Bei den Griechen wird das orphische Ei von Aristophanes beschrieben, und war ein Teil der dionysischen und anderer Mysterien, während welcher das Weltenei geweiht und seine Bedeutung erklärt wurde; Porphyrius zeigt ebenfalls, dass es eine Darstellung der Welt ist: „[korrekter Abdruck siehe  Buch].“ Faber und Bryant haben zu zeigen versucht, dass das Ei das Vor­bild der Arche Noah war - eine wunderliche Ansicht, wenn man die letztere nicht als rein allegorisch und symbolisch auffaßt. Es kann bloß ein Vorbild der Arche im Sinne eines Synonyms des Mondes gewesen sein, der Argha, welche den universalen Samen des Lebens trägt, aber hatte sicherlich nichts zu thun mit der Arche der Bibel. Sei dem wie immer, der Glaube, daß das Weltall im Anfange in Gestalt eines Ei existierte, war allgemein. Und Wilson sagt:

Ein ähnlicher Bericht von der ersten Zusammenscharung der Elemente in der Gestalt eines Eies wird in allen Purânen gegeben, mit dem üblichen Beiworte Haima oder Hiranya „golden“, wie es im Manu, I. 9 vorkommt. [6]

Hiranya bedeutet jedoch eher „glänzend“, „strahlend“, als „golden“, wie von dem großen indischen Gelehrten, dem verstorbenen Svâmi Dayanand Saras­vatî, in seiner unpublicierten Polemik mit Professor Max Müller bewiesen wurde. So heißt es im Vishnu Purâna:

Der Intellekt (Mahat) . . . einschließlich der (unmanifestierten) groben Elemente bildete ein Ei . . . und der Herr des Weltalls wohnte selbst darinnen in der Eigenschaft des Brahmâ. In diesem Eie, o Brâhmana, waren die Kontinente und Meere und Berge, die Planeten und die Einteilungen der Planeten, die Götter, die Dämonen und die Menschheit. [7]

In Griechenland und in Indien wohnte das erste sichtbare männliche Wesen, welches in sich die Natur beider Geschlechter vereinigte, in dem Eie, und ging aus demselben hervor. Dieser „Erstgeborene der Welt“ war bei einigen Griechen Dionysos; der Gott, welcher aus dem Weltenei entsprang, und von dem Sterbliche und Unsterbliche herstammen. Der Gott Ra wird im Totenbuche dargestellt, wie er in seinem Ei (der Sonne) erglänzt und die Sterne ausstrahlt, sobald der Gott Shu (die Sonnenenergie) erwacht und ihm den Anstoß giebt. [8] „Er ist das Sonnenei, das Ei, welchem Leben gegeben ist unter den Göttern“. [9] Der Sonnengott ruft aus: „Ich bin die schöpferische Seele des himmlischen Ab­grundes. Keiner sieht mein Nest, keiner kann mein Ei zerbrechen, ich bin der Herr!“ [10]

Angesichts dieser Kreisform, des „[Symbolabbildung, siehe Buch; vertikaler Strich]“ welcher aus dem ,,[Symbolabbildung, siehe Buch; Kreis]“ oder dem Eie hervorgeht, oder das Männliche aus dem Weiblichen in dem Androgynen, ist es sonderbar, einen Gelehrten anzutreffen, welcher sagt, daß die alten Ârier das Decimalsystem nicht kannten, weil die ältesten indischen Manuskripte keine Spur davon zeigen. Die 10, als die heilige Zahl des Weltalls, war geheim und esoterisch, sowohl in Bezug auf die Einheit als auch auf die Null oder den Kreis.

Obendrein sagt Professor Max Müller, daß „die beiden Worte cipher (Null) und zero (Null), die ein und dasselbe bedeuten, ein hinreichender Be­weis dafür sind“. [11] Cipher ist das arabische cifron, und bedeutet „leer“ - eine Übersetzung des Sanskritwortes sunyan oder „nichts“, sagt der Professor. [12]
Die Araber hatten ihre Zahlzeichen aus Hindûstan und beanspruchten niemals die Entdeckung für sich.
Was die Pythagaräer anbelangt, so brauchen wir bloß die alten Mann­skripte von Boethius‘ Abhandlung De Arithmetica, verfaßt im 6. Jahrhundert, einzusehen, um unter den pythagoräischen Zahlen die „1“ und die „0“ als die ersten und letzten Zeichen zu finden. [13] Und Porphyrius, welcher den Pythagoräer Moderatus [14] citiert, sagt, daß die Zahlzeichen des Pythagoras „hieroglyphische Symbole waren, mit Hilfe deren er Ideen in Bezug auf die Natur der Dinge oder den Ursprung des Weltalls erklärte“.
Wenn nun einerseits die ältesten indischen Manuskripte noch keine Spur eines Decimalsystems zeigen, und Max Müller ganz klar festgestellt, dass er bis jetzt nur neun Buchstaben gefunden hat, die Anfangsbuchstaben der Sans­kritgrundzahlen; so haben wir anderseits ebenso alte Aufzeichnungen, welche den fehlenden Beweis liefern. Wir sprechen von den Skulpturen und den heiligen Bildern in den ältesten Tempeln des fernen Ostens. Pythagoras leitete sein Wissen von Indien her; und wir finden Professor Max Müller diese Behaup­tung bestätigen, wenigstens insoweit, daß er zugiebt, daß die Neupythagoräer die ersten Lehrer der Verwendung der Null unter den Griechen und Römern waren; daß sie „zu Alexandria, oder in Syrien mit den indischen Ziffern be­kannt wurden, und sie dem pythagoräischen Abacus anpaßten“. Dieses vor­sichtige Zugeständnis schließt in sich, daß Pythagoras selbst nur mit neun Zahlzeichen bekannt war. So könnten wir begründeterweise antworten, daß wir zwar keinen sicheren exoterischen Beweis dafür besitzen, daß das Deci­malsystem dem Pythagoras, welcher gerade am Schlusse der archaischen Zeit lebte, [15] bekannt war, daß wir aber hinreichende Gewißheit haben, um zeigen zu können, daß die vollen Zahlen, wie sie Boethius giebt, den Pythagoräern bekannt waren, selbst bevor Alexandria erbaut wurde. [16] Diese Gewißheit finden wir im Aristoteles, welcher sagt, „einige Philosophen behaupten, daß Ideen und Zahlen gleichartiger Natur sind, und sich insgesamt auf zehn be­laufen.“ [17] Dies wird, wie wir glauben, genügen, zu zeigen, daß das Decimal­system unter diesen mindestens schon vier Jahrhunderte vor Christus bekannt war, denn Aristoteles scheint die Frage nicht als eine Neuerung der Neu­pythagoräer zu behandeln.

Aber wir wissen mehr als dies; wir wissen, daß das Decimalsystem von der Menschheit der ältesten archaischen Zeiten verwendet worden sein muß, da der ganze astronomische und geometrische Teil der geheimen Priestersprache auf der Zahl 10 aufgebaut war, oder auf der Kombination des männlichen und weiblichen Prinzipes, und da die sogenannte „Pyramide des Cheops“ nach Maßen dieses Decimalsystems aufgebaut ist, oder vielmehr der Ziffern und ihrer Kombinationen mit der Null. Davon ist jedoch genug in Isis Unveiled gesagt worden, und es ist unnötig, es zu wiederholen.


[6] Vishnu Purâna, I. 39.

[7] a. a. O., ebenda

[8] Kap. XVII. 50, 51.

[9] Kap. XLII. 13.

[10] Kap. LXXX. 9.

[11] Siehe Max Müllers ,,Our Figures“.

[12] Ein Kabbalist würde vielmehr geneigt sein zu glauben, daß, sowie das arabische cifron von dem indi­schen sunyan, null, hergenommen ist, ebenso die jüdischen kabbalistischen Sephiroth (sephrim) von dem Worte cipher hergenommen sind, nicht im Sinne von Leerheit, sondern in dem der Erschaffung nach Zahlen und Stufen der Evolution. Und die Sephiroth sind 10 oder [korrekter Abdruck siehe  Buch].

[13] Siehe Kings Gnostics and their Remains, 370 (2 te Aufl.)

[14] De Vita Pythag.

[15] Das Jahr seiner Geburt wird mit 608 v. Chr. angegeben.

[16] Das heißt im Jahre 332 v. Chr.

[17] Metaphysik, VII., F.