Obwohl der regelrechten Sonnenverehrer, der Parsen, nur wenige sind, so ist doch die Hauptmasse der indischen Mythologie und Geschichte auf diesen beiden Diensten aufgebaut und mit ihnen verwoben, aber ebenso sogar die christliche Philosophie selbst. Von ihrem Ursprung an bis zum heutigen Tage hat dieser Dienst die Theologieen der römisch-katholischen wie der protestantischen Kirchen gefärbt. Der Unterschied zwischen den ârisch-indischen und den ârisch-europäischen Glaubensbekenntnissen ist in der That sehr gering, wenn man nur die zu Grunde liegenden Ideen der beiden in Betracht zieht. Die Inder nennen sich selbst mit Stolz Sûryavanshas und Chandravanshas, Nachkommen der Sonnen- und der Mond-Dynastie. Die Christen beanspruchen, dies als Götzendienst zu betrachten, und doch hängen sie selbst einer Religion an, die gänzlich auf Sonnen- und Mondverehrung beruht. Es ist eitel und nutzlos für die Protestanten, gegen die römischen Katholiken wegen ihrer „Mariolatrie“ zu eifern, die auf dem alten Kultus der Mondgöttinnen beruht, wenn sie selbst den Jehovah verehren, der in hervorragendem Maße ein lunarer Gott ist; und wenn beide Kirchen in ihren Theologieen den Sonnen-Christus und die Mond-Dreieinigkeit angenommen haben.

Was von dem chaldäischen Monddienste, von dem babylonischen Gotte Sin, der von den Griechen Deus Lunus genannt wurde, bekannt ist, ist sehr Wenig; und dieses wenige ist geeignet, den profanen Schüler irre zu führen, dem es nicht gelingt, die esoterische Bedeutung der Symbole zu erfassen. Soweit den alten profanen Philosophen und Schriftstellern öffentlich bekannt war - denn die Initiierten unter ihnen waren zum Stillschweigen verpflichtet - waren die Chaldäer die Verehrer des Mondes unter seinen und ihren verschiedenen Namen, ebenso wie die Juden, welche nach ihnen kamen.

In dem bereits erwähnten unveröffentlichten Manuskripten über die Kunstsprache, welches einen Schlüssel zur Bildung der alten symbolischen Sprache giebt, wird ein logischer Daseinsgrund für diese doppelte Verehrung vorgebracht. Es ist von einem wunderbar gut unterrichteten und scharfsinnigen Gelehrten und Mystiker geschrieben, der denselben in der allgemeinen Form einer Hypothese giebt. Die letztere wird jedoch gezwungenermaßen zu einer erwiesenen Thatsache in der Geschichte der religiösen Entwicklung des menschlichen Denkens für einen jeden, der jemals auch nur einen schwachen Einblick in das Geheimnis der alten Symbologie erhalten hat. Er sagt also:

Eine der ersten Beschäftigungen unter den Menschen im Zusammenhang mit solchen thatsächlicher Notwendigkeit dürfte die Wahrnehmung von Zeitperioden sein, [2] welche auf dem Bogengewölbe des Himmels, wie es über den ebenen Boden des Horizontes oder über die Ebene des stillen Wassers emporsteigt und sich erhebt, ausgeprägt sind. Diese würden sich zeigen als die von Tag und Nacht, von den Phasen des Mondes, von seiner siderischen und synodischen Umlaufszeit, und von der Periode des Sonnenjahres mit der Wiederkehr der Jahreszeiten und mit der Beziehung solcher Perioden auf das natürliche Maß von Tag und Nacht, oder von dem in die lichte und die dunkle Hälfte geteilten Tage. Man würde auch entdecken, daß es innerhalb der Zeit des Sonnenjahres einen längsten und einen kürzesten Sonnentag giebt, und zwei Sonnentage von Tag- und Nachtgleiche; und die Orte derselben im Jahre könnten mit der größten Genauigkeit in den Sternengruppen des Himmels oder den Konstellationen bemerkt werden, welches einer rückläufigen Bewegung unterworfen sind, was mit der Zeit eine Verbesserung durch Einschaltung notwendig machen würde, wie es der Fall bei der Beschreibung der Flut war, wo eine Korrektion von 150 Tagen für eine Periode von 600 Jahren gemacht wurde, während welcher die Verwirrung der Grenzmarken immer mehr zugenommen hatte . . . . Dies würde natürlich bei allen Rassen und zu allen Zeiten vor sich gehen; und man muß annehmen, daß eine solche Kenntnis der menschlichen Rasse eigen gewesen ist, vor der von uns sogenannten historischen Periode so gut wie während derselben.


[2] Die alte Mythologie schliefst die alte Astronomie ebenso gut in sich wie die alte Astrologie. Die Planeten waren die Zeiger, welche auf dem Zifferblatte unseres Sonnensystems die Stunden gewisser periodischer Ereignisse anzeigten. So war Merkur der Bote, bestimmt, während der täglichen Sonnen- und Mondphänomene die bestimmte Zeit innezuhalten, und stand im übrigen in Beziehung zu dem Gotte und der Göttin des Lichtes.