Das menschliche Wesen kam nach ihrer Esoterik aus dem Monde – zu gleicher Zeit ein dreifaches Geheimnis, astronomisch, physiologisch und psychisch; es durchschritt den ganzen Daseinskreislauf, und kehrte dann zu seinem Geburtsorte zurück, bevor es wieder aus demselben hervorging. So wird der Verstorbene dargestellt, wie er im Westen ankommt, sein Gericht vor Osiris erfährt, dann als der Gott Horus aufersteht, und rund um den Sternenhimmel kreist, was eine allegorische Assimilation an Ra, die Sonne, ist; wenn er dann die Nut, den himmlischen Abgrund, durchquert hat, kehrt er wiederum nach Tiaou zurück; eine Assimilation an Osiris, der als der Gott des Lebens und der Fortpflanzung den Mond bewohnt. Plutarch [24] erwähnt, dass die Ägypter ein Fest feierten mit Namen „Der Eintritt des Osiris in den Mond“. Im Ritual [25] wird Leben nach dem Tode versprochen; und die Erneuerung des Lebens wird unter den Schutz von Osiris-Lunus gestellt, weil der Mond infolge seines allmonatlichen Zunehmens, Abnehmens, Verschwindens und Wiedererscheinens das Symbol der Lebenserneuerungen oder Reinkarnationen war. Im Dankmoe [26] heißt es: „O Osiris-Lunus, der du dir deine Erneuerung erneuerst.“ Und Sabekh sagt zu Seti I: [27] „Du erneuerst dich wie der Gott Lunus als kleines Kind.“ Noch besser wird es erklärt in einem Papyrus des Louvre: [28] „Paarungen und Empfängnisse erfolgen zahlreich, wenn er (Osiris-Lunus) an diesem Tage am Himmel gesehen wird.“ Osiris sagt: „O alleiniger glänzender Strahl des Mondes! Ich gehe hervor aus den kreisenden Scharen (der Sterne) . . . . Öffne mir den Tiaou für den Osiris N. Ich will hervorgehen bei Tage um zu thun, was ich unter den Lebenden zu thun habe“ [29] –  d. h. Empfängnisse zu bewirken.

Osiris war der „Gott, welcher in der Zeugung offenbar wird“, denn die Alten kannten viel besser als die Neuen die wirklichen occulten Einflüsse des Mondkörpers auf die Geheimnisse der Empfängnis. In den ältesten Systemen finden wir den Mond immer männlich. So ist bei den Indern Sôma eine Art von himmlischem Don Juan, ein „König“, und der Vater, obgleich illegitim, von Buddha-Weisheit. Dies bezieht sich auf occulte Erkenntnis, eine Weisheit, die durch eine vollständige Vertrautheit mit lunaren Mysterien, einschließlich jener der geschlechtlichen Zeugung, gewonnen wird. Und später, als der Mond mit weiblichen Gottheiten in Verbindung gebracht wurde, mit Diana, Isis, Artemis, Juno, etc., rührte diese Verbindung ebenfalls her von einer vollständigen Kenntnis der Physiologie und der weiblichen Natur in physischer sowie psychischer Hinsicht.

Wenn den Scharen der Zerlumpten und Armen in den Sonntagsschulen anstatt nutzloser Lektionen aus der Bibel Astrologie gelehrt würde – soweit wenigstens, als die occulten Eigenschaften des Mondes und sein verborgenen Einflüsse auf die Zeugung in Betracht kommen – so wäre nur wenig Grund zur Sorge wegen Anwachsens der Bevölkerung, noch zur Zufluchtnahme zu der fragwürdigen Literatur der Malthusianisten zwecks seiner Hemmung. Denn der Mond und seine Konjunktionen regeln die Empfängnisse, und jeder Astrologe in Indien weiß das. Während der früheren Rassen, und endlich zum Beginne der jetzigen wurden jene, welche eheliche Beziehungen pflogen während gewisser Mondphasen, welche diese Beziehungen unfruchtbar machten, als Zauberer und Sünder angesehen. Nun sind aber selbst jene Sünden des Altertums, die aus einem Mißbrauch der occulten Kenntnisse entsprangen, den Verbrechen von heutzutage augenscheinlich vorzuziehen, die infolge gänzlicher Unkenntnis solcher occulter Einflüsse verübt werden.

Aber ursprünglich waren Sonne und Mond die einzigen sichtbaren und durch ihre Wirkungen sozusagen greifbaren, psychischen und physiologischen Gottheiten – Vater und Sohn – während der Raum oder die Luft im allgemeinen, oder jene Ausdehnung des Himmels, die die Ägypter Nut nannten, der verborgene Geist oder Atem der beiden war. Vater und Sohn waren in ihren Funktionen vertauschbar, und wirkten in ihren Einflüssen auf die irdische Natur und Menschheit harmonisch zusammen; daher wurden sie als eins betrachtet, obwohl sie als personifizierte Wesenheiten zwei waren. Sie waren beide männlich und beide hatten ihr bestimmtes, wenn auch zusammenarbeitendes Werk in der begründenden Erzeugung der Menschheit. So viel von dem astronomischen und kosmischen Standpunkt betrachtet und in symbolischer Sprache ausgedrückt, die später in unseren letzten Rassen theologisch und dogmatisch wurde. Aber hinter diesem Schleier kosmischer und astrologischer Symbole lagen die occulten Geheimnisse der Anthropographie und der ursprünglichen Genesis des Menschen. Und hierin wird und kann keine Kenntnis der Symbole noch selbst der Schlüssel zu der nachsintflutlichen symbolischen Sprache der Juden helfen, ausgenommen in Bezug auf das, was in nationalen Schriften für exoterischen Gebrauch niedergelegt worden ist; denn die Gesamtsumme dessen, gleichwohl klug verschleiert, war bloß der geringste Teil der wirklichen ursprünglichen Geschichte eines jeden Volkes und bezog sich obendrein oft, wie in den hebräischen Schriften, bloß auf das irdisch menschliche und nicht auf das göttliche Leben der betreffenden Nation. Dieses seelische und geistige Element gehörte den MYSTERIEN und der INITIATION an. Es gab Dinge, die niemals auf Rollen aufgezeichnet wurden, die aber, wie in Centralasien, auf Felsen und in unterirdischen Krypten eingegraben wurden.


[24] De Iside et Osiride, XLIII.

[25] Kap XLI.

[26] IV. 5.

[27] Mariettes Abydos. Tafel 51.

[28] P. Pierret, Êtudes Êgyptologiques.

[29] Ritual, Kap. II.