ABTEILUNG XVI.

DER TIERKREIS UND SEIN HOHES ALTER.

„Alle Menschen sind geneigt, eine hohe Meinung von ihrem eigenen Verstande zu haben und zähe an den Ansichten festzuhalten, die sie vertreten“, sagte Jordan und fügte richtig hinzu – „und doch werden fast alle Menschen von dem Verstande anderer geleitet, nicht von ihrem eigenen; und man kann von ihnen mit mehr Wahrheit sagen, daß sie ihre Ansichten annehmen, als daß sie dieselben erzeugen“.
Dies ist doppelt wahr in Bezug auf wissenschaftliche Ansichten über der Überlegung anheim gestellte Hypothesen – indem das Vorurteil und die vorgefaßten Meinungen der sogenannten „Autoritäten“ oft über Fragen entscheiden, die für die Geschichte von einschneidenster Bedeutung sind. Es gibt verschiedene solcher vorgefaßter Meinungen, an denen unsere gelehrten Orientalisten festhalten, und wenige sind ungerechter und unlogischer, als der allgemeine Irrtum in Bezug auf das Alter des Tierkreises. Dank der Schrulle einiger deutscher Orientalisten haben englische und amerikanische Sanskritisten die Meinung Professor Webers angenommen, daß die Völker von Indien vor dem makedonischen Einfalle keine Idee oder Kenntnis vom Zodiak hatten, und daß die alten Hindûs denselben von den Griechen in ihr Land einführten. Verschiedene andere „Autoritäten“ sagen uns ferner, daß keine Nation des Ostens den Tierkreis gekannt hat, bevor nicht die Griechen ihren Nachbarn gütig ihre Erfindung mitteilten. Und dies angesichts des Buches Hiob, welches, wie – sogar von ihnen selbst – erklärt wird, das älteste des hebräischen Kanons ist und sicherlich älter als Moses; ein Buch, welches spricht von dem  Machen des „Arcturus, des Orions und der Plejaden (Osh, Kesil und Kimah) und der Kammern des Südens“ [1] ; vom Skorpion und den Mazaruth – den zwölf Zeichen [2] ; Worten, welche, wenn sie überhaupt etwas bedeuten, eine Kenntnis des Tierkreises selbst unter den nomadischen arabischen Stämmen in sich schließen. Man behauptet vom Buche Hiob, daß es dem Homer und Hesiod um mindestens eintausend Jahre vorangegangen sei – indem die zwei griechischen Dichter selber ungefähr acht Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung (!!) blühten. Freilich könnte, nebenbei bemerkt, einer, der es vorzieht, Plato zu glauben – der den Homer viel früher blühen läßt – auf eine Anzahl von Tierkreiszeichen hinweisen, die in der Ilias und in der Odyssee, in den orphischen Gedichten und anderwärts erwähnt werden. Aber seit der Ammenmärchenhypothese einiger moderner Kritiker, daß, ganz abgesehen von Orpheus, nicht einmal Homer oder Hesiod jemals existiert haben, möchte es als verlorene Zeit erscheinen, diese archaischen Autoren überhaupt zu erwähnen. Der arabische Hiob wird genügen; wenn nicht in der Tat sein Band Klagen zusammen mit den Gedichten der beiden Griechen, zu welchen wir jene des Linos hinzufügen können, jetzt auch für die patriotische Fälschung des Juden Aristobolos erklärt werden sollte. Wenn aber der Tierkreis in den Tagen des Hiob bekannt war, wie hätten die civilisierten und philosophischen Inder mit demselben unbekannt geblieben sein können?


[1] IX. 9.

[2] XXXVIII. 31, 32