ABTEILUNG X.
BAUM-, SCHLANGEN- UND KROKODILVEREHRUNG.
Den Gegenstand des Entsetzens oder
der Anbetung, die Schlange, hassen die Menschen mit unversöhnlichem Hasse
oder sie werfen sich zu Boden vor ihrem Genius. Die Lüge erwählt sie, die
Klugheit beansprucht sie, der Neid trägt sie in seinem Herzen, und die Beredsamkeit
auf ihrem Stabe. In der Hölle bewaffnet sie die Geißel der Furien; im Himmel
macht die Ewigkeit sie zu ihrem Symbol.
DE CHÂTEAUBRIAND.
Die Ophiten erklärten, daß es zwischen Gott und
Menschen verschiedene Arten von Genien gebe; daß deren gegenseitiger Vorrang
durch den Grad von Licht entschieden werde, welcher einem jeden gewährt
ist; und sie behaupteten, daß man die Schlange beständig anrufen und ihr
danken müsse für den außerordentlichen Dienst den sie der Menschheit erwiesen
habe. Denn sie hätte dem Adam gelehrt, daß, wenn er von der Frucht des
Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen ässe, er sein Wesen unermeßlich
erheben würde durch die Erkenntnis und Weisheit, die er auf diese Weise
erlangen würde. Das wurde exoterisch als Grund angegeben.
Es ist leicht zu sehen, wo die ursprüngliche Idee des doppelten, janusartigen
Charakters der Schlange - des guten und des bösen - herstammt Dieses Symbol
ist eines der allerältesten, weil die Reptile den Vögeln vorausgingen,
und die Vögel den Säugetieren. Daher der Glaube, oder vielmehr der Aberglaube
der wilden Stämme, welche meinen, daß die Seelen ihrer Vorfahren unter
dieser Form leben, und die allgemeine Verbindung der Schlange mit dem
Baume. Die Überlieferungen über die verschiedene Bedeutungen, welche sie
darstellt, sind zahllos; da aber viele von ihnen allegorisch sind, sind
sie jetzt in die Reihe der auf Unwissenheit und finstrem Aberglauben beruhenden
Fabeln übergegangen. Zum Beispiel, wenn Philostratus erzählt, daß die
Eingeborenen von Indien und Arabien das Herz und die Leber von Schlangen
genießen, um die Sprache aller Tiere kennen zu lernen, weil man der Schlange
diese Fähigkeit zuschreibe, hatte er sicherlich niemals die Absicht, daß
seine Worte wörtlich genommen werden. [1] Wie man im Verlaufe unserer Auseinandersetzungen
mehr als einmal finden wird, waren Schlange und Drache Namen, welche den
Weisen gegeben wurde, den initiierten Adepten der alten Zeit. Ihre Weisheit
und ihr Wissen wurde von ihren Anhängern verschlungen oder assimiliert,
daher die Allegorie. Wenn von dem skandinavischen Sigurd gefabelt wird,
daß er das Herz des von ihm erschlagenen Drachen, des Fafnir, geröstet
habe, und dadurch der weiseste der Menschen geworden sei, so ist die Bedeutung
dieselbe. Sigurd war in den Runen und magischen Zaubern unterrichtet worden;
er empfing das „Wort“ von einem Initiierten mit Namen Fafnir, oder von
einem Zauberer, worauf der letztere starb, wie es viele thun, nachdem
sie „das Wort weitergegeben haben“. Epiphanius giebt ein Geheimnis der
Gnostiker preis, indem er versucht, ihre „Ketzereien“ darzulegen. Die
gnostischen Ophiten, sagt er, hatten einen Grund, die Schlange zu verehren:
weil sie nämlich den ersten Menschen die Mysterien lehrte.
[2] Wahrhaftig so; aber sie dachten nicht an Adam und Eva
im Garten, als sie dieses Dogma lehrten, sondern einfach an das oben Festgestellte.
Die Nâgas der indischen und tibetanischen Adepten waren menschliche Nâgas
(Schlangen), keine Reptile. Obendrein war die Schlange jederzeit das Sinnbild
der aufeinanderfolgenden und periodischen Wiederverjüngung, der Unsterblichkeit
und der Zeit.
[1] Siehe De
Vita Apollonii, I. XIV.
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