(b) „Kwan-Yin-Tien“ bedeutet der „melodische Himmel des Tons“, die Wohnung von Kwan-Yin, oder der „göttlichen Stimme“.

Diese „Stimme“ ist ein Synonym des Verbum oder Wortes, „Rede“, als der Ausdruck des Gedankens.

So mag die Verwandtschaft und selbst die Abstammung der hebräischen Bath-Kol, der „Tochter der göttlichen Stimme“, oder das Verbum oder des männlichen und weiblichen Logos, des „himmlischen Menschen“, oder Adam Kadmon, der zur selben Zeit Sephira ist, verfolgt werden.

Die letztere wurde sicherlich anticipiert von der indischen Vâch, der Göttin der Sprache oder des Wortes. Denn Vâch – die Tochter und der weibliche Teil, wie dargelegt wurde, von Brahmâ, eine, „die von den Göttern erzeugt ist“ – ist, in Gemeinschaft mit Kwan-Yin, mit Isis (auch die Tochter, das Weib und die Schwester des Osiris) und mit andern Gottheiten, der weibliche Logos, so zu sagen, die Göttin der aktiven Kräfte, das Wort, die Stimme oder Ton und Rede. Wenn Kwan-Yin die „melodische Stimme“ ist, so ist Vâch „die melodische Kuh, die Nahrung und Wasser [das weibliche Prinzip] zu melken giebt . . . . die uns Nahrung und Unterhalt gewährt“, als Mutter Natur. Sie ist verbündet in dem Schöpfungswerk mit Prajâpati. Sie ist männlich und weiblich ad libitum, wie Eva und Adam. Und sie ist eine Form von Aditi – dem höher als Aether stehenden Prinzip – von Âkâsha, der Synthese von allen Kräften in der Natur. Somit sind Vâch und Kwan-Yin beide die magische Kraft des occulten Tones in der Natur und im Aether – welche „Stimme“ Sien-Tchan, die illusive Form des Weltalls, aus dem Chaos und den sieben Elementen hervorruft.

So teilt nach der Darstellung des Manu Brahmâ (auch der Logos) seinen Körper in zwei Teile, einen männlichen und einen weiblichen, und erzeugt in dem letzteren, welcher Vâch ist, Virâj, der er selbst oder wiederum Brahmâ ist. Ein gelehrter Vedântaoccultist spricht von dieser „Göttin“ wie folgt, indem er die Ursache erklärt, warum Îshvara (oder Brahmâ) Verbum oder Logos genannt wird; warum er in der That Sabda Brahmann genannt wird:

Die Erklärung, die ich Ihnen zu geben im Begriffe bin, wird durchaus mystisch erscheinen; wenn sie aber mystisch ist, so hat sie, wenn richtig verstanden, eine gewaltige Bedeutung. Unsere alten Schriftsteller sagten, dass Vâch von vierfacher Art ist. (siehe den Rig-Veda und die Upanishaden.) Vaikharî Vâch ist die, die wir aussprechen. Jede Art von Vaikharî Vâch existiert in ihrer Madhyama, weiter in ihrer Pashyanti, und schließlich in ihrer Paraform. [5] Der Grund, warum dieser Pranava Vâch genannt wird, ist der, daß die vier Prinzipien des großen Kosmos diesen vier Formen der Vâch entsprechen. Nun existiert das ganze manifestierte Sonnensystem in seiner Sûkshmaform in dem Licht oder der Energie des Logos, weil dessen Energie aufgefangen und auf die kosmische Materie übertragen wird, . . . der ganze Kosmos in seiner objektiven Form ist Vaikharî Vâch, das Licht des Logos ist die Madhyamaform, und der Logos selbst ist die Pashyantiform, und Parabrahman der Paraaspekt dieser Vâch. Im Licht dieser Erklärung müssen wir versuchen, gewisse Behauptungen zu verstehen, die von verschiedenen Philosophen dahin gemacht  wurden, daß der manifestierte Kosmos das als Kosmos manifestierte Verbum ist. [6]


[5] Madhya wird etwas genannt, dessen Anfang und Ende unbekannt ist, und Para bedeutet unendlich. Diese Ausdrücke beziehen sich alle auf Unendlichkeit und Einteilung der Zeit.

[6] Op. Cit., p. 307.