STROPHE III. – Fortsetzung.

   10. VATER-MUTTER SPINNEN EIN GEWEBE, DESSEN OBERES ENDE AM GEISTE [37] - DEM LICHTE DER EINEN FINSTERNIS – BEFESTIGT IST, UND DESSEN UNTERES AM SCHATTENHAFTEN ENDE, DER MATERIE [38] . UND DIESES GEWEBE IST DAS UNIVERSUM, GESPONNEN AUS DEN ZWEI SUBSTANZEN, IN EINER VERBUNDEN, WELCHE SVABHÂVAT IST.

  In der Mândukya Upanishad [39] heißt es: „wie eine Spinne ihr Gewebe auswirft und wieder einzieht, wie Kräuter aus dem Boden hervorsprießen ... so stammt das Weltall aus dem Unvergänglichen,“ Brahmâ, denn der „Keim des unbekannten Dunkels“ ist das Material, aus dem alles evolviert wird und sich entwickelt, „wie das Gewebe aus der Spinne, wie der Schaum aus dem Wasser“ u. s. w.  Das ist nur anschaulich und wahr, wenn das Wort „Brahmâ“, der „Schöpfer“, abgeleitet wird von der Wurzel brih, „zunehmen“ oder „sich ausbreiten“. Brahmâ „breitet sich aus“ und wird zum Weltall, das aus seiner eigenen Substanz gewoben ist.

 Dieselbe Idee wurde von Goethe schön in den Worten ausgesprochen:

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

STROPHE III. – Fortsetzung.

   11. Es [40] BREITET SICH AUS, WENN DER ATEM DES FEUERS [41] AUF IHM HAFTET; ES ZIEHT SICH ZUSAMMEN, WENN DER ATEM DER MUTTER [42] ES BERÜHRT. DANN TRENNEN SICH DIE SÖHNE [43] UND ZERTEILEN SICH, UM AM ENDE DES GROSSEN TAGES IN DEN SCHOSS DER MUTTER ZURÜCKZUKEHREN UND WIEDER EINS MIT IHR ZU WERDEN. WENN ES [44] SICH ABKÜHLT, WIRD ES STRAHLEND. DIE SÖHNE BREITEN SICH AUS UND ZIEHEN SICH ZUSAMMEN DURCH IHR EIGENES WESEN UND HERZ; SIE UMARMEN DIE UNENDLICHKEIT.

   Das Ausbreiten des Weltalls unter dem „Atem des Feuers“ ist sehr bedeutsam, wenn im Lichte der Feuernebelperiode betrachtet, von der die moderne Wissenschaft so viel spricht und in Wirklichkeit so wenig weiß.

   Große Hitze zersprengt die zusammengesetzten Elemente und löst die Himmelskörper in ihr ursprüngliches eines Element auf; wie der Kommentar erklärt.

   „Einmal in seinen ursprünglichen Bestandteil zersetzt, wird ein Körper, indem er in die Anziehung und den Bereich eines Focus oder Centrums von Wärme (Energie) kommt, deren viele im Raume hin und her geführt werden, sei er lebendig oder tot, verflüchtigt und im „Schoße der Mutter“ zurückgehalten werden, bis Fohat, indem er ein paar Haufen kosmischer Materie (Nebel) sammelt, ihn durch seinen Anstoß aufs neue in Bewegung setzen, die nötige Wärme entwickeln und es ihm dann überlassen wird, seinem eigenen neuen Wachstum zu folgen“.

   Das Ausbreiten und Einziehen des „Gewebes“ – d. i. des Weltstoffes oder der Atome, deutet hier die pulsierende Bewegung an; denn die regelmäßige Zusammenziehung und Ausdehnung des unendlichen und uferlosen Ozeans, dessen, was wir an sich das Ding der Materie, emaniert von Svabhâvat, nennen können, ist es, was die allgemeine Schwingung der Atome verursacht. Aber noch etwas anderes wird damit angedeutet. Es zeigt, daß die Alten mit dem bekannt waren, was jetzt die Verlegenheit vieler Gelehrter und insbesondere von Astronomen ist, - mit der Ursache der ersten Erhitzung der Materie oder des Weltstoffes, mit dem Paradoxon, daß Wärme durch Erkältungszusammenziehung hervorgerufen werde, und mit anderen solchen kosmischen Rätseln – denn es weist unzweideutig auf das Bekanntsein der Alten mit solchen Phänomenen. „Es giebt innere Wärme und äußere Wärme bei jedem Atome“ sagen die handschriftlichen Kommentare, welche der Schreiberin zugänglich waren, „den Atem des Vaters (Geistes), und den Atem (oder Wärme) der Mutter (Materie)“: und sie geben Erklärungen, welche zeigen, daß die moderne Theorie des Erlöschens der Sonnenfeuer, durch den Wärmeverlust infolge von Ausstrahlung, eine irrtümliche ist. Die Annahme ist sogar nach dem eigenen Zugeständnisse der Gelehrten falsch. Denn, wie Professor Newcomb [45] ausführt, „durch den Verlust von Wärme zieht sich ein gasförmiger Körper zusammen, und die Wärmemenge, die durch die Zusammenziehung erzeugt wird, übertrifft jene, welche er verlieren musste, um die Zusammenziehung hervorzubringen“. Dieses Paradoxon, daß ein Körper um so heißer wird, je größer die durch sein Kälterwerden bewirkte Zusammenziehung ist, hat zu langen Auseinandersetzungen geführt. Der Überschuß an Wärme, so wird geschlossen, geht durch Strahlung verloren, und anzunehmen, daß die Temperatur nicht gleichmäßig mit einer Abnahme des Volumens bei gleichbleibendem Drucke abnehme, hieße das Gesetz von Charles außer Acht lassen. Zusammenziehung bewirkt Wärme, das ist wahr; aber Zusammenziehung (infolge von Abkühlung) ist nicht im Stande, den ganzen Betrag von Wärme zu entwickeln, der zu irgend einer Zeit in der Masse existiert, oder auch nur den Körper auf einer konstanten Temperatur zu erhalten, u. s. w. Professor Winchell sucht das Paradoxon – das thatsächlich nur ein scheinbares ist, wie J. Homer Lane [46] bewiesen hat – zu lösen, indem er „etwas außer der Wärme“ andeutet. „Kann es nicht,“ so fragt er, „einfach eine Abstoßung zwischen den Molekülen sein, die nach irgend einem Abstandsgesetz sich ändert?“ [47] Aber auch das wird sich als unvereinbar erweisen, wenn nicht dieses „Etwas außer der Wärme“ als „Unverursachte Wärme“, als „Atem des Feuers“, als allschöpferische Kraft plus absoluter Intelligenz bezeichnet wird, was die Naturwissenschaft kaum annehmen wird.

   Mag sein wie immer, das Lesen dieser Strophe zeigt, daß dieselbe trotz ihrer archaischen Ausdrucksweise wissenschaftlicher ist als die moderne Wissenschaft selbst.


[37] Purusha.

[38] Prakriti.

[39] I, I. 7.

[40] Das Gewebe.

[41] Der Vater.

[42] Die Wurzel des Stoffes.

[43] Die Elemente mit ihren entsprechenden Kräften oder Intelligenzen.

[44] Das Gewebe.

[45] Popular Astronomy, p. 507, 508.

[46] American Journal of Science, July, 1870.

[47] Winchell, World-Life, pp. 83-85.