ABTEILUNG X.

ÜBER DIE ELEMENTE UND ATOME

 

Wenn der Occultist von Elementen spricht, und von menschlichen Wesen, welche während geologischer Zeitalter lebten, deren Dauer – nach der Ansicht eines der besten englischen Geologen [1] – sich als ebenso unmöglich bestimmbar erwiesen hat, als die Natur der Materie, so geschieht das deshalb, weil er weiß, wovon er redet. Wenn er die Worte Menschen und Elemente gebraucht, so meint er weder den Menschen in seiner gegenwärtigen physiologischen und anthropologischen Form, noch die elementalen Atome, jene hypothetischen Begriffe, die derzeit in den wissenschaftlichen Gemütern existieren, die wirkliches Dasein habenden Abstraktionen der Materie in ihrem hochverdünnten Zustande;  noch meint er andererseits die zusammengesetzten Elemente des Altertums. Im Occultismus bedeutet das Wort Element in jedem Falle Rudiment. Wenn wir sagen, „der elementare Mensch“, so meinen wir entweder den vorläufigen, ersten Entwurf des Menschen  in seinem unvollendeten und unentwickelten Zustande, daher in jener Form, die jetzt im körperlichen Menschen während seiner Lebenszeit verborgen liegt und nur gelegentlich und unter gewissen Bedingungen Gestalt annimmt; oder jene Form, die den materiellen Körper eine Zeit lang überlebt, und die besser unter dem Namen Elementar [2] bekannt ist. Was den Ausdruck Element anbelangt, so bedeutet er, wenn er metaphysisch gebraucht wird, zum Unterschied vom sterblichen den beginnenden göttlichen Menschen; und wenn er physikalisch gebraucht wird, bedeutet er Anfangsmaterie in ihrem ersten undifferentiierten Zustande, oder in ihrem Layazustande, dem ewigen und normalen Zustande der Substanz, welche sich bloß periodisch differentiiert; während dieser Differentiation ist die Substanz tatsächlich in einem abnormalen Zustande – mit anderen Worten, sie ist bloß eine vergängliche Sinnestäuschung.
Was die elementalen Atome anbelangt, so verbinden die Occultisten mit diesen Namen eine Bedeutung, die der analog ist, welche von den Indern dem Brahmâ beigelegt wird, wenn sie ihn Anu, das Atomnennen. Jedes elementale Atom, das zu suchen mehr als ein Chemiker den von Alchimisten angegebenen Weg eingeschlagen hat, ist nach ihrem festen Glauben, wenn nicht nach ihrer Erkenntnis, eine Seele: nicht notwendigerweise eine entkörperte Seele, sondern ein Jiîva, wie die Inder ihn nennen, ein Centrum potentieller Lebenskraft, mit darinnen verborgener Intelligenz, und, im Falle von zusammengesetzten Seelen, eine intelligente aktive Intelligenz, von der höchsten bis zur niedrigsten Stufe, eine Form, die aus stärkeren oder schwächeren Differentiationen zusammengesetzt ist. Es braucht einen Metaphysiker – und zwar einen östlichen Metaphysiker – um den Sinn unserer Worte zu verstehen. Alle diese Atomseelen sind Differentiationen aus der Einen, und stehen in derselben Beziehung zu ihr, wie die göttliche Seele, Buddhi, zu ihrem beseelenden und untrennbaren Geist, zu Âtmâ.
Die modernen Physiker vergessen, indem sie von den Alten ihre Atomtheorie entlehnen, einen Punkt, und zwar den allerwichtigsten Punkt der Lehre; daher haben sie bloß die Schalen erlangt, und werden niemals imstande sein, den Kern zu bekommen. Indem sie die physikalischen Atome übernahmen, vernachlässigten sie die bedeutsame Tatsache, dass alle diese Philosophen, von Anaxagora bis Epikur, bis zum Römer Lucretius, und schließlich selbst bis Galileo, mehr oder weniger an beseelte Atome dachten, nicht an die unsichtbaren Stäubchen sogenannter „grober“ Materie. Nach ihnen wurde die drehende Bewegung durch größere (lies: göttlichere und reinere) Atome hervorgebracht, welche andere Atome nach abwärts trieben; die leichteren wurden gleichzeitig nach aufwärts gedrängt. Esoterisch bedeutet dies die beständige cyklische Kurve der differentiierten Elemente, auf und ab durch intercyklische Phasen von Existenz, bis ein jedes wieder seinen Ausgangspunkt oder Geburtsort erreicht. Die Idee war sowohl metaphysisch, als physikalisch; die geheime Auslegung umfasste Götter oder Seelen, in Gestalt von Atomen, als die Ursachen aller der Wirkungen, die auf Erden durch die Ausscheidungen aus diesen göttlichen Körpern hervorgebracht wurden. [3] Kein alter Philosoph, nicht einmal die jüdischen Kabbalisten, hat jemals Geist von Materie, oder Materie von Geist getrennt. Alles nahm aus dem Einen seinen Ursprung, und, aus dem Einen hervorgehend, muß es schließlich zu dem Einen zurückkehren.


[1]   Der hervorragende Geologe schreibt einem Freunde zur Antwort: „Ich kann in Beantwortung Ihres Briefes nur sagen, dass es gegenwärtig und vielleicht für alle Zukunft, unmöglich ist, die geologische Zeitrechnung auch nur annäherungsweise auf Jahre oder auch nur auf Jahrtausende zu bringen.“ (Gezeichnet William Pengelly, F. R. S.)

[2] Plato, wo er von den unvernünftigen, ungestümen Elementen spricht, „die aus Feuer, Luft, Wasser und Erde zusammengesetzt sind“, meint die elementaren Dämonen. (Siehe den Timäus.) 

[3] Plato in seinem Timäus gebraucht das Wort „Ausscheidungen“ von ungestümen Elementen.