Wahrhaftig also, man sollte occulte Philosophie studieren, bevor man beginnt, die Geheimnisse der Natur bloß auf der Oberfläche derselben zu suchen und zu prüfen, denn bloß jener, „der die Wahrheit in betreff der Eigenschaften der Natur kennt, der die Schöpfung aller Wesenheiten versteht, . . . ist befreit“ vom Irrtum. Der Lehrer sagt:

Wer genau versteht den großen (Baum), dessen Unwahrgenommenes (die occulte Natur, die Wurzel von Allem) der aus dem Samen (Parabrahman) hervorkommende Sproß ist, der besteht aus dem Verstande (Mahat oder der universalen intelligenten Seele) als aus seinem Stamme, dessen Äste der große Egoismus [22] sind, in dessen Höhlungen die Sprossen, nämlich die Sinne sind, wovon die großen (occulten oder unsichtbaren) Elemente die Blumenbündel sind, [23] die groben Elemente (die grobe objektive Materie) die kleineren Zweige, welche immer im Besitze sind von Blättern, immer im Besitze von Blüten, . . . der ewig ist und dessen Same das Brahman (die Gottheit) ist; und ihn mit dem ausgezeichneten Schwerte - der Erkenntnis (der heiligen Weisheit) - fällt, ein solcher erlangt Unsterblichkeit und streift ab Geburt und Tod. [24]

Dies ist der Baum des Lebens, der Ashvatthabaum, nach dessen Fällung allein der Mensch, der Sklave von Leben und Tod befreit werden kann.
Aber die Männer der Wissenschaft kennen das „Schwert der Erkenntnis“ nicht, das von den Adepten und Asketen geschwungen wird, noch werden sie davon hören. Daher die einseitigen Bemerkungen auch der allerliberalsten von ihnen, deren Grundlage und Ursprung die ungebührliche Wichtigkeit ist, die den willkürlichen Einteilungen und der willkürlichen Klassifikation der Naturwissenschaft beigelegt wird. Der Occultismus beachtet die letzteren sehr wenig und die Natur beachtet sie noch weniger. Die ganze Reihe der physikalischen Erscheinungen geht aus dem Urwesen Äther-Âkâsha hervor, sowie der seiner Natur nach duale Âkâsha aus dem undifferentiierten sogenannten Chaos hervorgeht, welches letztere der Uraspekt von Mûlaprakriti, der Wurzelmaterie und der ersten abstrakten Idee, die man sich von Parabrahman bilden kann, ist. Die moderne Wissenschaft mag ihren hypothetisch vorgestellten Ether auf so vielerlei Art einteilen, als ihr beliebt; der wirkliche Äther des Raumes wird durchaus bleiben, wie er ist. Er hat seine sieben „Prinzipien“, wie alles übrige in der Natur sie hat, und wenn es keinen Äther gäbe, gäbe es auch keinen „Ton“, da er das schwingende Schallbrett in der Natur in allen ihren sieben Differentiationen ist. Dies war das erste Geheimnis, das die Initiierten des Altertums gelernt haben. Unsere gegenwärtigen körperlichen Sinne waren von unserem gegenwärtigen Gesichtspunkt aus betrachtet abnormal in jenen Tagen langsamer und fortschreitend abwärts gerichteter Entwicklung und Falles in die Materie. Und es gab keinen Tag, da alles, was in unseren modernen Zeiten für außergewöhnlich gehalten wird und für die Physiologen, die jetzt gezwungenermaßen daran glauben müssen, so rätselhaft ist, wie Gedankenübertragung, Hellsehen, Hellhören, u. s. w., kurz alles, was jetzt „wunderbar und abnorm“ genannt wird - da alles dieses und viel mehr zu den der ganzen Menschheit gemeinsamen Sinnen und Fähigkeiten gehörte. Wir kreisen jedoch zurück und kreisen vorwärts; das will sagen, daß wir, nachdem wir an Geistigkeit verloren hatten, was wir an physischer Entwicklung gewonnen hatten, bis nahezu zum Ende der vierten Rasse, jetzt ebenso stufenweise und unmerklich im physischen alles das verlieren, was wir vom neuen in der geistigen Wiederentwicklung gewinnen. Dieser Vorgang muß anhalten bis zu der Periode, die die sechste Wurzelrasse auf eine Parallellinie mit der Geistigkeit in der zweiten Rasse bringen wird, mit einer lange erloschenen Menschheit.
Aber das wird gegenwärtig schwerlich verstanden werden. Wir müssen zu Dr. Richardsons hoffnungsvoller, wenn auch etwas unrichtiger Hypothese vom „Nervenether“ zurückkehren. Unter der irreführenden Übersetzung des Wortes mit „Raum“ ist Âkâsha soeben in dem alten indischen System als der „Erstgeborene“ des Einen aufgezeigt worden, der nur eine Eigenschaft hat, den „Ton“, welcher siebenfältig ist. In der esoterischen Sprechweise ist dieser Eine die Vatergottheit, und der Ton ist gleichbedeutend mit dem Logos, Verbum oder Sohn. Ob bewußt oder nicht, er muß das letztere sein; und Dr. Richardson wählt, indes er eine occulte Lehre predigt, die niedrigste Form der siebenfältigen Natur dieses Tones, und spekuliert darüber, indem er hinzufügt:

Die Theorie, die ich vorlege, besteht darin, daß der Nervenether ein animalisches Produkt ist. Bei den verschiedenen Klassen der Tiere mag er seinen physikalischen Eigenschaften nach verschieden sein, um sich so den besonderen Bedürfnissen des Tieres anzupassen, aber dem Wesen nach spielt er in allen Tieren eine und dieselbe Rolle und wird in allen auf eine und dieselbe Art hervorgebracht.

Hierin liegt der Kern des Irrtums, der zu allen daraus entspringenden mißverständlichen Anschauungen führt. Dieser „Nervenether“ ist das niedrigste Prinzip der ursprünglichen Wesenheit, welche das Leben ist. Er ist die animale Vitalität, die in der ganzen Natur verbreitet ist und die je nach den Bedingungen wirkt, die sie für ihre Bethätigung vorfindet. Er ist nicht ein „animalisches Produkt“, sondern das lebendige Tier, die lebendige Blume und Pflanze sind seine Produkte. Die tierischen Gewebe absorbieren bloß je nach ihrem mehr oder weniger krankhaften oder gesunden Zustand - wie es auch körperliche Materialien und Strukturen (in ihrem ursprünglichen Zustand, wohlgemerkt) thun - und werden von dem Augenblicke der Geburt des Wesens an von ihm. geregelt, gestärkt und ernährt. Er steigt in stärkerer Zufuhr zur Vegetation herab im Sushumnâ-Sonnenstrahle, der den Mond erleuchtet und ernährt, und durch die Strahlen des letzteren ergießt er sein Licht auf Mensch und Tier und durchdringt sie, mehr während ihres Schlafes und ihrer Ruhe, als wenn sie in voller Thätigkeit sind. Daher irrt Dr. Richardson wiederum, wenn er behauptet:

Der Nervenether ist nach der Vorstellung, die ich von ihm habe, nicht in sich selbst aktiv, auch nicht ein Erreger tierischer Bewegung im Sinne einer Kraft; aber er ist wesentlich als Beschaffer der Bedingungen, durch die die Bewegung möglich wird. (Gerade das Umgekehrte ist der Fall) . . . . . Er ist der Übertrager aller Schwingungen von Wärme, von Licht, von Ton, von elektrischer Arbeit, von mechanischer Reibung. [25] Er hält das gesamte Nervensystem in vollkommener Spannung während der Zustände des Lebens (wahr). Durch körperliche Bewegung wird er verbraucht (vielmehr erzeugt) . . . . und wenn das Bedürfnis nach ihm größer ist als die Zufuhr, so wird seine Unzulänglichkeit durch Verfall oder Erschöpfung der Nervenkraft bemerkbar. [26] Er häuft sich in den Nervencentren während des Schlafes an, indem er sie sozusagen auf ihren richtigen Ton stimmt, und dadurch die Muskeln zum Erwachen und zu neuem Leben ruft.


[22] Ahamkâra, vermute ich, jene „Ichheit“ oder „Ahamheit“, die zu jeglichem Irrtum führt.

[23] Die Elemente sind die fünf Tanmâtras der Erde, des Wassers, Feuers, der Luft und des Ethers, die Hervorbringer der gröberen Elemente.

[24] Anugîtâ, Kap. XX; ebenda, p. 313.

[25] Der Übertrager in dem Sinne von Upâdhi - einer materiellen oder physischen Basis; aber als zweites Prinzip der Universalseele und Lebenskraft in der Natur ist er von dem fünften Prinzipe derselben mit Intelligenz geleitet.

[26] Und eine allzugroße Überfülle desselben im Nervensystem führt ebenso oft zu Krankheit und Tod. Wenn er von dem animalischen System erzeugt würde, so würde das sicherlich nicht der Fall sein. Daher zeigt das letztere Vorkommnis seine Unabhängigkeit von dem System und seinen Zusammenhang mit der Sonnenkraft, wie Metcalfe und Hunt auseinandersetzen.