Die Mütter! Mütter! - 's klingt so
wunderlich!
MEPHISTOPHELES.
Das ist es auch. Göttinnen, ungekannt
Euch Sterblichen, von uns nicht gern genannt.
Nach ihrer Wohnung magst ins Tiefste schürfen;
Du selbst bist schuld, daß ihrer wir bedürfen.
FAUST. Wohin der Weg?
MEPHISTOPHELES. Kein Weg! Ins Unbetretene,
Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene,
Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? -
Nicht Schlösser sind, nicht Riegel wegzuschieben,
Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben.
Hast du Begriff von Öd' und Einsamkeit?
FAUST. Du spartest, dächt' ich, solche Sprüche;
Hier wittert's nach der Hexenküche.
MEPHISTOPHELES.
Und hättest du den Ozean durchschwammen,
Das Grenzenlose dort geschaut,
So sähst du dort doch Well' auf Welle kommen,
Selbst wenn es dir vorm Untergange graut.
Du sähst doch etwas. Sähst wohl in der Grüne
Gestillter Meere streichende Delphine;
Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne -
Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,
Den Schritt nicht hören, den du tust,
Nichts Festes finden, wo du ruhst.
FAUST. Du sprichst als erster aller Mystagogen,
Die treue Neophyten je betrogen;
Nur umgekehrt. Du sendest mich ins Leere,
Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre;
Nur immer zu! wir wollen es ergründen,
In deinem Nichts hoff' ich das All zu finden.
MEPH. Ich rühme dich, eh' du dich von mir trennst,
Und sehe wohl, daß du den Teufel kennst;
Hier diesen Schlüssel nimm.
FAUST. Das kleine Ding!
MEPH. Erst faß ihn an und schätz ihn nicht gering.
FAUST.
Er wächst in meiner Hand! er leuchtet, blitzt!
MEPH. Merkst du nun bald, was man an ihm besitzt?
Der Schlüssel wird die rechte Stelle wittern,
Folg ihm hinab, er führt dich zu den Müttern.
FAUST (schaudernd.)
Den Müttern! Trifft's mich immer wie ein Schlag!
Was ist das Wort, das ich nicht hören mag?
MEPH.
Bist du beschränkt, daß neues Wort dich stört?
Willst du nur hören, was du schon gehört?
FAUST. Doch im Erstarren such' ich nicht mein Heil,
Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil;
Wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure,
Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.
MEPH. Versinke denn! Ich könnt' auch sagen: steige!
's einerlei. Entfliehe dem Entstandnen
In der Gebilde losgebundne Reiche!
Ergetze dich am längst nicht mehr Vorhandnen;
Wie Wolkenzüge schlingt sich das Getreibe,
Den Schlüssel schwinge, halte sie vom Leibe!
FAUST (begeistert.)
Wohl! fest ihn fassend fühl' ich neue Stärke,
Die Brust erweitert, hin zum großen Werke.
MEPH. Ein glühnder Dreifuß tut dir endlich kund,
Du seist im tiefsten, allertiefsten Grund.
Bei seinem Schein wirst du die Mütter sehn,
Die einen sitzen, andre stehn und gehn,
Wie's eben kommt. Gestaltung, Umgestaltung,
Des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung.
Umschwebt von Bildern aller Kreatur;
Sie sehn dich nicht, denn Schemen sehn sie nur.
Da faß ein Herz, denn die Gefahr ist groß,
Und gehe grad' auf jenen Dreifuß los,
Berühr ihn mit dem Schlüssel!
FAUST (macht eine entschieden gebietende
Attitüde mit dem Schlüssel.)
MEPHISTOPHELES (ihn betrachtend.)
So ist's recht!
So rufst du Held und Heldin aus der Nacht,
Der erste, der sich jener Tat erdreistet;
Sie ist getan, und du hast es geleistet.
Dann muß fortan, nach magischem Behandeln,
Der Weihrauchsnebel sich in Götter wandeln.
FAUST. Und nun was jetzt?
MEPHISTOPHELES. Dein Wesen strebe nieder;
Versinke stampfend, stampfend steigst du wieder.
FAUST (stampft und versinkt.)
MEPH.
Wenn ihm der Schlüssel nur zum besten frommt!
Neugierig bin ich, ob er wiederkommt.
Hell erleuchtete Säle
Kaiser und Fürsten, Hof in Bewegung.
Rittersaal
Dämmernde Beleuchtung.
Kaiser und Hof sind eingezogen.
(Posaunen.)
ASTROLOG. Beginne gleich das Drama seinen Lauf,
Der Herr befiehlt's, ihr Wände tut euch auf!
Nichts hindert mehr, hier ist Magie zur Hand:
Die Teppiche schwinden, wie gerollt vom Brand;
Die Mauer spaltet sich, sie kehrt sich um,
Ein tief Theater scheint sich aufzustellen,
Geheimnisvoll ein Schein uns zu erhellen.
(Faust steigt auf der andern Seite des Proszeniums
herauf.)
FAUST (großartig.)
In eurem Namen, Mütter, die ihr thront
Im Grenzenlosen, ewig einsam wohnt,
Und doch gesellig. Euer Haupt umschweben
Des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben.
Was einmal war, in allem Glanz und Schein,
Es regt sich dort; denn es will ewig sein.
Und ihr verteilt es, allgewaltige Mächte,
Zum Zelt des Tages, zum Gewölb der Nächte.
ASTROLOG.
Der glühnde Schlüssel rührt die Schale kaum,
Ein dunstiger Nebel deckt sogleich den Raum;
Das Dunstige senkt sich; aus dem leichten Flor
Ein schöner Jüngling tritt im Takt hervor.
Hier schweigt mein Amt, ich brauch' ihn nicht zu
nennen,
Wer sollte nicht den holden Paris kennen!
(Paris hervortretend.)
DAME.
O! welch ein Glanz aufblühender Jugendkraft!
ZWEITE.
Wie eine Pfirsche frisch und voller Saft!
DRITTE.
Die fein gezognen, süß geschwollnen Lippen!
DAME.
Er setzt sich nieder, weichlich, angenehm.
RITTER.
Auf seinem Schoße wär' Euch wohl bequem?
ANDRE.
Er lehnt den Arm so zierlich übers Haupt.
JUNGE DAME (entzückt.)
Zum Weihrauchsdampf was duftet so gemischt,
Das mir das Herz zum innigsten erfrischt?
ÄLTERE.
Fürwahr! Es dringt ein Hauch tief ins Gemüte,
Er kommt von ihm!
ÄLTESTE. Es ist des Wachstums Blüte,
Im Jüngling als Ambrosia bereitet
Und atmosphärisch ringsumher verbreitet.
(Helena hervortretend.)
MEPHISTOPHELES.
Das wär' sie denn! Vor dieser hätt' ich Ruh';
Hübsch ist sie wohl, doch sagt sie mir nicht zu.
FAUST. Hab' ich noch Augen? Zeigt sich tief im Sinn
Der Schönheit Quelle reichlichstens ergossen?
Mein Schreckensgang bringt seligsten Gewinn.
Die Wohlgestalt, die mich voreinst entzückte,
In Zauberspiegelung beglückte,
War nur ein Schaumbild solcher Schöne! -
Du bist's, der ich die Regung aller Kraft,
Den Inbegriff der Leidenschaft,
Dir Neigung, Lieb', Anbetung, Wahnsinn zolle.
MEPHISTOPHELES (aus dem Kasten.)
So faßt Euch doch und fallt nicht aus der Rolle!
ALTERE DAME.
Groß, wohlgestaltet, nur der Kopf zu klein.
JÜNGERE.
Seht nur den Fuß! Wie könnt' er plumper sein!
DIPLOMAT. Fürstinnen hab' ich dieser Art gesehn,
Mich deucht, sie ist vom Kopf zum Fuße schön.
HOFMANN. Sie nähert sich dem Schläfer listig mild.
DAME. Wie häßlich neben jugendreinem Bild!
POET Von ihrer Schönheit ist er angestrahlt.
Helena nähert sich Paris, neigt sich und küßt ihn.
FAUST. Furchtbare Gunst dem Knaben! -
MEPHISTOPHELES. Ruhig! still!
Laß das Gespenst doch machen, was es will.
Paris erhebt sich und umfängt Helena mit seinem Arm.
FAUST. Verwegner Tor!
Du wagst! Du hörst nicht! halt! das ist zu viel!
MEPHISTOPHELES.
Machst du's doch selbst, das Fratzengeisterspiel!
ASTROLOG.
Nur noch ein Wort! Nach allem, was geschah,
Nenn' ich das Stück den Raub der Helena.
FAUST.
Was Raub! Bin ich für nichts an dieser Stelle!
Ist dieser Schlüssel nicht in meiner Hand!
Er führte mich, durch Graus und Wog' und Welle
Der Einsamkeiten, her zum festen Strand.
Hier fass' ich Fuß! Hier sind es Wirklichkeiten,
Von hier aus darf der Geist mit Geistern streiten,
Das Doppelreich, das große, sich bereiten.
So fern sie war, wie kann sie näher sein!
Ich rette sie, und sie ist doppelt mein.
Gewagt! Ihr Mütter! Mütter! müßt's gewähren!
Wer sie erkannt, der darf sie nicht entbehren.
ASTROLOG.
Was tust du, Fauste! Fauste! - Mit Gewalt
Faßt er sie an, schon trübt sich die Gestalt.
Den Schlüssel kehrt er nach dem Jüngling zu,
Berührt ihn! - Weh uns, Wehe! Nu! im Nu!
(Explosion, Faust liegt am Boden. Die Geister gehen in Dunst auf.)
MEPHISTOPHELES, (der Fausten auf die Schulter nimmt.)
Da habt ihr's nun! mit Narren sich beladen,
Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.
(Finsternis, Tumult.)
Zweiter Akt
Hochgewölbtes enges gotisches Zimmer
ehemals Faustens, unverändert
MEPHISTOPHELES (hinter einem Vorhang hervortretend. Indem er ihn aufhebt und
zurücksieht, erblickt man Fausten hingestreckt auf einem altväterischen Bette).
Hier lieg, Unseliger! verführt
Zu schwergelöstem Liebesbande!
Wen Helena paralysiert,
Der kommt so leicht nicht zu Verstande.
(Sich umschauend.)
Blick' ich hinauf, hierher, hinüber,
Allunverändert ist es, unversehrt;
Die bunten Scheiben sind, so dünkt mich, trüber,
Die Spinneweben haben sich vermehrt;
Die Tinte starrt, vergilbt ist das Papier;
Doch alles ist am Platz geblieben;
Sogar die Feder liegt noch hier,
Mit welcher Faust dem Teufel sich verschrieben.
Ja! tiefer in dem Rohre stockt
Ein Tröpflein Blut, wie ich's ihm abgelockt.
Zu einem solchen einzigen Stück
Wünscht' ich dem größten Sammler Glück.
Auch hängt der alte Pelz am alten Haken,
Erinnert mich an jene Schnaken,
Wie ich den Knaben einst belehrt,
Woran er noch vielleicht als Jüngling zehrt.
Es kommt mir wahrlich das Gelüsten,
Rauchwarme Hülle, dir vereint
Mich als Dozent noch einmal zu erbrüsten,
Wie man so völlig recht zu haben meint.
Gelehrte wissen's zu erlangen,
Dem Teufel ist es längst vergangen.
(Er schüttelt den herabgenommenen Pelz; Zikaden,
Käfer und Farfarellen fahren heraus.)
(Er zieht die Glocke, die einen gellenden,
durchdringenden Ton er schallen läßt, wovon die
Hallen erheben und die Türen aufspringen.)
BACCALAUREUS, (den Gang herstürmend.)
Tor und Türe find' ich offen!
Nun, da läßt sich endlich hoffen,
Daß nicht, wie bisher, im Moder
Der Lebendige wie ein Toter
Sich verkümmere, sich verderbe
Und am Leben selber sterbe.
Aus den alten Bücherkrusten
Logen sie mir, was sie wußten,
Was sie wußten, selbst nicht glaubten,
Sich und mir das Leben raubten.
Wie? - Dort hinten in der Zelle
Sitzt noch einer dunkel-helle!
Wenn, alter Herr, nicht Lethes trübe Fluten
Das schiefgesenkte, kahle Haupt
durchschwommen,
Seht anerkennend hier den Schüler kommen,
Entwachsen akademischen Ruten.
Ich find' Euch noch, wie ich Euch sah;
Ein anderer bin ich wieder da.
MEPHISTOPHELES.
Mich freut, daß ich Euch hergeläutet.
Ich schätzt' Euch damals nicht gering;
Ganz resolut und wacker seht Ihr aus;
Kommt nur nicht absolut nach Haus.
BACCALAUREUS.
Mein alter Herr! Wir sind am alten Orte;
Bedenkt jedoch erneuter Zeiten Lauf
Und sparet doppelsinnige Worte;
Wir passen nun ganz anders auf.
Ihr hänseltet den guten treuen Jungen;
Das ist Euch ohne Kunst gelungen,
Was heutzutage niemand wagt.
MEPH. Wenn man der Jugend reine Wahrheit sagt,
Die gelben Schnäbeln keineswegs behagt,
Sie aber hinterdrein nach Jahren
Das alles derb an eigner Haut erfahren,
Dann dünkeln sie, es käm aus eignem Schopf;
Da heißt es denn: der Meister war ein Tropf.
BACCALAUREUS.
Ein Schelm vielleicht! - denn welcher Lehrer
spricht
Die Wahrheit uns direkt ins Angesicht?
MEPHISTOPHELES.
Zum Lernen gibt es freilich eine Zeit;
Zum Lehren seid Ihr, merk' ich, selbst bereit.
Seit manchen Monden, einigen Sonnen
Erfahrungsfülle habt Ihr wohl gewonnen.
BACCALAUREUS.
Erfahrungswesen! Schaum und Dunst!
Und mit dem Geist nicht ebenbürtig.
Gesteht! was man von je gewußt,
Es ist durchaus nicht wissenswürdig.
MEPHISTOPHELES (nach einer Pause.)
Mich deucht es längst. Ich war ein Tor,
Nun komm' ich mir recht schal und albern vor.
BACCALAUREUS.
Das freut mich sehr! Da hör' ich doch Verstand;
Der erste Greis, den ich vernünftig fand!
MEPHISTOPHELES (gemütlich.)
Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du
bist?
BACCALAUREUS.
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.
MEPHISTOPHELES, (der mit seinem Rollstuhle
immer näher ins Proszenium rückt, zum
Parterre.)
Hier oben wird mir Licht und Luft benommen;
Ich finde wohl bei euch ein Unterkommen?
BACCALAUREUS.
Anmaßlich find' ich, daß zur schlechtsten Frist
Man etwas sein will, wo man nichts mehr ist.
Des Menschen Leben lebt im Blut, und wo
Bewegt das Blut sich wie im Jüngling so?
Das ist lebendig Blut in frischer Kraft,
Das neues Leben sich aus Leben schafft.
Da regt sich alles, da wird etwas getan,
Das Schwache fällt, das Tüchtige tritt heran.
Indessen wir die halbe Welt gewonnen,
Was habt Ihr denn getan? genickt, gesonnen,
Geträumt, erwogen, Plan und immer Plan.
Gewiß! das Alter ist ein kaltes Fieber
Im Frost von grillenhafter Not.
Hat einer dreißig Jahr vorüber,
So ist er schon so gut wie tot.
Am besten wär's euch zeitig totzuschlagen.
MEPH. Der Teufel hat hier weiter nichts zu sagen.
BACC. Wenn ich nicht will, so darf kein Teufel sein.
MEPHISTOPHELES (abseits.)
Der Teufel stellt dir nächstens doch ein Bein.
BACCALAUREUS.
Dies ist der Jugend edelster Beruf!
Die Welt, sie war nicht, eh' ich sie erschuf;
Die Sonne führt ich aus dem Meer herauf;
Mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf;
Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
Die Erde grünte, blühte mir entgegen.
Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
Entfaltete sich aller Sterne Pracht.
Wer, außer mir, entband euch aller Schranken
Philisterhaft einklemmender Gedanken?
Ich aber frei, wie mir's im Geiste spricht,
Verfolge froh mein innerliches Licht,
Und wandle rasch, im eigensten Entzücken,
Das Helle vor mir, Finsternis im Rücken. (Ab.)
MEPHISTOPHELES.
Original, fahr hin in deiner Pracht! -
Wie würde dich die Einsicht kränken:
Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken,
Das nicht die Vorwelt schon gedacht? -
Doch sind wir auch mit diesem nicht gefährdet,
In wenig Jahren wird es anders sein:
Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
Es gibt zuletzt doch noch e' Wein.
(Zu dem Jüngern Parterre, das nicht applaudiert.)
Ihr bleibt bei meinem Worte kalt,
Euch guten Kindern laß ich's gehen;
Bedenkt: der Teufel, der ist alt,
So werdet alt, ihn zu verstehen!
Laboratorium
im Sinne des Mittelalters, weitläufige unbehülfliche
Apparate zu phantastischen Zwecken
WAGNER (am Herde).
Die Glocke tönt, die fürchterliche,
Durchschauert die berußten Mauern.
Nicht länger kann das Ungewisse
Der ernstesten Erwartung dauern.
Schon hellen sich die Finsternisse;
Schon in der innersten Phiole
Erglüht es wie lebendige Kohle,
Ja wie der herrlichste Karfunkel,
Verstrahlend Blitze durch das Dunkel.
Ein helles weißes Licht erscheint!
O daß ich's diesmal nicht verliere! -
Ach Gott! was rasselt an der Türe?
MEPH. (eintretend.)
Willkommen! es ist gut gemeint.
WAGNER (ängstlich.)
Willkommen zu dem Stern der Stunde!
Leise. Doch haltet Wort und Atem fest im Munde,
Ein herrlich Werk ist gleich zustand gebracht.
MEPHISTOPHELES (leiser.)
Was gibt es denn?
WAGNER (leiser.) Es wird ein Mensch gemacht.
MEPHISTOPHELES.
Ein Mensch? Und welch verliebtes Paar
Habt ihr ins Rauchloch eingeschlossen?
WAGNER.
Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war,
Erklären wir für eitel Possen.
Der zarte Punkt, aus dem das Leben sprang,
Die holde Kraft, die aus dem Innern drang
Und nahm und gab, bestimmt sich selbst zu
zeichnen,
Erst Nächstes, dann sich Fremdes anzueignen,
Die ist von ihrer Würde nun entsetzt;
Wenn sich das Tier noch weiter dran ergetzt,
So muß der Mensch mit seinen großen Gaben
Doch künftig höhern, höhern Ursprung haben.
(Zum Herd gewendet.)
Es leuchtet! seht! - Nun läßt sich wirklich hoffen,
Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen
Durch Mischung - denn auf Mischung kommt es
an -
Den Menschenstoff gemächlich komponieren,
In einen Kolben verlutieren
Und ihn gehörig kohobieren,
So ist das Werk im stillen abgetan.
(Zum Herd gewendet.)
Es wird! die Masse regt sich klarer!
Die Überzeugung wahrer, wahrer:
Was man an der Natur Geheimnisvolles pries,
Das wagen wir verständig zu probieren,
Und was sie sonst organisieren ließ,
Das lassen wir kristallisieren.
MEPHISTOPHELES.
Wer lange lebt, hat viel erfahren,
Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt
geschehn.
Ich habe schon in meinen Wanderjahren
Kristallisiertes Menschenvolk gesehn.
WAGNER,
(bisher immer aufmerksam auf die Phiole.)
Es steigt, es blitzt, es häuft sich an,
Im Augenblick ist es getan.
Ein großer Vorsatz scheint im Anfang toll;
Doch wollen wir des Zufalls künftig lachen,
Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,
Wird künftig auch ein Denker machen.
(Entzückt die Phiole betrachtend.)
Das Glas erklingt von lieblicher Gewalt,
Es trübt, es klärt sich; also muß es werden!
Ich seh' in zierlicher Gestalt
Ein artig Männlein sich gebärden.
Was wollen wir, was will die Welt nun mehr?
Denn das Geheimnis liegt am Tage.
Gebt diesem Laute nur Gehör,
Er wird zur Stimme, wird zur Sprache.
HOMUNCULUS (in der Phiole zu Wagner.)
Nun Väterchen! wie steht's? es war kein Scherz.
Komm, drücke mich recht zärtlich an dein Herz!
Doch nicht zu fest, damit das Glas nicht springe.
Das ist die Eigenschaft der Dinge:
Natürlichem genügt das Weltall kaum,
Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum.
(Zu Mephistopheles.)
Du aber, Schalk, Herr Vetter, bist du hier
Im rechten Augenblick? ich danke dir.
Ein gut Geschick führt dich zu uns herein;
Dieweil ich bin, muß ich auch tätig sein.
Ich möchte mich sogleich zur Arbeit schürzen.
Du bist gewandt, die Wege mir zu kürzen.
WAGNER.
Nur noch ein Wort! Bisher mußt' ich mich
schämen,
Denn alt und jung bestürmt mich mit Problemen.
Zum Beispiel nur: noch niemand konnt' es fassen,
Wie Seel' und Leib so schön zusammenpassen,
So fest sich halten, als um nie zu scheiden,
Und doch den Tag sich immerfort verleiden.
Sodann -
MEPHISTOPHELES.
Halt ein! ich wollte lieber fragen:
Warum sich Mann und Frau so schlecht vertragen?
Du kommst, mein Freund, hierüber nie ins reine.
Hier gibt's zu tun, das eben will der Kleine.
HOMUNCULUS. Was gibt's zu tun?
MEPHISTOPHELES,
(auf eine Seitentüre deutend.)
Hier zeige deine Gabe!
WAGNER, (immer in die Phiole schauend.)
Fürwahr, du bist ein allerliebster Knabe!
(Die Seitentür öffnet sich, man sieht Faust auf dem
Lager hingestreckt.)
HOMUCULUS (erstaunt.) Bedeutend! -
(Die Phiole entschlüpft aus Wagners Händen,
schwebt über Faust und beleuchtet ihn.)
Schön umgeben! - Klar Gewässer
Im dichten Haine! Fraun, die sich entkleiden,
Die allerliebsten! - Das wird immer besser.
Doch eine läßt sich glänzend unterscheiden,
Aus höchstem Helden-, wohl aus Götterstamme.
Sie setzt den Fuß in das durchsichtige Helle;
Des edlen Körpers holde Lebensflamme
Kühlt sich im schmiegsamen Kristall der Welle. -
Doch welch Getöse rasch bewegter Flügel,
Welch Sausen, Plätschern wühlt im glatten
Spiegel?
Die Mädchen fliehn verschüchtert; doch allein
Die Königin, sie blickt gelassen drein
Und sieht mit stolzem weiblichem Vergnügen
Der Schwäne Fürsten ihrem Knie sich schmiegen,
Zudringlich-zahm. Er scheint sich zu gewöhnen. -
Auf einmal aber steigt ein Dunst empor
Und deckt mit dichtgewebtem Flor
Die lieblichste von allen Szenen.
MEPHISTOPHELES.
Was du nicht alles zu erzählen hast!
So klein du bist, so groß bist du Phantast.
Ich sehe nichts -
HOMUNCULUS. Das glaub' ich. Du aus Norden,
Im Nebelalter jung geworden,
Im Wust von Rittertum und Pfäfferei,
Wo wäre da dein Auge frei !
Im Düstern bist du nur zu Hause.
(Umherschauend.)
Verbräunt Gestein, bemodert, widrig,
Spitzbögig, schnörkelhaftest, niedrig! -
Erwacht uns dieser, gibt es neue Not,
Er bleibt gleich auf der Stelle tot.
Waldquellen, Schwäne, nackte Schönen,
Das war sein ahnungsvoller Traum;
Wie wollt' er sich hierher gewöhnen!
Ich, der Bequemste, duld' es kaum.
Nun fort mit ihm!
MEPHISTOPHELES. Der Ausweg soll mich freuen.
HOMUNCULUS.
Befiehl den Krieger in die Schlacht,
Das Mädchen führe du zum Reihen,
So ist gleich alles abgemacht.
Jetzt eben, wie ich schnell bedacht,
Ist klassische Walpurgisnacht;
Das Beste, was begegnen könnte.
Bringt ihn zu seinem Elemente!
MEPHISTOPHELES.
Dergleichen hab' ich nie vernommen.
HOMUNCULUS.
Wie wollt' es auch zu euren Ohren kommen?
Romantische Gespenster kennt ihr nur allein;
Ein echt Gespenst, auch klassisch hat's zu sein.
MEPHISTOPHELES.
Wohin denn aber soll die Fahrt sich regen?
Mich widern schon antikische Kollegen.
HOMUNCULUS.
Nordwestlich, Satan, ist dein Lustrevier,
Südöstlich diesmal aber segeln wir -
An großer Fläche fließt Peneios frei,
Umbuscht, umbaumt, in still- und feuchten
Buchten;
Die Ebne dehnt sich zu der Berge Schluchten,
Und oben liegt Pharsalus, alt und neu.
MEPHISTOPHELES.
O weh! hinweg! und laßt mir jene Streite
Von Tyrannei und Sklaverei beiseite.
Mich langeweilt's; denn kaum ist's abgetan,
So fangen sie von vorne wieder an;
Und keiner merkt: er ist doch nur geneckt
Vom Asmodeus, der dahinter steckt.
Sie streiten sich, so heißt's, um Freiheitsrechte;
Genau besehn, sind's Knechte gegen Knechte.
HOMUNCULUS.
Den Menschen laß ihr widerspenstig Wesen,
Ein jeder muß sich wehren, wie er kann,
Vom Knaben auf, so wird's zuletzt ein Mann.
Hier fragt sich's nur, wie dieser kann genesen.
Hast du ein Mittel, so erprob' es hier,
Vermagst du's nicht, so überlaß es mir.
MEPH.
Manch Brockenstückchen wäre durchzuproben,
Doch Heldenriegel find' ich vorgeschoben.
Das Griechenvolk, es taugte nie recht viel!
Doch blendet's euch mit freiem Sinnenspiel,
Verlockt des Menschen Brust zu heitern Sünden;
Die unsern wird man immer düster finden.
Und nun, was soll's?
HOMUNCULUS. Du bist ja sonst nicht blöde;
Und wenn ich von thessalischen Hexen rede,
So denk' ich, hab' ich was gesagt.
MEPHISTOPHELES (lüstern.)
Thessalische Hexen! Wohl! das sind Personen,
Nach denen hab' ich lang' gefragt.
Mit ihnen Nacht für Nacht zu wohnen,
Ich glaube nicht, daß es behagt;
Doch zum Besuch, Versuch -
HOMUNCULUS. Den Mantel her,
Und um den Ritter umgeschlagen!
Der Lappen wird euch, wie bisher,
Den einen mit dem andern tragen;
Ich leuchte vor.
WAGNER ängstlich. Und ich?
HOMUNCULUS. Eh nun,
Du bleibst zu Hause, Wichtigstes zu tun.
Entfalte du die alten Pergamente,
Nach Vorschrift sammle Lebenselemente
Und füge sie mit Vorsicht eins ans andre.
Das Was bedenke, mehr bedenke Wie.
Indessen ich ein Stückchen Welt durchwandre,
Entdeck' ich wohl das Tüpfchen auf das i.
Dann ist der große Zweck erreicht;
Solch einen Lohn verdient ein solches Streben:
Gold, Ehre, Ruhm, gesundes langes Leben,
Und Wissenschaft und Tugend - auch vielleicht.
Leb wohl!
WAGNER (betrübt.)
Leb wohl! Das drückt das Herz mir nieder.
Ich fürchte schon, ich seh' dich niemals wieder.
MEPHISTOPHELES. Nun zum Peneios frisch hinab!
Herr Vetter ist nicht zu verachten.
(Ad spectatores.) Am Ende hängen wir doch ab
Von Kreaturen, die wir machten.
Klassische Walpurgisnacht
PHARSALISCHE FELDER
Finsternis.
ERICHTHO.
Zum Schauderfeste dieser Nacht, wie öfter schon,
Tret' ich einher, Erichtho, ich, die düstere;
Nicht so abscheulich, wie die leidigen Dichter mich
Im Übermaß verlästern... Endigen sie doch nie
In Lob und Tadel... Überbleicht erscheint mir
schon
Von grauer Zelten Woge weit das Tal dahin,
Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten
Nacht.
Wie oft schon wiederholt' sich's! wird sich
immerfort
Ins Ewige wiederholen... Keiner gönnt das Reich
Dem andern; dem gönnt's keiner, der's mit Kraft
erwarb
Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres
Selbst
Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn
gemäß...
Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft:
Wie sich Gewalt Gewaltigeren entgegenstellt,
Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz
zerreißt,
Der starre Lorbeer sich ums Haupt des Herrschers
biegt.
Hier träumte Magnus früher Größe Blütentag,
Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar
dort!
Das wird sich messen. Weiß die Welt doch, wem's
gelang.
Wachfeuer glühen, rote Flammen spendende,
Der Boden haucht vergoßnen Blutes Widerschein,
Und angelockt von seltnem Wunderglanz der
Nacht,
Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
Um alle Feuer schwankt unsicher oder sitzt
Behaglich alter Tage fabelhaft Gebild...
Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend
hell,
Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.
Doch über mir! welch unerwartet Meteor?
Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
Ich wittre Leben. Da geziemen will mir's nicht,
Lebendigem zu nahen, dem ich schädlich bin;
Das bringt mir bösen Ruf und frommt mir nicht.
Schon sinkt es nieder. Weich' ich aus mit
Wohlbedacht!
(Entfernt sich.
Die Luftfahrer oben.)
HOMUNCULUS.
Schwebe noch einmal die Runde
Über Flamm- und Schaudergrauen;
Ist es doch in Tal und Grunde
Gar gespenstisch anzuschauen.
FAUST, (den Boden berührend.)
Wo ist sie? -
HOMUNCULUS. Wüßten's nicht zu sagen,
Doch hier wahrscheinlich zu erfragen.
In Eile magst du, eh' es tagt,
Von Flamm' zu Flamme spürend gehen:
Wer zu den Müttern sich gewagt,
Hat weiter nichts zu überstehen.
MEPHISTOPHELES.
Auch ich bin hier an meinem Teil;
Doch wüßt' ich Besseres nicht zu unserm Heil,
Als: jeder möge durch die Feuer
Versuchen sich sein eigen Abenteuer.
Dann, um uns wieder zu vereinen,
Laß deine Leuchte, Kleiner, tönend scheinen.
FAUST allein.
Wo ist sie? - Frage jetzt nicht weiter nach...
Wär's nicht die Scholle, die sie trug,
Die Welle nicht, die ihr entgegenschlug,
So ist's die Luft, die ihre Sprache sprach.
Hier! durch ein Wunder, hier in Griechenland!
Ich fühlte gleich den Boden, wo ich stand;
Wie mich, den Schläfer, frisch ein Geist
durchglühte,
So steh' ich, ein Antäus an Gemüte.
Und find' ich hier das Seltsamste beisammen,
Durchforsch' ich ernst dies Labyrinth der Flammen.
(Entfernt sich.)
AM OBEREN PENEIOS
MEPHISTOPHELES (umherspürend.)
Und wie ich diese Feuerchen durchschweife,
So find' ich mich doch ganz und gar entfremdet,
Fast alles nackt, nur hie und da behemdet:
Die Sphinxe schamlos, unverschämt die Greife,
Und was nicht alles, lockig und beflügelt,
Von vorn und hinten sich im Auge spiegelt..
Zwar sind auch wir von Herzen unanständig,
Doch das Antike find' ich zu lebendig;
GREIF (wie oben und immer so fort.)
Man greife nun nach Mädchen, Kronen, Gold,
Dem Greifenden ist meist Fortuna hold.
AMEISEN (von der kolossalen Art.)
Ihr sprecht von Gold, wir hatten viel gesammelt,
In Fels- und Höhlen heimlich eingerammelt;
Das Arimaspen-Volk hat's ausgespart,
Sie lachen dort, wie weit sie's weggeführt.
GREIFE.
Wir wollen sie schon zum Geständnis bringen.
ARIMASPEN. Nur nicht zur freien Jubelnacht.
Bis morgen ist's alles durchgebracht,
Es wird uns diesmal wohl gelingen.
MEPHISTOPHELES
(hat sich zwischen die Sphinxe gesetzt.)
Wie leicht und gern ich mich hierher gewöhne,
Denn ich verstehe Mann für Mann.
SPHINX. Wir hauchen unsre Geistertöne,
Und ihr verkörpert sie alsdann.
Jetzt nenne dich, bis wir dich weiter kennen.
MEPH.
Mit vielen Namen glaubt man mich zu nennen -
Sind Briten hier? Sie reisen sonst so viel,
Sie zeugten auch: Im alten Bühnenspiel
Sah man mich dort als old Iniquity.
SPHINX. Wie kam man drauf?
MEPHISTOPHELES. Ich weiß es selbst nicht wie.
ERSTER GREIF (schnarrend.) Den mag ich nicht!
ZWEITER GREIF (stärker schnarrend.)
Was will uns der?
BEIDE. Der Garstige gehöret nicht hierher!
MEPHISTOPHELES (brutal.)
Du glaubst vielleicht, des Gastes Nägel krauen
Nicht auch so gut wie deine scharfen Klauen?
Versuch's einmal!
SPHINX.
Du Falscher kommst zu deiner bittern Buße,
Denn unsre Tatzen sind gesund;
Dir mit verschrumpftem Pferdefuße
Behagt es nicht in unserm Bund.
SIRENEN.
Ach was wollt ihr euch verwöhnen
In dem Häßlich-Wunderbaren!
Horcht, wir kommen hier zu Scharen
Und in wohlgestimmten Tönen;
So geziemet es Sirenen.
MEPHISTOPHELES.
Das sind die saubern Neuigkeiten,
Wo aus der Kehle, von den Saiten
Ein Ton sich um den andern flicht.
Das Trallern ist bei mir verloren:
Es krabbelt wohl mir um die Ohren,
Allein zum Herzen dringt es nicht.
SPHINXE. Sprich nicht vom Herzen! das ist eitel;
Ein lederner verschrumpfter Beutel,
Das paßt dir eher zu Gesicht.
FAUST (herantretend.)
Wie wunderbar! das Anschaun tut mir Gnüge,
Im Widerwärtigen große, tüchtige Züge.
Ich ahne schon ein günstiges Geschick;
Wohin versetzt mich dieser ernste Blick?
(Auf Sphinxe bezüglich.)
Vor solchen hat einst Ödipus gestanden;
(Auf Sirenen bezüglich.)
Vor solchen krümmte sich Ulyß in hänfnen
Banden;
(Auf Ameisen bezüglich.)
Von solchen ward der höchste Schatz gespart,
(Auf Greife bezüglich.)
Von diesen treu und ohne Fehl bewahrt.
Vom frischen Geiste fühl' ich mich durchdrungen;
Gestalten groß, groß die Erinnerungen.
MEPHISTOPHELES.
Sonst hättest du dergleichen weggeflucht,
Doch jetzo scheint es dir zu frommen;
Denn wo man die Geliebte sucht,
Sind Ungeheuer selbst willkommen.
FAUST (zu den Sphinxen.)
Ihr Frauenbilder müßt mir Rede stehn:
Hat eins der Euren Helena gesehn?
SPHINXE. Wir reichen nicht hinauf zu ihren Tagen,
Die letztesten hat Herkules erschlagen.
Von Chiron könntest du's erfragen;
Der sprengt herum in dieser Geisternacht;
Wenn er dir steht, so hast du's weit gebracht.
(Faust entfernt sich.)
AM UNTEREN PENEIOS.
(Peneios umgeben von Gewässern und Nymphen.)
PENEIOS. Rege dich, du Schilfgeflüster!
Hauche leise, Rohrgeschwister,
Säuselt, leichte Weidensträuche,
Lispelt, Pappelzitterzweige,
Unterbrochnen Träumen zu!...
Weckt mich doch ein grauslich Wittern,
Heimlich allbewegend Zittern
Aus dem Wallestrom und Ruh'.
FAUST, (an den Fluß tretend.)
Hör' ich recht, so muß ich glauben:
Hinter den verschränkten Lauben
Dieser Zweige, dieser Stauden
Tönt ein menschenähnlichs Lauten.
NYMPHEN (zu Faust.)
Am besten geschäh' dir,
Du legtest dich nieder,
Erholtest im Kühlen
Ermüdete Glieder,
Wir säuseln, wir rieseln,
Wir flüstern dir zu.
FAUST. Ich wache ja! O laßt sie walten,
Die unvergleichlichen Gestalten,
Wie sie dorthin mein Auge schickt.
So wunderbar bin ich durchdrungen!
Sind's Träume? Sind's Erinnerungen?
Schon einmal warst du so beglückt.
Gewässer schleichen durch die Frische
Der dichten, sanft bewegten Büsche,
Nicht rauschen sie, sie rieseln kaum;
Von allen Seiten hundert Quellen
Vereinen sich im reinlich hellen,
Zum Bade flach vertieften Raum.
Gesunde junge Frauenglieder,
Vom feuchten Spiegel doppelt wieder
Ergetztem Auge zugebracht!
Mein Auge sollte hier genießen,
Doch immer weiter strebt mein Sinn.
Der Blick dringt scharf nach jener Hülle,
Das reiche Laub der grünen Fülle
Verbirgt die hohe Königin.
Wundersam! auch Schwäne kommen
Aus den Buchten hergeschwommen,
Majestätisch rein bewegt.
NYMPHEN.
Leget, Schwestern, euer Ohr
An des Ufers grüne Stufe;
Hör' ich recht, so kommt mir's vor
Als der Schall von Pferdes Hufe.
FAUST. Ist mir doch, als dröhnt' die Erde,
Schallend unter eiligem Pferde.
Halt, Chiron! halt! Ich habe dir zu sagen...
CHIRON. Was gibt's? Was ist's?
FAUST. Bezähme deinen Schritt!
CHIRON. Ich raste nicht.
FAUST. So bitte! nimm mich mit!
CHIRON. Sitz auf! so kann ich nach Belieben fragen:
Wohin des Wegs? Du stehst am Ufer hier,
Ich bin bereit, dich durch den Fluß zu tragen..
FAUST (aufsitzend),
Wohin du willst. Für ewig dank' ich's dir...
Den Arzt, der jede Pflanze nennt,
Die Wurzeln bis ins tiefste kennt,
Dem Kranken Heil, dem Wunden Linderung
schafft,
Umarm' ich hier in Geist- und Körperkraft
Du hast die Größten deiner Zeit gesehn,
Dem Edelsten in Taten nachgestrebt,
Halbgöttlich ernst die Tage durchgelebt.
Nun sprich auch von der schönsten Frau!
CHIRON.
Was!... Frauenschönheit will nichts heißen,
Ist gar zu oft ein starres Bild;
Nur solch ein Wesen kann ich preisen,
Das froh und lebenslustig quillt.
Die Schöne bleibt sich selber selig;
Die Anmut macht unwiderstehlich,
Wie Helena, da ich sie trug.
FAUST. Du trugst sie?
CHIRON. Ja, auf diesem Rücken.
FAUST. Bin ich nicht schon verwirrt genug?
Und solch ein Sitz muß mich beglücken!
Das ewige Wesen, Göttern ebenbürtig,
So groß als zart, so hehr als liebenswürdig?
Du sahst sie einst; heut hab' ich sie gesehn,
So schön wie reizend, wie ersehnt so schön.
Nun ist mein Sinn, mein Wesen streng umfangen;
Ich lebe nicht, kann ich sie nicht erlangen.
CHIRON.
Mein fremder Mann! als Mensch bist du entzückt;
Doch unter Geistern scheinst du wohl verrückt.
Nun trifft sich's hier zu deinem Glücke;
Denn alle Jahr, nur wenig Augenblicke,
Pfleg' ich bei Manto vorzutreten,
Der Tochter Äskulaps;
Ihr glückt es wohl, bei einigem Verweilen,
Mit Wurzelkräften dich von Grund zu heilen.
FAUST.
Geheilt will ich nicht sein, mein Sinn ist mächtig;
MANTO (inwendig träumend.)
Von Pferdes Hufe
Erklingt die heilige Stufe,
Halbgötter treten heran.
CHIRON. Wohnst du doch immer still umfriedet,
Indes zu kreisen mich erfreut.
MANTO. Ich harre, mich umkreist die Zeit.
Und dieser?
CHIRON. Die verrufene Nacht
Hat strudelnd ihn hierher gebracht.
Helenen, mit verrückten Sinnen,
Helenen will er sich gewinnen
Und weiß nicht, wie und wo beginnen;
Asklepischer Kur vor andern wert.
MANTO. Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt.
(Chiron ist schon weit weg)
MANTO. Tritt ein, Verwegner, sollst dich freuen!
Der dunkle Gang führt zu Persephoneien.
In des Olympus hohlem Fuß
Lauscht sie geheim verbotnem Gruß.
Hier hab' ich einst den Orpheus eingeschwärzt;
Benutz es besser! frisch! beherzt!
(Sie steigen hinab.)
AM OBERN PENEIOS
wie zuvor
SIRENEN.
Stürzt euch in Peneios' Flut!
Plätschernd ziemt es da zu schwimmen,
Lied um Lieder anzustimmen,
(Erdbeben.)
Grund erbebt, das Wasser staucht,
Kies und Ufer berstend raucht.
Flüchten wir! Kommt alle, kommt!
Niemand, dem das Wunder frommt.
SPHINXE.
Welch ein widerwärtig Zittern,
Häßlich grausenhaftes Wittern!
Welch ein Schwanken, welches Beben,
Schaukelnd Hin- und Widerstreben!
Welch unleidlicher Verdruß!
Doch wir ändern nicht die Stelle,
Bräche los die ganze Hölle.
Nun erhebt sich ein Gewölbe
Wundersam. Es ist derselbe,
Jener Alte, längst Ergraute,
Der die Insel Delos baute,
Einer Kreißenden zulieb'
Aus der Wog' empor sie trieb.
Weiter aber soll's nicht kommen,
Sphinxe haben Platz genommen.
SEISMOS.
Wie ständen eure Berge droben
In prächtig-reinem Ätherblau,
Hält' ich sie nicht hervorgeschoben
Zu malerisch-entzückter Schau?
SPHINXE. Uralt, müßte man gestehen,
Sei das hier Emporgebürgte,
Hätten wir nicht selbst gesehen,
Wie sich's aus dem Boden würgte.
GREIFE. Gold in Blättchen, Gold in Flittern
Durch die Ritzen seh ich zittern.
Laßt euch solchen Schatz nicht rauben,
Imsen, auf! es auszuklauben.
CHOR DER AMEISEN.
Geschwind nach oben!
Behendest aus und ein!
In solchen Ritzen
Ist jedes Bröselein
Wert zu besitzen.
Nur mit dem Gold herein!
Den Berg laßt fahren.
GREIFE. Herein! Herein! Nur Gold zu Hauf!
Wir legen unsre Klauen drauf.
PYGMÄEN.
Weiß nicht, ob es gleicher Weise
Schon im Paradiese war.
Doch wir finden's hier zum besten,
Segnen dankbar unsern Stern;
Denn im Osten wie im Westen
Zeugt die Mutter Erde gern.
PYGMÄEN-ÄLTESTE.
Noch ist es Friede;
Baut euch die Schmiede,
Harnisch und Waffen
Dem Heer zu schaffen.
Ihr Imsen alle,
Rührig im Schwalle,
Schafft uns Metalle!
Und ihr Daktyle,
Kleinste, so viele,
Euch sei befohlen,
Hölzer zu holen!
Schichtet zusammen
Heimliche Flammen,
Schaffet uns Kohlen.
IMSEN UND DAKTYLE.
Wer wird uns retten!
Wir schaffen's Eisen,
Sie schmieden Ketten.
DIE KRANICHE DES IBYKUS.
Mordgeschrei und Sterbeklagen!
Ängstlich Flügelflatterschlagen!
Welch ein Ächzen, welch Gestöhn
Dringt herauf zu unsern Höhn!
Alle sind sie schon ertötet,
See von ihrem Blut gerötet.
(Zerstreuen sich krächzend in den Lüften.)
MEPHISTOPHELES, (in der Ebne.)
Die nordischen Hexen wußt' ich wohl zu meistern,
Mir wird's nicht just mit diesen fremden Geistern.
LAMIEN. Versuch es doch! sind unsrer viele.
Greif zu! Und hast du Glück im Spiele,
Erhasche dir das beste Los.
Was soll das lüsterne Geleier?
Du bist ein miserabler Freier,
Stolzierst einher und tust so groß! -
Laßt nach und nach die Masken fahren
Und gebt ihm euer Wesen bloß.
MEPHISTOPHELES.
Die Schönste hab' ich mir erlesen...
Sie umfassend. O weh mir! welch ein dürrer Besen!
(Eine andere ergreifend.)
Und diese?... Schmähliches Gesicht!
LAMIEN. Verdienst du's besser? dünk es nicht.
MEPHISTOPHELES.
Viel klüger, scheint es, bin ich nicht geworden;
Absurd ist's hier, absurd im Norden.
(Sich zwischen dem Gestein verirrend.)
Wo bin ich denn? Wo will's hinaus?
Das war ein Pfad, nun ist's ein Graus.
Ich kam daher auf glatten Wegen,
Und jetzt steht mir Geröll entgegen.
So toll hätt' ich mir's nicht gedacht,
Ein solch Gebirg in einer Nacht!
Das heiß' ich frischen Hexenritt,
Die bringen ihren Blocksberg mit.
OREAS (vom Naturfels.)
Herauf hier! Mein Gebirg ist alt,
Steht in ursprünglicher Gestalt.
HOMUNCULUS.
Ich schwebe so von Stell' zu Stelle
Und möchte gern im besten Sinn entstehn,
Voll Ungeduld, mein Glas entzweizuschlagen;
Allein, was ich bisher gesehn,
Hinein da möcht' ich mich nicht wagen.
Nur, um dir's im Vertraun zu sagen:
Zwei Philosophen bin ich auf der Spur,
Ich horchte zu, es hieß: Natur, Natur!
Von diesen will ich mich nicht trennen,
Sie müssen doch das irdische Wesen kennen;
Und ich erfahre wohl am Ende,
Wohin ich mich am allerklügsten wende.
ANAXAGORAS (zu Thales.)
Dein starrer Sinn will sich nicht beugen;
Bedarf es Weitres, dich zu überzeugen?
THALES. Die Welle beugt sich jedem Winde gern,
Doch hält sie sich vom schroffen Felsen fern.
ANAXAGORAS.
Durch Feuerdunst ist dieser Fels zu Handen.
THALES. Im Feuchten ist Lebendiges erstanden.
HOMUNCULUS, (zwischen beiden.)
Laßt mich an eurer Seite gehn.
Mir selbst gelüstet's, zu entstehn!
ANAXAGORAS.
Hast du, o Thales, je in einer Nacht
Solch einen Berg aus Schlamm hervorgebracht?
THALES. Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen
Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen.
Sie bildet regelnd jegliche Gestalt,
Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt.
ANAXAGORAS.
Hier aber war's! Plutonisch grimmig Feuer,
Äolischer Dünste Knallkraft, ungeheuer,
Durchbrach des flachen Bodens alte Kruste,
Daß neu ein Berg sogleich entstehen mußte.
THALES. Was wird dadurch nun weiter fortgesetzt?
Er ist auch da, und das ist gut zuletzt.
ANAXAGORAS.
Schnell quillt der Berg von Myrmidonen,
Die Felsenspalten zu bewohnen;
Pygmäen, Imsen, Däumerlinge
Und andre tätig kleine Dinge.
THALES.
Sieh hin! die schwarze Kranichwolke!
Sie droht dem aufgeregten Volke
Und würde so dem König drohn.
Mit scharfen Schnäbeln, krallen Beinen,
Sie stechen nieder auf die Kleinen;
Verhängnis wetterleuchtet schon.
ANAXAGORAS (nach einer Pause feierlich.)
Konnt' ich bisher die Unterirdischen loben,
So wand' ich mich in diesem Fall nach oben...
Du! droben ewig Unveraltete,
Dreinamig - Dreigestaltete,
Dich ruf' ich an bei meines Volkes Weh,
Diana, Luna, Hekate!
Du Brusterweiternde, im Tiefsten Sinnige,
Du Ruhigscheinende, Gewaltsam-Innige,
Eröffne deiner Schatten grausen Schlund,
Die alte Macht sei ohne Zauber kund!
(Pause.)
Bin ich zu schnell erhört?
Hat mein Flehn
Nach jenen Höhn
Die Ordnung der Natur gestört?
Und größer, immer größer nahet schon
Der Göttin rundumschriebner Thron,
Dem Auge furchtbar, ungeheuer!
Ins Düstre rötet sich sein Feuer...
Nicht näher, drohend-mächtige Runde!
Du richtest uns und Land und Meer zugrunde!
Verzeiht! Ich hab' es hergerufen.
(Wirft sich aufs Angesicht.)
THALES. Was dieser Mann nicht alles hört' und sah!
Ich weiß nicht recht, wie uns geschah,
Auch hab' ich's nicht mit ihm empfunden.
HOMUNCULUS. Schaut hin nach der Pygmäen Sitz!
Der Berg war rund, jetzt ist er spitz.
Ich spürt' ein ungeheures Prallen,
Der Fels war aus dem Mond gefallen;
Gleich hat er, ohne nachzufragen,
So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
Doch muß ich solche Künste loben,
Die schöpferisch, in einer Nacht,
Zugleich von unten und von oben,
Dies Berggebäu zustand gebracht.
THALES. Sei ruhig! Es war nur gedacht.
Sie fahre hin, die garstige Brut!
(Entfernen sich.)
MEPHISTOPHELES, (an der Gegenseite kletternd.)
Da muß ich mich durch steile Felsentreppen,
Durch alter Eichen starre Wurzeln schleppen!
DRYAS. In deinem Lande sei einheimisch klug,
Im fremden bist du nicht gewandt genug.
MEPHISTOPHELES.
Man denkt an das, was man verließ;
Was man gewohnt war, bleibt ein Paradies.
Doch sagt: was in der Höhle dort,
DRYAS. Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort
Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert.
MEPHISTOPHELES.
Warum denn nicht! - Ich sehe was, und staune!
Die sind ja schlimmer als Alraune...
Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,
Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus-Vampyren.
PHORKYAS.
Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,
Wer sich so nah an unsre Tempel wage.
MEPHISTOPHELES.
Verehrteste! Erlaubt mir, euch zu nahen
Und euren Segen dreifach zu empfahen.
Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern,
Ich sah sie gestern - oder ehegestern;
Doch euresgleichen hab' ich nie erblickt.
Ich schweige nun und fühle mich entzückt.
PHORKYADEN.
Er scheint Verstand zu haben, dieser Geist.
MEPHISTOPHELES.
Euch dreien gnügt ein Auge, gnügt ein Zahn;
Da ging' es wohl auch mythologisch an,
In zwei die Wesenheil der drei zu fassen,
Der Dritten Bildnis mir zu überlassen,
Auf kurze Zeit.
EINE. Wie dünkt's euch? ging' es an?
DIE ANDERN.
Versuchen wir's! - doch ohne Aug' und Zahn.
MEPHISTOPHELES.
Nun habt ihr grad das Beste weggenommen;
Wie würde da das strengste Bild vollkommen!
EINE. Drück du ein Auge zu, 's ist leicht geschehn,
Laß alsofort den einen Raffzahn sehn,
Und im Profil wirst du sogleich erreichen,
Geschwisterlich vollkommen uns zu gleichen.
MEPHISTOPHELES. Viel Ehr! Es sei!
PHORKYADEN. Es sei!
MEPHISTOPHELES als Phorkyas im Profil.
Da steh' ich schon,
Des Chaos vielgeliebter Sohn!
PHORKYADEN.
Des Chaos Töchter sind wir unbestritten.
MEPHISTOPHELES.
Man schilt mich nun, o Schmach, Hermaphroditen.
PHORKYADEN.
Im neuen Drei der Schwestern welche Schöne!
Wir haben zwei der Augen, zwei der Zähne.
MEPHISTOPHELES.
Vor aller Augen muß ich mich verstecken,
Im Höllenpfuhl die Teufel zu erschrecken. (Ab.)
FELSBUCHTEN DES ÄGÄISCHEN MEERS
Mond im Zenit verharrend.
SIRENEN, (auf den Klippen umher gelagert,
flötend und singend.)
Haben sonst bei nächtigem Grauen
Dich thessalische Zauberfrauen
Frevelhaft herabgezogen,
Blicke ruhig von dem Bogen
Deiner Nacht auf Zitterwogen
Milde blitzend Glanzgewimmel
Und erleuchte das Getümmel,
Das sich aus den Wogen hebt!
Dir zu jedem Dienst erbötig,
Schöne Luna, sei uns gnädig!
NEREIDEN UND TRITONEN, (als Meerwunder)
Holder Sang zieht uns heran.
Seht, wie wir im Hochentzücken
Uns mit goldenen Ketten schmücken,
Auch zu Kron' und Edelsteinen
Spang- und Gürtelschmuck vereinen!
Alles das ist eure Frucht.
Schätze, scheiternd hier verschlungen,
Habt ihr uns herangesungen,
Ihr Dämonen unsrer Bucht.
SIRENEN. Wissen's wohl, in Meeresfrische
Glatt behagen sich die Fische,
Schwanken Lebens ohne Leid;
Doch, ihr festlich regen Scharen,
Heute möchten wir erfahren,
Daß ihr mehr als Fische seid.
NEREIDEN UND TRITONEN.
Ehe wir hieher gekommen,
Haben wir's zu Sinn genommen;
Schwestern, Brüder, jetzt geschwind!
Heut bedarf's der kleinsten Reise
Zum vollgültigsten Beweise,
Daß wir mehr als Fische sind. (Entfernen sich.)
SIRENEN. Fort sind sie im Nu!
Nach Samothrace grade zu,
Verschwunden mit günstigem Wind.
Was denken sie zu vollführen
Im Reiche der hohen Kabiren?
Sind Götter! Wundersam eigen,
Die sich immerfort selbst erzeugen
Und niemals wissen, was sie sind.
Bleibe auf deinen Höhn,
Holde Luna, gnädig stehn,
Daß es nächtig verbleibe,
Uns der Tag nicht vertreibe!
THALES (am Ufer zu Homunculus.)
Ich führte dich zum alten Nereus gern;
Zwar sind wir nicht von seiner Höhle fern,
Doch hat er einen harten Kopf,
Der widerwärtige Sauertopf.
HOMUNCULUS. Probieren wir's und klopfen an!
Nicht gleich wird's Glas und Flamme kosten.
NEREUS.
Sind's Menschenstimmen, die mein Ohr vernimmt?
Wie es mir gleich im tiefsten Herzen grimmt!
THALES.
Du bist der Weise, treib uns nicht von hier!
Schau diese Flamme, menschenähnlich zwar,
Sie deinem Rat ergibt sich ganz und gar.
NEREUS.
Was Rat! Hat Rat bei Menschen je gegolten?
Ein kluges Wort erstarrt im harten Ohr.
Wie hab' ich Paris väterlich gewarnt,
Eh sein Gelüst ein fremdes Weib umgarnt.
Des Alten Wort, dem Frechen schien's ein Spiel,
Er folgte seiner Lust, und Ilios fiel -
Ulyssen auch! sagt' ich ihm nicht voraus
Der Circe Listen, des Zyklopen Graus?
THALES.
Dem weisen Mann gibt solch Betragen Qual;
Der gute doch versucht es noch einmal.
Ein Quentchen Danks wird, hoch ihn zu
vergnügen,
Die Zentner Undanks völlig überwiegen.
Denn nichts Geringes haben wir zu flehn:
Der Knabe da wünscht weislich zu entstehn.
NEREUS.
Verderbt mir nicht den seltensten Humor!
Ganz andres steht mir heute noch bevor:
Die Töchter hab' ich alle herbeschieden,
Die Grazien des Meeres, die Doriden.
Nicht der Olymp, nicht euer Boden trägt
Ein schön Gebild, das sich so zierlich regt.
Sie werfen sich, unmutigster Gebärde,
Vom Wasserdrachen auf Neptunus' Pferde,
Dem Element aufs zarteste vereint,
Daß selbst der Schaum sie noch zu heben scheint.
Im Farbenspiel von Venus' Muschelwagen
Kommt Galatee, die Schönste, nun getragen,
Die, seit sich Kypris von uns abgekehrt,
In Paphos wird als Göttin selbst verehrt.
Und so besitzt die Holde lange schon,
Als Erbin, Tempelstadt und Wagenthron.
Hinweg! Es ziemt in Vaterfreudenstunde
Nicht Haß dem Herzen, Scheltwort nicht dem
Munde.
Hinweg zu Proteus! Fragt den Wundermann:
Wie man entstehn und sich verwandlen kann.
(Entfernt sich gegen das Meer.)
THALES.
Wir haben nichts durch diesen Schritt gewonnen,
Trifft man auch Proteus, gleich ist er zerronnen;
Und steht er euch, so sagt er nur zuletzt,
Was staunen macht und in Verwirrung setzt.
Du bist einmal bedürftig solchen Rats,
Versuchen wir's und wandlen unsres Pfads!
(Entfernen sich.)
SIRENEN (oben auf den Felsen.)
Was sehen wir von weiten
Das Wellenreich durchgleiten?
NEREIDEN UND TRITONEN.
Was wir auf Händen tragen,
Soll allen euch behagen.
Sind Götter, die wir bringen;
Müßt hohe Lieder singen.
SIRENEN. Klein von Gestalt,
Groß von Gewalt,
Der Scheiternden Retter,
Uralt verehrte Götter.
NEREIDEN UND TRITONEN.
Wir bringen die Kabiren,
Ein friedlich Fest zu führen;
Denn wo sie heilig walten,
Neptun wird freundlich schalten.
Drei haben wir mitgenommen,
Der vierte wollte nicht kommen;
Er sagte, er sei der Rechte,
Der für sie alle dächte.
SIRENEN. Ein Gott den andern Gott
Macht wohl zu Spott.
NEREIDEN UND TRITONEN.
Sind eigentlich ihrer sieben.
SIRENEN. Wo sind die drei geblieben?
NEREIDEN UND TRITONEN.
Wir wüßten's nicht zu sagen,
Sind im Olymp zu erfragen;
Dort west auch wohl der achte,
An den noch niemand dachte!
In Gnaden uns gewärtig,
Doch alle noch nicht fertig.
Diese Unvergleichlichen
Wollen immer weiter,
Sehnsuchtsvolle Hungerleider
Nach dem Unerreichlichen.
SIRENEN. Die Helden des Altertums
Ermangeln des Ruhms,
Wo und wie er auch prangt,
Wenn sie das goldne Vlies erlangt,
Ihr die Kabiren.
(Wiederholt als Allgesang.)
Wenn sie das goldne Vlies erlangt, die Kabiren.
Wir
die Kabiren.
Ihr
(Nereiden und Tritonen ziehen vorüber.)
HOMUNCULUS. Die Ungestalten seh' ich an
Als irden-schlechte Töpfe,
Nun stoßen sich die Weisen dran
Und brechen harte Köpfe.
PROTEUS (unbemerkt.)
So etwas freut mich alten Fabler!
Je wunderlicher, desto respektabler.
THALES. Wo bist du, Proteus?
PROTEUS, (bauchrednerisch, bald nah, bald fern.)
Hier! und hier!
THALES. Den alten Scherz verzeih' ich dir;
Doch einem Freund nicht eitle Worte!
Ich weiß, du sprichst vom falschen Orte.
PROTEUS als aus der Ferne. Leb' wohl!
THALES (leise zu Homunculus.)
Er ist ganz nah. Nun leuchte frisch!
Er ist neugierig wie ein Fisch;
Und wo er auch gestaltet stockt,
Durch Flammen wird er hergelockt.
HOMUNCULUS.
Ergieß' ich gleich des Lichtes Menge,
Bescheiden doch, daß ich das Glas nicht sprenge.
PROTEUS (in Gestalt einer Riesenschildkröte.)
Was leuchtet so anmutig schön?
THALES, (den Homunculus verhüllend.)
Gut! Wenn du Lust hast, kannst du's näher sehn.
Die kleine Mühe laß dich nicht verdrießen
Und zeige dich auf menschlich beiden Füßen.
Mit unsern Gunsten sei's, mit unserm Willen,
Wer schauen will, was wir verhüllen.
PROTEUS, (edel gestaltet.)
Weltweise Kniffe sind dir noch bewußt.
THALES.
Gestalt zu wechseln, bleibt noch deine Lust.
(Hat den Homunculus enthüllt.)
PROTEUS (erstaunt.)
Ein leuchtend Zwerglein! Niemals noch gesehn!
THALES. Es fragt um Rat und möchte gern entstehn.
Er ist, wie ich von ihm vernommen,
Gar wundersam nur halb zur Welt gekommen.
Ihn' fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,
Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.
Bis jetzt gibt ihm das Glas allein Gewicht,
Doch wär' er gern zunächst verkörperlicht.
PROTEUS. Du bist ein wahrer Jungfernsohn,
Eh' du sein solltest, bist du schon!
THALES (leise.)
Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch:
Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.
PROTEUS. Da muß es desto eher glücken;
So wie er anlangt, wird sich's schicken.
Doch gilt es hier nicht viel Besinnen:
Im weiten Meere mußt du anbeginnen!
Da fängt man erst im kleinen an
Und freut sich, Kleinste zu verschlingen,
Man wächst so nach und nach heran
Und bildet sich zu höherem Vollbringen.
HOMUNCULUS Hier weht gar eine weiche Luft,
Es grunelt so, und mir behagt der Duft!
PROTEUS. Das glaub' ich, allerliebster Junge!
Und weiter hin wird's viel behäglicher,
Auf dieser schmalen Strandeszunge
Der Dunstkreis noch unsäglicher;
Da vorne sehen wir den Zug,
Der eben herschwebt, nah genug.
Kommt mit dahin!
THALES. Ich gehe mit.
HOMUNCULUS.
Dreifach merkwürd'ger Geisterschritt!
(Telchinen von Rhodus auf Hippokampen und
Meerdrachen, Neptunens Dreizack handhabend.)
CHOR.
Wir haben den Dreizack Neptunen geschmiedet,
Womit er die regesten Wellen begütet.
Entfaltet der Donnrer die Wolken, die vollen,
Entgegnet Neptunus dem greulichen Rollen;
Und wie auch von oben es zackig erblitzt,
Wird Woge nach Woge von unten gespritzt;
Und was auch dazwischen in Ängsten gerungen,
Wird, lange geschleudert, vom Tiefsten
verschlungen;
Weshalb er uns heute den Zepter gereicht -
Nun schweben wir festlich, beruhigt und leicht.
SIRENEN.
Euch, dem Helios Geweihten,
Heitern Tags Gebenedeiten,
Gruß zur Stunde, die bewegt
Lunas Hochverehrung regt!
TELCHINEN.
Kein Nebel umschwebt uns, und schleicht er sich
ein,
Ein Strahl und ein Lüftchen, die Insel ist rein!
Da schaut sich der Hohe in hundert Gebilden,
Als Jüngling, als Riesen, den großen, den milden.
Wir ersten, wir waren's, die Göttergewalt
Aufstellten in würdiger Menschengestalt.
PROTEUS.
Laß du sie singen, laß sie prahlen!
Der Sonne heiligen Lebestrahlen
Sind tote Werke nur ein Spaß.
Das bildet, schmelzend, unverdrossen;
Und haben sie's in Erz gegossen,
Dann denken sie, es wäre was.
Was ist's zuletzt mit diesen Stolzen?
Die Götterbilder standen groß -
Zerstörte sie ein Erdestoß;
Längst sind sie wieder eingeschmolzen.
Das Erdetreiben, wie's auch sei,
Ist immer doch nur Plackerei;
Dem Leben frommt die Welle besser;
Dich trägt ins ewige Gewässer
Proteus-Delphin. (Er verwandelt sich.)
Schon ist's getan!
Da soll es dir zum schönsten glücken:
Ich nehme dich auf meinen Rücken,
Vermähle dich dem Ozean.
THALES. Gib nach dem löblichen Verlangen,
Von vorn die Schöpfung anzufangen!
Zu raschem Wirken sei bereit!
Da regst du dich nach ewigen Normen,
Durch tausend, abertausend Formen,
Und bis zum Menschen hast du Zeit.
(Homunculus besteigt den Proteus-Delphin.)
PROTEUS. Komm geistig mit in feuchte Weite,
Da lebst du gleich in Läng' und Breite,
Beliebig regest du dich hier;
Nur strebe nicht nach höheren Orten:
Denn bist du erst ein Mensch geworden,
Dann ist es völlig aus mit dir.
SIRENEN (auf den Felsen.)
Welch ein Ring von Wölkchen ründet
Um den Mond so reichen Kreis?
NEREUS, (zu Thales tretend.)
Nennte wohl ein nächtiger Wanderer
Diesen Mondhof Lufterscheinung;
Doch wir Geister sind ganz anderer
Und der einzig richtigen Meinung:
Tauben sind es, die begleiten
Meiner Tochter Muschelfahrt,
Wunderflugs besondrer Art,
Angelernt vor alten Zeiten.
PSYLLEN UND MARSEN
(auf Meerstieren, Meerkälbern und -widdern.)
In Cyperns rauhen Höhlegrüften,
Vom Meergott nicht verschüttet,
Vom Seismos nicht zerrüttet,
Umweht von ewigen Lüften,
Und, wie in den ältesten Tagen,
In stillbewußtem Behagen
Bewahren wir Cypriens Wagen
Und führen, beim Säuseln der Nächte,
Durch liebliches Wellengeflechte,
Unsichtbar dem neuen Geschlechte,
Die lieblichste Tochter heran.
Wir leise Geschäftigen scheuen
Weder Adler noch geflügelten Leuen,
Weder Kreuz noch Mond,
Wie es oben wohnt und thront,
Sich wechselnd wegt und regt,
Sich vertreibt und totschlägt,
Saaten und Städte niederlegt.
Wir, so fortan,
Bringen die lieblichste Herrin heran.
SIRENEN.
Naht euch, rüstige Nereiden,
Derbe Fraun, gefällig wild,
Bringet, zärtliche Doriden,
Galateen, der Mutter Bild:
DORIDEN (im Chor an Nereus vorbeiziehend,
sämtlich auf Delphinen.)
Leih uns, Luna, Licht und Schatten,
Klarheit diesem Jugendflor!
Denn wir zeigen liebe Gatten
Unserm Vater bittend vor. (Zu Nereus.)
Knaben sind's, die wir gerettet
Aus der Brandung grimmem Zahn.
Lobst du, Vater, unser Walten,
Gönnst uns wohlerworbene Lust,
Laß uns fest, unsterblich halten
Sie an ewiger Jugendbrust.
NEREUS. Mögt euch des schönen Fanges freuen,
Den Jüngling bildet euch als Mann;
Allein ich könnte nicht verleihen,
Was Zeus allein gewähren kann.
Die Welle, die euch wogt und schaukelt,
Läßt auch der Liebe nicht Bestand,
Und hat die Neigung ausgegaukelt,
So setzt gemächlich sie ans Land.
DORIDEN.
Ihr, holde Knaben, seid uns wert,
Doch müssen wir traurig scheiden;
Wir haben ewige Treue begehrt,
Die Götter wollen's nicht leiden.
DIE JÜNGLINGE.
Wenn ihr uns nur so ferner labt,
Uns weckte Schifferknaben;
Wir haben's nie so gut gehabt
Und wollen's nicht besser haben.
(Galatee auf dem Muschelwagen nähert sich.)
THALES. Heil! Heil! aufs neue!
Wie ich mich blühend freue,
Vom Schönen, Wahren durchdrungen....
Alles ist aus dem Wasser entsprungen!!
Alles wird durch das Wasser erhalten!
Ozean, gönn uns dein ewiges Walten.
Wenn du nicht Wolken sendetest,
Nicht reiche Bäche spendetest,
Hin und her nicht Flüsse wendetest,
Die Ströme nicht vollendetest,
Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?
Du bist's, der das frischeste Leben erhält.
ECHO, (Chorus der sämtlichen Kreise.)
Du bist's, dem das frischeste Leben entquellt.
NEREUS.
Aber Galateas Muschelthron
Seh' ich schon und aber schon.
Er glänzt wie ein Stern
Durch die Menge.
Geliebtes leuchtet durchs Gedränge!
HOMUNCULUS.
In dieser holden Feuchte
Was ich auch hier beleuchte,
Ist alles reizend schön.
PROTEUS.
In dieser Lebensfeuchte
Erglänzt erst deine Leuchte
Mit herrlichem Getön.
NEREUS
Welch neues Geheimnis in Mitte der Scharen
Will unseren Augen sich offengebaren?
Was flammt um die Muschel, um Galatees Füße?
Bald lodert es mächtig, bald lieblich, bald süße,
Als wär' es von Pulsen der Liebe gerührt.
THALES. Homunculus ist es, von Proteus verführt...
Es sind die Symptome des herrischen Sehnens,
Mir ahnet das Ächzen beängsteten Dröhnens;
Er wird sich zerschellen am glänzenden Thron;
Jetzt flammt es, nun blitzt es, ergießet sich schon.
SIRENEN.
Welch feuriges Wunder verklärt uns die Wellen,
Die gegeneinander sich funkelnd zerschellen?
So leuchtet's und schwandet und heller hinan:
Die Körper, sie glühen auf nächtlicher Bahn,
Und ringsum ist alles vom Feuer umronnen;
So herrsche denn Eros, der alles begonnen!
Heil dem Meere! Heil den Wogen,
Von dem heiligen Feuer umzogen!
Heil dem Wasser! Heil dem Feuer!
Heil dem seltnen Abenteuer!
ALL-ALLE!
Heil den mildgewogenen Lüften!
Heil geheimnisreichen Grüften!
Hochgefeiert seid allhier,
Element' ihr alle vier!
Dritter Akt
Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta
Helena tritt auf und Chor gefangener
Trojanerinnen.
Panthalis, Chorführerin.
HELENA.
Bewundert viel und viel gescholten, Helena,
Vom Strande komm' ich, wo wir erst gelandet sind,
Noch immer trunken von des Gewoges regsamem
Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns
her
Auf sträubig-hohem Rücken, durch Poseidons
Gunst
Und Euros' Kraft, in vaterländische Buchten trug.
Dort unten freuet nun der König Menelas
Der Rückkehr samt den tapfersten seiner Krieger
sich.
Doch welchen Sinn er hegen mag, errat' ich nicht.
Komm' ich als Gattin? komm' ich eine Königin?
Komm' ich ein Opfer für des Fürsten bittern
Schmerz
Und für der Griechen lang' erduldetes
Mißgeschick?
Erobert bin ich; ob gefangen, weiß ich nicht!
Der Tochter Zeus' geziemet nicht gemeine Furcht,
Und flüchtig-leise Schreckenshand berührt sie
nicht;
Auf Weihe will ich sinnen, dann gereinigt mag
Des Herdes Glut die Frau begrüßen wie den Herrn.
(Phorkyas auf der Schwelle zwischen den Türpfosten
auftretend.)
PHORKYAS.
Alt ist das Wort, doch bleibet hoch und wahr der
Sinn,
Daß Scham und Schönheit nie zusammen, Hand in
Hand,
Den Weg verfolgen über der Erde grünen Pfad.
Die Scham betrübt, die Schönheit aber frech
gesinnt,
Bis sie zuletzt des Orkus hohle Nacht umfängt,
Wenn nicht das Alter sie vorher gebändigt hat.
Mannlustige du, so wie verführt verführende,
Entnervend beide, Kriegers auch und Bürgers
Kraft!
CHORFÜHRERIN.
Wie häßlich neben Schönheit zeigt sich
Häßlichkeit.
PHORKYAS.
Wie unverständig neben Klugheit Unverstand.
(Von hier an erwidern die Choretiden, einzeln aus
dem Chor heraustretend.)
CHORETIDE 1.
Von Vater Erebus melde, melde von Mutter Nacht.
PHORKYAS.
So sprich von Scylla, leiblich dir Geschwisterkind.
CHORETIDE 2.
An deinem Stammbaum steigt manch Ungeheur
empor.
PHORKYAS.
Zum Orkus hin! da suche deine Sippschaft auf.
CHORETIDE 3.
Die dorten wohnen, sind dir alle viel zu jung.
PHORKYAS.
Tiresias, den Alten, gehe buhlend an.
CHORETIDE 4.
Orions Amme war dir Ur-Urenkelin.
PHORKYAS.
Harpyen, wähn' ich, fütterten dich im Unflat auf.
CHORETIDE 5.
Mit was ernährst du so gepflegte Magerkeit?
PHORKYAS.
Mit Blute nicht, wonach du allzulüstern bist.
CHORETIDE 6.
Begierig du auf Leichen, ekle Leiche selbst!
PHORKYAS.
Vampyren-Zähne glänzen dir im frechen Maul.
CHORFÜHRERIN.
Das deine stopf' ich, wenn ich sage, wer du seist.
PHORKYAS.
So nenne dich zuerst; das Rätsel hebt sich auf.
(Helena sinkt dem Halbchor in die Arme.)
CHOR.
Schweige, schweige!
Mißblickende, Mißredende du!
Schweige, schweige!
Daß der Königin Seele,
Schon zu entfliehen bereit,
Sich noch halte, festhalte
Die Gestalt aller Gestalten,
Welche die Sonne jemals beschien.
(Helena hat sich erholt und steht wieder in der
Mitte.)
PHORKYAS.
Stehst du nun in deiner Großheit, deiner Schöne
vor uns da,
Sagt dein Blick, daß du befiehlest; was befiehlst
du? sprich es aus.
HELENA.
Eures Haders frech Versäumnis auszugleichen, seid
bereit;
Eilt, ein Opfer zu bestellen, wie der König mir
gebot.
PHORKYAS.
Alles ist bereit im Hause, Schale, Dreifuß, scharfes
Beil
Zum Besprengen, zum Beräuchern; das zu
Opfernde zeig' an!
HELENA.
Nicht bezeichnet' es der König.
PHORKYAS.
Sprach's nicht aus? O Jammerwort!
HELENA.
Welch ein Jammer überfällt dich?
PHORKYAS. Königin, du bist gemeint!
HELENA. Ich?
PHORKYAS. Und diese.
CHOR. Weh und Jammer!
PHORKYAS. Fallen wirst du durch das Beil.
HELENA.
Laß diese bangen! Schmerz empfind' ich, keine
Furcht;
Doch kennst du Rettung, dankbar sei sie anerkannt.
PHORKYAS.
So viele Jahre stand verlassen das Talgebirg,
Das hinter Sparta nordwärts in die Höhe steigt,
Taygetos im Rücken, wo als muntrer Bach
Herab Eurotas rollt und dann, durch unser Tal
An Rohren breit hinfließend, eure Schwäne nährt.
Dort hinten still im Gebirgtal hat ein kühn
Geschlecht
Sich angesiedelt, dringend aus cimmerischer Nacht,
Und unersteiglich feste Burg sich aufgetürmt,
Von da sie Land und Leute placken, wie's behagt.
HELENA.
Das konnten sie vollführen? Ganz unmöglich
scheint's.
PHORKYAS.
Sie hatten Zeit, vielleicht an zwanzig Jahre sind's.
HELENA.
Ist einer Herr? sind's Räuber viel, verbündete?
PHORKYAS.
Nicht Räuber sind es, einer aber ist der Herr.
HELENA.
Wie sieht er aus?
PHORKYAS. Nicht übel! mir gefällt er schon.
Es ist ein munterer, kecker, wohlgebildeter,
Wie unter Griechen wenig', ein verständ'ger Mann.
Man schilt das Volk Barbaren, doch ich dächte
nicht,
Daß grausam einer wäre, wie vor Ilios
Gar mancher Held sich menschenfresserisch
erwies.
Ich acht' auf seine Großheit, ihm vertraut' ich mich.
Und seine Burg! die solltet ihr mit Augen sehn!
Von außen schaut sie! himmelan sie strebt empor,
So starr, so wohl in Fugen, spiegelglatt wie Stahl.
Zu klettern hier - ja selbst der Gedanke gleitet ab.
Und innen großer Höfe Raumgelasse, rings
Mit Baulichkeit umgeben, aller Art und Zweck.
CHOR. Sage, gibt's auch Tänzer da?
PHORKYAS.
Die besten! goldgelockte, frische Bubenschar.
Die duften Jugend! Paris duftete einzig so,
Als er der Königin zu nahe kam.
HELENA. Du fällst
Ganz aus der Rolle; sage mir das letzte Wort!
PHORKYAS.
Du sprichst das letzte, sagst mit Ernst vernehmlich
Ja!
Sogleich umgab' ich dich mit jener Burg.
CHOR. O sprich
Das kurze Wort und rette dich und uns zugleich!
HELENA.
Ich sann mir aus das Nächste, was ich wagen darf.
Ein Widerdämon bist du, das empfind' ich wohl
Und fürchte, Gutes wendest du zum Bösen um.
Vor allem aber folgen will ich dir zur Burg;
Das andre weiß ich; was die Königin dabei
Im tiefen Busen geheimnisvoll verbergen mag,
Sei jedem unzugänglich. Alte, geh voran!
(Nebel verbreiten sich, umhüllen den Hintergrund,
auch die Nähe, nach Belieben.)
CHOR.
Wie? aber wie?
Schwestern, schaut euch um!
War es nicht heiterer Tag?
Nebel schwanken streifig empor
Aus Eurotas' heil'ger Flut;
Alles deckte sich schon
Rings mit Nebel umher.
Sehen wir doch einander nicht!
Was geschieht? gehen wir?
Schweben wir nur
Trippelnden Schrittes am Boden hin?
Ja auf einmal wird es düster, ohne Glanz
entschwebt der Nebel
Dunkelgräulich, mauerbräunlich. Mauern stellen
sich dem Blicke,
Freiem Blicke starr entgegen. Ist's ein Hof? ist's
tiefe Grube?
Schauerlich in jedem Falle! Schwestern, ach! wir
sind gefangen,
So gefangen wie nur je.
Innerer Burghof
umgeben von reichen phantastischen Gebäuden des
Mittelalters
(Faust. Nachdem Knaben und Knappen in
langem Zug herabgestiegen, erscheint er oben an
der Treppe in ritterlicher Hofkleidung des
Mittelalters und kommt langsam würdig herunter.)
FAUST, (herantretend, einen Gefesselten zur Seite.)
Statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte,
Statt ehrfurchtsvollem Willkomm bring' ich dir
In Ketten hart geschlossen solchen Knecht,
Der, Pflicht verfehlend, mir die Pflicht entwand.
Hier kniee nieder, dieser höchsten Frau
Bekenntnis abzulegen deiner Schuld.
Dies ist, erhabne Herrscherin, der Mann,
Mit seltnem Augenblitz vom hohen Turm
Umherzuschaun bestellt, dort Himmelsraum
Und Erdenbreite scharf zu überspähn.
Heute, welch Versäumnis!
Du kommst heran, er meldet's nicht; verfehlt
Ist ehrenvoller, Schuldigster Empfang
So hohen Gastes. Freventlich verwirkt
Das Leben hat er, läge schon im Blut
Verdienten Todes; doch nur du allein
Bestrafst, begnadigst, wie dir's wohlgefällt.
TURMWÄRTER LYNKEUS.
Laß mich knieen, laß mich schauen,
Laß mich sterben, laß mich leben,
Denn schon bin ich hingegeben
Dieser gottgegebnen Frauen.
Aug' und Brust ihr zugewendet,
Sog ich an den milden Glanz;
Diese Schönheit, wie sie blendet,
Blendete mich Armen ganz.
Ich vergaß des Wächters Pflichten,
Völlig das beschworne Horn;
Drohe nur, mich zu vernichten -
Schönheit bändigt allen Zorn.
HELENA.
Das Übel, das ich brachte, darf ich nicht
Bestrafen. Wehe mir! Welch streng Geschick
Verfolgt mich, überall der Männer Busen
So zu betören, daß sie weder sich
Noch sonst ein Würdiges verschonten.
Entferne diesen Guten, laß ihn frei;
FAUST. Erstaunt, o Königin, seh' ich zugleich
Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;
Ich seh' den Bogen, der den Pfeil entsandt,
Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen,
Mich treffend. Allwärts ahn' ich überquer
Gehadert schwirrend sie in Burg und Raum.
Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir
Rebellisch die Getreusten, meine Mauern
Unsicher. Also fürcht' ich schon, mein Heer
Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.
Was bleibt mir übrig, als mich selbst und alles,
Im Wahn das Meine, dir anheimzugeben?
Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,
Dich Herrin anerkennen, die sogleich
Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.
HELENA (zu Faust.)
An meine Seite komm! Der leere Platz
Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.
FAUST.
Erst knieend laß die treue Widmung dir
Gefallen, hohe Frau; die Hand, die mich
An deine Seite hebt, laß mich sie küssen.
Bestärke mich als Mitregenten deines
Grenzunbewußten Reichs, gewinne dir
Verehrer, Diener, Wächter all' in einem!
HELENA.
Ich fühle mich so fern und doch so nah,
Und sage nur zu gern: Da bin ich! da!
FAUST.
Ich atme kaum, mir zittert, stockt das Wort;
Es ist ein Traum, verschwunden Tag und Ort.
HELENA.
Ich scheine mir verlebt und doch so neu,
In dich verwebt, dem Unbekannten treu.
FAUST.
Durchgrüble nicht das einzigste Geschick!
Dasein ist Pflicht, und wär's ein Augenblick.
PHORKYAS, (heftig eintretend.)
Buchstabiert in Liebesfibeln,
Tändelnd grübelt nur am Liebeln.
Fühlt ihr nicht ein dumpfes Wettern?
Hört nur die Trompete schmettern,
Das Verderben ist nicht weit.
Menelas mit Volkeswogen
Kommt auf euch herangezogen;
Rüstet euch zu herbem Streit!
FAUST.
Verwegne Störung! widerwärtig dringt sie ein;
Auch nicht in Gefahren mag ich sinnlos Ungestüm.
(Signale, Explosionen von den Türmen, Trompeten
und Zinken, kriegerische Musik, Durchmarsch
gewaltiger Heereskraft.)
FAUST.
Drängt ungesäumt von diesen Mauern
Jetzt Menelas dem Meer zurück;
Dort irren mag er, rauben, lauern,
Ihm war es Neigung und Geschick.
Herzoge soll ich euch begrüßen,
Gebietet Spartas Königin;
Nun legt ihr Berg und Tal zu Füßen,
Und euer sei des Reichs Gewinn.
(Faust steigt herab, die Fürsten schließen einen
Kreis um ihn, Befehl und Anordnung näher zu
vernehmen.)
CHOR.
Wer die Schönste für sich begehrt,
Tüchtig vor allen Dingen
Seh' er nach Waffen weise sich um;
Schmeichelnd wohl gewann er sich,
Was auf Erden das Höchste;
Aber ruhig besitzt er's nicht:
FAUST.
Die Gaben, diesen hier verliehen -
An jeglichen ein reiches Land-,
Sind groß und herrlich; laß sie ziehen!
Wir halten in der Mitte stand.
Dies Land, allein zu dir gekehret,
Entbietet seinen höchsten Flor;
Und mütterlich im stillen Schattenkreise
Quillt taue Milch bereit für Kind und Lamm;
Obst ist nicht weit, der Ebnen reife Speise,
Und Honig trieft vom ausgehöhlten Stamm.
Hier ist das Wohlbehagen erblich,
Die Wange heitert wie der Mund,
Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich:
Sie sind zufrieden und gesund.
Und so entwickelt sich am reinen Tage
Zu Vaterkraft das holde Kind.
Wir staunen drob; noch immer bleibt die Frage:
Ob's Götter, ob es Menschen sind?
So war Apoll den Hirten zugestaltet,
Daß ihm der schönsten einer glich;
Denn wo Natur im reinen Kreise waltet,
Ergreifen alle Welten sich.
(Neben ihr sitzend.)
So ist es mir, so ist es dir gelungen;
Vergangenheit sei hinter uns getan!
O fühle dich vom höchsten Gott entsprungen,
Der ersten Welt gehörst du einzig an.
Nicht feste Burg soll dich umschreiben!
Noch zirkt in ewiger Jugendkraft
Für uns, zu wonnevollem Bleiben,
Arkadien in Spartas Nachbarschaft.
Gelockt, auf sel'gem Grund zu wohnen,
Du flüchtest ins heiterste Geschick!
Zur Laube wandeln sich die Thronen,
Arkadisch frei sei unser Glück!
(Der Schauplatz verwandelt sich durchaus. An eine
Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschloßne
Lauben. Schattiger Hain bis an die rings
umgebende Felsensteile hinan. Faust und Helena
werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend
verteilt umher.)
PHORKYAS.
Wie lange Zeit die Mädchen schlafen, weiß ich
nicht;
Ob sie sich träumen ließen, was ich hell und klar
Vor Augen sah, ist ebenfalls mir unbekannt.
Drum weck' ich sie. Erstaunen soll das junge Volk;
Ihr Bärtigen auch, die ihr da drunten sitzend harrt,
Glaubhafter Wunder Lösung endlich anzuschaun.
Hervor! hervor! Und schüttelt eure Locken rasch!
Schlaf aus den Augen! Blinzt nicht so und hört
mich an!
CHOR.
Rede nur, erzähl', erzähle, was sich Wunderlichs
begeben!
PHORKYAS.
So vernehmt: in diesen Höhlen, diesen Grotten,
diesen Lauben
Schutz und Schirmung war verliehen, wie
idyllischem Liebespaare,
Unserm Herrn und unsrer Frauen.
CHOR. Wie, da drinnen?
PHORKYAS.
Allerdings, ihr Unerfahrnen! das sind unerforschte
Tiefen:
Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt' ich
sinnend aus.
Doch auf einmal ein Gelächter echot in den
Höhlenräumen;
Schau' ich hin, da springt ein Knabe von der
Frauen
Schoß zum Manne
Von dem Vater zu der Mutter; das Gekose, das
Getändel
Töriger Liebe Neckereien, Scherzgeschrei und
Lustgejauchze
Wechselnd übertäuben mich.
Nackt, ein Genius ohne Flügel, faunenartig ohne
Tierheit,
Springt er auf den festen Boden; doch der Boden
gegenwirkend
Schnellt ihn zu der luft'gen Höhe, und im zweiten,
dritten Sprunge
Rührt er an das Hochgewölb
Ängstlich ruft die Mutter: Springe wiederholt und
nach Belieben,
Aber hüte dich, zu fliegen, freier Flug ist dir
versagt.
Und so mahnt der treue Vater: In der Erde liegt die
Schnellkraft,
Die dich aufwärts treibt; berühre mit der Zehe nur
den Boden,
Wie der Erdensohn Antäus bist du alsobald
gestärkt.
In der Hand die goldne Leier, völlig wie ein kleiner
Phöbus
Tritt er wohlgemut zur Kante, zu dem Überhang;
wir staunen.
Und die Eltern vor Entzücken werfen wechselnd
sich ans Herz.
Denn wie leuchtet's ihm zu Haupten? Was
erglänzt, ist schwer zu sagen,
Ist es Goldschmuck, ist es Flamme übermächtiger
Geisteskraft?
Und so regt er sich gebärdend, sich als Knabe
schon verkündend
Künftigen Meister alles Schönen, dem die ewigen
Melodien
Durch die Glieder sich bewegen; und so werdet ihr
ihn hören,
Und so werdet ihr ihn sehn zu einzigster
Bewunderung.
(Ein reizendes, reinmelodisches Saitenspiel erklingt
aus der Höhle. Alle merken auf und scheinen bald
innig gerührt. Von hier an bis zur bemerkten Pause
durchaus mit vollstimmiger Musik.)
EUPHORION.
Hört ihr Kindeslieder singen,
Gleich ist's euer eigner Scherz;
Seht ihr mich im Takte springen,
Hüpft euch elterlich das Herz.
HELENA.
Liebe, menschlich zu beglücken,
Nähert sie ein edles Zwei,
Doch zu göttlichem Entzücken
Bildet sie ein köstlich Drei.
FAUST. Alles ist sodann gefunden:
Ich bin dein, und du bist mein;
Und so stehen wir verbunden,
Dürft' es doch nicht anders sein!
EUPHORION.
Nun laßt mich hüpfen,
Nun laßt mich springen!
Zu allen Lüften
Hinaufzudringen,
Ist mir Begierde,
Sie faßt mich schon.
HELENA UND FAUST.
Bändige! bändige
Eltern zuliebe
Überlebendige,
Heftige Triebe!
Ländlich im stillen
Ziere den Plan.
EUPHORION.
Nur euch zu Willen
Halt' ich mich an.
(Durch den Chor sich schlingend und ihn zum
Tanze fortziehend.)
Leichter umschweb' ich hie
Muntres Geschlecht.
Ihr seid so viele
Leichtfüßige Rehe;
Zu neuem Spiele
Frisch aus der Nähe!
Ich bin der Jäger,
Ihr seid das Wild.
CHOR.
Willst du uns fangen,
Sei nicht behende,
Denn wir verlangen
Doch nur am Ende,
Dich zu umarmen,
Du schönes Bild!
EUPHORION.
Nur durch die Haine!
Zu Stock und Steine!
Das leicht Errungene,
Das widert mir,
Nur das Erzwungene
Ergetzt mich schier.
HELENA UND FAUST.
Welch ein Mutwill'! welch ein Rasen!
Keine Mäßigung ist zu hoffen.
Klingt es doch wie Hörnerblasen
Über Tal und Wälder dröhnend;
Welch ein Unfug! welch Geschrei!
CHOR, (einzeln schnell eintretend.)
Uns ist er vorbeigelaufen;
Mit Verachtung uns verhöhnend,
Schleppt er von dem ganzen Haufen
Nun die Wildeste herbei.
EUPHORION, (ein junges Mädchen hereintragend.)
Schlepp' ich her die derbe Kleine
Zu erzwungenem Genusse;
Mir zur Wonne, mir zur Lust
Drück' ich widerspenstige Brust,
Küss' ich widerwärtigen Mund,
Tue Kraft und Willen kund.
MÄDCHEN.
Laß mich los! In dieser Hülle
Ist auch Geistes Mut und Kraft;
Deinem gleich ist unser Wille
Nicht so leicht hinweggerafft.
Glaubst du wohl mich im Gedränge?
Deinem Arm vertraust du viel!
Halte fest, und ich versenge
Dich, den Toren, mir zum Spiel.
(Sie flammt auf und lodert in die Höhe.)
EUPHORION, (die letzten Flammen abschüttelnd.)
Immer höher muß ich steigen,
Immer weiter muß ich schaun.
Träumt ihr den Friedenstag?
Träume, wer träumen mag.
Krieg! ist das Losungswort.
Sieg! und so klingt es fort.
CHOR.
Seht hinauf, wie hoch gestiegen!
Und er scheint uns doch nicht klein:
Wie im Harnisch, wie zum Siegen,
Wie von Erz und Stahl der Schein.
EUPHORION.
Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,
In Waffen kommt der Jüngling an;
Und hört ihr donnern auf dem Meere?
Dort widerdonnern Tal um Tal,
In Staub und Wellen, Heer dem Heere,
In Drang um Drang, zu Schmerz und Qual.
Und der Tod
Ist Gebot,
Das versteht sich nun einmal.
HELENA, FAUST UND CHOR.
Welch Entsetzen! welches Grauen!
Ist der Tod denn dir Gebot?
EUPHORION.
Doch! - und ein Flügelpaar
Faltet sich los!
Dorthin! Ich muß! ich muß!
Gönnt mir den Flug!
(Er wirft sich in die Lüfte, die Gewande tragen ihn
einen Augenblick, sein Haupt strahlt, ein
Lichtschweif zieht nach.)
CHOR.
Ikarus! Ikarus!
Jammer genug.
(Ein schöner Jüngling stürzt zu der Eltern Füßen,
man glaubt in dem Toten eine bekannte Gestalt zu
erblicken; doch das Körperliche verschwindet
sogleich, die Aureole steigt wie ein Komet zum
Himmel auf, Kleid, Mantel und Lyra bleiben liegen.)
EUPHORIONS STIMME (aus der Tiefe.)
Laß mich im düstern Reich,
Mutter, mich nicht allein!
(Völlige Pause. Die Musik hört auf.)
HELENA (zu Faust.)
Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht
vereint.
Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;
Bejammernd beide, sag' ich schmerzlich Lebewohl
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
Persephoneia, nimm den Knaben auf und mich!
(Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet,
Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.)
PHORKYAS (zu Faust.)
Halte fest, was dir von allem übrigblieb.
Das Kleid, laß es nicht los. Da zupfen schon
Dämonen an den Zipfeln, möchten gern
Zur Unterwelt es reißen. Halte fest!
Die Göttin ist's nicht mehr, die du verlorst,
Doch göttlich ist's. Bediene dich der hohen,
Unschätzbaren Gunst und hebe dich empor:
Es trägt dich über alles Gemeine rasch
Am Äther hin, so lange du dauern kannst.
Wir sehn uns wieder, weit, gar weit von hier.
(Helenens Gewande lösen sich in Wolken auf,
umgeben Faust, heben ihn in die Höhe und ziehen
mit ihm vorüber.)
PANTHALIS.
Nun eilig, Mädchen! Sind wir doch den Zauber los,
Der alt-thessalischen Vettel wüsten Geisteszwang,
So des Geklimpers vielverworrner Töne Rausch,
Das Ohr verwirrend, schlimmer noch den Innern
Sinn.
Hinab zum Hades! Eilte doch die Königin
Mit ernstem Gang hinunter. Ihrer Sohle sei
Unmittelbar getreuer Mägde Schritt gefügt.
Wir finden sie am Throne der Unerforschlichen.
Wer keinen Namen sich erwarb noch Edles will,
Gehört den Elementen an; so fahret hin!
Mit meiner Königin zu sein, verlangt mich heiß;
Nicht nur Verdienst, auch Treue wahrt uns die
Person. (Ab.)
ALLE.
Zurückgegeben sind wir dem Tageslicht,
Zwar Personen nicht mehr,
Das fühlen, das wissen wir,
Aber zum Hades kehren wir nimmer.
Ewig lebendige Natur
Macht auf uns Geister,
Wir auf sie vollgültigen Anspruch.
EIN TEIL DES CHORS.
Wir in dieser tausend Äste Flüsterzittern,
Säuselschweben
Reizen tändlend, locken leise wurzelauf des Lebens
Quellen
Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit
Blüten überschwenglich
Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem
Gedeihn.
Fällt die Frucht, sogleich versammeln lebenslustig
Volk und Herden
Sich zum Greifen, sich zum Naschen, eilig
kommend, emsig drängend;
Und wie vor den ersten Göttern bückt sich alles um
uns her.
EIN ANDRER TEIL.
Wir, an dieser Felsenwände weithinleuchtend
glattem Spiegel
Schmiegen wir, in sanften Wellen uns bewegend,
schmeichelnd an;
Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsängen,
Röhrigflöten,
Sei es Pans furchtbarer Stimme, Antwort ist
sogleich bereit;
Säuselt's, säuseln wir erwidernd, donnert's, rollen
unsre Donner
In erschütterndem Verdoppeln, dreifach, zehnfach
hintennach.
EIN DRITTER TEIL.
Schwestern! Wir, bewegtern Sinnes, eilen mit den
Bächen weiter;
Denn es reizen jener Ferne reichgeschmückte
Hügelzüge.
Immer abwärts, immer tiefer wässern wir,
mäandrisch wallend,
Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten
um das Haus.
Dort bezeichnen's der Zypressen schlanke Wipfel,
über Landschaft,
Uferzug und Wellenspiegel nach dem Äther
steigende.
EIN VIERTER TEIL.
Wallt ihr andern, wo's beliebet; wir umzingeln, wir
umrauschen
Den durchaus bepflanzten Hügel, wo am Stab die
Rebe grünt;
Dort zu aller Tage Stunden läßt die Leidenschaft
des Winzers
Uns des liebevollsten Fleißes zweifelhaft Gelingen
sehn.
Bald mit Hacke, bald mit Spaten, bald mit Häufeln,
Schneiden, Binden
Betet er zu allen Göttern, fördersamst zum
Sonnengott.
Bacchus kümmert sich, der Weichling, wenig um
den treuen Diener,
Ruht in Lauben, lehnt in Höhlen, faselnd mit dem
jüngsten Faun.
Was zu seiner Träumereien halbem Rausch er je
bedurfte,
Immer bleibt es ihm in Schläuchen, ihm in Krügen
und Gefäßen,
Rechts und links der kühlen Grüfte, ewige Zeiten
aufbewahrt.
Haben aber alle Götter, hat nun Helios vor allen,
Lüftend, feuchtend, wärmend, glutend, Beeren-
Füllhorn aufgehäuft,
Wo der stille Winzer wirkte, dort auf einmal wird's
lebendig,
Und es rauscht in jedem Laube, raschelt um von
Stock zu Stock.
Körbe knarren, Eimer klappern, Tragebutten
ächzen hin,
Alles nach der großen Kufe zu der Keltrer
kräft'gem Tanz;
Und so wird die heilige Fülle reingeborner saftiger
Beeren
Frech zertreten, schäumend, sprühend mischt
sich's, widerlich zerquetscht.
Und nun gellt ins Ohr der Zimbeln mit der Becken
Erzgetöne,
Denn es hat sich Dionysos aus Mysterien enthüllt;
Kommt hervor mit Ziegenfüßlern, schwankend
Ziegenfüßlerinnen,
Und dazwischen schreit unbändig grell Silenus'
öhrig Tier.
Nichts geschont! Gespaltne Klauen treten alle Sitte
nieder,
Alle Sinne wirbeln taumlich, gräßlich übertäubt
das Ohr.
Nach der Schale tappen Trunkne, überfüllt sind
Kopf und Wänste,
Sorglich ist noch ein und andrer, doch vermehrt er
die Tumulte,
Denn um neuen Most zu bergen, leert man rasch
den alten Schlauch!
(Der Vorhang fällt. Phorkyas im Proszenium richtet
sich riesenhaft auf, tritt aber von den Kothurnen
herunter, lehnt Maske und Schleier zurück und zeigt
sich als Mephistopheles, um, insofern es nötig wäre,
im Epilog das Stück zu kommentieren.)
Vierter Akt
Hochgebirg
starre, zackige Felsengipfel
Eine Wolke zieht herbei, lehnt sich an, senkt sich auf
eine vorstehende Platte herab. Sie teilt sich.
FAUST (tritt hervor.)
Der Einsamkeiten tiefste schauend unter meinem
Fuß,
Bettet' ich wohlbedächtig dieser Gipfel Saum,
Entlassend meiner Wolke Tragewerk, die mich
sanft
An klaren Tagen über Land und Meer geführt.
Sie löst sich langsam, nicht zerstiebend, von mir
ab.
Nach Osten strebt die Masse mit geballtem Zug,
Ihr strebt das Auge staunend in Bewundrung nach.
Sie teilt sich wandelnd, wogenhaft, veränderlich.
Doch will sich's modeln. - Ja! das Auge trügt mich
nicht! -
Auf sonnbeglänzten Pfühlen herrlich hingestreckt,
Zwar riesenhaft, ein göttergleiches Fraungebild,
Ich seh's! Junonen ähnlich, Leda'n, Helenen,
Wie majestätisch lieblich mir's im Auge schwankt.
Täuscht mich ein
entzückend Bild,
Als jugenderstes, längstentbehrtes höchstes Gut?
Des tiefsten Herzens frühste Schätze quellen auf:
Aurorens Liebe, leichten Schwung bezeichnet's
mir,
Den schnellempfundnen, ersten, kaum verstandnen
Blick,
Der, festgehalten, überglänzte jeden Schatz.
Wie Seelenschönheit steigert sich die holde Form,
Löst sich nicht auf, erhebt sich in den Äther hin
Und zieht das Beste meines Innern mit sich fort.
(Ein Siebenmeilenstiefel tappt auf. Ein anderer folgt
alsbald. Mephistopheles steigt ab. Die Stiefel
schreiten eilig weiter.)
MEPHISTOPHELES.
Das heiß' ich endlich vorgeschritten!
Nun aber sag, was fällt dir ein?
Steigst ab in solcher Greuel Mitten,
Im gräßlich gähnenden Gestein?
Ich kenn' es wohl, doch nicht an dieser Stelle,
Denn eigentlich war das der Grund der Hölle.
FAUST. Es fehlt dir nie an närrischen Legenden;
Fängst wieder an, dergleichen auszuspenden.
MEPHISTOPHELES (ernsthaft.)
Was ehmals Grund war, ist nun Gipfel.
Sie gründen auch hierauf die rechten Lehren,
Das Unterste ins Oberste zu kehren.
Denn wir entrannen knechtisch-heißer Gruft
Ins Übermaß der Herrschaft freier Luft.
Ein offenbar Geheimnis, wohl verwahrt,
Und wird nur spät den Völkern offenbart. (Ephes. 6, 12.)
FAUST. Gebirgesmasse bleibt mir edel-stumm,
Ich frage nicht woher und nicht warum.
Als die Natur sich in sich selbst gegründet,
Da hat sie rein den Erdball abgeründet,
Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut
Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht,
Die Hügel dann bequem hinabgebildet,
Mit sanftem Zug sie in das Tal gemildet.
Da grünt's und wächst's, und um sich zu erfreuen,
Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien.
MEPHISTOPHELES.
Das sprecht Ihr so! Das scheint Euch sonnenklar;
Doch weiß es anders, der zugegen war.
Ich war dabei, als noch da drunten siedend
Der Abgrund schwoll und strömend Flammen trug;
Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend,
Gebirgestrümmer in die Ferne schlug.
FAUST. Es ist doch auch bemerkenswert zu achten,
Zu sehn, wie Teufel die Natur betrachten.
MEPHISTOPHELES.
Was geht mich's an! Natur sei, wie sie sei!
's ist Ehrenpunkt: der Teufel war dabei!
Wir sind die Leute, Großes zu erreichen;
Tumult, Gewalt und Unsinn! sieh das Zeichen! -
Doch, daß ich endlich ganz verständlich spreche,
Gefiel dir nichts an unsrer Oberfläche?
Du übersahst, in ungemeßnen Weiten,
Die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten.
(Matth.4.)
Doch, ungenügsam, wie du bist,
Empfandest du wohl kein Gelüst?
FAUST. Und doch! ein Großes zog mich an.
Errate!
MEPHISTOPHELES.
Errät man wohl, wornach du strebtest?
Es war gewiß erhaben kühn.
Der du dem Mond um so viel näher schwebtest,
Dich zog wohl deine Sucht dahin?
FAUST. Mitnichten! dieser Erdenkreis
Gewährt noch Raum zu großen Taten.
Erstaunenswürdiges soll geraten,
Ich fühle Kraft zu kühnem Fleiß.
MEPH. Und also willst du Ruhm verdienen?
Man merkt's, du kommst von Heroinen.
FAUST. Herrschaft gewinn' ich, Eigentum!
Die Tat ist alles, nichts der Ruhm.
MEPHISTOPHELES.
Geschehe denn nach deinem Willen!
Vertraue mir den Umfang deiner Grillen.
FAUST. Mein Auge war aufs hohe Meer gezogen;
Es schwoll empor, sich in sich selbst zu türmen,
Dann ließ es nach und schüttete die Wogen,
Des flachen Ufers Breite zu bestürmen.
Und das verdroß mich; wie der Übermut
Den freien Geist, der alle Rechte schätzt,
Durch leidenschaftlich aufgeregtes Blut
Ins Mißbehagen des Gefühls versetzt.
Ich hielt's für Zufall, schärfte meinen Blick:
Die Woge stand und rollte dann zurück,
Entfernte sich vom stolz erreichten Ziel;
Die Stunde kommt, sie wiederholt das Spiel.
MEPHISTOPHELES (ad spectatores.)
Da ist für mich nichts Neues zu erfahren,
Das kann' ich schon seit hunderttausend Jahren.
FAUST, (leidenschaftlich fortfahrend.)
Sie schleicht heran, an abertausend Enden,
Unfruchtbar selbst, Unfruchtbarkeit zu spenden;
Nun schwillt's und wächst und rollt und überzieht
Der wüsten Strecke widerlich Gebiet.
Da herrschet Well' auf Welle kraftbegeistet,
Zieht sich zurück, und es ist nichts geleistet,
Was zur Verzweiflung mich beängstigen könnte!
Zwecklose Kraft unbändiger Elemente!
Da wagt mein Geist, sich selbst zu überfliegen;
Hier möcht' ich kämpfen, dies möcht' ich besiegen.
Und es ist möglich! - Flutend wie sie sei,
An jedem Hügel schmiegt sie sich vorbei;
Sie mag sich noch so übermütig regen,
Geringe Höhe ragt ihr stolz entgegen,
Geringe Tiefe zieht sie mächtig an.
Da faßt' ich schnell im Geiste Plan auf Plan:
Erlange dir das köstliche Genießen,
Das herrische Meer vom Ufer auszuschließen,
Der feuchten Breite Grenzen zu verengen
Und, weit hinein, sie in sich selbst zu drängen.
Von Schritt zu Schritt wußt' ich mir's zu erörtern;
Das ist mein Wunsch, den wage zu befördern!
(Trommeln und kriegerische Musik im Rücken der
Zuschauer, aus der Ferne, von der rechten Seite
her.)
MEPH.
Wie leicht ist das! Hörst du die Trommeln fern?
FAUST.
Schon wieder Krieg! der Kluge hört's nicht gern.
MEPHISTOPHELES.
Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen,
Zu seinem Vorteil etwas auszuziehen.
Man paßt, man merkt auf jedes günstige Nu.
Gelegenheit ist da, nun, Fauste, greife zu!
FAUST.
Mit solchem Rätselkram verschone mich!
Und kurz und gut, was soll's? Erkläre dich.
MEPHISTOPHELES.
Auf meinem Zuge blieb mir nicht verborgen:
Der gute Kaiser schwebt in großen Sorgen.
Du kennst ihn ja. Als wir ihn unterhielten,
Ihm falschen Reichtum in die Hände spielten,
Da war die ganze Welt ihm feil.
Denn jung ward ihm der Thron zuteil,
Und ihm beliebt' es, falsch zu schließen,
Es könne wohl zusammengehen
Und sei recht wünschenswert und schön:
Regieren und zugleich genießen.
FAUST.
Ein großer Irrtum. Wer befehlen soll,
Muß im Befehlen Seligkeit empfinden.
Ihm ist die Brust von hohem Willen voll,
Doch was er will, es darf's kein Mensch ergründen.
Was er den Treusten in das Ohr geraunt,
Es ist getan, und alle Welt erstaunt.
So wird er stets der Allerhöchste sein,
Der Würdigste-; Genießen macht gemein.
MEPH.
So ist er nicht. Er selbst genoß, und wie!
Indes zerfiel das Reich in Anarchie,
Wo groß und klein sich kreuz und quer befehdeten
Und Brüder sich vertrieben, töteten,
Burg gegen Burg, Stadt gegen Stadt,
Zunft gegen Adel Fehde hat,
Der Bischof mit Kapitel und Gemeinde;
Was sich nur ansah, waren Feinde.
Und solchen Zustand durfte niemand schelten,
Ein jeder konnte, jeder wollte gelten.
Der Kleinste selbst, er galt für voll.
Doch war's zuletzt den Besten allzutoll.
Die Tüchtigen, sie standen auf mit Kraft
Und sagten: Herr ist, der uns Ruhe schafft.
Der Kaiser kann's nicht, will's nicht - laßt uns
wählen,
Den neuen Kaiser neu das Reich beseelen,
Indem er jeden sicher stellt,
In einer frisch geschaffnen Welt
Fried' und Gerechtigkeit vermählen.
FAUST. Das klingt sehr pfäffisch.
MEPHISTOPHELES. Pfaffen waren's auch,
Sie sicherten den wohlgenährten Bauch.
Sie waren mehr als andere beteiligt.
Der Aufruhr schwoll, der Aufruhr ward geheiligt;
Und unser Kaiser, den wir froh gemacht,
Zieht sich hieher, vielleicht zur letzten Schlacht.
FAUST. Er jammert mich; er war so gut und offen.
MEPH. Komm, sehn wir zu! der Lebende soll hoffen.
Befrein wir ihn aus diesem engen Tale!
Einmal gerettet, ist's für tausend Male.
Wer weiß, wie noch die Würfel fallen?
Und hat er Glück, so hat er auch Vasallen.
(Sie steigen über das Mittelgebirg herüber und
beschauen die Anordnung des Heeres im Tal.
Trommeln und Kriegsmusik schallt von unten auf.)
MEPH. Die Stellung, seh' ich, gut ist sie genommen;
Wir treten zu, dann ist der Sieg vollkommen.
FAUST. Was kann da zu erwarten sein?
Trug! Zauberblendwerk! Hohler Schein.
MEPHISTOPHELES.
Kriegslist, um Schlachten zu gewinnen!
Befestige dich bei großen Sinnen,
Indem du deinen Zweck bedenkst.
Erhalten wir dem Kaiser Thron und Lande,
So kniest du nieder und empfängst
Die Lehn von grenzenlosem Strande.
FAUST. Schon manches hast du durchgemacht,
Nun, so gewinn auch eine Schlacht!
MEPHISTOPHELES.
Nein, du gewinnst sie! Diesesmal
Bist du der Obergeneral.
Auf dem Vorgebirg
Trommeln und kriegerische Musik von unten. Des
Kaisers Zelt wird aufgeschlagen.
Kaiser. Obergeneral. Trabanten.
KAISER.
Dort ziehn sie her, die falschen Anverwandten,
Wie sie mich Oheim, Vetter, Bruder nannten,
Sich immer mehr und wieder mehr erlaubten,
Dem Zepter Kraft, dem Thron Verehrung raubten,
Dann, unter sich entzweit, das Reich verheerten
Und nun gesamt sich gegen mich empörten.
Ein Gegenkaiser kommt mir zum Gewinn:
Nun fühl' ich erst, daß ich der Kaiser bin.
MEPHISTOPHELES (von oben herunterkommend.)
Nun schauet, wie im Hintergrunde
Aus jedem zackigen Felsenschlunde
Bewaffnete hervor sich drängen,
Die schmalen Pfade zu verengen,
Mit Helm und Harnisch, Schwertern, Schilden
In unserm Rücken eine Mauer bilden,
Den Wink erwartend, zuzuschlagen.
(Leise zu den Wissenden.)
Woher das kommt, müßt ihr nicht fragen.
Ich habe freilich nicht gesäumt,
Die Waffensäle ringsum ausgeräumt;
Da standen sie zu Fuß, zu Pferde,
Als wären sie noch Herrn der Erde;
Sonst waren's Ritter, König, Kaiser,
Jetzt sind es nichts als leere Schneckenhäuser;
Gar manch Gespenst hat sich darein geputzt,
Das Mittelalter lebhaft aufgestutzt.
Welch Teufelchen auch drinne steckt,
Für diesmal macht es doch Effekt.
(Laut.) Hört, wie sie sich voraus erbosen,
Blechklappernd aneinander stoßen!
Auch flattern Fahnenfetzen bei Standarten,
Die frischer Lüftchen ungeduldig harrten.
Bedenkt, hier ist ein altes Volk bereit
Und mischte gern sich auch zum neuen Streit.
(Furchtbarer Posaunenschall von oben, im
feindlichen Heere merkliche Schwankung.)
FAUST. Der Horizont hat sich verdunkelt,
Nur hie und da bedeutend funkelt
Ein roter ahnungsvoller Schein;
Schon blutig blinken die Gewehre;
Der Fels, der Wald, die Atmosphäre,
Der ganze Himmel mischt sich ein.
KAISER. Erst sah ich einen Arm erhoben,
Jetzt seh' ich schon ein Dutzend toben;
Naturgemäß geschieht es nicht.
Doch wie bedenklich! Alle Spitzen
Der hohen Speere seh' ich blitzen;
Auf unsres Phalanx blanken Lanzen
Seh' ich behende Flämmchen tanzen.
Das scheint mir gar zu geisterhaft.
FAUST. Verzeih, o Herr, das sind die Spuren
Verschollner geistiger Naturen.
KAISER. Doch sage: wem sind wir verpflichtet,
Daß die Natur, auf uns gerichtet,
Das Seltenste zusammenrafft?
MEPHISTOPHELES.
Wem als dem Meister, jenem hohen,
Der dein Geschick im Busen trägt?
Durch deiner Feinde starkes Drohen
Ist er im Tiefsten aufgeregt.
Sein Dank will dich gerettet sehen,
Und sollt' er selbst daran vergehen.
KAISER. Ein Adler schwebt im Himmelhohen,
Ein Greif ihm nach mit wildem Drohen.
FAUST. Gib acht: gar günstig scheint es mir.
Greif ist ein fabelhaftes Tier;
Wie kann er sich so weit vergessen,
Mit echtem Adler sich zu messen?
KAISER. Nunmehr, in weitgedehnten Kreisen,
Umziehn sie sich; - in gleichem Nu
Sie fahren aufeinander zu,
Sich Brust und Hälse zu zerreißen.
FAUST. Nun merke, wie der leidige Greif,
Zerzerrt, zerzaust, nur Schaden findet
Und mit gesenktem Löwenschweif,
Zum Gipfelwald gestürzt, verschwindet.
MEPHISTOPHELES.
Da kommen meine beiden Raben,
Was mögen die für Botschaft haben?
Ich fürchte gar, es geht uns schlecht.
(zu den Raben,)
Setzt euch ganz nah zu meinen Ohren.
Wen ihr beschützt, ist nicht verloren,
Denn euer Rat ist folgerecht.
FAUST (zum Kaiser.)
Von Tauben hast du ja vernommen,
Die aus den fernsten Landen kommen
Zu ihres Nestes Brut und Kost.
Hier ist's mit wichtigen Unterschieden:
Die Taubenpost bedient den Frieden,
Der Krieg befiehlt die Rabenpost.
MEPHISTOPHELES.
Es meldet sich ein schwer Verhängnis:
Seht hin! gewahret die Bedrängnis
Um unsrer Helden Felsenrand!
Die nächsten Höhen sind erstiegen.
Und würden sie den Paß besiegen,
Wir hätten einen schweren Stand.
KAISER. So bin ich endlich doch betrogen!
Ihr habt mich in das Netz gezogen;
Mir graut, seitdem es mich umstrickt.
MEPHISTOPHELES.
Nur Mut! Noch ist es nicht mißglückt.
FAUST. Was ist zu tun?
MEPHISTOPHELES. Es ist getan! -
Nun, schwarze Vettern, rasch im Dienen,
Zum großen Bergsee! grüßt mir die Undinen
Und bittet sie um ihrer Fluten Schein.
Durch Weiberkünste, schwer zu kennen,
Verstehen sie vom Sein den Schein zu trennen,
Und jeder schwört, das sei das Sein. (Pause.)
FAUST. Den Wasserfräulein müssen unsre Raben
Recht aus dem Grund geschmeichelt haben;
Dort fängt es schon zu rieseln an.
An mancher trocknen, kahlen Felsenstelle
Entwickelt sich die volle, rasche Quelle;
Um jener Sieg ist es getan.
MEPHISTOPHELES. Das ist ein wunderbarer Gruß,
Die kühnsten Klettrer sind konfus.
FAUST.
Schon rauscht ein Bach zu Bächen mächtig nieder,
Aus Schluchten kehren sie gedoppelt wieder,
Ein Strom nun wirft den Bogenstrahl;
Auf einmal legt er sich in flache Felsenbreite
Und rauscht und schäumt nach der und jener Seite,
Und stufenweise wirft er sich ins Tal.
Was hilft ein tapfres, heldenmäßiges Stemmen?
Die mächtige Woge strömt, sie wegzuschwemmen.
Mir schaudert selbst vor solchem wilden Schwall.
MEPHISTOPHELES.
Ich sehe nichts von diesen Wasserlügen,
Nur Menschenaugen lassen sich betrügen,
Und mich ergetzt der wunderliche Fall.
Sie stürzen fort zu ganzen hellen Haufen,
Die Narren wähnen zu ersaufen,
Indem sie frei auf festem Lande schnaufen
Und lächerlich mit Schwimmgebärden laufen.
Nun ist Verwirrung überall.
(Die Raben sind wiedergekommen.)
Ich werd' euch bei dem hohen Meister loben;
Wollt ihr euch nun als Meister selbst erproben,
So eitel zu der glühnden Schmiede,
Wo das Gezwergvolk, nimmer müde,
Metall und Stein zu Funken schlägt.
Verlangt, weitläufig sie beschwatzend,
Ein Feuer, leuchtend, blinkend, platzend,
Wie man's im hohen Sinne hegt.
Zwar Wetterleuchten in der weiten Ferne,
Blickschnelles Fallen allerhöchster Sterne
Mag jede Sommernacht geschehn;
Doch Wetterleuchten in verworren Büschen
Und Sterne, die am feuchten Boden zischen,
Das hat man nicht so leicht gesehn.
So müßt ihr, ohn' euch viel zu quälen,
Zuvörderst bitten, dann befehlen.
(Raben ab. Es geschieht, wie vorgeschrieben.)
MEPHISTOPHELES.
Den Feinden dichte Finsternisse!
Und Tritt und Schritt ins Ungewisse!
Irrfunkenblick an allen Enden,
Ein Leuchten, plötzlich zu verblenden!
Das alles wäre wunderschön.
Nun aber braucht's noch Schreckgetön.
FAUST. Die hohlen Waffen aus der Säle Grüften
Empfinden sich erstarkt in freien Lüften;
Da droben klappert's, rasselt's lange schon,
Ein wunderbarer falscher Ton.
MEPHISTOPHELES.
Ganz recht! Sie sind nicht mehr zu zügeln;
Schon schallt's von ritterlichen Prügeln,
Wie in der holden alten Zeit.
(Kriegstumult im Orchester, zuletzt übergehend in
militärisch heitre Weisen.)
Des Gegenkaisers Zelt
Thron, reiche Umgebung.
(Kaiser mit vier Fürsten treten auf.
Die Trabanten entfernen sich.)
KAISER.
Es sei nun, wie ihm sei! uns ist die Schlacht
gewonnen,
Des Feinds zerstreute Flucht im flachen Feld
zerronnen.
Hat sich in unsern Kampf auch Gaukelei
geflochten,
Am Ende haben wir uns nur allein gefochten.
Zufälle kommen ja dem Streitenden zugut:
Vom Himmel fällt ein Stein, dem Feinde regnet's
Blut,
Aus Felsenhöhlen tönt's von mächtigen
Wunderklängen,
Die unsre Brust erhöhn, des Feindes Brust
verengen.
Der Überwundne fiel, zu stets erneutem Spott,
Der Sieger, wie er prangt, preist den gewognen
Gott.
Und alles stimmt mit ein, er braucht nicht zu
befehlen,
Herr Gott, dich loben wir! aus Millionen Kehlen.
ERZBISCHOF.
Mit welchem bittern Schmerz find' ich, in dieser
Stunde,
Dein hochgeheiligt Haupt mit Satanas im Bunde!
Doch schlag an deine Brust und gib vom frevlen
Glück
Ein mäßig Scherflein gleich dem Heiligtum zurück:
Den breiten Hügelraum, da, wo dein Zelt
gestanden,
Wo böse Geister sich zu deinem Schutz verbanden,
Dem Lügenfürsten du ein horchsam Ohr geliehn,
Den stifte, fromm belehrt, zu heiligem Bemühn;
KAISER.
Durch meinen schweren Fehl bin ich so tief
erschreckt;
Die Grenze sei von dir nach eignem Maß gesteckt.
Ein förmlich Dokument, der Kirche das zu eignen,
Du legst es vor, ich will's mit Freuden
unterzeichnen.
ERZBISCHOF
(hat sich beurlaubt, kehrt aber beim Ausgang
um.)
Dann widmest du zugleich dem Werke, wie's
entsteht,
Gesamte Landsgefälle: Zehnten, Zinsen, Beth',
Für ewig.
KAISER.
Die Sünd' ist groß und schwer, womit ich mich
beladen;
Das leidige Zaubervolk bringt mich in harten
Schaden.
ERZBISCHOF,
(abermals zurückkehrend, mit tiefster
Verbeugung.)
Verzeih, o Herr! Es ward dem sehr verrufnen Mann
Des Reiches Strand verliehn; doch diesen trifft der
Bann,
Verleihst du reuig nicht der hohen Kirchenstelle
Auch dort den Zehnten, Zins und Gaben und
Gefälle.
KAISER (allein.)
So könnt' ich wohl zunächst das ganze Reich
verschreiben.
Fünfter Akt
Offene Gegend
BAUCIS. Bleibst du stumm? und keinen Bissen
Bringst du zum verlechzten Mund?
PHILEMON. Möcht' er doch vom Wunder wissen;
Sprichst so gerne, tu's ihm kund.
BAUCIS. Wohl! ein Wunder ist's gewesen!
Läßt mich heut noch nicht in Ruh;
Denn es ging das ganze Wesen
Nicht mit rechten Dingen zu.
PHILEMON. Kann der Kaiser sich versünd'gen,
Der das Ufer ihm verliehn?
Nicht entfernt von unsern Dünen
Ward der erste Fuß gefaßt,
Zelte, Hütten! - Doch im Grünen
Richtet bald sich ein Palast.
BAUCIS. Tags umsonst die Knechte lärmten
Hack' und Schaufel, Schlag um Schlag;
Wo die Flämmchen nächtig schwärmten,
Stand ein Damm den andern Tag.
Menschenopfer mußten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Qual;
Meerab flossen Feuergluten,
Morgens war es ein Kanal.
Gottlos ist er, ihn gelüstet
Unsre Hütte, unser Hain;
Wie er sich als Nachbar brüstet,
Soll man untertänig sein.
PHILEMON. Hat er uns doch angeboten
Schönes Gut im neuen Land!
BAUCIS. Traue nicht dem Wasserboden,
Halt auf deiner Höhe stand!
PHILEMON. Laßt uns zur Kapelle treten,
Letzten Sonnenblick zu schaun!
Laßt uns läuten, knieen, beten
Und dem alten Gott vertraun!
Palast
Weiter Ziergarten, großer, gradgeführter Kanal.
Faust im höchsten Alter, wandelnd, nachdenkend.
(Das Glöckchen läutet auf der Düne.)
FAUST (auffahrend.)
Verdammtes Läuten! Allzuschändlich
Verwundet's, wie ein tückischer Schuß;
Vor Augen ist mein Reich unendlich,
Im Rücken neckt mich der Verdruß,
Erinnert mich durch neidische Laute:
Mein Hochbesitz, er ist nicht rein,
Der Lindenraum, die braune Baute,
Das morsche Kirchlein ist nicht mein.
Und wünscht' ich, dort mich zu erholen,
Vor fremdem Schatten schaudert mir,
Ist Dorn den Augen, Dorn den Sohlen;
O! wär' ich weit hinweg von hier!
MEPHISTOPHELES (zu Faust.)
Mit ernster Stirn, mit düstrem Blick
Vernimmst du dein erhaben Glück.
Die hohe Weisheit wird gekrönt,
Das Ufer ist dem Meer versöhnt;
Vom Ufer nimmt, zu rascher Bahn,
Das Meer die Schiffe willig an;
So sprich, daß hier, hier vom Palast
Dein Arm die ganze Welt umfaßt.
Von dieser Stelle ging es aus,
Hier stand das erste Bretterhaus;
Ein Gräbchen ward hinabgeritzt,
Wo jetzt das Ruder emsig spritzt.
Dein hoher Sinn, der Deinen Fleiß
FAUST. Das verfluchte Hier!
Das eben, leidig lastet's mir.
Dir Vielgewandtem muß ich's sagen,
Mir gibt's im Herzen Stich um Stich,
Mir ist's unmöglich zu ertragen!
Und wie ich's sage, schäm' ich mich.
Die Alten droben sollten weichen,
Die Linden wünscht' ich mir zum Sitz,
Die wenig Bäume, nicht mein eigen,
Verderben mir den Weltbesitz.
Des Glöckchens Klang, der Linden Duft
Umfängt mich wie in Kirch' und Gruft.
Wie schaff' ich mir es vom Gemüte!
Das Glöcklein läutet, und ich wüte.
MEPHISTOPHELES.
Natürlich! daß ein Hauptverdruß
Das Leben dir vergällen muß.
Wer leugnet's! Jedem edlen Ohr
Kommt das Geklingel widrig vor.
FAUST.
So geht und schafft sie mir zur Seite! -
Das schöne Gütchen kennst du ja,
Das ich den Alten ausersah.
MEPHISTOPHELES (ad spectatores.)
Auch hier geschieht, was längst geschah,
Denn Naboths Weinberg war schon da.
(Regum I, 21.)
Tiefe Nacht
LYNKEUS DER TÜRMER
(auf der Schloßwarte, singend.)
Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
Gefällt mir die Welt.
Ich blick' in die Ferne,
Ich seh' in der Näh'
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.
So seh' ich in allen
Die ewige Zier,
Und wie mir's gefallen,
Gefall' ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei wie es wolle,
Es war doch so schön! (Pause.)
Nicht allein mich zu ergetzen,
Bin ich hier so hoch gestellt;
Welch ein greuliches Entsetzen
Droht mir aus der finstern Welt!
Funkenblicke seh' ich sprühen
Durch der Linden Doppelnacht,
Immer stärker wühlt ein Glühen,
Von der Zugluft angefacht.
Ach! die innre Hütte lodert,
Die bemoost und feucht gestanden;
Schnelle Hülfe wird gefedert,
Keine Rettung ist vorhanden.
Ach! die guten alten Leute,
Sonst so sorglich um das Feuer,
Werden sie dem Qualm zur Beute!
Welch ein schrecklich Abenteuer!
Flamme flammet, rot in Gluten
Steht das schwarze Moosgestelle;
Retteten sich nur die Guten
Aus der wildentbrannten Hölle!
Züngelnd lichte Blitze steigen
Zwischen Blättern, zwischen Zweigen;
Äste dürr, die flackernd brennen,
Glühen schnell und stürzen ein.
Sollt ihr Augen dies erkennen!
Muß ich so weitsichtig sein!
Das Kapellchen bricht zusammen
Von der Äste Sturz und Last.
Schlängelnd sind, mit spitzen Flammen,
Schon die Gipfel angefaßt.
Bis zur Wurzel glühn die hohlen
Stämme, purpurrot im Glühn. -
(Lange Pause, Gesang.)
FAUST (auf dem Balkon, gegen die Dünen.)
Von oben welch ein singend Wimmern?
Das Wort ist hier, der Ton zu spät.
Mein Türmer jammert; mich, im Innern,
Verdrießt die ungeduld'ge Tat.
Doch sei der Lindenwuchs vernichtet
Zu halbverkohlter Stämme Graun,
Ein Luginsland ist bald errichtet,
Um ins Unendliche zu schaun.
Da seh' ich auch die neue Wohnung,
Die jenes alte Paar umschließt,
Das, im Gefühl großmütiger Schonung,
Der späten Tage froh genießt.
MEPHISTOPHELES (unten.)
Da kommen wir mit vollem Trab;
Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.
Wir klopften an, wir pochten an,
Und immer ward nicht aufgetan;
Wir rüttelten, wir pochten fort,
Da lag die morsche Türe dort;
Wir riefen laut und drohten schwer,
Allein wir fanden kein Gehör.
Und wie's in solchem Fall geschicht,
Sie hörten nicht, sie wollten nicht;
Wir aber haben nicht gesäumt,
Behende dir sie weggeräumt.
Das Paar hat sich nicht viel gequält,
Vor Schrecken fielen sie entseelt.
Ein Fremder, der sich dort versteckt
Und fechten wollte, ward gestreckt.
In wilden Kampfes kurzer Zeit
Von Kohlen, ringsumher gestreut,
Entflammte Stroh. Nun lodert's frei,
Als Scheiterhaufen dieser drei.
FAUST. Wart ihr für meine Worte taub?
Tausch wollt' ich, wollte keinen Raub.
Dem unbesonnenen wilden Streich,
Ihm fluch' ich; teilt es unter euch!
FAUST (auf dem Balkon.)
Die Sterne bergen Blick und Schein,
Das Feuer sinkt und lodert klein;
Ein Schauerwindchen fächelt's an,
Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.
Geboten schnell, zu schnell getan! -
Was schwebet schattenhaft heran?
Mitternacht
Vier graue Weiber treten auf.
ERSTE. Ich heiße der Mangel.
ZWEITE Ich heiße die Schuld.
DRITTE. Ich heiße die Sorge.
VIERTE. Ich heiße die Not.
(Zu Drei.)
Die Tür ist verschlossen, wir können nicht ein;
Drin wohnet ein Reicher, wir mögen nicht 'nein.
MANGEL. Da werd' ich zum Schatten.
SCHULD. Da werd' ich zunicht.
NOT. Man wendet von mir das verwöhnte Gesicht.
SORGE.
Ihr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht
hinein.
Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch
ein.
(Sorge verschwindet.)
MANGEL.
Ihr, graue Geschwister, entfernt euch von hier.
SCHULD.
Ganz nah an der Seite verbind' ich mich dir.
NOT.
Ganz nah an der Ferse begleitet die Not.
(Zu Drei.) Es ziehen die Wolken, es schwinden die
Sterne!
Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,
Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der ---
Tod.
FAUST (im Palast.)
Vier sah ich kommen, drei nur gehn;
Den Sinn der Rede konnt' ich nicht verstehn.
Es klang so nach, als hieß' es - Not,
Ein düstres Reimwort folgte - Tod.
Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.
Noch hab' ich mich ins Freie nicht gekämpft.
Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen,
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
Stünd' ich, Natur, vor dir ein Mann allein,
Da wär's der Mühe wert, ein Mensch zu sein.
Das war ich sonst, eh' ich's im Düstern suchte,
Mit Frevelwort mich und die Welt verbuchte.
Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,
Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.
Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht,
In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht;
Wir kehren froh von junger Flur zurück,
Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.
Von Aberglauben früh und spat umgarnt:
Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt.
Und so verschüchtert, stehen wir allein.
Die Pforte knarrt, und niemand kommt herein.
Erschüttert. Ist jemand hier?
SORGE. Die Frage fordert Ja!
FAUST. Und du, wer bist denn du?
SORGE. Bin einmal da.
FAUST. Entferne dich!
SORGE. Ich bin am rechten Ort.
FAUST (erst ergrimmt, dann besänftigt, für sich.)
Nimm dich in acht und sprich kein Zauberwort.
SORGE.
Hast du die Sorge nie gekannt?
FAUST. Ich bin nur durch die Welt gerannt;
Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren,
Was nicht genügte, ließ ich fahren,
Was mir entwischte, ließ ich ziehn.
Ich habe nur begehrt und nur vollbracht
Und abermals gewünscht und so mit Macht
Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig,
Nun aber geht es weise, geht bedächtig.
Der Erdenkreis ist mir genug bekannt,
Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um;
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!
Was er erkennt, läßt sich ergreifen.
Er wandle so den Erdentag entlang;
Wenn Geister spuken, geh' er seinen Gang,
Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück,
Er, unbefriedigt jeden Augenblick!
SORGE.
Wen ich einmal mir besitze,
Dem ist alle Welt nichts nütze;
FAUST. Unselige Gespenster! so behandelt ihr
Das menschliche Geschlecht zu tausend Malen;
Gleichgültige Tage selbst verwandelt ihr
In garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen.
Dämonen, weiß ich, wird man schwerlich los,
Das geistig-strenge Band ist nicht zu trennen;
Doch deine Macht, o Sorge, schleichend groß,
Ich werde sie nicht anerkennen.
SORGE.
Erfahre sie, wie ich geschwind
Mich mit Verwünschung von dir wende!
Die Menschen sind im ganzen Leben blind,
Nun, Fauste, werde du's am Ende!
(Sie haucht ihn an.)
FAUST, (erblindet.)
Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,
Allein im Innern leuchtet helles Licht;
Was ich gedacht, ich eil' es zu vollbringen;
Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht.
Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!
Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann.
Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!
Das Abgesteckte muß sogleich geraten.
Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß
Erfolgt der allerschönste Preis;
Daß sich das größte Werk vollende,
Genügt ein Geist für tausend Hände.
Großer Vorhof des Palasts
Fackeln.
MEPHISTOPHELES (als Aufseher voran.)
Herbei, herbei! Herein, herein!
Ihr schlotternden Lemuren,
Aus Bändern, Sehnen und Gebein
Geflickte Halbnaturen.
LEMUREN (im Chor.)
Wir treten dir sogleich zur Hand.
MEPHISTOPHELES.
Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;
Verfahret nur nach eignen Maßen!
Der Längste lege längelang sich hin,
Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen;
Wie man's für unsre Väter tat,
Vertieft ein längliches Quadrat!
Aus dem Palast ins enge Haus,
So dumm läuft es am Ende doch hinaus.
FAUST, (aus dem Palaste tretend, tastet an den
Türpfosten.)
Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt!
Es ist die Menge, die mir frönet,
Die Erde mit sich selbst versöhnet,
Den Wellen ihre Grenze setzt,
Das Meer mit strengem Band umzieht.
MEPHISTOPHELES (beiseite.)
Du bist doch nur für uns bemüht
Mit deinen Dämmen, deinen Buhnen;
Denn du bereitest schon Neptunen,
Dem Wasserteufel, großen Schmaus.
In jeder Art seid ihr verloren; -
Die Elemente sind mit uns verschworen,
Und auf Vernichtung läuft's hinaus.
FAUST. Aufseher!
MEPHISTOPHELES. Hier!
FAUST. Wie es auch möglich sei,
Arbeiter schaffe Meng' auf Menge,
Ermuntere durch Genuß und Strenge,
Bezahle, locke, presse bei!
Mit jedem Tage will ich Nachricht haben,
Wie sich verlängt der unternommene Graben.
MEPH. (halblaut.)
Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
Von keinem Graben, doch vom Grab.
FAUST. Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
Das Letzte wär' das Höchsterrungene.
Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn. -
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.
(Faust sinkt zurück,
die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den
Boden.)
MEPH. Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,
So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;
Den letzten, schlechten, leeren Augenblick,
Der Arme wünscht ihn festzuhalten.
Der mir so kräftig widerstand,
Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.
Die Uhr steht still -
CHOR. Steht still! Sie schweigt wie Mitternacht.
Der Zeiger fällt.
MEPHISTOPHELES. Er fällt, es ist vollbracht.
CHOR. Es ist vorbei.
MEPHISTOPHELES. Vorbei! ein dummes Wort.
Warum vorbei?
Vorbei und reines Nicht, vollkommnes Einerlei!
Was soll uns denn das ew'ge Schaffen!
Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen!
»Da ist's vorbei!« Was ist daran zu lesen?
Es ist so gut, als wär' es nicht gewesen,
Und treibt sich doch im Kreis, als wenn es wäre.
Ich liebte mir dafür das Ewig-Leere.
Grablegung
LEMUR. (Solo.)
Wer hat das Haus so schlecht gebaut,
Mit Schaufeln und mit Spaten?
LEMUREN. (Chor.)
Dir, dumpfer Gast im hänfnen Gewand,
Ist's viel zu gut geraten.
LEMUR. (Solo.)
Wer hat den Saal so schlecht versorgt?
Wo blieben Tisch und Stühle?
LEMUREN. (Chor.)
Es war auf kurze Zeit geborgt;
Der Gläubiger sind so viele.
MEPH. Der Körper liegt, und will der Geist entfliehn,
Ich zeig' ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; -
Doch leider hat man jetzt so viele Mittel,
Dem Teufel Seelen zu entziehn.
Auf altem Wege stößt man an,
Auf neuem sind wir nicht empfohlen;
Sonst hätt' ich es allein getan,
Jetzt muß ich Helfershelfer holen.
Uns geht's in allen Dingen schlecht!
(Phantastisch-flügelmännische
Beschwörungsgebärden.)
Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,
Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,
Von altem Teufelsschrot und - korne,
Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.
(Zu den Dickteufeln vom kurzen, graden Horne.)
Nun, wanstige Schuften mit den Feuerbacken!
Ihr glüht so recht vom Höllenschwefel feist;
Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken!
Hier unten lauert, ob's wie Phosphor gleißt:
Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,
Die rupft ihr aus, so ist's ein garstiger Wurm;
Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln,
Dann fort mit ihr im Feuerwirbelsturm!
Paßt auf die niederen Regionen,
Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;
Ob's ihr beliebte, da zu wohnen,
So akkurat weiß man das nicht.
Im Nabel ist sie gern zu Haus -
Nehmt es in acht, sie wischt euch dort heraus.
(Zu den Dürrteufeln vom langen, krummen Horne.)
Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen,
Greift in die Luft, versucht euch ohne Rast!
Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,
Daß ihr die Flatternde, die Flüchtige faßt.
Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus,
Und das Genie, es will gleich obenaus.
(Glorie von oben rechts.)
HIMMLISCHE HEERSCHAR.
Folget, Gesandte,
Himmelsverwandte,
Gemächlichen Flugs:
Sündern vergeben,
Staub zu beleben;
Allen Naturen
Freundliche Spuren
Wirket im Schweben
Des weilenden Zugs!
MEPH. Mißtöne hör' ich, garstiges Geklimper,
Von oben kommt's mit unwillkommnem Tag;
Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,
Wie frömmelnder Geschmack sich's lieben mag.
Sie kommen gleisnerisch, die Laffen!
So haben sie uns manchen weggeschnappt,
Bekriegen uns mit unsern eignen Waffen;
Es sind auch Teufel, doch verkappt.
Hier zu verlieren, wär' euch ew'ge Schande;
Ans Grab heran und haltet fest am Rande!
CHOR DER ENGEL, (Rosen streuend.)
Rosen, ihr blendenden,
Balsam versendenden!
Flatternde, schwebende,
Heimlich belebende,
Zweigleinbeflügelte,
Knospenentsiegelte,
Eilet zu blühn.
Frühling entsprieße,
Purpur und Grün!
Tragt Paradiese
Dem Ruhenden hin.
MEPHISTOPHELES (zu den Satanen.)
Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?
So haltet stand und laßt sie streuen.
An seinen Platz ein jeder Gauch!
Schon schwebt's heran mit giftig klaren Flammen;
Stemmt euch dagegen, drängt euch fest
zusammen! -
Die Kraft erlischt! dahin ist aller Mut!
Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.
CHOR DER ENGEL.
Blüten, die seligen,
Flammen, die fröhlichen,
Liebe verbreiten sie,
Wonne bereiten sie,
Herz wie es mag.
Worte, die wahren,
Äther im Klaren,
Ewigen Scharen
Überall Tag!
MEPHISTOPHELES.
O Fluch! o Schande solchen Tröpfen!
Satane stehen auf den Köpfen.
(Sich mit den schwebenden Rosen herumschlagend.)
Irrlichter, fort! Du, leuchte noch so stark,
Du bleibst, gehascht, ein ekler Gallert-Quark.
CHOR DER ENGEL.
Was euch nicht angehört,
Müsset ihr meiden,
Was euch das Innre stört,
Dürft ihr nicht leiden.
Dringt es gewaltig ein,
Müssen wir tüchtig sein.
Liebe nur Liebende
Führet herein!
MEPH.
Mir brennt der Kopf, das Herz, die Leber brennt,
Ein überteuflisch Element!
Weit spitziger als Höllenfeuer! -
Hat mich ein Fremdes durch und durch gedrungen?
Ich mag sie gerne sehn, die allerliebsten Jungen;
Was hält mich ab, daß ich nicht fluchen darf? -
Sie kommen mir doch gar zu lieblich vor! -
Ihr schönen Kinder, laßt mich wissen:
Seid ihr nicht auch von Luzifers Geschlecht?
Ihr seid so hübsch, fürwahr ich möcht' euch
küssen,
Mir ist's, als kämt ihr eben recht.
O nähert euch, o gönnt mir einen Blick!
ENGEL.
Wir kommen schon, warum weichst du zurück?
Wir nähern uns, und wenn du kannst, so bleib!
(Die Engel nehmen, umherziehend, den ganzen
Raum ein)
MEPHISTOPHELES,
(der ins Proszenium gedrängt wird.)
Ihr scheltet uns verdammte Geister
Und seid die wahren Hexenmeister;
Denn ihr verführet Mann und Weib. -
Welch ein verfluchtes Abenteuer!
Ist dies das Liebeselement?
CHOR DER ENGEL.
Wendet zur Klarheit
Euch, liebende Flammen!
Die sich verdammen,
Heile die Wahrheit;
Daß sie vom Bösen
Froh sich erlösen,
Um in dem Allverein
Selig zu sein.
MEPHISTOPHELES (sich fassend.)
Wie wird mir! - Hiobsartig, Beul' an Beule
Der ganze Kerl, dem's vor sich selber graut,
Und triumphiert zugleich, wenn er sich ganz
Durchschaut.
CHOR DER ENGEL.
Heilige Gluten!
Wen sie umschweben,
Fühlt sich im Leben
Selig mit Guten.
Alle vereinigt
Hebt euch und preist!
Luft ist gereinigt,
Atme der Geist!
(Sie erheben sich, Faustens Unsterbliches
entführend.)
MEPHISTOPHELES, (sich umsehend.)
Doch wie? - wo sind sie hingezogen?
Unmündiges Volk, du hast mich überrascht,
Sind mit der Beute himmelwärts entflogen;
Drum haben sie an dieser Gruft genascht!
Mir ist ein großer, einziger Schatz entwendet:
Die hohe Seele, die sich mir verpfändet,
Die haben sie mir pfiffig weggepascht.
Bei wem soll ich mich nun beklagen?
Wer schafft mir mein erworbenes Recht?
Du bist getäuscht in deinen alten Tagen,
Du hast's verdient, es geht dir grimmig schlecht.
Ich habe schimpflich mißgehandelt,
Ein großer Aufwand, schmählich! ist vertan;
Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt
Den ausgepichten Teufel an.
Bergschluchten
Wald, Fels, Einöde.
Heilige Anachoreten gebirgauf verteilt, gelagert
zwischen Klüften.
CHOR UND ECHO.
Waldung, sie schwankt heran,
Felsen, sie lasten dran,
Wurzeln, sie klammern an,
Stamm dicht an Stamm hinan.
Woge nach Woge spritzt,
Höhle, die tiefste, schützt.
Löwen, sie schleichen stumm-
freundlich um uns herum,
Ehren geweihten Ort,
Heiligen Liebeshort.
PATER ECSTATICUS, (auf und ab schwebend.)
Ewiger Wonnebrand,
Glühendes Liebeband,
Siedender Schmerz der Brust,
Schäumende Gotteslust.
Pfeile, durchdringet mich,
Lanzen, bezwinget mich,
Keulen, zerschmettert mich,
Blitze, durchwettert mich!
Daß ja das Nichtige
Alles verflüchtige,
Glänze der Dauerstern,
Ewiger Liebe Kern.
PATER PROFUNDUS, (tiefe Region.)
Wie Felsenabgrund mir zu Füßen
Auf tiefem Abgrund lastend ruht,
Wie tausend Bäche strahlend fließen
Zum grausen Sturz des Schaums der Flut,
Wie strack mit eignem kräftigen Triebe
Der Stamm sich in die Lüfte trägt:
So ist es die allmächtige Liebe,
Die alles bildet, alles hegt.
CHOR SELIGER KNABEN.
Sag uns, Vater, wo wir wallen,
Sag uns, Guter, wer wir sind?
Glücklich sind wir: allen, allen
Ist das Dasein so gelind.
PATER SERAPHICUS, (mittlere Region.)
Knaben! Mitternachts-Geborne,
Halb erschlossen Geist und Sinn,
Für die Eltern gleich Verlorne,
Für die Engel zum Gewinn.
Daß ein Liebender zugegen,
Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;
Doch von schroffen Erdewegen,
Glückliche! habt ihr keine Spur.
Steigt herab in meiner Augen
Welt- und erdgemäß Organ,
Könnt sie als die euern brauchen,
Schaut euch diese Gegend an!
(Er nimmt sie in sich.)
SELIGE KNABEN, (von innen.)
Das ist mächtig anzuschauen,
Doch zu düster ist der Ort,
Schüttelt uns mit Schreck und Grauen.
Edler, Guter, laß uns fort!
PATER SERAPHICUS.
Steigt hinan zu höherm Kreise,
Wachset immer unvermerkt,
CHOR SELIGER KNABEN
(um die höchsten Gipfel kreisend.)
(Engel schwebend in der höheren Atmosphäre,
Faustens Unsterbliches tragend.)
Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen,
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.
Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die selige Schar
Mit herzlichem Willkommen.
DIE JÜNGEREN ENGEL.
Böse wichen, als wir streuten,
Teufel flohen, als wir trafen.
Statt gewohnter Höllenstrafen
Fühlten Liebesqual die Geister;
Selbst der alte Satansmeister
War von spitzer Pein durchdrungen.
Jauchzet auf! es ist gelungen.
DIE VOLLENDETEREN ENGEL.
Uns bleibt ein Erdenrest
Zu tragen peinlich,
Und wär' er von Asbest,
Er ist nicht reinlich.
Wenn starke Geisteskraft
Die Elemente
An sich herangerafft,
Kein Engel trennte
Geeinte Zwienatur
Der innigen beiden,
Die ewige Liebe nur
Vermag's zu scheiden.
DOCTOR MARIANUS,
(in der höchsten, reinlichsten Zelle.)
Hier ist die Aussicht frei,
Der Geist erhoben.
Dort ziehen Fraun vorbei
Schwebend nach oben.
Die Herrliche mitteninn
Im Sternenkranze,
Die Himmelskönigin,
Ich seh's am Glanze.
(Entzückt.)
Höchste Herrscherin der Welt!
Lasse mich im blauen,
Ausgespannten Himmelszelt
Dein Geheimnis schauen.
Billige, was des Mannes Brust
Ernst und zart beweget
Und mit heiliger Liebeslust
Dir entgegentraget.
Dir, der Unberührbaren,
Ist es nicht benommen,
Daß die leicht Verführbaren
Traulich zu dir kommen.
In die Schwachheit hingerafft,
Sind sie schwer zu retten;
Wer zerreißt aus eigner Kraft
Der Gelüste Ketten?
Wie entgleitet schnell der Fuß
Schiefem, glattem Boden?
Wen betört nicht Blick und Gruß,
Schmeichelhafter Odem?
(Mater gloriosa schwebt einher.)
MAGNA PECCATRIX. (St. Lucae VII, 36)
Bei der Liebe, die den Füßen
Deines gottverklärten Sohnes
Tränen ließ zum Balsam fließen,
Trotz des Pharisäerhohnes;
Beim Gefäße, das so reichlich
Tropfte Wohlgeruch hernieder,
Bei den Locken, die so weichlich
Trockneten die heil'gen Glieder -
MULIER SAMARITANA. (St. John. IV.)
Bei dem Bronn, zu dem schon weiland
Abram ließ die Herde führen,
Bei dem Eimer, der dem Heiland
Kühl die Lippe durft' berühren;
Bei der reinen, reichen Quelle,
Die nun dorther sich ergießet,
Überflüssig, ewig helle
Rings durch alle Welten fließet -
MARIA AEGYPTIACA. (Acta Sanctorum.)
Bei dem hochgeweihten Orte,
Wo den Herrn man niederließ,
Bei dem Arm, der von der Pforte
Warnend mich zurücke stieß;
Bei der vierzigjährigen Buße,
Der ich treu in Wüsten blieb,
Bei dem seligen Scheidegruße,
Den im Sand ich niederschrieb -
ZU DREI. Die du großen Sünderinnen
Deine Nähe nicht verweigerst
Und ein büßendes Gewinnen
In die Ewigkeiten steigerst,
Gönn auch dieser guten Seele,
Die sich einmal nur vergessen,
Die nicht ahnte, daß sie fehle,
Dein Verzeihen angemessen!
UNA POENITENTIUM,
(sonst Gretchen genannt. Sich anschmiegend.)
Neige, neige,
Du Ohnegleiche,
Du Strahlenreiche,
Dein Antlitz gnädig meinem Glück!
Der früh Geliebte,
Nicht mehr Getrübte,
Er kommt zurück.
SELIGE KNABEN
(in Kreisbewegung sich nähernd.)
Er überwächst uns schon
An mächtigen Gliedern,
Wird treuer Pflege Lohn
Reichlich erwidern.
Wir wurden früh entfernt
Von Lebechören
Doch dieser hat gelernt,
Er wird uns lehren.
DIE EINE BÜSSERIN, (sonst Gretchen genannt.)
Vom edlen Geisterchor umgeben,
Wird sich der Neue kaum gewahr,
Er ahnet kaum das frische Leben,
So gleicht er schon der heiligen Schar.
Sieh, wie er jedem Erdenbande
Der alten Hülle sich entrafft
Lind aus ätherischem Gewande
Hervortritt erste Jugendkraft.
Vergönne mir, ihn zu belehren,
Noch blendet ihn der neue Tag.
MATER GLORIOSA.
Komm! hebe dich zu höhern Sphären!
Wenn er dich ahnet, folgt er nach.
DOCTOR MARIANUS,
(auf dem Angesicht anbetend.)
Blicket auf zum Retterblick,
Alle reuig Zarten,
Euch zu seligem Geschick
Dankend umzuarten.
Werde jeder beßre Sinn
Dir zum Dienst erbötig;
Jungtrau, Mutter, Königin,
Göttin, bleibe gnädig!
CHORUS MYSTICUS.
Alles Vergängliche
Ist nur ein Gleichnis;
Das Unzulängliche,
Hier wird's Ereichnis;
Das Unbeschreibliche,
Hier ist's getan;
Das Ewig-Weibliche
Zieht uns hinan.
Finis.
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