ABTEILUNG XIV.

GÖTTER, MONADEN UND ATOME.

Vor einigen Jahren machten wir die Bemerkung:

Die esoterische Lehre kann zutreffend ... die „Fadenlehre“ genannt werden, da sie wie Sûtrâtmâ (in der Vedântaphilosophie) [1] durch alle alten philosophischen Religionssysteme hindurchgeht, sie aneinander reiht, und ... sie versöhnt und erklärt. [2]

Sie sagen jetzt, sie tut mehr. Sie versöhnt nicht nur die verschiedenen und sich scheinbar widerstreitenden Systeme, sondern sie kontrolliert auch die Entdeckungen der modernen exakten Wissenschaft, indem sie von einigen derselben zeigt, daß sie notwendigerweise richtig sind, da sie sich in den alten Aufzeichnungen bestätigt finden. Alles dies wird ohne Zweifel als schrecklich frech und unehrerbietig betrachtet werden, als eine wahrhafte Majestätsbeleidigung an der Wissenschaft; nichtsdestoweniger ist es eine Tatsache.
Die Wissenschaft ist in unseren Tagen unleugbar ultramaterialistisch; aber sie findet in einem Sinne ihre Rechtfertigung. Da sich die Natur tatsächlich immer esoterisch verhält, oder wie die Kabalisten sagen, im verborgenen ist, so kann sie von dem Uneingeweihten nur nach ihrer Erscheinung beurteilt werden, und diese Erscheinung ist auf dieser physischen Ebene immer trügerisch. Andererseits weigern sich die Naturforscher, Physik und Metaphysik zu verbinden, den Körper mit seiner belebenden Seele und seinem Geist. Sie ziehen es vor, die letzteren unbeachtet zu lassen. Dies ist für einige eine Sache der Wahl, während die Minorität sehr vernünftig strebt, den Bereich der Naturwissenschaft durch ein Überschreiten der Grenzen der verbotenen Felder der manchen Materialisten so missfälligen Metaphysik zu erweitern. Diese Gelehrten sind weise in ihrer Generation. Denn alle ihre wundervollen Entdeckungen werden keinen Sinn haben und für immer kopflose Körper bleiben, bis sie nicht den Schleier der Materie lüften und ihre Augen anstrengen, darüber hinaus zu sehen. Jetzt, nachdem sie die Natur nach Länge, Breite und Dicke ihrer physischen Gestalt studiert haben, ist es Zeit, das Kartennetz für die zweite Ebene zu übertragen, und in den unbekannten Tiefen nach der lebendigen und wirklichen Wesenheit, nach ihrer Sub-stanz – dem Ding an sich des hinschwindenden Stoffes – zu suchen.

Nur bei einem Vorgehen nach solchen Methoden wird man die Entdeckung machen, daß einige Wahrheiten, die jetzt „abgetane Aberglauben“ genannt werden, Tatsachen und die Überreste alter Erkenntnis und  Weisheit sind.

Einer dieser „erniedrigenden“ Glauben – erniedrigend nach der Ansicht des allesleugnenden Skeptikers – findet sich in der Idee, daß der Kosmos, abgesehen von seinen objektiven planetarischen Bewohnern – seinen Menschheiten auf anderen bewohnten Welten voll ist von unsichtbaren, intelligenten Existenzen. Die sogenannten Erzengel, Engel und Geister des Westens, die Abbilder ihrer Urbilder, Der Dhyân Chohans, der Devas und Pitris des Ostens, sind nicht wirkliche Wesen, sondern Einbindungen. In dieser Beziehung ist die materialistische Wissenschaft unerbittlich. Um ihre Stellung zu unterstützen, stürzt sie ihr eigenes unumstößliches Gesetz der Gleichförmigkeit und Stetigkeit der Naturgesetze um, und alle logische Folge von Analogien in der Evolution des Seins. Die Massen der Profanen werden aufgefordert und veranlasst zu glauben, daß das gesammelte Zeugnis der Geschichte – welches uns selbst die „Atheisten“ der alten Zeit, solche Männer wie Epikur und Demokrit, als Gläubige an Götter zeigt – falsch ist, und daß Philosophen wie Sokrates und Plato, welche solche Existenzen behaupteten, irrende Schwärmer und Narren waren. Wenn wir an unseren Meinungen bloß aus historischen Gründen festhalten, auf die Autorität hin von Legionen der hervorragendsten Weisen, Neuplatoniker und Mystiker aller Zeitalter, von Pythagoras herab bis zu den hervorragenden Gelehrten und Professoren des gegenwärtigen Jahrhunderts, welche, wenn sie „Götter“ verwerfen, an „Geister“ glauben, müssen wir da solche Autoritäten für ebenso schwachköpfig und närrisch halten, wie irgend einen römisch-katholischen Bauern, der an seinen ehemals menschlichen Heiligen oder an den Erzengel Michael glaubt und zu ihnen betet? Ist denn da kein Unterschied zwischen dem Glauben des Bauern und dem der westlichen Erben der Rosenkreuzer und Alchimisten des Mittelalters? Sind es die Van Helmonts, die Khunraths, die Paracelsusse und Agrippas, von Roger herab bis zu St. Germain, die alle blinde Schwärmer, Hysteriker oder Betrüger waren, oder ist es die Handvoll moderner Skeptiker – die „Führer des Denkens“ – die mit der Blindheit der Verneinung geschlagen sind? Das letztere ist der Fall, dünkt uns. Es würde in der Tat ein Wunder sein, eine ganz regelwidrige Tatsache im Gebiete der Wahrscheinlichkeiten und der Logik, wenn diese Handvoll von Verneinern die einzigen Hüter der Wahrheit wären, während die millionenstarken Scharen von Gläubigen an Götter, Engel und Geister – allein in Europa und Amerika – nämlich griechische und lateinische Christen, Theosophen, Spiritualisten, Mystiker usw. nichts Besseres sein sollten, als getäuschte Fanatiker und halluzinierende Medien, und oft nichts Höheres als die Opfer von Täuschern und Betrügern. Wie sehr sie auch in ihren äußeren Darstellungen und Glaubenssätzen auseinandergehen mögen, haben doch die Glauben an unsichtbare Intelligenzen verschiedener Grade alle dieselbe Grundlage. Wahrheit und Irrtum sind in allen gemischt. Die genaue Erstreckung, Tiefe, Breite und Länge der Geheimnisse der Natur sind nur in der östlichen esoterischen Lehre zu finden. So ausgedehnt und so tief sind diese, daß kaum auch nur einige wenige, sehr wenige von den höchsten initiierten – jene, deren bloße Existenz nur einer kleinen Zahl von Adepten bekannt ist, - im Stande sind, die Kenntnis aufzunehmen. Doch sie ist immer da, und einer Tatsache und einem Vorgang um den andern in der Werkstätte der Natur wird gestattet, seinen Weg in die exakte Wissenschaft zu finden, während erlesenen Individuen bei der Lösung ihrer Verborgenheiten geheimnisvolle Hilfe gegeben wird. Solche Ereignisse finden gewöhnlich  statt am Ende großer Cyklen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Rasse. Wir sind gerade am Schlusse des Cyklus von 5000 Jahren des gegenwärtigen ârischen Kaliyugas, und zwischen jetzt und 1897 wird ein großer Riß in den Schleier der Natur gemacht werden, und die materialistische Wissenschaft wird einen Todesstoß erhalten.


[1] Der Âtmâ, oder Geist, das geistige SELBST, welches wie ein Faden durch die fünf feinen Körper, oder Prinzipien Koshas, sich hindurchzieht, wird in der Vedântaphilosophie „Fadenseele“ oder Sûtrâtmâ genannt.

[2] „Das siebenfältige Prinzip“, Five Years of Theosophy, p. 197 (2. Aufl., p. 126).