Da die Drachen und andere gefallene Engel an anderen Stellen dieses Werkes beschrieben sind, werden ein paar Worte über den viel verleumdeten Satan genügen. Der Schüler wird gut daran thun, sich daran zu erinnern, daß bei jedem Volke mit Ausnahme der christlichen Nationen der Teufel bis zum heutigen Tage kein schlechteres Wesen ist als der entgegengesetzte Aspekt in der doppelten Natur des sogenannten Schöpfers. Dies ist nur natürlich. Man kann nicht Gott als die Zusammenfassung des ganzen Weltalls, als allgegenwärtig und allwissend und unendlich aufstellen, und ihn dann vom Übel trennen. Da viel mehr Übel als Gutes in der Welt ist so folgt daraus logisch begründet, daß entweder Gott das Übel in sich schließen muß, oder die unmittelbare Ursache desselben ist, oder im anderen Falle seine Ansprüche an die Absolutheit abzutreten hat Die Alten verstanden dies so gut, daß ihre Philosophen, denen jetzt die Kabbalisten nachfolgen, das Übel als die „Bekleidung“ Gottes oder des Guten erklärten; Demon est Deus inversus ist ein sehr altes Sprichwort. In der That ist das Übel bloß eine entgegenwirkende blinde Kraft in der Natur, es ist Rückwirkung, Widerstand und Gegensatz - übel für die einen, gut für die anderen. Es giebt kein malum in se; bloß den Schatten des Lichtes, ohne welchen das Licht kein Dasein haben könnte, nicht einmal in unseren Wahrnehmungen. Wenn das Übel verschwinden würde, würde zugleich mit ihm das Gute von der Erde verschwinden. Der „alte Drache“ war reiner Geist, bevor er zum Stoffe wurde, passiv bevor er aktiv wurde. In der syro-chaldäischen Magie sind Ophis und Ophiomorphos im Tierkreise im Zeichen des androgynen Virgo-Scorpio vereinigt. Vor ihrem Falle zur Erde war die Schlange Ophis-Christos, und nach ihrem Falle wurde sie zu Ophiomorphos-Chrestos. Überall behandeln die Spekulationen der Kabbalisten das Böse als eine Kraft, welche dem Guten entgegengesetzt, aber zur selben Zeit wesentlich notwendig ist, da es ihm Lebenskraft und Dasein giebt, welche es auf andere Art nicht haben könnte. Es wäre kein Leben möglich (im mâyâvischen Sinne) ohne Tod; keine Wiedererzeugung und Wiederherstellung ohne Zerstörung. Die Pflanzen würden in ewigem Sonnenlichte zu Grunde gehen, und ebenso der Mensch, welcher zum Automaten würde ohne die Ausübung seines freien Willens und ohne sein Streben nach diesem Sonnenlichte, welches für ihn sein Wesen und seinen Wert verlieren würde, wenn er nichts als Licht haben würde. Das Gute ist unendlich und ewig bloß in dem uns ewig Verborgenen, und das ist der Grund, warum wir es für ewig halten. Auf den geoffenbarten Ebenen hält eines dem anderen die Waage. Es giebt nur wenige Theisten, Anhänger eines persönlichen Gottes, welche nicht aus Satan den Schatten Gottes machen; oder welche nicht, beide vermengend, ein Recht zu haben glauben, zu ihrem Götzen zu beten, und seine Hilfe und seinen Schutz zur Verübung von und zur Straflosigkeit für ihre bösen und grausamen Thaten anzurufen. „Führe uns nicht in Versuchung,“ diese Worte werden täglich von Millionen christlichen Herzen an „unsern Vater im Himmel“ gerichtet, und nicht an den Teufel. Dies thun sie, indem sie genau die Worte wiederholen, die ihrem Heiland in den Mund gelegt werden, und dabei widmen sie keinen Gedanken der Thatsache, daß ihrer Absicht kurzweg von Jakobus, dem „Bruder des Herrn“, widersprochen wird, welcher sagt:
Niemand sage, wenn er versucht wird, daß er von Gott versuchet werde. Denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen; er versuchet niemand. [3]
Warum nun sagen, daß der Teufel uns versucht, wenn die Kirche, auf Grund der Autorität Christi, uns lehrt, daß Gott es ist, der dies thut? Öffnet irgend ein frommes Buch, in welchem das Wort „Versuchung“ seinem theologischen Sinne nach erklärt wird, und ihr findet sofort zwei Definitionen:
1. Jene Anfechtungen und Leiden, durch welche Gott seine Anhänger prüft;
2. Jene Mittel und Verlockungen, deren sich der Teufel bedient, um die Menschheit zu verführen und zu verlocken. [4]
Wörtlich genommen widersprechen sich die Lehren von Christus und Jakobus, und welches Dogma kann die beiden in Übereinstimmung bringen, wenn die okkulte Auffassung verworfen wird?
Weise wird jener Philosoph sein, der zwischen den beiderseitigen Verlockungen im stande sein wird zu unterscheiden, wo Gott verschwindet, um dem Teufel Platz zu machen! Wenn wir daher lesen, daß „der Teufel ein Lügner ist und der Vater der Lüge,“ das heißt eine inkarnierte Lüge, und man uns auch mit demselben Atemzuge sagt, daß Satan, der Teufel, ein Sohn Gottes und der herrlichste seiner Erzengel war, so ziehen wir es vor, uns an den Pantheismus und die heidnische Philosophie um Auskunft zu wenden, anstatt zu glauben, daß Vater und Sohn eine riesenhafte, personifizierte und ewige Lüge sind.
Sobald wir den Schlüssel zur Genesis in unseren Händen haben, enthüllt uns die wissenschaftliche und symbolische Kabalah das Geheimnis. Die große Schlange des Gartens Eden und „Gott der Herr“ sind ein und dasselbe, und ebenso Jehovah und Kain- jener Kain, welcher in der Theologie als der „Mörder“ und Lügner vor Gott bezeichnet wird! Jehovah versucht den König von Israel das Volk zu zählen, und an einer anderen Stelle versucht ihn Satan, das Gleiche zu thun. Jehovah verwandelt sich in die feurigen Schlangen, um jene zu beißen, welche ihm mißfallen; und Jehovah beseelt die eherne Schlange, welche dieselben heilt.


[3] Jakobus, I. 13.

[4] Jakobus, I. 2, 12; Matth. VI. 13 Siehe Cruden, sub. voc