Wenn der Geist jedes kleinste Atom der sieben Prinzipien des Kosmos durchdrungen hat, dann beginnt, nach der oben erwähnten Ruheperiode, die zweite Schöpfung.

„Die (Schöpfer) Elohim entwerfen in der zweiten „Stunde“ die Gestalt des Menschen,“ sagt Rabbi Simeon im Nychthêmeron der Hebräer. „Es sind zwölf Stunden im Tage,“ sagt die Mishna, „und während dieser wird die Schöpfung vollbracht.“ Die „zwölf Stunden des Tages“ sind wiederum die zwerghafte Kopie, das schwache, jedoch getreue Echo der ursprünglichen Weisheit. Sie sind wie die 12000 göttlichen Jahre der Götter eine cyklische Maske. Jeder Tag des Brahmâ hat 14 Manus, die die hebräischen Kabbalisten, die hierin jedoch den Chaldäern folgten, zu 12 „Stunden“ entstellt haben. [18] Das Nychthêmeron des Apollonius von Tyana ist das gleiche Ding. „Das Zwölfflach liegt verborgen im vollkommenen Würfel,“ sagen die Kabbalisten. Die mystische Bedeutung davon ist, daß die zwölf großen Umwandlungen des Geistes in die Materie - die 12000 göttlichen Jahre - während der vier großen Zeitalter oder dem ersten Mahâyuga stattfinden. Anfangend mit der metaphysischen und übermenschlichen, endet es in der körperlichen und der rein menschlichen Natur des Kosmos und des Menschen. Die östliche Philosophie kann die Zahl von Jahren der Sterblichen angeben, welche entlang der Reihe der geistigen und körperlichen Entwicklungen des Sichtbaren und des Unsichtbaren ablaufen, wenn die weltliche Wissenschaft es nicht vermag.

Die primäre Schöpfung wird die Schöpfung des Lichtes (Geistes) genannt; und die sekundäre die der Dunkelheit (Materie). [19] Beide finden sich in der Genesis. [20] Die erste ist die Emanation der selbstgeborenen Götter (Elohim); die zweite die der körperlichen Natur.

Darum heißt es im Zohar:

O, Genossen, Genossen, der Mensch als eine Emanation war zugleich Mann und Weib, sowohl auf Seite des Vaters, als auf der Seite der Mutter. Und das ist der Sinn der Worte: Und die Elohiin sprachen: „Es werde Licht, und es ward Licht!“ . . . Und dies ist der „ zwiefache Mensch“!

Licht jedoch auf unserer Erde ist Finsternis in den höheren Sphären.

„Mann und Weib . . . auf  Seite des VATERS“ (Geistes) bezieht sich auf die primäre Schöpfung; und auf der Seite der Mutter (Materie) auf die sekundäre.

Der zwiefältige Mensch ist Adam Kadmon, das männliche und weibliche Vorbild und die differentiierten Elohim. Der Mensch geht aus den Dhyân Chohans hervor, und ist ein „gefallener Engel“, ein Gott in der Verbannung, wie gezeigt werden wird.

In Indien werden diese Schöpfungen wie folgt beschrieben: [21]

I. Die erste Schöpfung: Mahattattva Schöpfung, so genannt, weil sie die ursprüngliche Selbstentwicklung dessen war, was zu Mahat werden sollte, zum „bewußten und intelligenten göttlichen Gemüt“; esoterisch zum „Geiste der Universalseele“.

Würdigster der Asketen, durch ihre Kraft (die Kraft dieser Ursache) kommt jede hervorgebrachte Ursache nach ihrer eigenen Natur.

Und wiederum:

In Anbetracht dessen, daß die Kräfte aller Wesen nur durch die Erkenntnis von TAT (Brahma) verstanden werden, welches jenseits von schließender Vernunft, Schöpfung und dergleichen liegt, sind solche Kräfte auf Brahma zu beziehen.

TAT geht somit der Offenbarung voran. „Das erste war Mahat,“ sagt das Linga Purâna; denn das Eine (das Tat) ist weder erstes noch letztes, sondern alles. Exoterisch ist diese Offenbarung das Werk des „höchsten Einen“ - vielmehr die natürliche Wirkung einer ewigen Ursache; oder wie der Kommentar sagt, es könnte damit gemeint gewesen sein, daß Brahmâ damals erschaffen (?) wurde, indem er mit Mahat identificiert wurde, der thätigen Intelligenz oder dem ausübenden Willen des Allerhöchsten. Die esoterische Philosophie hat dafür „ausübendes Gesetz“.

An dem richtigen Verständnisse dieses Lehrsatzes in den Brâhmanas und Purâna hängt, wie wir glauben, der Äpfel der Zwietracht zwischen den drei vedântistischen Sekten: den Advaita, Dvaita und den Vishishtâdvaita. Die erste schließt richtig, daß Parabrahman, welches als das absolute ALL zur geoffenbarten Welt keine Beziehung hat, da das Unendliche keinen Zusammenhang mit dem Endlichen hat, weder wollen noch schaffen kann; daß daher Brahmâ, Mahat, Îshvara, oder jeder andere Name, unter dem die schöpferische Kraft bekannt ist, schöpferische Götter und alles übrige, einfach ein trügerischer Anblick des Parabrahman in der Vorstellung der Vorstellenden sind; während die anderen Sekten die unpersönliche Ursache mit dem Schöpfer oder Îshvara identificieren.

Mahat oder Mahâ-Buddhi ist jedoch bei den Vaishnavas das göttliche Gemüt in thätiger Wirksamkeit, oder, wie Anaxagoras sich ausdrückt, „ein anordnender und verteilender Verstand, der die Ursache von allen Dingen war“ - [korrekter Abdruck siehe  Buch].


[18] Anderwärts jedoch wird die Wesensgleichheit offenbar. Siehe das Citat aus Ibn Gabirol über seine 7 Himmel, 7 Erden, etc.

[19] Selbe darf nicht verwechselt werden mit der vorkosmischen „DUNKELHEIT“, dem göttlichen All.

[20] I. 2; und auch am Beginne von II.

[21] Die Citate, welche bei der Erörterung der sieben Schöpfungen folgen, sind, wenn nicht anders bemerkt, alle aus dem Vishnu Purâna, Buch I., cap. I-V