ABTEILUNG VI.

DAS WELTENEI.

Woher kommt dieses universale Symbol. Das Ei war als ein heiliges Zeichen der Kosmogonie eines jeden Volkes der Erde einverleibt, und wurde sowohl wegen seiner Form, als auch wegen seines inneren Geheimnisses ver­ehrt. Von den ersten intektuellen Vorstellungen des Menschen an war es dafür bekannt, daß es am erfolgreichsten den Ursprung und das Geheimnis des Seins repräsentiert. Die stufenweise Entwicklung des unwahrnehmbaren Keimes innerhalb der geschlossenen Schale, das innere Wirken ohne irgend welches augenscheinliche äußere Dazwischentreten einer Kraft, wodurch aus einem verborgenem Nichts ein thätiges Etwas hervorgebracht wird, ohne daß etwas anderes notwendig wäre als Wärme; welches dann, nach einer allmähligen Evolution zu einem konkreten lebenden Geschöpfe, seine Schale zer­bricht und den äußeren Sinnen als ein selbsterzeugtes und selbstgeschaffenes Wesen erscheint; alles dieses muß von Anfang an ein beständiges Wunder gewesen sein.
Die Geheimlehre erklärt als den Grund dieser Verehrung die Symbolik der vorgeschichtlichen Rassen. Im Anfange hatte die „erste Ursache“ keinen Namen. Später wurde sie in der Phantasie der Denker als ein immer un­sichtbarer, geheimnisvoller Vogel abgebildet, welcher ein Ei in das Chaos legte, welches Ei zum Weltalle wurde. Daher wurde Brahmâ Kâlahansa ge­nannt, der „Schwan in (Raum und) Zeit“. Zum Schwane der Ewigkeit werdend legt Brahmâ am Beginne eines jeden Mahâmanvantara ein goldenes Ei, welches den großen Kreis, oder [Symbolabbildung, siehe Buch] darstellt, selbst wieder ein Symbol für das Weltall und seine kugelförmigen Körper.
Ein zweiter Grund dafür, daß das Ei als die symbolische Darstellung des Weltalls und unserer Erde gewählt wurde, war seine Form. Es war ein Kreis und eine Kugel; und die eiförmige Gestalt unseres Globus muß vom Anbeginne der Symbologie an bekannt gewesen sein, da sie so allgemein an­genommen war. Die erste Offenbarung des Kosmos in der Form eines Eies war der am weitesten verbreitete Glaube des Altertums. Wie Bryant zeigt [1] , war es ein Symbol bei den Griechen, den Syrern, den Persern und Ägyptern. In dem ägyptischen Ritual heißt es von Seb, dem Gotte der Zeit und der Erde, dass er ein Ei gelegt habe, oder das Weltall, ein ,,Ei empfangen zur Stunde des Grossen Einen der Dualen Kraft“ [2] .

Ra wird ebenso wie Brahmâ als im Weltenei heranreifend dargestellt. Der Verstorbene ist „glänzend in dem Ei des Landes der Mysterien“. [3] Denn dies ist „das Ei, welchem gegeben ist Leben unter den Göttern“. [4] „Es ist das Ei der großen Gluckhenne, das Ei des Seb, der aus demselben hervorgeht wie ein Habicht.“ [5]


[1] III. 165.

[2] Kap. LIV. 3.

[3] Kap. XXII. 1.

[4] Kap. XLII. 13.

[5] Kap. LIV. 1, 2; Kap. LXXVIL. 1.