Âdi, oder Âdhi Budha, die Eine oder die Erste und Höchste Weisheit, ist ein von Âryasarnga in seinen geheimkundigen Abhandlungen, und jetzt von allen Mystikern des nördlichen Buddhismus gebrauchter Ausdruck. Es ist ein Sanskritwort, und eine von den frühesten Âriern der unbekannten Gottheit erteilte Bezeichnung, indem das Wort "Brahmâ" sich in den Veden und den frühzeitigen Werken nicht findet. Es bedeutet die absolute Weisheit, und Âdibhuta wird von Fitzedward Hall mit "die uranfängliche unerschaffene Ursache von Allem" übersetzt. Äonen von unsagbarer Dauer müssen vergangen sein, bevor die Bezeichnung Buddha derart vermenschlicht war, so zu sagen, um es zu gestatten, daß der Ausdruck auf Sterbliche angewendet und schließlich einem zugeeignet wurde, dessen unvergleichliche Tugenden und Erkenntnis ihn den Titel eines "Buddhas der unbegrenzten Weisheit" erlangen ließen. Bodha bedeutet den angeborenen Besitz von göttlichem Intellekt oder Einsicht; Buddha die Erlangung derselben durch persönliche Anstrengungen und Verdienst; während Buddhi die Fähigkeit des Erkennens ist, der Kanal, durch welchen die göttliche Erkenntnis das Ego erreicht, das Unterscheidungsvermögen von Gut und Böse, auch das "göttliche Bewußtsein", und die .“geistige Seele", die die Trägerin von Âtma ist. "Wenn Buddhi unseren Sondersinn aufzehrt (ihn zerstört) mit allen seinen Vikaras, so wird Avalokiteshvara uns offenbar, und Nirvana, oder Mukti, ist erreicht," indem Mukti dasselbe ist wie Nirvana, nämlich Freiheit von den Netzen von Mâyâ oder Illusion. Bodhi ist gleicherweise der Name eines besonderen Trancezustandes, genannt Samâdhi, während dessen das Subjekt den Höhepunkt geistiger Erkenntnis erreicht.
Unweise sind jene, welche in ihren blinden und in unserem Zeitalter unzeitgemäßen Haß gegen Buddhismus, und, infolge dessen, gegen Budhismus, die esoterischen Lehren desselben (die auch die der Brâhmanen sind), einfach deshalb leugnen, weil der Name an, für sie als Monotheisten schädliche, Doktrinen denken läßt. Unweise ist der richtige Ausdruck für diesen Fall. Denn allein die esoterische Philosophie ist geeignet, in diesem Zeitalter krassen und unlogischen Materialismus, den wiederholten Angriffen auf all und jedes, was der Mensch in seinem inneren geistigen Leben für das Teuerste und Heiligste hält, Widerstand zu leisten. Der wahre Philosoph, der Schüler der esoterischen Weisheit, verliert Persönlichkeiten, dogmatische Meinungen und spezielle Religionen vollständig aus den Augen. Ferner versöhnt die esoterische Philosophie alle Religionen, entkleidet jede ihrer äußeren, menschlichen Gewänder, und zeigt die Wurzel einer jeden als identisch mit der jeder anderen großen Religion. Sie beweist die Notwendigkeit eines göttlichen absoluten Prinzips in der Natur. Sie leugnet die Gottheit nicht mehr, als sie die Sonne leugnet. Esoterische Philosophie hat niemals Gott in der Natur zurückgewiesen, noch die Gottheit als das absolute und abstrakte Ens. Sie weigert sich bloß, irgendwelche Götter der sogenannten monotheistischen Religionen anzunehmen, Götter, die der Mensch nach seinem eigenen Bild und Gleichnis erschaffen hat, als eine lästerliche und traurige Karikatur des Ewig-Unerkennbaren. Des weiteren umfassen die Aufzeichnungen, die wir dem Leser vorzulegen beabsichtigen, die esoterischen Lehren der ganzen Welt seit dem Anfange unserer Menschheit, und der buddhistische Occultismus nimmt darin bloß seinen gebührenden Platz ein, und nicht mehr. In der That sind die geheimwissenschaftlichen Teile des Dan oder Janna (Dhyâna)1von Gautamas Metaphysik - so großartig sie auch dem mit den Sätzen der Weisheitsreligion des Altertums Unvertrauten erscheinen mögen - bloß ein sehr kleiner Teil des Ganzen. Der indische Reformator beschränkte seine öffentlichen Lehren auf die rein moralische und physiologische Seite der Weisheitsreligion, auf Ethik und den Menschen allein. „Unsichtbare und unkörperliche" Dinge, das Geheimnis des Seins außerhalb unserer irdischen Sphäre, ließ der große Lehrer in seinen öffentlichen Vorträgen gänzlich unberührt, indem er die verborgenen Wahrheiten für einen auserwählten Kreis seiner Arhats vorbehielt. Die letzteren erhielten ihre Initiation in der berühmten Saptaparna-Höhle (der Sattapanni des Mahâvansa), nahe dem Berge Baibhâr (dem Webhâra der Pâlimanuskripte). Diese Höhle war in Râjâgriha, der alten Hauptstadt von Magadha, und war die Chetahöhle des Fa-hian, wie von einigen Archäologen richtig vermutet wurde2.

Zeit und die menschliche Einbildungskraft machten kurzen Prozeß mit der Reinheit und Philosophie dieser Lehren, nachdem sie einmal aus dem geheimen und geheiligten Kreis der Arhats, während des Verlaufes ihres Bekehrungswerkes, in den für metaphysische Ideen weniger als Indien vorbereiteten Boden verpflanzt worden waren, nämlich nach ihrer Übertragung nach China, Japan, Siam und Birma. Wie mit der ursprünglichen Reinheit dieser großen Offenbarungen verfahren wurde, kann bei dem Studium einiger der sogenannten „esoterischen" buddhistischen Schulen des Altertumes in ihrem modernen Gewande gesehen werden, nicht nur in China und anderen buddhistischen Ländern im allgemeinen, sondern sogar in nicht wenigen Schulen in Tibet, die der Obhut von uninitiierten Lamen und mongolischen Neuerern überlassen worden sind.

1) Dan, jetzt in moderner chinesischen und tibetanischer Phonetik zu Chhan geworden, ist die allgemeine Bezeichnung für die esoterischen Schulen und ihre Litteratur. In den alten Büchern wird das Wort Janna definiert als "sein Selbst durch Meditation und Erkenntnis zu reformieren", eine zweite innere Geburt. Daher Dzan, phonetisch Djan, das Buch des Dzyan. Siehe Edkins, Chinese Buddhism, p. 129, Note. zurück zum Text

2) Herr Beglor, Oberingenier in Buddhagaya und hervorragender Archäolog, hat, wie wir glauben, als erster dies entdeckt. zurück zum Text