ABTEILUNG XI.

ALTES DENKEN IN MODERNEM GEWANDE.

Moderne Wissenschaft ist verzerrtes altes Denken und nichts weiter. Wir haben jedoch gesehen, was intuitive Gelehrte denken und womit sie sich beschäftigen; und nun sollen dem Leser einige weitere Beweise für die Tatsache geliefert werden dass mehr als ein Akademiker sich unbewusst den verlachten Geheimwissenschaften nähert.
Mit Bezug auf Kosmogonie und ursprüngliche Materie sind die modernen Spekulationen unleugbar altes Denken, „verbessert“ durch widerspruchsvolle Theorien neuen Ursprungs. Die ganze Grundlage gehört der griechischen und indischen archaischen Astronomie und Physik an, in jenen Tagen immer als Philosophie bezeichnet. In allen ârischen und griechischen Spekulationen begegnen wir der Vorstellung eines alles durchdringenden, unorganisierten und gleichartigen Stoffes, oder des Chaos, von den modernen Wissenschaften neu benannt als „nebelartiger Zustand des Weltstoffes“. Was Anaxagoras in seinen Homoiomeria als Chaos bezeichnete, wird jetzt von Sir William Thomson „primitives Fluidum“ genannt. Die indischen und griechischen Atomisten – Kanâda, Leukipp, Demokrit, Epikur, Lucrez u.s.w. – reflektieren sich jetzt, wie in einem klaren Spiegel, in den Vertretern der Atomtheorie unserer modernen Tage, beginnend mit den Monaden des Leibnitz und endigend mit den Wirbelatomen des Sir William Thomson. [1] Es ist wahr, die alte Korpuskulartheorie ist verworfen und die Undulationstheorie hat ihre Stelle eingenommen. Aber die Frage ist, ob die letztere so fest begründet ist, dass sie nicht möglicherweise ebenso wie ihre Vorgängerin entthront werden kann? Das Licht ist von seinem metaphysischen Aspekt aus in Isis entschleiert vollständig behandelt worden:

Licht ist der Erstgeborene und die erste Ausstrahlung des Höchsten, und Licht ist Leben, sagt der Evangelist (und der Kabbalist). Beide sind Elektricität – das Lebensprinzip, die Anima Mundi – welche das Weltall durchströmt, die elektrische Beleberin aller Dinge. Licht ider der große proteusartige Magier, und unter dem göttlichen Willen des Architekten [2] (oder vielmehr der Architekten, der „Baumeister“, die zusammengefasst als einer bezeichnet werden), gebaren seine mannigfaltigen, allmächtigen Wogen jede Form sowohl als wie jedes lebende Wesen. Aus seinem schwellenden elektrischen Schoße entsprangen Stoff und Geist. Innerhalb seiner Strahlen liegen die Anfänge aller physikalischen und chemischen Wirkung, und aller kosmischen und geistigen Phänomene; es vitalisiert und desorganisiert; es gibt Leben und bringt Tod, und aus seinem Anfangspunkte tauchen stufenweise ins Dasein auf die Myriaden von Welten, von sichtbaren und unsichtbaren Himmelskörpern. An dem Strahle dieser Ersten Mutter, eins in drei, „entzündete ‚Gott’ ein Feuer, das wir jetzt die Sonne nennen“, wie Plato [3] sagt, und diese Sonne ist nicht die Ursache von Licht oder Wärme, sondern bloß der Brennpunkt, oder, wie wir sagen könnten, die Linse, durch welche die Strahlen des ursprünglichen Lichtes materialisiert und auf unser Sonnensystem koncentriert werden, und alle Wechselbeziehungen der Kräfte hervorbringen. [4]

Dies ist der Ether, wie er soeben nach den Anschauungen von Metcalfe erklärt worden ist, die von Dr. Richardson wiederholt werden, ausgenommen die Unterwerfung des ersteren unter einige Einzelheiten der modernen Wellentheorie. Wir sagen nicht, dass wir die Theorie leugnen; wir behaupten bloß, dass sie einer Vervollständigung und Wiederordnung bedarf. Aber die Occultisten sind durchaus nicht die einzigen Ketzer in dieser Beziehung; denn Herr Robert Hunt, F. R. S., findet:

Die Wellentheorie erklärt nicht die Ergebnisse seiner Versuche. [5] Sir David Brewster zeigt in seiner Abhandlung über Optik, „dass die Farben des vegetabilischen Lebens entstehen ... aus einer besonderen Anziehung, welche die Teilchen dieser Körper auf die verschieden gefärbten Lichtstrahlen ausüben“, und dass „durch solche Wirkungen durch die bloße Schwingung eines etherischen Mittels hervorgebracht werden können“. Und er ist gezwungen, sagt er, „durch diese Gruppe von Tatsachen, so zu schließen, als ob das Licht materiell sei?“ Professor Josiah P. Cooke, von der Harvard Universität, sagt, er „kann nicht übereinstimmen ... mit jenen, welche die Wellentheorie als einen feststehenden Grundsatz der Wissenschaft betrachten.“ [6] Herschels Lehre, dass die Intensität des Lichtes, tatsächlich die einer jeden Wellenbewegung, „umgekehrt proportional dem Quadrate des Abstandes von dem leuchtenden Körper ist“, als richtig angenommen, gefährdet einen guten Teil der Wellentheorie, wenn sie sie nicht ganz tötet. Daß er Recht hat, wurde zu wiederholten Malen durch Versuche mit Photometern bewiesen; und obwohl sie viel bezweifelt zu werden beginnt, ist die Wellentheorie doch noch am Leben. [7]

Auf diese Bemerkung des Sir David Brewster – „gezwungen, so zu schließen, als ob das Licht materiell sei“ – ist sehr viel zu erwidern. Licht in einem Sinne, ist sicherlich ebenso materiell als die Elektricität selbst. Und wenn die Elektricität nicht materiell ist, wenn sie eine bloße „Bewegungsart“ ist, wie ist es möglich, dass sie in Faure’schen Akkumulatoren aufgestapelt werden kann? Helmholtz sagt, die Elektricität muß ebenso atomistisch sein, wie die Materie; und Herr W. Crookes, F. R. S., unterstützte diese Ansicht in seiner Birminghamer Ansprache von 1886 an die chemische Sektion der British Association, deren Präsident er war. Helmholtz sagt folgendes:

Wenn wir die Hypothese annehmen, dass die elementaren Substanzen aus Atomen zusammengesetzt sind, so können wir nicht umhin, zu schließen, dass auch die Elektricität, sowohl die positive als auch die negative, in bestimmte elementare Teile geteilt ist, welche sich wie Atome der Elektricität verhalten. [8]


[1] Die elementalen Wirbel, die von dem „Gemüt“ hervorgerufen werden, sind durch ihre moderne Umwandlung nicht verbessert worden.

[2] Man hat mir oft vorgeworfen, dass ich in der Isis Ausdrücke gebrauche, welche Glauben an einen persönlichen und anthropomorphischen Gott bekunde. Das ist nicht meine Absicht. Kabbalistisch gesprochen ist der „Architekt“ der Gattungsname für die Sephiroth, die Baumeister des Weltalles, sowie das „Universalgemüt“ die Gesamtheit der dhyân-chohanischen Gemüter darstellt.  

[3] Timäus.

[4] I. 258.

[5] Untersuchungen über das Licht in seinen chemischen Beziehungen.

[6] Moderne Chemie.

[7] Isis Unveiled, I. 137.

[8] Faraday Lectures, 1881