ABTEILUNG IV.

CHAOS : THEOS : KOSMOS.

Diese drei bilden den Inhalt des Raumes; oder, wie ein gelehrter Kabbalist es definiert hat: ,,Raum, der alles-enthaltende Unenthaltene, ist die ursprüngliche Verkörperung der einfachen Einheit ... schrankenlose Ausdehnung.“ [1] Aber er fragt wiederum: „schrankenlose Ausdehnung von was?“ - und giebt die richtige Antwort „von dem unbekannten Enthalter des Alls, der Unbekannten Ersten Ursache.“ Dies ist eine höchst richtige Definition und Antwort; höchst esoterisch und wahr, von jedem Gesichtspunkt der occulten Lehre aus.

Raum, den in ihrer Unwissenheit und in ihrer bilderstürmerisehen Neigung, jede philosophische Idee des Altertums zu zerstören, die modernen Klugthuer als ,,eine abstrakte Idee“ und als eine ,,Leere“ proklamiert haben, ist in Wirklichkeit der Enthalter und der Körper des Weltalls in seinen sieben Prinzipien. Er ist ein Körper von grenzenloser Ausdehnung, dessen Prinzipien, in occulter Ausdrucksweise - jedes wiederum seinerseits eine Siebenheit - in unsere Erscheinungswelt bloß das gröbste Gewebe ihrer Untereinteilungen offenbaren. „Niemand hat jemals die Elemente in ihrer Gänze gesehen,“ lehrt die Lehre. Wir haben unsere Weisheit in den ursprünglichen Ausdrücken und Synonymen der Urvölker zu suchen. Selbst die Juden, die spätesten von diesen, zeigen in ihren kabbalistischen Lehren dieselbe Idee, wenn sie von der siebenköpfigen Schlange des Raumes, genannt die ,,große See“, sprechen.

Im Anbeginne schufen die Alhim die Himmel und die Erde; die Sechs (Sephiroth) . . .  Sie schufen Sechs, und auf diesen beruhen alle Dinge. Und diese (Sechs) hängen ab von den sieben Formen des Schädels hinauf bis zur Würde aller Würden. [2]

Nun sind Wind, Luft und Geist seit jeher bei jeder Nation sinnverwandt gewesen. Pneuma (Geist) und Anemos (Wind) bei den Griechen, Spiritus und Ventus bei den Lateinern waren vertauschbare Ausdrücke, selbst für den Fall der Trennung von der ursprünglichen Vorstellung vorn Atem des Lebens. In den ,,Kräften“ der Wissenschaft sehen wir bloß den materiellen Effekt des geistigen Effektes von einem oder dem andern der vier ursprünglichen Elemente, welche uns von der vierten Rasse ebenso vererbt worden sind, wie wir den Aether, oder vielmehr seine grobe Unterabteilung in ihrer Gänze der sechsten Wurzelrasse vererben werden. Das Chaos wurde bei den Alten sinnenlos genannt, weil es - Chaos und Raum waren synonym - alle Elemente in ihrem rudimentären, undifferenzierten Zustande repräsentierte und in sich enthielt. Sie machten Aether, das fünfte Element, zur Synthese der anderen vier; denn der Aether der griechischen Philosophen war nicht gleichbedeutend mit seinem Bodensatz, obwohl diese in der That mehr als die heutige Wissenschaft wußten von diesem Bodensatze (Ether), welcher richtig genug als ein Vermittler für viele Kräfte, welche sich auf Erden offenbaren, angenommen wird. Ihr Aether war der Âkâsha der Hindûs; der von der Physik angenommene Ether ist bloß eine von seinen Unterabteilungen, auf unserer Ebene, das Astrallicht der Kabbalisten mit allen seinen üblen sowohl als seinen guten Wirkungen.

In Anbetracht dessen, daß die Wesenheit des Aethers oder des unsichtbaren Raumes als der vermutete Schleier der Gottheit für göttlich gehalten wurde, wurde er als das Medium zwischen diesem Leben und dem nächsten betrachtet. Die Alten hielten dafür, daß, wenn die lenkenden thätigen Intelligenzen - die Götter - sich von irgend einem Teile des Aethers in unserem Raume, oder den vier Bereichen, denen sie vorstehen, zurückziehen, daß dann diese besondere Region dein Besitze des Bösen überlassen war, sogenannt wegen der Abwesenheit des Guten von derselben.

Das Dasein des Geistes in dem gemeinsamen Mittler, dem Ether, wird vom Materialismus geleugnet, während die Theologie aus demselben einen persönlichen Gott macht. Der Kabbalist aber behauptet, daß beide im Unrecht sind und sagt, daß im Ether die Elemente bloß die Materie repräsentieren, die blinden kosmischen Kräfte der Natur; während der Geist die Intelligenz repräsentiert, welche dieselben leitet. Die ârischen, hermetischen, orphischen und pythagoräischen, kosmogonischen Lehren, sowie die des Sanchuniathon und Berosus beruhen alle auf einer unwiderleglichen Formel, nämlich daß Äther und Chaos, oder, in der platonischen Sprechweise, Gemüt und Stoff, die zwei ursprünglichen und ewigen Prinzipien des Weltalls waren, gänzlich unabhängig von irgend etwas anderem. Der Erstere war das alles belebende intellektuelle Prinzip, während Chaos ein gestaltloses flüssiges Prinzip war, ohne ,,Form oder Sinn“; aus der Vereinigung dieser beiden trat das Universum ins Dasein, oder vielmehr die universale Welt, die erste androgyne Gottheit - die chaotische Materie wurde ihr Körper, und Ether ihre Seele. In der Ausdrucksweise eines Fragmentes des Hermeias lautet es: „Das Chaos, aus dieser Vereinigung mit dem Geiste den Sinn erlangend, leuchtete in Wonne, und so ward Protogonos hervorgebracht, das (Erstgeborene) Licht.“ [3] Dies ist die universale Dreieinigkeit, die auf den metaphysischen Vorstellungen der Alten beruht, welche, nach Analogie schließend, den Menschen, der eine Verbindung von Intellekt und Stoff ist, zum Mikrokosmos machten, des Makrokosmos oder des großen Weltalls. [4]


[1] Henry Pratt, M. D., New Aspects of Life.

[2] Siphra Dtzenioutha, i. 16.

[3] Damascius in seiner Theogonie nennt es Dis, den ,,Ordner aller Dinge“. Cory, Ancient Fragments, p. 314.

[4] Isis Unveiled, I. 341