Es giebt aber zwei unterschiedene Aspekte in der universalen Esoterik, in der östlichen und in der westlichen, bei allen diesen Personifikationen der weiblichen Kraft in der Natur, oder der noumenalen und der phänomenalen Natur. Der eine ist ihr rein metaphysischer Aspekt, wie er von dem gelehrten Vortragenden in seinen „Bemerkungen zur Bhagavad Gîtâ“ beschrieben wird; der andere ist irdisch und körperlich, und zur selben Zeit göttlich vom Standpunkt der praktischen menschlichen Vorstellung und Geheimwissenschaft. Sie sind alle die Symbole und Personifikationen des Chaos, der großen Tiefe, oder der ursprünglichen Wasser des Raumes, des undurchdringlichen Schleiers zwischen dem UNERKENNBAREN und dem Logos der Schöpfung. „Sich selbst durch sein Gemüt mit Vâch in Verbindung setzend, schuf Brahmâ (der Logos) die ursprünglichen Wasser. In der Katha Upanishad ist das noch klarer ausgesprochen: Prajâpati war dieses Weltall. Vâch war seine Gehülfin. Er verband sich mit ihr sie brachte diese Geschöpfe hervor und trat wieder in Prajâpati ein. Dies verbindet Vâch und Sephira mit der Göttin Kwan-Yin, der „barmherzigen Mutter“, der göttlichen Stimme der Seele, selbst im exoterischen Buddhismus, und mit dem weiblichen Aspekte des Kwan-Shai-Yin, des Logos, des Verbum der Schöpfung, und zugleich mit der Stimme, welche hörbar zum Initiierten spricht nach der Lehre des Geheimbuddhismus. Bath Kol, die Filia Vocis, die Tochter der göttlichen Stimme bei den Hebräern, welche von dem Deckel der Bundeslade hinter dem Vorhange des Tempels antwortet, ist - ein Resultat. Und hier können wir beiläufig auf einen der vielen ungerechten Vorwürfe hinweisen, wie sie von den „guten und frommen“ Missionären in Indien gegen die Religion des Landes erhoben werden. Die Allegorie des Shatapatha Brâhmana, daß Brahmâ als der Vater der Menschen das Schöpfungswerk durch blutschänderischen Umgang mit seiner eigenen Tochter Vâch, die auch Sandhyâ, das Zwielicht, und Shatarûpâ, die mit den hundert Formen, genannt wird, bewirkt habe, wird unaufhörlich den Brâhmanen ins Gesicht geschleudert, als ein Verdammungsurteil ihrer „ verabscheuungswürdigen, falschen Religion“. Abgesehen von der Thatsache, daß zweckdienlicher Weise von den Europäern vergessen wird, daß der Patriarch Lot sich desselben Verbrechens in menschlicher Form schuldig zeigt, während Brahmâ, oder vielmehr Prajâpati, den Incest in Gestalt eines Hirschbockes mit seiner Tochter ausführte, die die Gestalt einer Hindin (rohit) hatte, zeigt die esoterische Lesung des dritten Kapitels der Genesis dasselbe. Ferner hat die indische Allegorie ganz bestimmt eine kosmische und nicht eine physiologische Bedeutung, nachdem Vâch eine Permutation von Aditi und Mûlaprakriti oder dem Chaos ist, und Brahmâ eine Permutation des Nârâyana, des Geistes Gottes, der in die Natur eintritt und dieselbe befruchtet; und daher ist in der Vorstellung überhaupt nichts Phallisches enthalten. Wie bereits festgestellt, ist Aditi-Vâch der weibliche Logos, das weibliche Verbum oder Wort; und Sephira in der Kabalah ist dasselbe. Diese weiblichen Logoi sind alle in ihrem noumenalen Aspekt Korrelationen von Licht, Ton und Äther, und zeigen, wie gut unterrichtet die Alten sowohl in Bezug auf die physikalische Wissenschaft, wie sie den Modernen bekannt ist, waren, als auch in Bezug auf den Ursprung dieser Wissenschaft in den geistigen und astralen Sphären. Unsere alten Schriftsteller sagten, daß Vâch von viererlei Art ist. Diese Arten heißen Parâ, Pashyantî, Madhyamâ, Vaikharî. Diese Darstellung finden Sie im Rig Veda selbst und in verschiedenen der Upanishaden. Vaikharî Vâch ist das von uns ausgesprochene. Sie ist Ton, Rede, das wieder, was erkennbar und gegenständlich für einen unserer körperlichen Sinne wird und unter die Gesetze des EmpfindungsVermögens gebracht werden kann. Daher: Jede Art von Vaikharî Vâch existiert in ihrer Madhyamâ . . . . . Pashyantî und schließlich in ihrer Parâ Form . . . . Der Grund, warum dieser Pranava [18] Vâch genannt wird, ist der, daß diese vier Prinzipien des großen Kosmos diesen vier Formen der Vâch entsprechen. . . . . Der ganze Kosmos in seiner objektiven Form ist Vaikharî Vâch; das Licht des Logos ist die Madhyamâ Form; und der Logos selbst die Pashyantî Form; während Parabrahman der Para (jenseits des Dinges an sich aller Dinge an sich) Aspekt dieser Vâch ist. [19] Somit sind Vâch, Shekinah, und die „Musik
der Sphären“ des Pythagoras ein und dasselbe, wenn wir unsere Beispiele
den drei (scheinbar) einander unähnlichsten Religionsphilosophieen der
Welt entnehmen, der indischen, der griechischen und der chaldäisch-hebräischen.
Diese Personifikationen und Allegorieen können unter vier Haupt-
und drei Neben-Aspekten betrachtet werden, oder unter sieben
im Ganzen, wie in der Esoterik. Die Parâ-Form ist das ewig subjektive
und verborgene Licht und Ton, welche in Ewigkeit in dem Schoße des UNERKENNBAREN
existieren; wenn übertragen in die Ideenbildung des Logos oder als sein
latentes Licht heißt sie Pashyanti, und wenn dieses Licht seinen Ausdruck
findet, ist sie Madhyamâ. Es giebt drei Arten von Licht, und diese (die vierte), welche die anderen durchdringt; 1. das klare und das durchdringende, das objektive Licht, 2. das reflektierte Licht, und 3. das abstrakte Licht. Die zehn Sephiroth, die drei und die sieben, heißen in der Kabalah die zehn Worte, DBRIM (Dabarim), die Zahlen und die Emanationen des himmlischen Lichtes, welches ist sowohl Adam Kadmon als Sephira, Prajâpati- Vâch, oder Brahmâ. Licht, Ton und Zahl sind die drei Schöpfungsfaktoren in der Kabalah. Parabrahman kann nicht erkannt werden außer durch den leuchtenden Punkt, den Logos, welcher nicht Parabrahman kennt, sondern nur Mûlaprakriti. Ähnlicher Weise kannte Adam Kadmon nur die Shekinah, obwohl er der Träger von Ain Suph war. [18] Der Pranava, OM, ist ein mystisches Wort, das von den Yogis während der Meditation ausgesprochen wird; von den Worten, welche nach den exoterischen Kommentatoren Vyâkritis genannt werden, oder von Aum, Bhûh, Bhuvah, Svah, (Om, Erde, Lufthimmel, Himmel) ist Pranava vielleicht das heiligste. Sie werden mit verhaltenem Atem ausgesprochen. Siehe Manu, II. 76-81, und Mitakshara in seinem Kommentar zur Yâjnavâkhya-Smriti, I. 23. Aber die esoterische Erklärung geht ein gutes Stück weiter. [19] „Vorträge über die Bhagavadgîtâ,“ ebenda, p. 307. |