ABTEILUNG XI.
Dieser symbolische Satz mit seinen vielseitigen
Formen ist sicherlich höchst gefährlich und zerstörend angesichts aller
dualistischen späteren Religionen, oder vielmehr Theologien, und insbesondere
so im Lichte des Christentums. Doch ist es weder gerecht noch richtig,
zu sagen, daß es das Christentum war, welches den Satan ersonnen und hervorgebracht
habe. Als ein „Widersacher“, als die entgegenwirkende Kraft, die zum Gleichgewichte
und zur Harmonie der Dinge in der Natur notwendig ist, sowie der Schatten
notwendig ist, um das Licht noch heller zu machen, wie die Nacht um den
Tag desto mehr hervortreten zu lassen, und wie die Kälte, um einen desto
mehr die Annehmlichkeit der Wärme schätzen zu machen, so hat Satan immer
existiert. Gleichartigkeit ist eins und unteilbar. Wenn aber das gleichartige
Eine und Absolute keine bloße Redensart ist, und wenn die Ungleichartigkeit
mit ihrem doppelten Aspekt von ihr abstammt, ihr zweiteiliger Schatten
oder Wiederschein ist, dann muß selbst diese göttliche Gleichartigkeit
in sich zugleich die Wesenheit von Gut und Böse enthalten. Wenn „Gott“
absolut, unendlich, und die universale Wurzel von allem und jeden in der
Natur und ihrem Weltalle ist, woher kommt das Böse oder der Böse,
wenn nicht aus demselben goldenen Schoße des Absoluten? So sind wir gezwungen,
entweder die Ausstrahlung des Guten und Bösen, des Agathodaimon und Kakodaimon,
als Sprößlingen eines und desselben Stammes vom Baume des Seins zu betrachten,
oder uns mit der Widersinnigkeit zu bescheiden, an zwei ewige Absolute
zu glauben!
Da wir den Ursprung der Idee bis zum ersten Anfange des menschlichen
Gemütes zurückzuverfolgen haben, so ist es nur billig, unterdessen selbst
dem Teufel des Sprichwortes sein Recht werden zu lassen. Das Altertum
wußte nichts von einem „getrennt stehenden, durchaus und unbedingt schlechten
„Gotte des Bösen“. Die heidnische Denkweise stellte Gut und Böse als Zwillingsbrüder
dar, geboren von einer und derselben Mutter - der Natur; sobald als dieser
Gedanke aufhörte, archaisch zu sein, ging die Weisheit in Philosophie
über. Im Anfange waren die Symbole von Gut und Böse bloße Abstraktionen,
Licht und Dunkelheit; später wurden ihre Sinnbilder unter den allernatürlichsten
und immer wiederkehrenden periodischen Welterscheinungen ausgewählt -
nämlich Tag und Nacht oder Sonne und Mond. Dann ließ man sie durch die
Scharen der solaren und lunaren Gottheiten dargestellt sein, und dem Drachen
der Finsternis wurde der Drache des Lichtes entgegengestellt. Die Schar
des Satan ist ein Sohn Gottes, nicht weniger als die Schar der B‘ne Alhim,
der Kinder Gottes, welche kamen und „traten vor den Herrn“, ihren Vater.
[1] „Die Söhne Gottes“ werden zu den „gefallenen Engeln“ erst
dann, nachdem sie wahrnehmen, daß die Töchter der Menschen schön waren.
[2] In der indischen Philosophie gehören die Suras zu den
ältesten und leuchtendsten Göttern, und werden zu den Asuras erst dann,
nachdem sie von der brahmanischen Phantasie entthrohnt sind. Satan nahm
niemals eine anthropomorphische individualistische Gestalt an, bevor die
Schöpfung eines „einen lebendigen persönlichen Gottes durch „den
Menschen vollbracht worden war; und dann auch nur als ein Gegenstand erster
Notwendigkeit. Man brauchte eine Schutzwehr; einen Sündenbock, um die
Grausamkeit, die Mißgriffe, und die nur allzu offenbare Ungerechtigkeit
zu erklären, die von jenem verübt wurden, für den unbedingte Vollkommenheit,
Barmherzigkeit und Güte als Eigenschaft beansprucht wurden. Dies war die
erste karmische Wirkung des Aufgebens von einem philosophischen und logischen
Pantheismus, um als eine Stütze für den trägen Menschen „einen gütigen
Vater im Himmel“ aufzurichten, dessen tägliche und stündliche Handlungen
als Natura Naturans, als der „anmutigen aber steinkalten Mutter“ diese
Annahme Lügen strafen. Dies führte zu den ursprünglichen Zwillingen Osiris-Typhon,
Ormazd-Ahriman, und schließlich Kain-Abel und aller übrigen Gegensätze.
„Gott“ der Schöpfer, der im Anfange für gleichbedeutend
mit der Natur betrachtet wurde, wurde schließlich zum Urheber derselben
gemacht. Pascal erledigt die Schwierigkeit sehr schlau, indem er sagt:
Die Natur hat Vollkommenheiten,
um zu zeigen, daß sie ein Bildnis Gottes ist; und sie hat Mängel, um zu
zeigen, daß sie bloß sein Bild ist.
Je weiter man in die Dunkelheit der vorhistorischen Zeitalter zurückgeht,
desto philosophischer erscheint die vorbildliche Gestalt des späteren
Satans. Der erste „Widersacher“, in individueller menschlicher Form, dem
man in der alten purânischen Litteratur begegnet, ist einer ihrer größten
Rishis und Yogis - Nârada, mit dem Beinamen der „Streitmacher“.
Und er ist ein Brahmaputra, ein Sohn des männlichen Brahmâ. Doch von ihm
später. Wer der große „Täuscher“ wirklich ist, kann man erfahren, wenn
man ihn mit offenen Augen und vorurteilsfreiem Gemüte in jeder
alten Kosmogonie und Schrift sucht.
Er ist der anthropomorphisierte Demiurg, der Schöpfer Himmels und der
Erde, wenn er von den gesamten Scharen seiner Mitschöpfer getrennt wird,
die er sozusagen repräsentiert und zusammenfaßt. Er ist jetzt der
Gott der Theologien. „Der Wunsch ist der Vater des Gedankens.“ Einstmals
ein philosophisches Symbol, das der verkehrten menschlichen Einbildungskraft
überlassen war; später zu einem feindseligen, trügerischen, schlauen und
eifersüchtigen Gott ausgestaltet.
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