Jesus nahm die Schlange als ein Synonym, für Weisheit und es bildete dies einen Teil seiner Lehre: „Seid weise wie die Schlangen“, sagt er. „Im Anfange, bevor die Mutter zum Vater-Mutter wurde, bewegte sich der feurige Drache allein in den Unendlichkeiten. [22] Das Aitareya-Brâhmana nennt die Erde Sarparâjni, die „Schlangenkönigin“ und die „Mutter von allem, das sich bewegt“.

   Bevor unsere Kugel eiförmig wurde (und ebenso das Weltall), „bewegte und wand sich ein langer Streifen von kosmischem Staub [oder Feuernebel] wie eine Schlange im Raume“. Der „Geist Gottes, der sich auf dem Chaos bewegt“, wurde von jeder Nation in Gestalt einer feurigen Schlange symbolisiert, welche Feuer und Licht auf die Urgewässer ausatmete, bis sie den Weltstoff ausgebrütet hatte und ihm die ringförmige Gestalt einer Schlange mit ihrem Schwanze im Munde hat annehmen lassen – wodurch nicht bloß Ewigkeit und Unendlichkeit, sondern auch die kugelförmige Gestalt aller der innerhalb des Weltalls aus diesem Feuernebel gebildeten Körper symbolisiert wird. Das Weltall, sowie auch Erde und Mensch, werfen schlangengleich periodisch ihre alten Hüllen ab, um nach einer Zeit der Ruhe neue anzunehmen. Die Schlange ist sicherlich kein weniger graziöses oder unpoetischeres Bild als die Raupe und Puppe, aus denen der Schmetterling hervorgeht, das griechische Sinnbild der Psyche, der menschlichen Seele! Der Drache war ebenfalls ein Symbol des Logos bei den Ägyptern, sowie bei den Gnostikern. Im Buche des Hermes erscheint Pymander, der älteste und geistigste der Logoi des westlichen Continentes, dem Hermes in Gestalt eines feurigen Drachens aus „Licht, Feuer und Flamme“. Pymander, der personifizierte „göttliche Gedanke“, sagt:

   Das Licht ist Ich, ich bin der Nous (das Gemüt oder Manu), ich bin dein Gott, und ich bin weit älter als das menschliche Prinzip, welches aus dem Schatten (Dunkelheit oder der verborgenen Gottheit) emportaucht. Ich bin der Keim des Gedankens, das strahlende Wort, der Sohn Gottes. Alles, was also in dir sieht und hört, ist das Verbum des Meisters; es ist der Gedanke (Mahat), welcher Gott ist, der Vater. [23] Der himmlische Ozean, der Äther, .... ist der Atem des Vaters, das lebengebende Prinzip, die Mutter, der heilige Geist .... denn diese sind nicht getrennt, und ihre Vereinigung ist Leben.

   Hier finden wir ein nicht mißzuverstehendes Echo der archaischen Geheimlehre, wie sie jetzt dargelegt ist. Nur setzt letztere an die Spitze der Evolution des Lebens nicht den „Vater“, der an dritte Stelle gehört und der „Sohn der Mutter“ ist, sondern den „ewigen und unaufhörlichen Atem des ALL’s“. Mahat (Verstand, Universalgemüt, Gedanke u. s. w.) erscheint als Vishnu, bevor es sich als Brahmâ oder Shiva offenbart, sagt der Sânkhya Sâra. [24] Somit hat es verschiedene Aspekte, ebenso wie der Logos. Mahat heißt der Herr, in der ersten Schöpfung, und ist in diesem Sinne universelle Erkenntnis oder göttlicher Gedanke; aber „daß das Mahat, welches zuerst hervorgebracht wurde, (später) Egoismus heißt, wenn es als (das Sichselbstfühlen als) „Ich“ geboren wird, dieses wird als die zweite Schöpfung bezeichnet.“ [25] Und der Übersetzer (ein fähiger und gelehrter Brâhmane, nicht ein europäischer Orientalist) erklärt in einer Fußnote: „d. h. wenn Mahat sich in das Gefühl des „Selbstbewusstseins – des Ichs – entwickelt, so nimmt es den Namen Egoismus an,“ was, in unsere esoterische Ausdrucksweise übersetzt, bedeutet: wenn Mahat in das menschlichen Manas (oder selbst in das der endlichen Götter) transformiert und zur Aham-heit wird. Warum es das Mahat der zweiten Schöpfung ( oder der neunten, der Kaumâraschöpfung des Vishnu Purâna) genannt wird, wird später erklärt werden.

   (c) Das „Feuermeer“ ist also das superastrale (d. h. noumenale) Licht, die erste Ausstrahlung aus der Wurzel Mûlaprakriti, aus undifferenzierter kosmischer Substanz, welche zur Astralmaterie wird. Es heißt auch die „feurige Schlange“, wie oben beschrieben. Wenn der Schüler den Gedanken festhält, daß bloß Ein allgemeines Urding ist, unendlich, ungeboren und unsterblich, und das alles übrige – als in der Welt der Erscheinungen befindlich – von den Wirkungen in der großen Welt herab bis zu denen in der kleinen, von übermenschlichen Wesen herab bis zu den menschlichen und untermenschlichen, kurz die Gesamtheit des gegenständlichen Daseins, bloß ebensoviele verschiedene unterschiedliche Seiten und Umwandlungen (Wechselbeziehungen nennt man es jetzt) dieses Einen sind, - dann wird die erste und hauptsächlichste Schwierigkeit verschwinden, und die geheime Weltenlehre kann bemeistert werden. So gab es in der ägyptischen wie in der indischen Götterlehre eine Verborgene Gottheit, die EINE, und einen schöpferischen, mannweiblichen Gott; Shu war der Gott der Erschaffung, und Osiris in seiner ursprünglichen ersten Form der Gott, „dessen Name unbekannt ist.“ [26]


[22] Buch der Sarparâjni

[23] Unter „Gott, dem Vater“ ist hier unzweifelhaft das siebente Prinzip im Menschen und Kosmos verstanden, welches Prinzip in seinem Wesen und seiner Natur untrennbar von dem siebenten kosmischen Prinzip ist. In einem Sinne ist es der Logos der Griechen und der Avalokiteshvara der esoterischen „Buddhisten“.

[24] Fitzedward Halls Ausgabe, in der Bibliotheca indica, p. 16.

[25] Anugîtâ, ch. XXVI, K. T. Telangs Übersetzung, p. 333.

[26] Siehe Mariettes Abydos, II. 63 und III, 413, 414, No. 1122.