Die Schlange wurde zum Typus und Symbol des Übels oder des Teufels erst während des Mittelalters. Die ersten Christen ebensogut wie die ophitischen Gnostiker hatten ihren dualen Logos: die gute und die böse Schlange, den Agathodaimon und den Kakodaimon. Dies zeigt sich in den Schriften des Markus, Valentinus und vieler anderer, und insbesondere in der Pistis-Sophia - gewiß einer Urkunde der frühesten Jahrhunderte des Christentums. Auf dem Marmorsarkophage eines Grabes, entdeckt im Jahre 1852 nahe der Porta Pia, sieht man die Scene von der Anbetung der Magier, „oder doch“, bemerkt der verstorbene C. W. King, in The Gnostics and their Remains, „das Vorbild dieser Scene, die ,Geburt der Neuen Sonne‘“. Der Mosaikboden zeigte eine merkwürdige Zeichnung, welche entweder Isis darstellen mochte, wie sie den kleinen Harpokrates säugt, oder die das Jesuskind säugende Madonna. In den kleineren Sarkophagen, welche den größeren umgaben, wurden viele wie Schriftrollen aufgerollte Bleiplatten gefunden, von welchen elf noch entziffert werden können. Der Inhalt derselben sollte als endgiltige Erledigung der vielerörterten Frage betrachtet werden, denn er zeigt, daß entweder die ersten Christen bis zum sechsten Jahrhundert bona fide Heiden waren, oder daß das dogmatische Christentum als ein Ganzes entlehnt war und alles in die christliche Kirche überging - Sonne, Baum, Schlange, Krokodil und alles Übrige. Auf der ersten sieht man den Anubis . . . welcher eine Rolle weghält; zu seinen Füßen sind zwei weibliche Büsten: unter dein Ganzen sind zwei Schlangen verflochten um . . . einen Leichnam, welcher wie eine Mumie eingewickelt ist. Auf der zweiten Rolle . . . ist Anubis, welcher ein Kreuz weghält, das ,,Zeichen des Lebens“. Unter seinen Füßen liegt der Leichnam, umschlungen von den zahlreichen Windungen einer großen Schlange, des Agathodämon, des Hüters des Verstorbenen. . . . . Auf der dritten Rolle . . . trägt derselbe Anubis in seinem Arme einen länglichen Gegenstand . . . . den er so hält, daß der Umriß der Figur in ein Vollständiges lateinisches Kreuz verwandelt wird . . . . Zu den Füßen des Gottes befindet sich ein Rhomboid, das ägyptische „Weltenei“, gegen welches hin eine in einen Kreis gerollte Schlange zukriecht . . . . Unter den . . . Büsten . . . befindet sich der Buchstabe [korrekter Abdruck siehe Buch], sieben Male in einer Zeile wiederholt, an einen der „Namen“ erinnernd. . . . Sehr bemerkenswert ist auch die Zeile von anscheinend palmyrenischen Charakteren auf den Beinen des ersten Anubis. Was die Figur der Schlange anbelangt, so kann sie, wenn wir annehmen, daß diese Talismane nicht aus dem Isisschen, sondern aus dem neueren Ophitischen Glauben hervorgegangen sind, sehr gut jene „wahre und vollkommene Schlange“ bedeuten, welche „die Seelen von allen, welche auf sie vertrauen, ans dem Ägypten des Körpers und durch das rote Meer des Todes in das Land der Verheißung führt, indem sie dieselben auf ihrem Wege vor den Schlangen der Wüste schützt, das ist vor den Beherrschern der Sterne.“ [13] Und diese „wahre und vollkommene Schlange“ ist der siebenbuchstabige
Gott, welcher jetzt für Jehovah gehalten wird, und für Jesus, welcher
eins ist mit ihm. Zu diesem siebenvokaligen Gotte wird der Kandidat
für die Initiation durch das „erste Mysterium“ gesendet, in der Pistis-Sophia,
einem Werke, welches älter ist als die Offenbarung des heiligen
Johannes und offenbar derselben Schule angehört. „Die (Schlange der) Sieben
Donner sprach(en) diese sieben Vokale“, aber „versiegele, was die Sieben
Donner geredet haben; dieselben schreibe nicht“ sagt die Offenbarung.
„Forschet ihr nach diesen Geheimnissen?“ - fragt Jesus in der Pistis-Sophia.
„Kein Geheimnis ist herrlicher als diese (die sieben Vokale); denn sie
werden eure Seelen an das Licht der Lichter bringen“ - d. i., zur
wahren Weisheit. „Nichts ist daher herrlicher als die Geheimnisse, nach
welchen ihr forschet, ausgenommen allein das Geheimnis der sieben Vokale
und ihrer neunundvierzig Kräfte, und der Zahlen derselben“. [13] a. a. O., pp. 366-8. |