Man nennt das Nervenerregung, aber niemand, ausgenommen den Occultisten, kennt den Grund solcher Nervenstörung oder erklärt die ursprünglichen Ursachen derselben. Das Lebensprinzip kann ebensogut töten, wenn es allzu reichlich vorhanden ist, als wenn zu wenig von ihm vorhanden ist. Aber dieses „Prinzip“ ist auf der geoffenbarten Ebene das heißt auf unserer Ebene, bloß die Wirkung und das Resultat der intelligenten Thätigkeit der „Schaar“ oder des kollektiven Prinzipes des sich offenbarenden Lebens und Lichtes. Es ist selbst untergeordnet und emaniert dem stets unsichtbaren, ewigen und absoluten Einen Leben, in einer absteigenden und wiederaufsteigenden Stufenfolge hierarchischer Grade, einer wahren siebenfältigen Leiter, an deren oberem Ende der Ton, der Logos, und an deren unterem Ende die Vidyâdharas, [29] die niederen Pitris, stehen. Natürlich haben die Occultisten vollständige Kenntnis von der Thatsache, daß die „Täuschung“ der Anhänger der Lebenskraft, über die Vogt und Huxley so spotten, nichtsdestoweniger noch immer in sehr hervorragenden wissenschaftlichen Kreisen begünstigt ist und sind daher glücklich in dem Gefühle, nicht allein zu stehen. So schreibt Professor de Quatrefages:

Es ist sehr wahr, daß wir nicht wissen, was Leben ist; aber wir wissen auch nicht besser, was die Kraft ist, die die Sterne in Bewegung gesetzt hat . . . . . Lebendige Wesen sind schwer und daher der Gravitation unterworfen; sie sind der Sitz von zahlreichen und verschiedenartigen physikochemischen Erscheinungen, welche für ihre Existenz unerläßlich sind, und die auf die Wirkung von Etherodynamik (Elektricität, Wärme, u. s. w.) zurückgeführt werden müssen. Aber diese Erscheinungen offenbaren sich hier unter dem Einflusse einer anderen Kraft . . . . . Das Leben bildet keinen Gegensatz zu den unbelebten Kräften, sondern es beherrscht und lenkt ihre Wirkung durch seine Gesetze. [30]


[29] In einem neulich erschienenen Werke über Symbolismus in Buddhismus und Christentum -  richtiger: im Buddhismus und römischen Katholicismus, indem viele späteren Rituale und Dogmen des nördlichen Buddhismus in seiner populären exoterischen Form mit jenen der lateinischen Kirche übereinstimmen, - sind einige merkwürdige Thatsachen zu finden. Der Verfasser des Buches hat mit mehr Anmaßung als Gelehrsamkeit unterschiedslos durcheinander alte und moderne buddhistische Lehren in sein Werk hineingestopft, und Lamaismus und Buddhismus auf traurige Art miteinander vermengt. Auf Seite 404 dieses Buches, betitelt Buddhismus im Christentum, oder Jesus der Essener, widmet sich unser Pseudo-Orientalist einer Kritik der „sieben Prinzipien“ der „esoterischen Buddhisten“, und versucht dieselben lächerlich zu machen. Auf Seite 405, der Schlußseite, spricht er mit Begeisterung von den Vidyâdharas, „den sieben großen Legionen toter Menschen, welche weise gemacht worden sind“. Nun sind diese Vidyâdharas, die von einigen Orientalisten „Halbgötter“ genannt werden, in Wirklichkeit exoterisch eine Art von Siddhas, „überquellend von Andacht“, und esoterisch sind sie wesensgleich mit den sieben Klassen der Pitris, deren eine Klasse den Menschen in der dritten Wurzelrasse mit Selbstbewußtsein begabte, indem sie sich in den menschlichen Hüllen inkarnierte. Der „Hymnus an die Sonne“ am Schlusse dieses verschrobenen mosaikartigen. Buches, wodurch der Buddhismus mit einem persönlichen Gott (!!) ausgestattet wird, ist ein unglücklicher Stoß gerade gegen die Beweise, die der ungeschickte Verfasser so mühsam gesammelt hatte.
Die Theosophen wissen ganz wohl, daß Herr Rhys Davids seine Ansicht über ihren Glauben in ähnlicher Weise ausgesprochen hat. Er sagte, daß die von dem Verfasser von Esoteric Buddhism vorgelegten Theorieen „kein Buddhismus und auch nicht esoterisch seien“. Diese Bemerkung ist eine Folge (a) des unglücklichen Mißgriffes, „Buddhismus“ an Stelle von „Budhaismus“ oder „Budhismus“ zu schreiben, d. h. das System mit der Religion des Gautama anstatt mit der geheimen Weisheit in Verbindung zu bringen, die von Krishna, Shankarâchârya, und vielen anderen ebenso wohl als von Buddha gelehrt wurde; und (b) von der für Herrn Rhys Davids bestehenden Unmöglichkeit, irgend etwas von den wahren esoterischen Lehren zu wissen. Nichtsdestoweniger hat bei dem Umstande, daß er der größte Kenner heutiger Zeit von Pâli und Buddhismus ist, alles, was er sagen mag, Anspruch auf achtungsvolles Gehör. Wenn aber einer, der vom exoterischen Buddhismus in wissenschaftlicher und materialistischer Behandlung nicht mehr versteht, als von der esoterischen Philosophie, jene schmäht, die er mit seinem Hasse beehrt, und den Theosophen gegenüber die Miene eines gründlichen Gelehrten aufsetzt, so kann man bloß lächeln - oder herzlich lachen über ihn.

[30] L‘Espèce Humaine (The Human Species pp. 10, 11.