Es ist eine allgemeine Überlieferung, dass vor dem physiologischen „Fall“ die Fortpflanzung der Art, sowohl der menschlichen wie der tierischen, durch den Willen der Schöpfer oder ihrer Nachkommenschaft stattfand. Dies war der Fall des Geistes in die Zeugung, nicht der Fall des sterblichen Menschen. Es wurde bereits festgestellt, daß der Geist, um selbstbewusst zu werden, durch jeden Daseinscyklus hindurchgehen muß, was seinen Kulminationspunkt auf Erden im Menschen findet. Geist an sich ist eine unbewußte negative Abstraktion. Seine Reinheit ist ihm wesentlich innewohnend, nicht durch Verdienst erworben; daher ist es , wie bereits gezeigt, (um der höchste Dhyân-Chohan werden zu können) für jedes Ego notwendig, volles Selbstbewußtsein als ein menschliches, d. i. bewußtes Wesen, das für uns im Menschen zusammengefaßt erscheint, zu erlangen. Die jüdischen Kabbalisten, welche urteilen, daß kein Geist der göttlichen Hierarchie angehören kann, wenn nicht Ruach (Geist) mit Nephesh (lebender Seele), vereinigt ist, wiederholen bloß die östliche esoterische Lehre:
Ein Dhyâni muß Âtma-Buddhi sein; sobald Buddhi-Manas von dem unsterblichen Âtmâ, dessen Vehikel sie (Buddhi) ist, sich loslöst, geht Âtman in Nichtsein ein, welches das unbedingte Sein ist.
Das bedeutet, daß der rein nirvânische Zustand ein Durchgangszustand des Geistes auf seiner Heimkehr zu der idealen Abstraktion der Sein-heit ist, welche keine Beziehung zu der Ebene hat, auf der unser Weltall seinen Kreislauf vollendet.
(b) „Der Fluch ist ausgesprochen“ bedeutet in diesem Falle nicht, daß irgend ein persönliches Wesen, Gott oder höherer Geist ihn ausgesprochen hat, sondern einfach, daß die Ursache geschaffen worden war, die nur schlechte Wirkungen hervorbringen konnte; und daß die Wirkungen dieser karmischen Ursache die wesen, welche den Gesetzen der Natur entgegengehandelt und so deren regelmäßigen Fortschritt verhindert hatten, nur in schlechte Inkarnationen, somit in Leiden, führen konnten.
(c) „Es gab viele Kämpfe“, alle hinweisend auf geistige, kosmische und astronomische Ausgleichskämpfe, aber hauptsächlich auf die geheimnisvolle Entwicklung des Menschen, wie er jetzt ist. Die Kräfte oder reinen Wesenheiten, denen „befohlen war zu schaffen“ beziehen sich auf ein Geheimnis, das, wie bereits gesagt, anderwärts erklärt ist. Es ist dies nicht bloß eines der verborgensten Geheimnisse der Natur – jenes der Zeugung, über dessen Lösung die Embryologen vergebens ihre Köpfe zusammengesteckt haben – sondern zugleich eine göttliche Funktion, welche das große religiöse, oder richtiger gesagt dogmatische, Mysterium des sogenannten „Falles“ der Engel in sich begreift. Wenn die Bedeutung dieser Allegorie aufgeklärt sein wird, wo wird sich zeigen, dass Satan und seine trotzige Schar sich bloß deshalb geweigert haben, den körperlichen Menschen zu schaffen, um die unmittelbaren Erlöser und Erschaffer des göttlichen Menschen zu werden. Die symbolische Lehre ist nicht allein mystisch und religiös – sie ist rein wissenschaftlich, wie später zu sehen sein wird. Denn anstatt ein rein blind funktionierendes, von dem unergründlichen Gesetze getriebenes und geleitetes Medium zu bleiben, beanspruchte und erzwang der „rebellische“ Engel sein Recht auf selbständiges Urteil und Willen, sein Recht auf freies Handeln und auf Verantwortlichkeit, sintemal Mensch und Engel gleichermaßen dem karmischen Gesetze unterstehen.
Gelegentlich der Erklärung der kabbalistischen Anschauungen sagt der Verfasser New Aspects of Life von den gefallenen Engeln:

Nach der symbolischen Lehre wurde der Geist aus einem einfachen Ausführungsorgane Gottes in einem entwickelten und entwickelnden Wirken zu einem wollenden Wesen, und er fiel, indem er seinen eigenen Willen an Stelle des göttlichen Wunsches beachtete. Daher sind das Reich und Gebiet der Geister und des geistigen Handelns, welche aus dem Geisteswillen strömen und dessen Erzeugnis sind, außerhalb und im Gegensatze und Widerspruche mit dem Reiche der Seelen und des göttlichen Handelns. [51]

Soweit ganz gut; aber was meint der Verfasser mit dem folgenden:

Als der Mensch erschaffen wurde, da war er menschlich in seiner Konstitution, mit menschlichen Neigungen, menschlichen Hoffnungen und Bestrebungen. Aus diesem Zustande fiel er – in den viehischen und  wilden.

Dies steht im direkten Gegensatze zu unserer östlichen Lehre und selbst zur kabbalistischen Auffassung, soweit wir sie verstehen, und zur Bibel selbst. Es sieht aus wie mit Materialismus und Substantialismus gefärbte positive Philosophie, obwohl es ziemlich schwierig ist, über die Meinung des Verfassers sich vollkommen sicher zu fühlen. Ein Fall jedoch „aus dem natürlichen in das übernatürliche und das tierische“ – übernatürlich dies Mal in der Bedeutung von rein geistig – schließt das in sich, was wir andeuten.

Das neue Testament spricht von einem dieser „Kämpfe“ wie  folgt:

Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und der Drache stritt und sein Engel, und siegeten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführet. [52]

Die kabbalistische Wiedergabe derselben Geschichte findet sich im Codex Nazaraeus, der heiligen Schrift der Nazarener, der wirklich mystischen Christen Johannes des Täufers, und der Initiierten des Christos. Bahak Zivo, dem „Vater der Genien“, wird aufgetragen, die Geschöpfe zu bilden – zu „schaffen“. Da er aber „den Orkus nicht kennt“, so misslingt ihm das, und er ruft Fetahil, einen noch reineren Geist, zu Hilfe, der es noch schlechter macht. Dies ist eine Wiederholung des Fehlers der „Väter“, der Herren des Lichtes, die einer nach dem andern fehlen. [53]


[51] p. 235.

[52] Offenb., XII. 7-9.

[53] Siehe Band II, Vers 17.