II. Die zweite Schöpfung: Bhûta, war die der rudimentären Prinzipien oder Tanmâtras; daher heißt sie die elementale Schöpfung oder Bhûtasarga. Sie ist die Periode des ersten Atems der Differentiation der präkosmischen Elemente oder Materie. Bhûtâdi bedeutet den „Ursprung der Elemente“, und kommt vor Bhûtasarga, der „Schöpfung“ oder Differentiation jener Elemente im ursprünglichen Âkâsha, dem Chaos oder der Leere. [25] Im Vishnu Purâna heißt es von ihr, daß sie entsprechend dem dreifachen Aspekt von Ahankâra vor sich geht und demselben angehört, welcher mit Egoismus übersetzt wird, aber vielmehr den unübersetzbaren Ausdruck „Ich-bin-heit“ bedeutet, das, was zuerst ans Mahat oder dem göttlichen Gemüt hervorgeht; der erste schattenhafte Umriß der Selbstsucht, denn der „reine“ Ahankâra wird „leidenschaftlich“ und schließlich „rudimentär“ oder anbeginnlich; er ist „der Ursprung des bewußten, sowie alles unbewußten Daseins“, obwohl die esoterische Schule die Idee verwirft, daß irgend etwas „unbewußt“ sei, außer auf unserer Ebene der Täuschung und Unwissenheit. In diesem Stadium der zweiten Schöpfung erscheint die zweite Hierarchie der Manus, die Dhyân Chohans oder Devas, die der Ursprung der Form (Rûpa) sind, die Chitrashikhandinas, die „mit einem Strahlenschopfe versehenen“, oder die Rikshas; jene Rishis, welche die belebenden Seelen der sieben Sterne (des großen Bären) geworden sind. [26] In astronomischer und kosmogonischer Sprache bezieht sich diese Schöpfung auf die Periode des Feurigen Nebels, auf das erste Stadium des kosmischen Lebens nach dem chaotischen Zustande, [27] wenn die Atome aus dem Laya hervorgehen.

III. Die dritte Schöpfung: die dritte oder Indrya-Schöpfung war die modificierte Form von Ahankâra, der Vorstellung des „Ich“ (von Aham, „Ich“), genannt die organische Schöpfung oder die Schöpfung der Sinne, Aindriyaka.

„Diese drei waren die Prâkrita-Schöpfung, die (getrennten) Entwicklungen der ungetrennten Natur, welcher vorausging das ungetrennte Prinzip.“

„Welcher vorausging“ sollte hier ersetzt werden durch „beginnend mit Buddhi“; denn die letztere ist weder eine getrennte noch eine ungetrennte Größe, sondern hat Anteil an der Natur von beiden, im Menschen sowohl wie im Kosmos. Eine Einheit oder menschliche Monade auf der Ebene der Illusion, wird Buddhi, einmal erlöst von den drei Formen von Ahankâra und befreit von ihrem irdischen Manas, thatsächlich eine stetige Größe sowohl in Bezug auf Dauer, als auch auf Ausdehnung, denn sie ist ewig und unsterblich. Weiter vorne wird festgestellt, daß die dritte Schöpfung, „die an der Eigenschaft der Güte überreich ist“, Ûrdhavasrotas genannt wird, und eine oder zwei Seiten später wird die Ûrdhavasrotas-Schöpfung als die „sechste Schöpfung . . . oder die der Gottheiten“ bezeichnet. Dies zeigt klar, daß frühere so gut wie spätere Manvantaras absichtlich durcheinander gebracht worden sind, um den Profanen an der Entdeckung der Wahrheit zu verhindern. Das wird von den Orientalisten „Inkongruenz“ und „Widersprüche“ genannt. „Die drei Schöpfungen, welche mit Intelligenz beginnen, sind elemental, aber die sechs Schöpfungen. die aus der Reihe hervorgehen, in der der Intellekt das erste ist, sind das Werk des Brahmâ.“ [28] Hier bedeuten die „Schöpfungen überall Entwicklungsstadien. Mahat, der „Intellekt“ oder das Gemüt, welches dem Manas entspricht, indem das erstere auf der kosmischen und das letztere auf der menschlichen Ebene sich befindet, steht hier ebenfalls niedriger als Buddhi oder die übergöttliche Intelligenz. Wenn wir daher im Linga Purâna lesen, daß „die erste Schöpfung die des Mahat war, da der Intellekt das erste geoffenbarte sei“, so müssen wir diese (besondere) Schöpfung auf die erste Entwicklung unseres Systems oder sogar nur unserer Erde beziehen, da keine der vorausgehenden in den Purânen besprochen, sondern bloß gelegentlich angedeutet wird.

Diese Schöpfung der ersten Unsterblichen, oder Devasarga, ist die letzte der Reihe und hat eine universale Bedeutung; sie bezieht sich nämlich auf die Evolution im allgemeinen, und nicht speziell auf unser Manvantara, die mit derselben immer und immer wieder beginnt, und somit zeigt, daß sich dieselbe auf verschiedene getrennte Kalpas bezieht. Denn es heißt: „am Schlusse des vergangenen (Pâdma) Kalpa erwachte der göttliche Brahmâ aus seinem nächtlichen Schlafe und sah das Weltall leer“. Dann wird gezeigt, wie Brahmâ von neuem die „sieben Schöpfungen“ durchgeht, in dem zweiten Stadium der Evolution, indem er die ersten drei auf der objektiven Ebene wiederholt.

IV. Die vierte Schöpfung: die Mukhya oder primäre, da mit ihr die Reihe der vier beginnt. Weder der Ausdruck „unbelebte“ Körper, noch der „unbewegliche Dinge“, der Wilsonschen Übersetzung, giebt eine richtige Vorstellung von den angewendeten Sanskritworten. Die esoterische Philosophie steht nicht allein mit ihrer Verwerfung der Idee, daß irgend ein Atom „unorganisch“ sei, denn dies findet sich auch im orthodoxen Hindûismus. Obendrein sagt Wilson selbst: „Alle indischen Systeme betrachten die Pflanzenkörper als mit Leben begabt.“ [29] Charâchara, oder die synonymen sthâvara und jangama werden daher nur ungenau wiedergegeben durch „belebte und unbelebte“, „fühlende Wesen“ und „unbewußte“ oder „bewußte Wesen“, u. s. w. „Den Ort verändernde und fixierte“ wäre besser, „da die Bäume im Besitze von Seelen vorgestellt worden“. Die Mukhya ist die „Schöpfung“ oder vielmehr organische Evolution des Pflanzenreiches. In dieser sekundären Periode werden die drei Stufen der elementalen oder rudimentären Reiche evolviert in dieser Welt, entsprechend, in umgekehrter Ordnung, den drei prâkritischen Schöpfungen während der primären Periode von Brahmâs Thätigkeit.

Da in jener Periode, nach den Worten des Vishnu Purâna, „die erste Schöpfung war die des Mahat oder Intellektes . . . die zweite war die der rudimentären Prinzipien (Tanmâtras) . . . die dritte war . . . die Schöpfung der Sinne (Aindriyaka)“; so stehen in dieser die elementalen Kräfte in folgender Reihe: 1. die entstehenden intellektuellen und physischen Kraftcentren; 2. die rudimentären Prinzipien, die Nervenkraft sozusagen; und 3. die entstehende Apperzeption, welche das Mahat der niederen Reiche ist, und insbesondere in der dritten Ordnung der Elementale entwickelt ist; auf dieselben folgt das objektive Mineralreich, in welchem diese „Apperzeption“ vollständig latent ist, um sich erst in den Pflanzen wieder zu entwickeln. Die Mukhya Schöpfung ist also der Mittelpunkt zwischen den drei niederen und den drei höheren Reichen, welche die sieben esoterischen Reiche des Kosmos und der Erde repräsentieren.

V. Die fünfte Schöpfung: die Tiryaksrotas oder Tairyagyonya Schöpfung, [30] die der „(heiligen) Tiere“, entsprechend auf Erden bloß der Schöpfung der stummen Tiere. Unter „Tieren“ ist in der ursprünglichen Schöpfung der Keim des erwachenden Bewußtseins oder der „Apperzeption“ verstanden, welcher schwach bei einigen sensitiven Pflanzen der Erde und schärfer ausgeprägt bei der protistischen Monere [31] zu verfolgen ist. Auf unserer Kugel geht während der ersten Runde die Tier-“Schöpfung“ der des Menschen voran, während die Säugetiere aus dem Menschen in unserer vierten Runde auf der körperlichen Ebene hervorgehen. In der ersten Runde wurden die Tieratome in eine Kohäsion mit der menschlichen physischen Form gezogen; während in der vierten das Entgegengesetzte der Fall ist, entsprechend den während des Lebens entwickelten magnetischen Bedingungen. Und das ist „Metempsychose“. [32] Dieses fünfte Stadium der Entwicklung, exoterisch „Schöpfung“ genannt, läßt sich in der primären Periode als die geistige und kosmische, in der sekundären als die materielle und irdische betrachten. Es ist Archebiosis oder Lebensursprung; „Ursprung“ natürlich insofern, als die Offenbarung des Lebens auf all den sieben Ebenen in Betracht kommt. In dieser Entwicklungsperiode differentiert sich die absolut ewige universale Bewegung oder Schwingung, das, was in der esoterischen Sprache der „große Atem“ genannt wird, in das ursprüngliche, erste Atom. Dieses occulte Axiom findet mit dem Fortschreiten der Wissenschaften der Chemie und Physik immer mehr und mehr seine Bestätigung in der wissenschaftlichen Welt; die wissenschaftliche Hypothese, daß selbst die einfachsten Elemente des Stoffes ihrer Natur nach identisch sind, und sich voneinander bloß infolge der verschiedenartigen Verteilungen der Atome in dem Molekül oder Stäubchen von Substanz unterscheiden, oder infolge der verschiedenen Arten ihrer Atomschwingungen, gewinnt jeden Tag mehr an Boden.

Wie daher die Differentiation des ursprünglichen Lebenskeimes der Entwicklung der Dhyân Chohan der dritten Gruppe oder Hierarchie des Daseins in der ursprünglichen Schöpfung vorausgehen muß, bevor jene Götter in ihrer ersten ätherischen Form (rûpa) einverleibt werden können, so muß aus demselben Grunde die Tierschöpfung dem „göttlichen Menschen“ auf Erden vorausgehen. Und dies ist der Grund, warum wir in den Purânen finden, daß „die fünfte, die Tairyagyonya Schöpfung, die der Tiere war.

VI. Die sechste Schöpfung: die Ûrdhavasrotas Schöpfung, oder die der Gottheiten. Aber diese Gottheiten sind einfach die Vorbilder der ersten Rasse, die Väter ihrer „aus der Seele geborenen“ Nachkommenschaft mit den „weichknochigen“. Diese wurden die Entwickler der „Schweißgeborenen“ - ein Ausdruck, der in Band II erklärt wird.
„Geschaffene Wesen“, erklärt das Vishnu Purâna, „stehen, wenn sie auch (in ihren individuellen Formen) zu den Perioden der Auflösung zerstört werden, dennoch unter dem Einflusse der guten oder bösen Thaten früherer Existenzen, und sind daher niemals von den Folgen derselben ausgenommen. Und wenn Brahmâ die Welt von neuem hervorbringt, sind sie die Nachkommenschaft seines Willens“.
Indem er sein Gemüt in sich selbst sammelt (im Yoga-wollen), schafft Brahmâ die vier Ordnungen der Wesen, genannt die Götter, Dämonen, Vorfahren und Menschen“; wobei hier Vorfahren die Vorbilder und Entwickler der ersten Wurzelrasse der Menschen bedeutet. Die Vorfahren sind die Pitris, und zerfallen in sieben Klassen. Von ihnen heißt es in der exoterischen Mythologie, daß sie aus der „Seite Brahmâs“ geboren sind, wie Eva aus der Rippe Adams.
Schließlich folgt auf die sechste Schöpfung und schließt die „Schöpfung“ überhaupt ab:
VII. Die siebente Schöpfung: die Entwicklung der Arvâksrotas Wesen, „welche war . . . die des Menschen“.


[25] Vishnu ist sowohl Bhûtesha, der „Herr der Elemente“ und aller Dinge, als auch Vishvarûpa, die „universale Substanz“ oder Seele.

[26] Man vergleiche wegen ihrer „Nachtypen“, die von Trithemius, dem Lehrer des Agrippa, im sechzehnten Jahrhundert geschriebene Abhandlung, „betreffend die sieben sekundären oder geistigen Intelligenzen, welche, nach Gott, das Weltall in Bewegung setzen“, die in Verbindung mit geheimen Cyklen und verschiedenen Prophezeiungen, gewisse Thatsachen und Glauben über die Genieen oder die Elohim, welche die siebenfältigen Stadien des Weltgeschehens beherrschen und leiten, aufklärt.

[27] Vom Anfang an haben sich die Orientalisten von grossen Schwierigkeiten umgeben gesehen, in Bezug auf die Möglichkeit, irgend welche Ordnung in die purânischen „Schöpfungen“ zu bringen. Wilson verwechselt sehr oft Brahman mit Brahmâ, wofür er von seinen Nachfolgern kritisiert wird. Herr Fitzedward Hall zieht die Original Sanskrit Texte dem von Wilson benützten Texte für die Übersetzung des Vishnu Purâna vor. „Hätte sich Professor Wilson der günstigen Bedingungen erfreuen können, wie sie heute dem Schüler der indischen Philosophie zu Gebote stehen, so hätte er sich zweifellos anders ausgedrückt“, sagt der Herausgeber seines Werkes. Dies erinnert einen an die Antwort, die einer der Bewunderer Thomas Taylors jenen Gelehrten gegeben hat, welche dessen Übersetzungen des Plato kritisierten: „Taylor mag weniger Griechisch verstanden haben, als seine Kritiker, aber den Plato verstand er besser.“ Unsere gegenwärtigen Orientalisten entstellen den mystischen Sinn der Sanskrittexte viel mehr, als es Wilson jemals gethan hat, obwohl der letztere unleugbar sehr grober Irrtümer schuldig ist.

[28] Vâyu Purâna.

[29] Collected Works, III. 381.

[30] Professor Wilson übersetzt so, als ob die Tiere in der Stufenleiter der „Schöpfung höher stünden als die Gottheiten oder Engel, obwohl die Wahrheit in Bezug auf die Götter weiterhin klar festgestellt wird. Diese „Schöpfung“, sagt der Text, ist sowohl (Prâkrita) als auch sekundär (Vaikrita). Sie ist die sekundäre in Bezug auf den Ursprung der Götter aus Brahmâ, dem p e r s ö n l i c h e n anthropomorphischen S c h ö p f e r unseres materiellen Weltalls; sie ist die primäre, wenn sie den Rudra betrifft, der das unmittelbare Erzeugnis des ersten Prinzipes ist. Die Benennung Rudra ist nicht bloß ein Titel des Shiva, sondern sie umfaßt Vermittler der Schöpfung, Engel und Menschen, wie weiterhin gezeigt werden wird.

[31] Weder Pflanze, noch Tier, sondern ein Wesen zwischen den beiden

[32] Fife Years of Theosophy, p. 276, Artikel „Mineral Monad“