ABTEILUNG V.

ÜBER DIE VERBORGENEN GOTTHEIT, IHRE SYMBOLE UND GLYPHEN.

Der Logos, oder die schöpferische Gottheit, das „fleischgewordene Wort“, einer jeden Religion soll nun zu seiner letzten Quelle und Wesenheit zurückverfolgt werden. In Indien ist er ein Proteus von 1008 göttlichen Namen und Aspekten, in jeder von seinen persönlichen Verwandlungen, von Brahmâ-Purusha, durch die sieben göttlichen Rishis und zehn halbgöttlichen Prajâpatis (ebenfalls Rishis) hinab zu den göttlich menschlichen Avatâras. Dasselbe schwierige Problem des „Einen im Vielen“, und der Vielheit im Einen, findet sich in anderen Pantheons; im ägyptischen, im griechischen und im chaldäisch-jüdischen; das letztere macht die Verwirrung noch verwirrter, indem es seine Götter in Gestalt von Patriarchen, euhemeristisch darstellte. Und diese Patriarchen werden jetzt von denen hingenommen, welche den Romulus als eine Mythe verwerfen, und als lebende und historische Wesen dargestellt. Verbum satis sapienti!
Im Zohar ist Ain-Suph ebenfalls das Eine, die unendliche Einheit. Dies war den sehr wenigen gelehrten Kirchenvätern bekannt, welche sich darüber klar waren, daß Jehovah kein „höchster“ Gott war, sondern eine Kraft dritten Ranges. Aber während er sich bitter über die Gnostiker beklagte mit den Worten „Unsere Heretiker behaupten . . . daß Propatôr bloß dem Eingeborenen Sohne [1] (welcher Brahmâ ist) bekannt ist, das heißt dem Gemüte (Nous),“ unterlässt Jrenaeus zu erwähnen, daß die Juden in ihren echten geheimen Büchern dasselbe thaten. Valentinus, „der profundeste Doktor der Gnosis“, behauptete, daß „es bloß einen vollkommenen Aiôn gab, welcher von Bythos existierte, (der erste Vater der unergründlichen Natur, welche der zweite Logos ist) genannt Propatôr.“ Dieses Aiôn ist es, welcher als ein Strahl aus Ain-Suph  entspringt, welches nicht erschafft, und er ist der Aiôn, welcher erschafft, oder durch welchen vielmehr alles erschaffen wird oder evolviert. Denn wie die Basilidianer lehrten, „war ein höchster Gott, Abrasax, durch den der Verstand (Mahat, im Sanskrit; Nous, im Griechischen) geschaffen wurde. Aus dem Verstande ging hervor das Wort, Logos; aus dem Worte die Voraussicht (vielmehr das göttliche Licht); hieraus sodann Tugend und Weisheit in Fürstentümern, Kräften, Engeln, etc.“ Von diesen Engeln wurden die 365 Aeonen geschaffen. „Unter die niedrigsten, fürwahr, und jene, welche diese Welt gemacht hatten, versetzt er (Basilides) als letzten von allen den Gott der Juden, von welchem er leugnet, daß er ein Gott sei (und zwar sehr mit Recht), behauptend, daß er einer von den Engeln ist.“
Hier nun finden wir dasselbe System wie in den Purânen, in welchen das Unbegreifliche einen Samen ausstreut, welcher zu dem goldenen Ei wird, aus dem Brahmâ hervorgeht. Brahmâ erzeugt Mahat etc. Die wahre esoterische Philosophie spricht jedoch weder von „Schöpfung“, noch von „Entwicklung“, in dem Sinne, wie es die exoterischen Religionen thun. Alle diese personifizierten Kräfte sind nicht Entwicklungen des einem aus dem andern, sondern ebensoviele Aspekte der einen und einzigen Offenbarung des Absoluten Alls.
Dasselbe System wie das der gnostischen Emanationen herrscht in den sephirothischen Aspekten des Ain Suph, und da diese Aspekte in Zeit und Raum sind, so wird eine gewisse Ordnung unter ihren aufeinander folgenden Erscheinungen festgehalten. Es wird daher unmöglich, die großen Veränderungen unbeachtet zu lassen, welche der Zohar unter der Behandlung von Generationen christlicher Mystiker erfahren hat. Denn selbst in der Metaphysik des Talmud konnte das niederere Gesicht oder kleinere Antlitz, oder der Mikroprosopus, niemals auf dieselbe Ebene abstrakter Ideale wie das höhere oder größere Antlitz, der Makroprosopus, versetzt werden. Der letztere ist in der chaldäischen Kabalah eine reine Abstraktion, das Wort oder der Logos, oder Dabar im Hebräischen; welches Wort, obwohl es thatsächlich ein nomen plurale wird, oder Worte, D (a) B (a) R (i) M, wenn es sich selbst reflektiert, oder in den Aspekt einer Schar von Engeln oder Sephiroth - die ,,Zahl“ - fällt, doch kollektiv Eins ist und auf der idealen Ebene eine Null, [Symbolabbildung, siehe Buch], ,,Nichts. Es ist ohne Form oder Dasein, „ohne irgend welche Ähnlichkeit mit etwas anderm.“ [2] Und selbst Philo nennt den Schöpfer, den Logos, welcher Gott zunächst steht den „zweiten Gott“, wenn er spricht von „dem zweiten Gott, welcher ist seine (des höchsten Gottes) Weisheit.“ [3] Gottheit ist nicht Gott, sie ist Nicht-Ding, und Dunkelheit. Sie ist namenlos und wird daher Ain Suph genannt, indem das Wort „Ayin ,nichts‘ bedeutet“ [4] Der „höchste Gott“, der unmanifestierte Logos, ist ihr Sohn.


[1] Geradeso, wie Mûlaprakriti bloß dem Îshvara bekannt ist, oder dem Logos, wie ihn T. Subba Row nennt.

[2] Franck, Die Kabbala, 126.

[3] Philo, Quaest. et Solut.

[4] Frank, Op. Cit., 153.