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Franz GrillparzerFaust-Notizen(1811-1822)[1811]Meines Wissens hat noch niemand einen jungen Menschen beim Erwachen der Leidenschaft geschildert. Er müßte gemalt werden, wie er Tag und Nacht von üppigen Bildern umlagert ist, wie er glühend eine gewisse Gelegenheit sucht und, wenn sie kommt, nicht etwa bloß zu scheu ist, sie zu benützen, sondern nicht einmal merkt, daß sie da ist. Ich kann mir sehr wohl denken, daß, besonders wenn er kurzsichtig ist und in jemanden verliebt ist, er nicht einmal die Person, in die er es ist, auf der Gasse wieder erkennt; denn wir lieben in der Zeit nur das Bild, das unsere Phantasie malt; das Mädchen, das wir zu lieben glauben, ist nichts, als die Leinwand, auf welche jene die Farben aufträgt. Ich hörte einmal von jemand sagen (oder war ich es selbst?), er sei verliebt, er wisse aber noch nicht, in wen. Ich habe nie etwas gehört, was wahrer und den Jüngling charakterisierender wäre. Ich habe mir einst vorgenommen, ein solches Bild in einer projektierten Fortsetzung von Goethes Faust zu zeichnen, aber der Plan ruht mit vielen anderen. Beaumarchais' Cherubin in Figaros Hochzeit ist bei weitem nicht alles, was man in der Hinsicht verlangen kann, nichtsdestoweniger ist er aber, besonders mit Mozarts Seelenmusik, hinreißend. 1814
[1822]Ich hatte, es sind wohl jetzt schon zehn Jahre, die Idee, Goethes Faust fortzusetzen und bis zum Ende zu führen. Ich erinnere mich von meinem damaligen Ideengange nur noch so viel, daß ich nach Gretchens entsetzlicher Katastrophe Fausten in sich zurückkehren und nun finden lassen wollte, worin er es versehen, worin eigentlich das Glück besteht: in Selbstbegrenzung und Seelenfrieden. Wie er nun den Teufel aller Verbindlichkeiten entläßt, ihn verabschiedet und nur Ruhe will für die noch übrigen Tage seines Lebens. Er senkt sich nun mit Liebe ein in all die kleinen Verhältnisse des menschlichen Lebens, fängt an zu schmecken, was sie Süßes enthalten für den, der sich ihnen ganz hinzugeben vermag. Ich wollte ihn zusammentreffen lassen mit einem Knaben im ersten Erwachen, dessen Lehrer und Freund er wird; ich wollte ihn in die Familie eines wackern Hausvaters eintreten lassen, wo sich ihm das Glück der häuslichen Liebe kundtut, wo die Tochter, Gretchen ähnlich von Gestalt und einfacher Güte, sich innig an ihn anschließt, anfangs mit kindlicher, dann mit Liebe der Geliebten. Wie Faust begierig alles ergreift, auf Augenblicke eingeht in den Genuß all des unschuldigen Glücks, aber immer wieder zurückgeworfen wird durch das Bewußtsein seiner vorausgegangenen Handlungen, seiner frühern Verworfenheit. Mephistopheles, statt seine Genüsse zu stören, sucht sie vielmehr immer zu erhöhen, wohl wissend, daß jener unfähig ist, sich ihrer zu freuen, und gewiß, ihn so am sichersten zur Verzweiflung zu bringen. Das geschieht auch. Die Liebe, das Vertrauen der Menschen wird Fausten beim Bewußtsein seines Unwerts peinigender als vorher ihr Haß. Zuletzt von der Liebe des Mädchens aufs äußerste gebracht, da sie sich selbst durch das Geständnis, wer er sei, nicht mehr abhalten lassen will, ihm zu folgen auf der Flucht, die er ergriffen, um sich ihr, die er gleichwohl auch liebt, zu entziehen, ruft er selbst den Teufel und läßt ihn den Vertrag vollziehen noch vor der Zeit. Ich hatte mir theatralisch die letzte Szene gedacht, daß Faust, während das Mädchen ihn umklammert, den Feind ruft, und als dieser erscheint, geht Faust mit ihm in einen Fels, der sich öffnet unter Donner und Blitz. Das Mädchen und alle Angehörigen haben sich versammelt mit heißem Gebet für den Unglücklichen. Da geht die Höhle von neuem auf, und Faust tritt mit Mephistopheles auf, schneebleich im Gesicht, beide ganz gleich in schwarze Mäntel gehüllt, mit schwarzen Federhüten auf dem Kopf. Sie sprechen, ohne sich um die Umstehenden zu kümmern, mitsammen: Wo sind die Pferde? - Draußen schnauben sie am Gittertor. - Laß uns eilen! Der Weg ist weit. - Indes die andern beten: Herr, erbarme dich seiner. Gretchen eilt ihm entgegen. Faust sieht sie an und fragt Mephistopheles: Wer ist die? - Gretchen ist's. - So! so! Laß uns eilen, der Weg ist weit. So gehen sie. Die Eltern eilen auf das Mädchen zu und fragen sie. Laßt uns gut sein, erwidert sie, und recht tun; der dort ist keiner mehr von den Unsern. Das Ganze gäbe ein eigenes Stück, bei dem das Goethische vorausgesetzt würde. Lit.: Franz Grillparzer, Werke Bd. 10, hrsg. v. Stefan Hock, S 150 ff. zurück zum Anfang |
Wolfgang
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