Vorwort.


BLÄTTER AUS VORGESCHICHTLICHER ZEIT.

Ein archaisches Manuskript - eine Sammlung von Palmblättern, durch ein besonderes unbekanntes Verfahren für Wasser, Feuer und Luft undurchdringlich gemacht - befindet sich vor dem Auge der Schreiberin. Auf der ersten Seite ist eine fleckenlose weiße Scheibe, auf einem stumpfen, schwarzen Grunde. Auf der folgenden Seite dieselbe Scheibe, aber mit einem Punkt in der Mitte. Die erste, so weiß der Schüler, bedeutet den Kosmos in der Ewigkeit, vor dem Wiedererwachen der noch schlummernden Energie, der Emanation des Wortes in späteren Systemen. Der Punkt in der vorher fleckenlosen Scheibe, dem Raume und der Ewigkeit in Pralaya, bezeichnet das Herandämmern der Differentiation. Er ist der Punkt in dem Weltenei, dessen Keim zum Universum, zum All, zum schrankenlosen, periodischen Kosmos werden wird - ein Keim, der periodisch und abwechselnd latent und aktiv ist. Der eine Kreis ist göttliche Einheit, aus der alles hervorgeht, in die alles zurückkehrt: Sein Umfang ein gezwungenermaßen beschränktes Symbol, mit Rücksicht auf die Beschränktheit des menschlichen Gemütes -bedeutet die abstrakte, immer unerkennbare GEGENWART und seine Ebene die Universalseele, wenn auch die beiden eins sind. Daß bloß die Fläche der Scheibe weiß und der Grund ringsherum schwarz ist, zeigt klar, daß ihre Ebene die einzige Erkenntnis ist, die, obgleich sie noch undeutlich und nebelhaft ist, vom Menschen erreicht werden kann. Dies ist die Ebene, auf der die manvantarischen Manifestationen beginnen, denn diese SEELE ist es, in der während Pralaya, der göttliche Gedanke1 schlummert, worin der Plan jeder zukünftigen Kosmogenie und Theogenie verborgen liegt.
Das ist das EINE LEBEN, ewig, unsichtbar, doch allgegenwärtig, ohne Anfang oder Ende, doch periodisch in seinen regelmäßigen Manifestationen - zwischen welchen Perioden das dunkle Geheimnis des Nichtseins herrscht; unbewußt, doch absolutes Bewußtsein; unrealisierbar, doch die eine selbstexistierende Realität; fürwahr „ein Chaos für den Sinn, ein Kosmos für die Vernunft". Sein einziges absolutes Attribut, welches ES SELBST ist, ewige, unaufhörliche Bewegung, wird in esoterischer Sprache der große Atem2 genannt, das ist die beständige Bewegung des Weltalls, im Sinne von unbegrenztem, allgegenwärtigem Raum. Was bewegungslos ist, kann nicht göttlich sein. Aber da ist auch nichts thatsächlich und wirklich Bewegungsloses innerhalb der Universalseele. Nahezu fünf Jahrhunderte v. Chr. behauptete Leucippus, der Lehrer des Demokritus, daß der Raum von Ewigkeit mit Atomen erfüllt sei, durch unaufhörliche Bewegung in Thätigkeit gesetzt, welch letztere im entsprechenden Verlauf der Zeit, wenn diese Atome sich zusammenhäufen, Rotationsbewegung, und durch gegenseitige Zusammenstöße seitliche Bewegung hervorbringt. Epikur und Lukretius lehrten dasselbe, nur fügten sie zur seitlichen Bewegung der Atome die Idee der Affinität - eine occulte Lehre. -

 

1) Es ist schwerlich nötig, den Leser nochmals daran zu erinnern, daß der Ausdruck „göttlicher Gedanke“ ebenso wenig als der vom „Universalen Gemüth“ auch nur beiläufig einen intellektuellen Vorgang, verwandt mit solchen, wie der Mensch sie bietet, darstellt. Das „Unbewußte", nach v. Hartmann, gelangte zu dem weiten Schöpfungs- ­oder vielmehr Evolutionsplan „durch eine hellsehende Weisheit, höher als alles Bewußtsein", was in der Vedântasprache absolute Weisheit heißen würde. Nur jene, welche es an sich selbst erfahren, wie hoch Intuition sich über die langsamen Prozesse des schlußweisen Denkens emporschwingt, können sich eine ganz schwache Vorstellung von dieser absoluten Weisheit machen, die die Ideen von Zeit und Raum überschreitet. Gemüt, wie wir es kennen, ist auflösbar in Bewußtseinszustände von verschiedener Dauer, Stärke, Zusammengesetztheit u. s. w., die alle schließlich auf Empfindung beruhen, welche hinwiederum Mâjâ ist. Empfindung setzt hinwiederum notwendigerweise Beschränkung voraus. Der persönliche Gott des orthodoxen Theismus nimmt wahr, denkt und wird durch Gemütsbewegungen beeinflußt; er bereut und fühlt „grimmigen Zorn". Aber der Begriff solcher Gemütszustände involviert offenbar das undenkbare Postulat der Externalität der erregenden Reize; nicht zu sprechen von der Unmöglichkeit, Unveränderlichkeit einem Wesen zuzuschreiben, dessen Gemütsbewegungen mit den Ereignissen m den von ihm geleiteten Welten schwanken. Die Vorstellungen von einem persönlichen Gott als unveränderlich und unbegrenzt sind also unpsychologisch und, was schlimmer ist, unphilosophisch. zurück zum Text

2) Plato erweist sich als Initiierten, wenn er in Kratylos sagt, daß [im Buch nachzulesen] von [im Buch nachzulesen] „sich bewegen", „laufen" abgeleitet ist, indem die ersten Astronomen, welche die Bewegungen der Himmelskörper beobachteten, die Planeten [im Buch nachzulesen], die Götter, nannten. Später brachte das Wort einen anderen Ausdruck - [im Buch nachzulesen] - der Atem Gottes. zurück zum Text