Wenn die Periode der Thätigkeit angebrochen ist, so kommt aus dem Innern der ewigen Wesenheit des Ain Suph, Sephira hervor, die thätige Kraft, genannt der ursprüngliche Punkt und die Krone, Kether. Nur durch sie konnte die „unbegrenzte Weisheit“ dem abstrakten Gedanken eine konkrete Form geben.

Zwei Seiten des oberen Dreieckes, durch welches die unaussprechliche Wesenheit und ihr geoffenbarter Körper, das Weltall, symbolisiert wurden, die rechte Seite und die Grundlinie, bestehen aus ungebrochenen Linien; die dritte, die linke Seite, ist punktiert. Durch die letztere taucht Sephira empor. In jeder Richtung sich ausbreitend, umfaßt sie schließlich das ganze Dreieck.

In dieser Emanation wird die doppelte Dreiheit geformt. Aus dem unsichtbaren Tau, der von der höheren Uni-triade, dem „Haupte“, herabfällt - so daß bloß 7 Sephiroth bleiben - schafft Sephira die ursprünglichen Wasser, oder mit andern Worten, das Chaos nimmt Gestalt an. Es ist das erste Stadium in der Richtung zur Verfestigung des Geistes, welche durch verschiedene Einschränkungen die Erde hervorbringen wird. „Erde und Wasser sind erforderlich, um eine lebendige Seele zu machen.“ sagt Moses. Das Bild eines Wasservogels ist erforderlich zur Verbindung davon mit dem Wasser, dem weiblichen Elemente der Fortpflanzung, mit dem Ei und dem Vogel, der es befruchtet.

Wenn Sephira als eine thätige Kraft aus dem Innern der verborgenen Gottheit emportaucht, ist sie weiblich; wenn sie das Amt eines Schöpfers übernimmt, wird sie männlich, daher ist sie androgyn. Sie ist „Vater und Mutter, Aditi“, der indischen Kosmogonie und der Geheimlehre. Wenn die ältesten hebräischen Rollen erhalten geblieben wären, so würden die modernen Jehovah-verehrer gefunden haben, wie zahlreich und ungeziemend die Symbole des „schöpferischen Gottes“ waren. Der Frosch im Monde, sinnbildlich wegen seines Fortpflanzungscharakters, war das häufigste. Alle Vögel und Tiere, die jetzt in der Bibel „unrein“ genannt werden, sind in den Tagen des Altertums die Symbole dieser Gottheit gewesen. Die Maske der Unreinheit wurde ihnen vorgebunden, um sie vor Vernichtung zu bewahren, weil sie so heilig waren. Die eherne Schlange ist um gar nichts poetischer als die Gans oder der Schwan, wenn Symbole buchstäblich genommen werden sollen.

Der Zohar sagt:

Der unteilbare Punkt, welcher keine Grenze hat, und wegen seiner Reinheit und seines Glanzes nicht erfaßt werden kann, dehnte sich von Außen aus, und bildete einen Glanz, der dem unteilbaren Punkte als Schleier diente; (aber auch der letztere) konnte nicht gesehen werden in Folge seines unermeßlichen Lichtes. Auch er dehnte sich von außen aus, und diese Ausdehnung war sein Gewand. So entstand durch beständige Erhebung (Auswärtsbewegung) schließlich die Welt. [14]

Die von dem unendlichen Lichte ausgesendete geistige Substanz ist die erste Sephira oder Shekinah. Sephira enthält exoterisch alle anderen neun Sephiroth in ihr: esoterisch enthält sie bloß zwei, Chokmah oder Weisheit, „eine männliche, aktive Kraft, deren göttlicher Name Jah ([korrekter Abdruck siehe  Buch]) ist“, und Binah, oder Intelligenz, eine weibliche passive Kraft, repräsentirt durch den göttlichen Namen Jehovah ([korrekter Abdruck siehe  Buch]), welche zwei Kräfte mit Sephira als dritter die jüdische Dreieinigkeit oder die Krone, Kether, bilden. Diese zwei Sephiroth, genannt Abba, Vater, und Amona, Mutter, sind die Duade, oder der zweigeschlechtige Logos, aus welchem die anderen sieben Sephiroth hervorgingen. So entspricht die erste jüdische Triade, Sephira, Chokmah und Binah, der indischen Trimûrti. [15] Trotz aller Verhüllung im Zohar und einer noch größeren im exoterischen Pantheon von Indien wiederholt sich jede Einzelnheit in Bezug auf die eine auch in der andern. Die Prajâpatis sind die Sephiroth. Zehn mit Brahmâ vermindern sie sich auf sieben, wenn die Trimûrti, oder die kabbalistische Triade, von den übrigen getrennt ist. Die sieben Bildner, oder „Schöpfer“ werden zu den sieben Prajâpatis, oder den sieben Rishis, in derselben Reihenfolge, wie die Sephiroth zu den Schöpfern, dann zu den Patriarchen, etc., werden. In beiden Geheimsystemen ist die Eine universale Wesenheit in ihrer Unbedingtheit unerfaßbar und unthätig, und kann mit der Bildung des Weltalls bloß mittelbar in Zusammenhang gebracht werden. In beiden repräsentieren das ursprüngliche mannweibliche oder androgyne Prinzip und seine zehn oder sieben Emanationen - Brahmâ-Virâj und Aditi-Vâch auf der einen Seite; und die Elohim-Jehovah oder Adam-Adami (Adam Kadmon) und Sephira-Eva, auf der anderen; mit ihren Prajâpatis und Sephiroth - in ihrer Gänze ursprünglich den archetypischen Menschen, den Protologos; und bloß in ihrem sekundären Aspekt werden sie zu kosmischen Kräften und astronomischen und siderischen Körpern. Wenn Aditi die Mutter der Götter, Deva-Mâtri, ist, so ist Eva die Mutter alles Lebendigen; beide sind in ihrem weiblichen Aspekt die Shakti oder Zeugungskraft des himmlischen Menschen und sie sind beide zusammengesetzte Schöpfer.

 


[14] Zohar, Teil I. fol. 20 a.

[15] Im indischen Pantheon ist der zweigeschlechtige Logos Brahmâ, der Schöpfer, dessen sieben „aus der Seele geborenen Söhne“ die ursprünglichen Rishis sind - die Bildner.