ABTEILUNG VII.

DIE TAGE UND NÄCHTE DES BRAHMÂ.

Dies ist der Name, der den Perioden gegeben wird, die sonst Manvantara (Manu-antara, oder zwischen den Manus) und Pralaya oder Auflösung genannt werden; der eine bezieht sich auf die thätigen Perioden des Weltalls; der andere auf seine Zeiten verhältnismäßiger und vollständiger Ruhe, ob sie jetzt am Ende eines Tages, oder eines Zeitalters oder Lebens, des Brahmâ stattfinden. Diese Perioden, welche einander in regelmäßiger Abwechslung folgen, heißen auch kleine und große Kalpas, die kleineren und die Mahâ Kalpas; obwohl, genau gesprochen, der Mahâ Kalpa niemals ein Tag, sondern ein ganzes Leben oder ein Zeitalter des Brahmâ ist, denn es heißt im Brahma Vaivarta: „Die Chronologen rechnen einen Kalpa nach dem Leben des Brahmâ. Kleinere Kalpas, wie Samvarta und die übrigen, sind zahlreich.“ Die nüchterne Wahrheit ist die, daß sie an Zahl unendlich sind; denn sie haben niemals einen Anfang gehabt; oder mit anderen Worten, es gab niemals einen ersten Kalpa, noch wird jemals in Ewigkeit ein letzter sein.
Ein Parârdha, oder die Hälfte des Daseins von Brahmâ, in der gewöhnlichen Auffassung dieses Zeitmaßes, ist in dem gegenwärtigen Mahâ Kalpa bereits verflossen; der letzte Kalpa war der Padma, oder der des goldenen Lotus, der gegenwärtige ist der Varâha, [1] die ,,Eber“ -Inkarnation oder der Eber-Avatâra.

Ein Ding hat der Schüler besonders zu beachten, der die indische Religion nach den Purânen studiert. Er darf niemals die in denselben sich findenden Behauptungen wörtlich oder nur in einem Sinne nehmen; und besonders jene, welche von den Manvantaras oder Kalpas handeln, müssen in ihren verschiedenen Beziehungen verstanden werden. So beziehen sich diese Zeitalter mit denselben Worten sowohl auf die großen, als auch die kleinen Perioden, auf Mahâ Kalpas und auf kleinere Cyklen. Der Matsya oder Fisch Avatara ereignete sich vor dem Varâha oder Eber Avatara; die Allegorien müssen sich daher sowohl auf das Padma- wie auf das gegenwärtige Manvantara beziehen und auf die kleineren Cyklen, welche seit dem Wiedererscheinen unserer Weltenkette und der Erde stattgefunden haben. Und da der Matsya Avatâra des Vishnu und Vaivasvatas Flut mit Recht mit einem Ereignisse verbunden werden, welches auf unserer Erde während dieser Runde stattfand, so ist es klar, daß, während es sich auf vorkosmische Ereignisse beziehen mag, vorkosmisch im Sinne von unserm Kosmos oder Sonnensystem vorangehend, es in unserem Falle sich auf eine entfernte geologische Periode bezieht. Nicht einmal die esoterische Philosophie kann behaupten, anders als durch Analogieschlüsse von dem zu wissen, was vor dem Wiedererscheinen unseres Sonnensystems und vor dem letzten Mahâ Pralaya stattgefunden hat. Aber sie lehrt ausdrücklich, daß nach der ersten geologischen Störung der Erdachse, welche mit dem Hinabschwemmen des ganzen zweiten Kontinentes mit seinen ursprünglichen Rassen auf den Meeresgrund endete - von welchen aufeinander folgenden Kontinenten oder „Erden“ Atlantis die vierte war - eine andere Störung dadurch entstand, daß die Achse ihren früheren Betrag von Neigung ebenso rasch wiederum annahm, als sie ihn geändert hatte: wodurch die Erde in der That wiederum aus den Wassern erhoben wurde - wie oben, so unten, und umgekehrt.

Es gab in jenen Tagen „Götter“ auf Erden; Götter und nicht Menschen, wie wir sie jetzt kennen, sagt die Überlieferung.

Wie im Band II gezeigt werden wird, bezieht sich die Berechnung der Perioden im exoterischen Hindûtum sowohl auf die großen kosmischen als auch auf die kleinen irdischen Ereignisse und Umwälzungen, und dasselbe kann in Bezug auf Namen bewiesen werden.

Zum Beispiel der Name Yudishthira - der erste König der Sacae oder Shakas, welcher die Kali Yuga-Ära eröffnet, welche 432000 Jahre zu dauern hat, „ein wirklicher König, welcher 3102 Jahre v. Chr. lebte“ - bezieht sich auch auf die große Sintflut zur Zeit des ersten Sinkens der Atlantis. Er ist der „Yudishthira, [2] geboren auf dem Berge der hundert Spitzen, am Ende der Welt, über das hinaus niemand gehen kann“, und „unmittelbar nach der Flut“. [3] Wir kennen keine „Flut“ im Jahre 3102 v. Ch., nicht einmal die „des Noah, denn diese geschah nach der jüdisch-christlichen Chronologie 2349 Jahre v. Ch.

Dies bezieht sich auf eine esoterische Einteilung der Zeit und auf ein Mysterium, das anderwärts erklärt wird und daher jetzt beiseite gelassen werden kann. Es genüge in Verbindung hiermit zu bemerken, daß alle Anstrengungen der Einbildungskraft der Wilford, Bentley und anderer sich dünkender Ödipusse der exoterischen Hindûchronologie traurigen Mißerfolg gehabt haben. Keine Berechnung irgend eines der vier Zeitalter oder der Manvantaras ist bis jetzt von unseren sehr gelehrten Orientalisten jemals enträtselt worden, die daher den gordischen Knoten mit der Erklärung auseinander hieben, das Ganze sei „eine Erdichtung des Brâhmanischen Gehirnes“. Sei es so, und mögen die großen Gelehrten in Frieden ruhen! Diese „Erdichtung“ wird am Ende der Kommentare zu Strophe II der Anthropogenesis in Band II gegeben, mit esoterischen Zugaben.


[1] Ein merkwürdiges Bruchstück von Belehrung findet sich in den buddhistischen esoterischen Überlieferungen. Die exoterische oder allegorische Lebensbeschreibung des Gautama Buddha läßt diesen großen Weisen an einer durch ,,Schweinefleisch und Reis“ bewirkten Verdauungsstörung sterben; in der That ein sehr prosaisches Ende, das sehr wenig Feierliches an sich Dies erklärt sich als eine allegorische Bezugnahme darauf, daß er in dem „Eber“ oder Varâha Kalpa geboren wurde, in welchem Vishnu die Gestalt dieses Tieres annahm, um die Erde aus den „Wassern des Raume“ emporzuheben. Da nun die Brâhmanen unmittelbar von Brahmâ abstammen, und so zu sagen mit ihm identificiert sind; und da sie zur selben Zeit die Todfeinde des Buddha und des Buddhismus sind, so haben wir diese merkwürdige allegorische Andeutung und Gedankenverbindung. Der Brahmanismus des Eber oder Varâha Kalpa hat die Religion des Buddha in Indien gemordet und von der Oberfläche vertilgt. Daher heißt es von Buddha, welcher mit seiner Philosophie identificiert wird, daß er an den Folgen des Genusses des Fleisches von einem wilden Schwein gestorben sei. Die bloße Idee, daß jemand, welcher den strengsten Vegetarismus und die strengste Achtung für tierisches Leben eingeführt hat - selbst bis zur Weigerung, Eier zu essen, da Sie die Träger verborgenen Lebens sind - an einer durch Fleisch bewirkten Verdauungsstörung gestorben sei, ist ein thörichter Widerspruch und hat mehr als einen Orientalisten in Verwirrung versetzt. Die gegenwärtige Erklärung jedoch enthüllt die Allegorie und macht alles übrige klar. Der Varâha jedoch ist kein einfacher Eber, sondern scheint ursprünglich irgend ein vorsintflutliches Sumpftier bedeutet zu haben, „das es liebte, sich im Wasser zu ergötzen.“ (Vâyu Purâna.)

[2] Nach Oberst Wilford ereignete sich der Schluß des großen Krieges 1370 v. Chr., (Asiatic Researches, XI. 116.); nach Bentley 575 v. Chr. (!!). Wir können noch hoffen, vor Ende dieses Jahrhunderts das Mahâbhâratische Epos für identisch mit den Kriegen des großen Napoleon erklärt zu sehen.

[3] Siehe Royal Asiat. Soc. IX. 364