Die diesem Symbole zugrundeliegende Idee ist sehr schön und weist obendrein in allen religiösen Systemen auf einen übereinstimmenden Ursprung hin. Einerlei, ob Lotus oder Wasserlilie, bedeutet es ein und dieselbe philosophische Idee, nämlich die Emanation des Objektiven aus dem Subjektiven, die göttliche Ideenbildung, wie sie aus dem Abstrakten zum Konkreten, oder zur sichtbaren Form übergeht. Denn sobald als die Dunkelheit, oder vielmehr das, was ,,Dunkelheit“ ist für die Unwissenheit, in ihren eigenen Bereich ewigen Lichtes verschwunden ist und hinter sich bloß ihre göttliche geoffenbarte Ideenbildung zurückgelassen hat, ist der Verstand der schöpferischen Logoi eröffnet, und diese sehen in der idealen Welt, die bisher im göttlichen Gedanken verborgen war, die urbildlichen Formen von allen, und sie gehen daran, nach diesen Mustern die dahinschwindenden und transcendenten Formen nachzubilden oder zu erbauen und zu gestalten.

Auf dieser Stufe der Thätigkeit ist der Demiurg noch nicht der Baumeister. Geboren in dem Zwielicht der Thätigkeit, hat er zuerst den Plan wahrzunehmen, die idealen Formen zu verwirklichen, welche in dem Schoße der ewigen Ideenbildung begraben liegen, geradeso wie die zukünftigen Lotusblätter, die unbefleckten Blättchen, in dem Samen dieser Pflanze verborgen sind.
In der esoterischen Philosophie ist der Demiurg oder Logos als der Schöpfer betrachtet bloß ein abstrakter Ausdruck, eine Idee, ähnlich dem Worte „Heer“. Wie das letztere der allesumfassende Ausdruck für eine Gesamtheit von thätigen Kräften oder wirkenden Einheiten ist - von den Soldaten, so ist der Demiurg die qualitative Zusammensetzung einer Vielheit von Schöpfern oder Erbauern. Burnouf der große Orientalist, erfaßte den Gedanken vollkommen, als er sagte, daß Brahmâ die Erde nicht erschafft, nicht mehr als das übrige Weltall

Nachdem er sich selbst aus der Seele der Welt evolviert hat, einmal getrennt von der ersten Ursache, verfliegt er mit aller Natur, und emaniert sie aus sich selbst. Er steht nicht über ihr, sondern ist mit ihr vereinigt; Brahmâ und das Weltall bilden ein Wesen; jedes Teilchen desselben ist seiner Wesenheit nach Brahmâ selbst, der aus sich selbst hervorging.

In einem Kapitel des Totenbuches, genannt die „Transformation in den Lotus“, ruft der Gott in Gestalt eines Hauptes, das aus dieser Blume hervortaucht:

Ich bin der reine Lotus, der aus den Leuchtenden auftaucht . . . . Ich überbringe die Botschaften des Horus. Ich bin der reine Lotus, der aus den Sonnengefilden kommt. [2]

Die Lotusidee kann sogar in dem elohistischen ersten Kapitel der Genesis verfolgt werden, wie in Isis Entschleiert behauptet wurde. In dieser Idee müssen wir den Ursprung und die Erklärung des Verses in der jüdischen Kosmogonie suchen, welcher lautet: „Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen . . . fruchtbare Bäume, da ein jeglicher nach seiner Art Frucht trage und habe seinen eigenen Samen in sich selbst.“ [3] In allen ursprünglichen Religionen ist der schöpferische Gott der ,,Sohn des Vaters“, das heißt der sichtbar gemachte Gedanke desselben; und vor der christlichen Ära, von der Trimûrti der Inder herab bis zu den drei kabbalistischen Häuptern in den Schriften, wie sie von den Juden erklärt werden, war die dreieinige Gottheit von einer jeden Nation vollständig genau bestimmt und greifbar dargestellt in ihren Allegorien.


[2] Kap. LXXXI.