ABTEILUNG XV.

CYKLISCHE EVOLUTION UND KARMA.

Die geistige Evolution des inneren, unsterblichen Menschen bildet den Fundamentalsatz der occulten Wissenschaften. Um einen solchen Vorgang auch nur entfernt zu verstehen, muß der Schüler glauben (a) an das Eine Universale Leben, unabhängig vom Stoff oder von dem, was die Wissenschaft als Stoff betrachtet; und (b) an die individuellen Intelligenzen, welche die verschiedenen Offenbarungen dieses Prinzipes beseelen. Herr Huxley glaubt nicht an Lebenskraft; andere Gelehrte glauben daran. Dr. J. Hutchinson Stirling’s Werk As regards Protoplasm hat keine geringe Verheerung unter dieser dogmatischen Ableugnung angerichtet. Auch Professor Beale’s Entscheidung lautet zu Gunsten eines Lebensprinzipes; und Dr. B. W. Richardson’s Vorlesungen über Nervenether sind hinlänglich angeführt worden. Somit sind die Ansichten geteilt.
Das Eine Leben steht in enger Beziehung zu dem Einen Gesetze, welches die Welt des Seins beherrscht – zu KARMA. Exoterisch ist dieses einfach und wörtlich „Handlung“ oder vielmehr eine „Wirkung hervorbringende Ursache“. Esoterisch ist es ein ganz anderes Ding in seinen weitreichenden moralischen Wirkungen. Es ist das unfehlbare GESETZ DER VERGELTUNG. Zu jenen, welche den wirklichen Sinn, die Eigenschaften und furchtbare Bedeutung dieses ewigen, unveränderlichen Gesetzes nicht kennen, zu sagen, daß keine theologische Definition einer persönlichen Gottheit eine Vorstellung von diesem unpersönlichen, aber immer gegenwärtigen und tätigen Prinzipe geben kann, heißt vergeblich sprechen. Noch kann es Vorsehung genannt werden. Denn die Vorsehung erfreut sich bei den Theisten – zum mindesten bei den protestantischen Christen – eines persönlichen, männlichen Geschlechtes, während sie bei den römischen Katholiken eine weibliche Kraft ist. „Göttliche Vorsehung (im Urtexte männlich) mäßigt Seine Segnungen, um so bessere Wirkungen derselben zu sichern“, sagt uns Wogan. In der Tat, „Er“ mäßigte sie, was Karma – ein geschlechtsloses Prinzip – nicht tut.
Die ersten zwei Teile hindurch ist gezeigt worden, daß beim ersten Pochen des wiedererstehenden Lebens Svabhâvat, „die veränderliche Ausstrahlung der Unveränderlichen Dunkelheit, unbewußt in Ewigkeit“, mit jeder neuen Wiedergeburt des Kosmos aus einem untätigen Zustand in einen solchen intensiver Tätigkeit übergeht; daß es sich differentiiert, und dann sein Werk durch diese Differentiation beginnt. Und dieses Werk ist KARMA.

Die Cyklen sind ebenfalls den Wirkungen, die durch diese Tätigkeit hervorgebracht werden, dienstbar.

Das eine kosmische Atom wird zu sieben Atomen auf der Ebene de Stoffes, und ein jedes wird in ein Energiecentrum umgewandelt; dieses selbe Atom wird zu sieben Strahlen auf der Ebene des Geistes; und die sieben schöpferischen Kräfte der Natur, welche aus der Wurzelwesenheit ausstrahlen ... folgen, eine den rechten, die Andere den linken Pfad, geschieden bis zum Ende des Kalpa, und doch in enger Umarmung. Was vereinigt sie? Karma.

Die aus dem Centralpunkt emanierten Atome emanieren ihrerseits neue Energiecentren, welche unter dem mächtigen Atem von Fohat ihr Werk von innen nach außen beginnen, und andere kleine Centren vervielfältigen. Diese bilden im Verlaufe der Evolution und Involution ihrerseits die Wurzeln oder entwickelnden Ursachen neuer Wirkungen, von Welten und „menschentragenden“ Kugeln bis hinab zu den Gattungen, Arten und Klassen aller der sieben Reiche, von denen wir nur vier kennen. Denn, wie das Buch der Aphorismen des Tson-ka-pa sagt:

Die gesegneten Arbeiter haben Thyan-kam erlangt in der Ewigkeit.

Thyan-kam ist die Macht der Kenntnis, die Antriebe der kosmischen Energie in die richtige Richtung zu lenken.

Der wahre Buddhist, der keinen „persönlichen Gott“, noch irgend welchen „Vater“ und „Schöpfer Himmels und der Erde“ anerkennt, glaubt doch an ein Absolutes Bewusstsein, Adi-Buddhi; und der buddhistische Philosoph weiß, daß es Planetengeister gibt, die Dhyân Chohans. Aber, obwohl er „geistige Leben“ zugesteht, so sind doch selbst diese, da sie zeitlich sind in der Ewigkeit, nach seiner Philosophie „die Mâyâ des Tages“, die Illusion eines „Tages des Brahmâ“, eines kurzen Manvantaras von 4 320 000 000 Jahren. Yin-Sin ist nicht für die Spekulation der Menschen, denn Buddha der Herr hat jede solche Fragestellung streng untersagt. Wenn die Dhyân Chohans und alle die unsichtbaren Wesen – die sieben Centren und ihre unmittelbaren Ausstrahlungen, die kleineren Energiecentren – der unmittelbare Wiederschein des Einen Lichtes sind, so sind doch die Menschen von denselben weit entfernt, nachdem das Ganze des sichtbaren Kosmos besteht aus „selbst-hervorgebrachten Wesen, den Kreaturen Karmas“. Indem sie somit einen persönlichen Gott „bloß als einen riesigen Schatten geworfen in die Leere des Raumes von der Einbildungskraft unwissender Menschen“ [1] betrachten, lehren sie, daß nur „zwei Dinge (objektiv) ewig sind, nämlich Âkâsha und Nirvâna“; und daß diese eins sind in Wirklichkeit, und eine bloße Mâyâ, wenn geteilt.
Alles ist hervorgekommen aus Âkâsha (oder Svabhâvat auf unserer Erde) gehorsam dem Gesetze der Bewegung, welches ihm innewohnt, und nach einem gewissen Dasein geht es von dannen. Kein Ding kam jemals aus Nichts. Wir glauben nicht an Wunder; daher leugnen wir die Schöpfung und können uns einen Schöpfer nicht vorstellen. [2]


[1] Buddhist Catechism, von H. S. Olcott, Präsident der Theosophischen Gesellschaft, p. 51.

[2] Ebenda, 51, 52.