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Friedrich Theodor Vischer

Zur Fortsetzung des Faust

Eine Posse (1835)

(Unter den Linden zu Berlin. Mondnacht. Mephistopheles, modern gekleidet, tritt auf.)

Mephistopheles Verachte nur Vernunft und Wissenschaft
Des Menschen allerhöchste Kraft,
So rief ich einst im langen Doktorkleide
Dem Manne nach, den ich als Schalk begleite.
Nun hat das Blättlein anders sich gewendet.
Verschwunden ist die Nacht, die ihn geblendet,
Entlassen sind der Zweifel dunkle Horden,
Hegelianer ist mein Freund geworden.
Dort steht das Haus mit seinen dumpfen Sälen,
Wo der Begriff sich aus dem Nichts bewegt,
Indes sich hundert rasche Federn quälen.
Dort eilt er hin, sobald die Stunde schlägt,
Und setzet sich zu des Propheten Füßen,
Und hört der Wahrheit laut're Quelle fließen.
Vergessen ist der bangen Stunde Sturm,
Wo ihn der Geist zertrat, wie einen Wurm.
Mit list'gem Blick beweis't er auf ein Haar,
Daß das nur Stufe des Bewußtseins war;
Und lächelnd schwebt er, der Begriffe Meister,
In sich'rer Freiheit ob dem Reich der Geister.
Ich aber bin, er sagte mir es heute,
Der Dialektik negative Seite.
Glückauf zu deiner Vogelperspektive, 
Gewaltiger! Und nimm dich wohl in Acht, 
Daß in der Brust das eigene Naive 
Dein stolzes Wissen nicht zu Schanden macht! 
Verachte nur des schlichten Glaubens Kraft 
Und des Gemütes süß bewußtlos Leben, 
Hoch über'm Abgrund meine nur zu schweben, 
Indes im Herzen blinde Leidenschaft 
Verkrochen still ihr Eulennest sich baut. 
Der große Kopf, der prahlend sich getraut, 
Im Sündigen die Sünde zu studieren: 
Was Sünde heißt, er soll es noch erfahren! 
Und wenn der Weltgeist wagt zu depensieren, 
So soll er einen Doktor auch nicht sparen. 
Nur zu, mein Freund, ich weiß, wo ich dich packe, 
Mach's wie du willst, ich habe dich im Sacke.

Sieh' dort zwei Dämchen um die Ecke schlüpfen, 
Blitz, wie sie nicken, wie sie trillernd hüpfen! 
Die müssen meinem Doktorchen aufs Zimmer, 
Daß er beglückt bei seiner Lampe Schimmer 
Die Wahrheit schaue in erhab'ner Blöße, 
Und ganz begreife des Begriffes Größe. 

(Zwei Mädchen nähern sich.) 

Erste Sieh man, was der da lange Beene hat. 

Zweite Ik meene, er hinkt och ein bischen. 

Erste Jieb Acht, der will uns anfassen. 

Mephistopheles Nun, schöne Kinder, wo soll's hin? 

Erste Na, da wollen wir unter den jrünen Beemen
spazieren jeh'n. 

Zweite Nicht wahr, mein Herr, der Mond scheent
himmlisch schön? 

Mephistopheles Ach, bis zu Tränen hat er mich entzückt,
In's schön're Jenseits fühl' ich mich entrückt;
Wo Kreuze auf geliebten Gräbern stehen,
Dort träumt mein Geist von Tod und Wiedersehen.
Mein Ohr umsummen Strauß'sche Glockentöne,
Gewalt'ge Predigten von Teremin!
Die Jugend, ach, wie ist sie doch so schöne,
Zu ihr, zu ihr zieht es mich einzig hin!

Erste Ne, das war man schön, das war zum Küssen!
(Küßt ihn.) 

Mephistopheles Des Mondes Strahl, den reinen,
himmlischsüßen,
Laßt auf der Tugend Antlitz niederfließen! 
(Er zieht die Mädchen aus dem Schatten in das volle Mondlicht und betrachtet ihre Gesichter. Für sich:) 
Die beiden Lärvchen sind so übel nicht; 
Mein guter Freund liebt jetzo mehr die bleichen 
Als rote Wangen und ein rund Gesicht. 
(Laut.)
Kommt, süße Kleinen, woll't den Arm mir
reichen,
Ich führ' euch nun zu einem schönen Herrn. 

Erste Wer ist der Herr? Ik wüßt' es jern. 

Mephistopheles Je nun, zum Doktor hin, zum Faust. 

Zweite I Jees, der will noch in Faust's Winterjärten. 

Mephistopheles Mitnichten, Kind, es geht zum Doktor
Faust.

Zweite O was, was ist denn das? Mich jraust! Zu Doktor Faust, zu -

Mephistopheles Aufzuwarten. 
Seht zu, ihr trefft ein allerliebstes Stübchen, 
Und euch empfängt auf sanften Ruhekissen 
Mit Feuerkuß ein allerliebstes Bübchen. 
Und Geld hat er, wie Laub, das sollt ihr wissen. 

Erste I was, Ihr lügt, was sollen denn die Possen?
Zu Doktor Faust? den hat der Teufel ja
Schon lang jeholt -

Mephistopheles Weit fehlgeschossen!
Das Drama bleibt Fragment. Ich sag' euch, er ist da.

Zweite (Leise hinter Mephistopheles Rücken zur Ersten.)
Riechst du denn nicht, wie es nach Schwefel stinkt?
Siehst, wie das Bein da immer ärjer hinkt?
Ik sag' es dir, mich wird ein wenig bange,
Wir machen uns wohl wieder los?

Mephistopheles Was soll's? Seid klug. Der Weg ist nicht
mehr lange
Und schnelle seid ihr in der Freude Schoß. 
(Er bekömmt einen starken Stockschlag über die Schulter, sieht sich um, und eine Gestalt in altpreußischer Uniform mit spanischem Rohre steht vor ihm. Die Mädchen fliehen.) 

Gestalt Was da? Schlechtes Zeug machen! Liederlich
sein! Mit Herumstreichen! Wer sein? 

Mephistopheles Würd' ich mich nennen, 
Das Herz vor Schreck würd' euch zu Asche brennen! 

Gestalt Donnerwetter! Aufgeschaut! Wer sein?
(Schlägt ihn.) 

Mephistopheles So schlagt doch nicht so schrecklich
drein!

(Für sich.)
Verflucht, man muß dem Mann parieren, 
Man wolle oder nicht. 
Von einem König mein' ich was zu lesen 
In diesem Angesicht.

(Laut.)
Wohlan mein Herr, so will ich definieren, 
So gut ich kann, mein wahres Sein und Wesen. 
Man nannte mich Ahriman, Ormuzd, Satan, Luzifer, Teufel; eine aufgeklärtere Zeit hat solche Mythologien an den Nagel gehenkt, ich bin jetzt das böse Prinzip, die Differenz, Jammer der Negation, das negative Moment in aller Dialektik, ich bin Sinnlichkeit, Egoismus, oder eigentlich der Verstand, oder -

Gestalt Räsonnier' er nicht!

Mephistopheles (Erscheint plötzlich in Flammen, als Satan mit Hörnern, Schweif, Schürhaken. Brüllend:) 
Fürchte mich!

Gestalt Was fürchten! Unter meine Garde stecken! Exerzieren lassen!
Schaut vor euch! -
Gewehr zu Hand! -
Präsentiert's Gewehr! -
Schultert's Gewehr! -
Gewehr bei Fuß! -
Rührt euch!

(Mephistopheles ist jedem einzelnen Kommando, den Schürhaken als Gewehr brauchend, mit sichtbarem Widerstreben gefolgt.)

Gestalt Was fürchten! (Geht ab.) 

Mephistopheles Zum Henker auch! der Mann kann
imponieren!
Der würde wohl, kam' er hinab zur Hölle, 
Das ganze Heer der Teufel kommandieren! 
Wo bin ich denn? Das ist ja wohl die Stelle, 
Wo ich die hübschen Vögelchen geführt? 
Verwünschte Dirnen, sie sind wegspaziert; 
Nun muß ich wieder andre suchen gehen, 
Und kann fast nimmer auf den Füßen stehen.

Lit.: Friedrich Theodor Vischer: Zur Fortsetzung des Faust. Eine Posse. In: Jahrbuch schwäbischer Dichter und Novellisten. Jg 1836. Stuttgart 1835. S 360 ff.

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