„Die Natur verabscheut das Leere,“ sagten die Peripatetiker, die, obwohl in ihrer Art Materialisten, vielleicht verstanden, warum Demokrit, und mit ihm sein Lehrer Leukippos, lehrten, daß die ersten Prinzipien aller im Universum enthaltenen Dinge Atome und eine Leere waren. Die letztere bedeutet einfach latente Kraft oder Gottheit, welche, vor ihrer ersten Offenbarung - wo sie zum Willen wurde, welcher den ersten Impuls diesen Atomen mitteilte - das große Nichts war, Ain Suph, oder Nicht-Ding; und daher in jedem Sinne eine Leere oder Chaos.
Dieses Chaos jedoch wurde zur „Seele der Welt“ nach Plato und den Pythagoräern. Nach der indischen Lehre durchdringt die Gottheit in der Gestalt des Aether oder Âkâsha alle Dinge. Daher wurde sie von den Theurgisten das ,,lebendige Feuer“, der „Geist des Lichtes“, und manchmal ,,Magnes“ genannt. Nach Plato bildete die höchste Gottheit selbst das Weltall in der geometrischen Gestalt des Dodekaeders, und ihr „Erstgeborener“ wurde geboren aus dem Chaos und dem ursprünglichen Lichte - der Centralsonne. Dieser Erstgeborene war jedoch bloß die Zusammenfassung der Schar der Bildner, der ersten konstruktiven Kräfte, welche in alten Kosmogonien die Alten genannt werden, geboren aus der Tiefe oder dem Chaos, und dem ersten Punkte. Er ist das sogenannte Tetragrammaton an der Spitze der sieben niederen Sephiroth. Das war auch der Glaube der Chaldäer. Philo, der Jude, spricht sehr seicht über die ersten Unterweiser seiner Vorfahren, indem er folgendes schreibt:

Die Chaldäer waren der Ansicht, daß der Kosmos, unter den Dingen, die existieren (?), ein einzelner Punkt ist, der entweder selbst Gott (Theos) ist, oder in dem Gott ist, die Seele aller Dinge umfassend. [5]

Chaos, Theos, Kosmos sind bloß die drei Symbole ihrer Zusammenfassung – des Raumes. Man kann niemals hoffen, das Geheimnis dieser Tetraktis aufzulösen, wenn man sich an den toten Buchstaben selbst der ältesten Philosophien, wie sie jetzt erhalten sind, hält. Aber selbst in diesen werden Chaos, Theos, Kosmos, und Raum in alle Ewigkeit als der Eine Unbekannte Raum unter einen Begriff gebracht, über den das letzte Wort vielleicht niemals vor unserer siebenten Runde bekannt sein wird. Nichtsdestoweniger sind die Allegorien und metaphysischen Symbole betreffend den ursprünglichen und vollkommenen Würfel bemerkenswert, selbst in den exoterischen Purânen.
Auch dort ist Brahmâ der Theos, welcher aus dem Chaos oder der großen Tiefe, aus den Wassern sich entwickelt, über welchen der Geist oder der Raum - der Geist, welcher sich über der Fläche des zukünftigen, grenzenlosen Kosmos bewegt - schweigend hangt, in der ersten Stunde des Wiedererwachens. Derselbe ist auch Vishnu, der auf dem Ananta-Shesha, der großen Schlange der Ewigkeit, schläft, aus dem die westliche Theologie, unbekannt mit der Kabalah, dem einzigen Schlüssel, der die Geheimnisse der Bibel eröffnet, - den Teufel gemacht hat. Es ist auch das erste Dreieck oder die pythagoräische Triade, der ,,Gott mit den drei Aspekten“, bevor dasselbe, durch die vollkommene Quadratur des unendlichen Kreises, zu dem ,,viergesichtigen“ Brahmâ wird. „Aus ihm, welcher ist, und doch nicht ist, aus dem Nicht-Sein, der ewigen Ursache, ist geboren das Sein, Purusha“, sagt Manu, der Gesetzgeber.

In der ägyptischen Mythologie wird Kneph, der ewige ungeoffenbarte Gott, dargestellt durch ein Emblem der Schlange der Ewigkeit, welche eine Wasserurne umschlingt, mit ihrem Kopfe über dem Wasser hangend, welches sie mit ihrem Atem ausbrütet. In diesem Falle ist die Schlange der Agathodaimôn, der gute Geist; im entgegengesetzten Aspekt ist sie der Kakodaimôn, der böse Geist. In den skandinavischen Edden fällt der Honigtau, die Frucht der Götter und der schöpferischen, geschäftigen Yggdrasilbienen, während der Stunden der Nacht, wenn die Atmosphäre mit Feuchtigkeit geschwängert ist; und in den nördlichen Mythologien versinnbildlicht er als das passive Prinzip der Schöpfung die Erschaffung des Weltalls aus dem Wasser. Dieser Tau ist das Astrallicht in einer von seinen Kombinationen, und besitzt ebensowohl schöpferische als zerstörende Eigenschaften. In der chaldäischen Legende des Berosus unterrichtet Oannes oder Dagon, der Mann-Fisch, das Volk und zeigt die kindliche Welt als aus dem Wasser gebildet, und alle Dinge als aus dieser Prima Materia entspringend. Moses lehrt, daß bloß Erde und Wasser eine lebendige Seele ins Dasein bringen können: und wir lesen in der Schrift, daß die Kräuter nicht wachsen konnten, bevor nicht der Ewige regnen ließ auf Erden. In dem mexikanischen Popol Vuh ist der Mensch aus Schlamm oder Lehm (terre glaise) geschaffen, der unter dem Wasser hervorgenommen wurde. Brahmâ erschafft den großen Muni, oder den ersten Menschen, auf seinem Lotus sitzend, erst nachdem er Geister ins Dasein gerufen hat, die sich somit eines früheren Daseins erfreuten als die Sterblichen; und er schafft ihn aus Wasser, Luft und Erde. Die Alchimisten behaupten, daß die ursprüngliche oder voradamische Erde, wenn sie auf ihre erste Substanz zurückgeführt wird, in ihrem zweiten Umwandlungszustande wie klares Wasser ist, während der erste der eigentliche Alkahest ist. Es heißt, daß diese ursprüngliche Substanz in sich die Wesenheit von allem enthält, welches den Menschen zusammensetzen soll; sie enthält nicht bloß alle Elemente seines körperlichen Wesens, sondern auch den „Atem des Lebens“ in einem latenten Zustand, bereit, erweckt zu werden. Diesen erlangt sie durch das ,,Brüten“ des ,,Geistes Gottes“ über der Fläche der Wasser - des Chaos. Thatsächlich ist diese Substanz das Chaos selbst. Aus ihr behauptete Paracelsus seine Homunculi machen zu können; und aus diesem Grunde behauptete Thales, der große Naturphilosoph, daß das Wasser das Princip aller Dinge in der Natur ist. [6] Hiob sagt, daß tote Dinge unter den Wassern hervor gebildet wurden, und so die Bewohner derselben. [7] Im ursprünglichen Texte steht an Stelle von „toten Dingen“ geschrieben: Tote Rephaim, Riesen oder mächtige Urmenschen, von denen die Entwicklungslehre eines Tages unsere gegenwärtige Rasse herleiten mag. [8]


[5] „Wanderung des Abraham“, 32.

[6] Bei den Griechen waren die Flußgötter, die alle die Söhne des ursprünglichen Ozeans waren – des Chaos in seinem männlichen Aspekt - die einzelnen Vorfahren der hellenischen Rassen. Für sie war der Ozean der Vater der Götter; und in diesem Zusammenhang hatten sie also die Anschauungen des Thales vorweggenommen wie Aristoteles richtig bemerkt. (Metaph. I. 3-5.)

[7] XXVI. 5.

[8] Isis Unveiled, I. 133-134