Die erwähnte „achte Schöpfung“ ist überhaupt keine Schöpfung: sie ist eine „Maske“, denn sie bezieht sich auf einen rein intellektuellen Prozeß, die Erkennung der „neunten Schöpfung“, welche ihrerseits eine Wirkung ist, sich offenbarend in der sekundären Schöpfung, von dem, was in der primären (Prâkrita) Schöpfung eine „Schöpfung“ war. [33] Die achte sodann, genannt Anugraha, die Pratyayasarga oder intellektuelle Schöpfung der Sânkhyas, [34] ist „die Schöpfung, von der wir einen Begriff haben (in seinem esoterischen Aspekt), oder welcher wir intellektuelle Zustimmung (Anugraha) geben, im Gegensatze zur organischen Schöpfung“. Sie ist die richtige Erfassung unserer Beziehungen zu der ganzen Reihe von „Göttern“, und insbesondere zu jenen, die wir auf die Kumâras beziehen, auf die sogenannte „neunte Schöpfung“, welche in Wirklichkeit ein Aspekt oder ein Wiederschein der sechsten in unserem Manvantara (dem Vaivasvata) ist. „Es giebt eine neunte, die Kaumârâ Schöpfung, welche zugleich und sekundär ist“, sagt das Vishnu Purâna, der älteste von diesen Texten. [35] Ein esoterischer Text erklärt dies so:

Die Kumâras sind die Dhyanis, welche unmittelbar aus dem höchsten Prinzipe herstammen, und die in der Vaivasvata Manu Periode wiedererscheinen zum Zwecke des Fortschrittes der Menschheit. [36]

Der Übersetzer des Vishnu Purâna bestätigt das, indem er bemerkt: „diese Weisen . . . leben so lange als Brahmâ; und sie werden von ihm bloß im ersten Kalpa erschaffen, obwohl ihre Erzeugung sehr allgemein, aber unzutreffend, in den (sekundären) Varâha oder Pâdma Kalpa verlegt wird“. So sind die Kumâras exoterisch „die Erschaffung des Rudra oder Nilalohita, einer Form des Shiva, durch Brahmâ . . . und die gewisser anderer aus der Seele geborener Söhne des Brahmâ.“ Aber in der esoterischen Lehre sind sie die Vorfahren des wahren geistigen Selbstes im körperlichen Menschen, die höheren Prajâpatis, während die Pitris oder niederen Prajâpatis nicht mehr als die Väter des Modelles oder Typus seiner körperlichen Form sind, die „nach ihrem Bilde“ gemacht ist.“ Vier (und gelegentlich fünf) werden frei in den exoterischen Texten erwähnt, während drei von den Kumâras geheim sind.

„Die vier Kumâras sind die aus der Seele geborenen Söhne des Brahmâ. Einige unterscheiden sieben.“ [37] Alle diese sieben Vaidhâtra - das Patronymikon der Kumâras, der „Söhne des Schöpfers“, werden erwähnt und beschrieben in Îshvara Krishnas Sânkhya Kârikâ mit dem beigefügten Kommentare des Gaudapâdâcharya (des Paraguru des Shankarâchârya). Dieselbe erörtert die Natur der Kumâras, aber vermeidet es, alle sieben Kumâras mit Namen zu nennen, sondern nennt sie statt dessen die „sieben Söhne des Brahmâ“, was sie auch sind, da sie von Brahmâ in Rudra erschaffen sind. Die Namensliste, die sie giebt, ist folgende: Sanaka, Sanandana, Sanâtana, Kapila, Ribhu und Panchashika. Aber das sind wiederum alles Decknamen.

Die exoterischen vier sind Sanatkumâra, Sananda, Sanaka, und Sanâtana; und die esoterischen drei sind Sana, Kapila und Sanatsujâta. Auf diese Klasse von Dhyân Chohans wird aufs neue besonders aufmerksam gemacht, weil hierin das Geheimnis der Erzeugung und Vererbung liegt, das im Kommentare zur Strophe VII bei der Besprechung der vier Ordnungen der englischen Wesen angedeutet wurde. Band II erklärt ihre Stellung in der göttlichen Hierarchie. Sehen wir unterdessen zu, was die exoterischen Texte über dieselben sagen.

Sie sagen wenig: und für denjenigen, der es verfehlt, zwischen den Zeilen zu lesen - gar nichts. „Wir müssen hier zu anderen Purânen unsere Zuflucht nehmen, um diesen Ausdruck aufzuklären“, bemerkt Wilson, der auch nicht einen Augenblick daran zweifelt, daß er sich hier in der Gegenwart der „Engel der Finsternis“, des mythischen „großen Feindes“ seiner Kirche befindet. Daher sinnt er nichts weiter „aufzuklären“, als daß „diese (Gottheiten) dadurch, daß sie sich weigerten, Nachkommenschaft zu erzeugen, (und so gegen Brahmâ rebellierten), wie der Name des ersten (Sanatkumâra) in sich schließt, immer Knaben (Kumâras) blieben; das heißt, immer rein und unschuldig, weshalb ihre Schöpfung die Kaumâra genannt wird.“ Die Purânen können jedoch etwas mehr Licht geben. „Da er immer war, wie er geboren worden war, wird er hier ein Jüngling genannt; und daher ist sein Name wohlbekannt als Sanatkumâra.“ [38] In den Shaiva Purânen werden die Kumâras immer als Yogins beschrieben. Das Kurma Purâna sagt, nachdem es sie aufgezählt hat: „Diese fünf, o Brahmanen, waren Yogins, welche vollständiges Freisein von Leidenschaft erlangten.“ Sie sind ihrer fünf, weil zwei von den Kumâras fielen.
So wenig verläßlich sind einige von den Übersetzungen der Orientalisten, daß es in der französischen Übersetzung des Hari Vamsha heißt: „Die sieben Prajâpati, Rudra, Skanda (sein Sohn) und Sanatkumâra gingen daran, Wesen zu erschaffen.“ Währenddessen lautet das Original, wie Wilson zeigt: „Diese sieben . . . erzeugten Nachkommenschaft; und ebenso that Rudra; aber Skanda und Sanatkumâra hielten ihre Kraft zurück und enthielten sich (der Schöpfung)“. Die „vier Ordnungen der Wesen“ werden manchmal als Ambhâmsi bezeichnet, was Wilson übersetzt mit „buchstäblich Gewässer“ und für „einen mystischen Ausdruck“ hält. Es ist auch ohne Zweifel ein solcher; aber es ist ihm offenbar nicht gelungen, die wirkliche esoterische Bedeutung zu erraten. „Gewässer“ und „Wasser“ stehen als Symbol für Âkâsha, den „ursprünglichen Ozean des Raumes“, auf welchem Nârâyana, der selbstgeborene Geist, sich bewegt, auf dem ruhend, was seine Nachkommenschaft ist. [39] „Wasser ist der Körper des Nara, so haben wir den Namen des Wassers erklären gehört. Weil Brahmâ auf dem Wasser ruht, deshalb wird er Nârâyana genannt.“ [40] „Als ein reiner schuf Purusha die Wasser rein“. Gleichzeitig ist Wasser das dritte Prinzip im materiellen Kosmos, und das dritte im Bereiche des Geistigen: Geist des Feuers, Flamme, Âkâsha, Ether, Wasser, Luft, und Erde sind die kosmischen, siderischen, psychischen, geistigen und mystischen, in hervorragendem Maße occulten Prinzipien, auf einer jeden Ebene des Daseins. „Götter, Dämonen, Pitris und Menschen“ sind die vier Ordnungen von Wesen, auf welche der Ausdruck Ambhâmsi angewendet wird, weil sie alle das Erzeugnis der Wasser (im mystischen Sinne) des âkâshischen Ozeans und des dritten Prinzipes in der Natur sind. In den Veden ist es ein Synonym von Göttern. Pitris und Menschen auf Erden sind die Trans- Transformationen oder Wiedergeburten von Göttern und Dämonen (Geistern) auf einer höheren Ebene. Wasser ist in einem Sinne das weibliche Prinzip. Venus Aphrodite ist die personificierte See, und die Mutter des Liebesgottes, die Erzeugerin aller Götter, in demselben Maße, als die christliche Jungfrau Maria das Mare, die See, die Mutter des westlichen Gottes der Liebe, Gnade und Barmherzigkeit ist. Wenn der Schüler der esoterischen Philosophie tief über den Gegenstand nachdenkt, wird er sicherlich die ganze Bedeutsamkeit des Ausdruckes Ambhâmsi in allen seinen vielfachen Beziehungen zu der Jungfrau im Himmel, zur Virgo Coelestis der Alchimisten, und selbst zu den „Wassern der Gnade“ der modernen Baptisten herausfinden.


[33] „Diese Begriffe,“ bemerkt Professor Wilson, „die Geburt des Rudra und der Heiligen scheinen von den Shaivas entlehnt, und dem Vaishnava System ungeschickt aufgepfropft worden zu sein.“ Man hätte die esoterische Bedeutung befragen sollen, bevor man eine solche Hypothese aufzustellen wagt.

[34] Siehe Sânkhya Kârikâ, V. 46. p. 146.

[35] Parâshara, der vedische Rishi, welcher das Vishnu Purâna von Pulastya erhielt und es dem Maitreya lehrte, wird von den Orientalisten in verschiedene Epochen versetzt. Wie in dem Hindû Classical Dictionary richtig bemerkt ist: „Die Vermutungen über sein Zeitalter gehen weit auseinander, von 575 v. Chr. bis 1391 v. Chr. und können nicht für vertrauenswert gelten.“ Ganz richtig; aber sie sind nicht weniger vertrauenswert als irgend ein anderes Datum, das von den auf dem Gebiete willkürlicher Einbildungen so berühmten Sanskritisten aufgestellt wird.

[36] Sie mögen in der That eine „specielle“ oder außerordentliche „Schöpfung“ bezeichnen, da sie es sind, die dadurch, daß sie sich in den vernunftlosen Gehäusen der zwei ersten Wurzelrassen und eines großen Teiles der dritten Wurzelrasse inkarnierten, eine neue Rasse so zu sagen erschaffen; nämlich die der denkenden, selbstbewußten und göttlichen Menschen.

[37] Hindû Classical Dictionary,

[38] Linga Purâna, erste Abteilung, LXX, 174.

[39] Siehe Manu, I, 10.

[40] Siehe Linga, Vâyu und Mârkandeya Purâna