Das kann leicht gezeigt werden. Nehmen wir zum Beispiel den neupublicierten Katechismus der Vishisthâdvaita Vedântisten, ein orthodoxes und exoterisches System, aber vollständig ausgesprochen und gelehrt im 11. Jahrhundert [30] - zu einer Zeit, da die europäische „Wissenschaft“ noch an die Viereckigkeit und Flachheit der Erde des Cosmas Indicopleustes des 6. Jahrhunderts glaubte. Es lehrt, daß, bevor die Entwicklung begann, Prakriti, die Natur, in einem Zustande von Laya oder absoluter Gleichartigkeit war, da „die Materie in zwei Zuständen existiert, in dem Sûkshma oder latenten und undifferentiierten, und in dem Sthûla oder differentiierten Zustand.“ Dann wurde sie Anu, atomistisch. Sie spricht von Suddasattva - „einer Substanz, nicht unterworfen den Qualitäten der Materie, wovon sie ganz verschieden ist“, und fügt hinzu, daß aus dieser Substanz die Körper der Götter, der Bewohner des Vaikunthaloka, des Himmels des Vishnu, geformt sind. Jedes Teilchen oder Atom von Prakriti enthält darnach Jîva (göttliches Leben) und ist das Sharîra (der Körper) jenes Jîva, den es enthält, während jeder Jîva seinerseits das Sharîra des höchsten Geistes ist, da „Parabrahman jeden Jîva durchdringt, ebenso gut wie jedes Teilchen der Materie.“ Dualistisch und anthropomorphisch, wie die Philosophie der Vishishthâdvaita sein mag, wenn man sie mit jener der Advaita - der Nichtdualisten - vergleicht, steht sie doch außerordentlich höher in Bezug auf Logik und Philosophie als die Kosmogonieen, wie sie einerseits vom Christentum, andererseits von dem großen Gegner desselben, von der modernen Wissenschaft angenommen sind. Die Nachfolger eines der größten Geister, die je auf Erden erschienen sind, die Advaita Vedântisten, werden Atheisten genannt, weil sie alles mit Ausnahme von Parabrahman, dem Zeitlosen oder der unbedingten Wirklichkeit, als eine Illusion betrachten. Doch gingen die weisesten Initiierten aus ihren Reihen hervor, und ebenso die größten Yogîs. Die Upanishads zeigen, daß diese ganz bestimmt nicht nur die ursächliche Substanz bei den Wirkungen der Reibung kannten, und daß ihre Vorväter nicht nur mit der Verwandlung von Wärme in mechanische Kraft bekannt waren, sondern daß sie auch das Ding an sich zu einer jeden geistigen, sowie zu einer jeden kosmischen Erscheinung kannten.

Wahrhaftig, der junge Brâhmane, der an den Universitäten und Kollegien von Indien mit den höchsten Auszeichnungen seinen Grad erlangt; der als Magister der freien Künste und Legum Baccalaureus ins Leben hinaustritt, mit einem Schwanz von durch das ganze Alphabet laufenden Abkürzungen hinter seinem Namen, und mit einer Verachtung für seine nationalen Götter, die den bei seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung erlangten Auszeichnungen proportional ist; wahrhaftig, er braucht bloß im Lichte dieser Naturwissenschaft und mit Beachtung der Korrelation der physikalischen Kräfte gewisse Stellen in seinen Purânen zu lesen, wenn er erfahren will, um wie viel mehr seine Vorfahren gewußt haben, als er jemals wissen wird - wenn er nicht Occultist wird. Er möge sich der Allegorie von Purûravas und dem himmlischen Gandharva, [31] welcher den ersteren mit einem Gefäße voll himmlischen Feuers versah, zuwenden. Die ursprüngliche Art, Feuer durch Reibung zu erhalten, hat ihre wissenschaftliche Erklärung in den Veden, und ist überreich an Bedeutung für denjenigen, der zwischen Zeilen liest. Die Tretâgni (heilige Dreiheit der Feuer), die erhalten wird durch Reibung von Stäben, die aus dem Holze des Ashvatthabaumes, des Bobaumes der Weisheit und Erkenntnis gemacht sind, Stäben „ebenso viele Fingerbreiten lang als Silben in der Gâyatrî sind,“ muß eine geheime Bedeutung haben, sonst waren die Schreiber der Veden und Purânen keine heiligen Schriftsteller, sondern Betrüger. Daß sie eine solche Bedeutung hat, dafür sind die indischen Occultisten Zeugen, und sie allein sind im stande, der Wissenschaft klar zu machen, warum und wieso das Feuer, das ursprünglich Eines war, in unserem gegenwärtigen Manvantara dreifach (tretâ) gemacht wurde durch den Sohn der Ilâ (Vâch), des ursprünglichen Weibes nach der Sintflut, des Weibes und der Tochter des Vaivasvata Manu. Die Allegorie ist bedeutsam, in welchem Purâna man sie auch lesen und studieren mag.


[30] Sein Begründer, Râmânujâchârya, wurde geboren 1017 n. Chr.

[31] Der Gandharva des Veda ist die Gottheit, welche die Geheimnisse des Himmels und die göttlichen Wahrheiten kennt und den Sterblichen enthüllt. Kosmisch sind die Gandharven die zusammengefaßten Mächte des Sonnenfeuers, und bilden die Kräfte desselben; psychisch die Intelligenz, welche in der Sushumnâ, dem Sonnenstrahle, dem höchsten der sieben Strahlen, wohnt; mystisch die occulte Kraft im Soma, dem Monde, oder der Mondpflanze und dem aus letzterer bereiteten Getränke; physisch die phänomenalen, und geistig die noumenalen Ursachen des Tones und der „Stimme der Natur“. Daher heißen sie die 6333 himmlischen Sänger und Musiker aus Indras Loka, welche, sogar ihrer Zahl nach, die verschiedenen und mannigfaltigen Töne in der oberen sowie der unteren Natur personifizieren. In den späteren Allegorieen heißt es von ihnen, daß sie eine mystische Macht Über die Weiber haben, und daß sie dieselben lieben. Die esoterische Bedeutung ist klar. Sie sind eine von den Formen, wenn nicht Vorbilder, von Enochs Engeln, den Söhnen Gottes, welche sahen nach den Töchtern der Menschen, Wie sie schön waren (Gen., VI.) und sie zu Weibern nahmen, und den Töchtern der Erde die Geheimnisse des Himmels lehrten