Bei den Ägyptern war der verborgene Gott Ammon oder Mon, „der Ver­borgene“, der höchste Geist. Alle ihre Götter waren doppelt - die wissen­schaftliche Wirklichkeit für das Heiligtum; ihr Doppelgänger, die fabelhafte und mythische Wesenheit für die Massen. Zum Beispiel war, wie in der Abteilung „Chaos, Theos, Kosmos“ bemerkt wurde, der ältere Horus die im demiurgischen Gedanken verbleibende Idee der Welt, „geboren in Dunkelheit vor der Erschaffung der Welt“; der zweite Horus war dieselbe Idee, wie sie aus dem Logos hervorgeht, mit Stoff bekleidet wird und thatsächliche Existenz annimmt. [28] Der „ältere“ Horus oder Haroiri ist ein alter Aspekt des Sonnengottes, gleichzeitig mit Ra und Shu; Haroiri wird oft verwechselt mit Hor (Horsusi), dem Sohn des Osiris und der Isis. Die Ägypter stellten sehr oft die aufsteigende Sonne in der Form des älteren Horus dar, der sich von einem aufgeblühten Lotus, dem Weltalle, erhebt, und dann findet sich immer die Sonnenscheibe über dem Sperberkopfe dieses Gottes. Haroiri ist Khnum. Dasselbe ist mit Khnum und Ammon der Fall; beide werden als widderköpfig dargestellt und beide werden oft mit einander verwechselt, obwohl ihre Funk­tionen verschieden sind. Khnum ist der „Modellierer der Menschen“ und bildet Menschen und Dinge aus dem Weltenei auf einer Töpferscheibe; Ammon-Ra, der Erzeuger, ist der sekundäre Aspekt der verborgenen Gottheit. Khnum wurde zu Elephanta und Philae angebetet, [29] Ammon zu Theben. Emepht, das Eine, höchste planetarische Prinzip aber ist es, die das Ei aus ihrem Munde bläst, und welche daher Brahmâ ist. Der Schatten der Gottheit, kosmisch und universal, von dem, welches über dem Eie brütet und dasselbe mit seinem belebenden Geiste durchdringt, bis der darin enthaltene Keim reif ist, war der Mysteriengott, dessen Name unaussprechlich war. Er ist jedoch Ptah, „Er, der eröffnet“, der Eröffner des Lebens und des Todes [30] welcher aus dem Weltenei hervorgeht um sein doppeltes Werk zu beginnen. [31]

Nach den Griechen wurde die Erscheinungsform von Chemis (Chemi, das alte Ägypten), welche auf den aetherischen Wogen der empyraeischen Sphäre schwimmt, ins Dasein gerufen von Horus-Apollo, dem Sonnengott, welcher sie aus dem Weltenei hervorgehen ließ.

Das Brahmânda Purâna enthält vollständig das Geheimnis von Brahmâ‘s gol­denem Ei; und eben deshalb wahrscheinlich ist es den Orientalisten unzugänglich, welche sagen, daß dieses Purâna, sowie die Skanda-Purâna, nicht länger „als zusammenhängendes Ganzes erhältlich ist,“ sondern „aus einer Verschiedenheit von Khandas und Mâhâtmyas besteht, die angeblich davon abgeleitet sind“. Das Brahmânda Purâna wird beschrieben als „jenes, welches in 12200 Versen die Herrlichkeit von Brahmâs Ei verkündete, und in welchem ein Bericht. über die zukünftigen Kalpas enthalten ist, wie er von Brahmâ geoffenbart wurde“. [32] Ganz richtig, und vielleicht noch viel mehr!
In der skandinavischen Kosmogenie, welche Professor Max Müller in Be­zug auf Zeit „viel früher als die Veden“ ansetzt, findet sich in dem Gedichte Völuspa, dem Sange der Prophetin, das Weltenei wiederum in dem Phantom-Keime des Weltalls, welcher dargestellt wird als im Ginnungagap liegend, dem Gefäße der Täuschung, Mâyâ, dem schrankenlosen und leeren Abgrunde. In diese Matrix der Welt, die früher eine Region der Nacht und Wüste war, Nifelheim, den Nebelraum, den nebelhaften, wie er jetzt genannt wird: in das Astrallicht, fiel ein Strahl kalten Lichtes, welcher dieses Gefäß bis zum Ueber­laufen füllte und darinnen gefror. Dann blies das Unsichtbare einen brennen­den Wind, welcher die gefrorenen Wasser auftaute und den Nebel klärte. Diese Wasser, das Chaos, genannt die Ströme von Elivagar, tröpfelten herab in belebenden Tropfen, fielen nieder und schufen die Erde und den Riesen Ymir, welcher bloß, „dem Menschen (dem himmlischen Menschen) ähnlich war“, und die Kuh Audumla (die „Mutter“, das Astrallicht oder die kosmische Seele), aus deren Euter vier Ströme von Milch hervorflossen - die vier Himmels­richtungen; die vier Quellen der vier Flüsse von Eden, etc. - welche „vier“ durch den Würfel, in allen seinen verschiedenen und mystischen Bedeutungen, symbolisiert werden.
Die Christen - insbesondere die griechischen und lateinischen Kirchen - haben das Symbol vollständig adoptiert, und sehen darin eine Erinnerung an das ewige Leben, an die Erlösung und die Auferstehung. Dies findet sich in, und wird bestätigt durch den altehrwürdigen Gebrauch des Austausches von „Ostereiern“. Seit dem Anguinum, dem „Ei“ des heidnischen Druiden, dessen Name allein Rom in Furcht zittern ließ, bis zu dem roten Osterei des slavischen Bauern, ist ein Cyklus vergangen. Und doch finden wir sowohl im civilisierten Europa als auch bei den tiefstehenden Wilden von Centralamerika denselben archäischen, ursprünglichen Gedanken, wenn wir ihn nur suchen wollen, und nicht - in der Anmaßung unserer eingebildeten geistigen und körperlichen Überlegenheit - die ursprüngliche Idee des Symboles entstellen.


[28] Vergleiche Movers, Phönicier. 268.

[29] Seine triadischen Göttinnen sind Sati und Anuki.

[30] Ptah war ursprünglich der Gott des Todes, der Zerstörung, gleich Shiva. Er ist ein Sonnengott nur deshalb, weil das Sonnenfeuer ebensowohl tötet als belebt. Er war der Nationalgott von Memphis, der strahlende und „schöngesichtige“ Gott.

[31] Buch der Zahlen.

[32] Wilson, Vishnu Purâna, I. Pref. LXXXIV-V.