Somit trennen nach dieser Allegorie die Lipika die Welt (oder Ebene) des reinen Geistes von der Materie. Jene,   welche „ab- und aufsteigen“ – die   sich inkarnierenden Monaden, und die Menschen, die nach Reinigung und „Aufsteigen“ streben, aber das Ziel noch nicht ganz erreicht haben – können  den Kreis „Überschreite mich nicht“ bloß am Tage „Sei mit uns“ überschreiten; an jenem Tage, an dem der Mensch sich befreit von den Banden der Unwissenheit, und die Nicht-Getrenntheit des Egos innerhalb seiner Persönlichkeit – die er fälschlich für seine eigene hielt – von dem Universalen Ego (Anima Supra-Mundi) vollständig erkennt,  wodurch er in diese Eine Wesenheit versinkt, um nicht bloß eins zu werden mit „Uns“, den manifestierten universellen Leben, die da sind ein Leben, sondern zu eben diesem Leben selbst werden.

  Astronomisch erweist sich somit der Ring „Überschreite mich nicht“, den die Lipika ziehen um „das Dreieck, die erste Eins, das Viereck, die zweite Eins, und das Fünfeck“, um diese Figuren zu umschreiben, wiederum als Symbol von 31415 oder dem in mathematischen Tafeln fortwährend gebrauchten Koeffizienten, dem Werte pi, indem die geometrischen Figuren für die numerischen Ziffern stehen. Nach den allgemeinen philosophischen Lehren ist dieser Ring jenseits der Region der sogenannten Nebel der Astronomie. Das ist aber eine ebenso falsche Idee wie die in den purânischen und andern exoterischen Schriften gegebene Topographie und Beschreibung von den 1008 Welten der Devaloka-Welten und Firmamente.

   Es giebt natürlich Welten, nach den esoterischen wie nach den profanen wissenschaftlichen Lehren, in so unberechenbaren Entfernungen, daß das Licht der nächsten derselben, obwohl es soeben unsere modernen „Chaldäer“ getroffen hat, sein Lichtgestirn lange vor dem Tage verlassen haben mag, an dem die Worte „Es werde Licht“ ausgesprochen wurden; aber das sind nicht Welten der Devaloka-Ebene,  sondern solche in unserm Kosmos.

   Der Chemiker geht bis zum Laya oder Nullpunkt der Ebene des Stoffes, mit dem er zu thun hat, und bleibt dort stehen. Der Physiker oder der Astronom rechnet Billionen von Meilen jenseits der Nebel, und dann bleibt er auch stehen. Auch der halbinitiierte Occultist wird sich diesen Layapunkt als auf irgend einer Ebene befindlich vorstellen,  welche, wenn auch nicht physisch, so doch dem menschlichen Intellekt noch vorstellbar ist. Aber der voll Initiierte weiß, daß der Ring „Überschreite mich nicht“ weder eine Lokalität ist, noch nach der Entfernung gemessen werden kann,  sondern dass er in der Unbedingtheit der Unendlichkeit besteht.

    In dieser „Unendlichkeit“ des vollen Initiierten, giebt es weder Höhe, Breite noch Dicke,  sondern alles ist unergründbare Tiefe, die hinabreicht vom Physischen bis zum „Para-metaphysischen“. Mit dem Worte „hinab“ ist wesenhafte Tiefe gemeint – „nirgends und überall“ – nicht Tiefe im physischen Stoffe.

   Wenn man die exoterischen und plump anthropomorphischen Allegorieen populärer Religionen aufmerksam durchforscht, so kann man selbst in diesen die Lehre, die in dem von den Lipika bewachten Kreise „Überscheite mich nicht“ verkörpert ist, angedeutet sehen. So findet man sie selbst in den Lehren der vedântistischen Sekte der Visishthadvaita, der am hartnäckigsten anthropomorphisierenden von ganz Indien. Denn wir lesen von der erlösten Seele, daß sie, nachdem sie Moksha – einen Zustand von Wonne im Sinne von „Erlösung von Bandha“ oder Gebundensein – erreicht hat, Wonne genießt an einem Orte mit Namen Paramapada, welcher Ort nicht materiell ist, sondern aus Suddasattva bereitet ist, aus der Substanz, aus der der  Körper des Îshvara – des „Herrn“ – geformt ist. Dort sind die Muktas oder Jîvâtmâs (Monaden), welche Moksha erlangt haben, niemals wieder den Qualitäten von Materie oder von Karma unterworfen. „Aber wenn sie es zum Zwecke, der Welt Gutes zu erweisen, vorziehen, so könne sie sich auf der Erde inkarnieren. [48] Der Weg von dieser Welt zum Paramapada oder den immateriellen Welten heißt Devayâna. Wenn jemand Moksha erlangt hat, und der Körper stirbt:

Geht der Jîva (Seele) mit Sûkshma Sharîra [49] vom Herzen des Körpers zum Brahmarandhra am Scheitel des Hauptes, indem er die Sushumnâ durchwandert, einen Nerven, der das Herz mit dem Brahmarandhra verbindet. Der Jîva durchbricht den Brahmarandhra und geht durch die Sonnenstrahlen in die Region der Sonne (Sûryamandala). Dann geht er, durch einen dunklen Fleck in der Sonne, zum Paramapada . . . . Der Jîva wird auf seinem Wege geleitet . . .  durch die höchste durch Yoga erlangte Weisheit. [50] Der Jîva schreitet so fort zu Paramapada mit Hilfe der Ativâhikas (Träger im Durchgang), bekannt unter den Namen Archi Ahas . . . . Âditya, . . . Prajâpati, etc. Die hier erwähnten Archis u. s. w. sind gewisse reine Seelen, etc., etc. [51]


[48] Diese freiwilligen Reinkarnationen werden in unserer Lehre als Nirmâqnakâyas bezeichnet – die überlebenden geistigen Prinzipien der Menschen.

[49] Sûkshma Sharîra, „traumartiger“ illusorischer Körper, mit welchem die niederen Dhyânis der himmlichen Hierarchie bekleidet sind.

[50] Man vergleiche diesen esoterischen Satz mit der gnostischen Lehre in der Pistis-Sophia (Erkenntnis-Weisheit), in welcher Abhandlung Sophia (Achamôth) dargestellt wird als verloren in den Wassern des Chaos (Materie), auf ihrem Wege zum höchsten Licht, und Christos als sie befeiend und ihr zum rechten Weg verhelfend. Man bemerke wohl, daß „Christos“ bei den Gnostikern das unpersönliche Prinzip bedeutete, den Âtmâ des Universums, und den Âtmâ in jedermanns Seele – und nicht Jesus; obwohl in dem alten koptischen Manuskripte im Britischen Museum, „Christos“ durch „Jesus“ und andere Worte ersetzt ist.

[51] A Catechism of the Visishthadvaita Philosophy, von N. Bhâshyacharya, F.T.S., ehemals Pandit der Adyar-Bibliothek.