Nichtsdestoweniger – da ohne entsprechende Beweise angeführte Meinungen von wenig Wert sind, so mag es nützlicher sein, sich wissenschaftlicher Beweisführung zuzuwenden. Herr Bailly, der berühmte französische Astronom des letzten Jahrhunderts, Mitglied der Akademie, usw., behauptet, daß die indischen Systeme der Astronomie weitaus die ältesten sind und daß von ihnen die Ägypter, Griechen, Römer und selbst die Juden ihr Wissen bezogen haben. Zur Unterstützung dieser Anschauungen sagt er: Die Astronomen, welche der Epoche von 1491 vorangingen, sind vorerst die alexandrinischen Griechen; Hipparch blühte 125 Jahre vor unserer Zeitrechnung, und Ptolemäus 260 Jahre nach Hipparch. Danach sind es die Araber, welche im neunten Jahrhundert von neuem die Astronomie pflegten. Es folgten die Perser und die Tartaren, und wir verdanken ihnen die Tafeln des Nassireddin in 1269, und jene des Ulug-beg in 1437. Dies war die bekannte Reihenfolge der Dinge in Asien vor der indischen Epoche von 1491. Nun dies vorausgesetzt, was ist eine Epoche? Sie ist die Beobachtung der Länge eines Gestirns für eine bestimmte Zeit, der Ort des Himmels, wo dasselbe gesehen worden ist, und welcher als Fixpunkt dient, als Ausgangspunkt, um mit Hilfe der beobachteten mittleren Bewegung seinen Ort am Himmel sowohl für die Vergangenheit, sowie für die Zukunft zu berechnen. Eine Epoche ist nutzlos, wenn die Bewegung nicht bestimmt ist. Ein Volk, das in der Wissenschaft neu ist, ein Volk, das gezwungen ist, eine fremde Astronomie zu entlehnen, ist nicht in Verlegenheit, eine Epoche aufzustellen, es genügt ihm eine Beobachtung, die es in jedem Augenblicke machen kann. Das, was ihm notwendig ist, das, was es entlehnen muß, das sind die Elemente, die von einer feinen Bestimmung abhängen, und die zusammenhängende Untersuchungen erfordern; es sind dies vornehmlich die Bewegungen, die von der Zeit abhängen, und die man mit Schärfe erst nach Jahrhunderten der Beobachtung kennt. Es muß daher vor allem diese Bewegungen von Völkern verlangen, welche darüber die Beobachtungen angestellt haben und welche Jahrhunderte der Arbeit hinter sich haben. Wir ziehen die Schlußfolgerung, daß ein neues Volk von einem altem Volke nicht die Epochen entlehnen wird, ohne seine mittleren Bewegungen zu entlehnen. Von diesem Grundsatze ausgehend, findet man nicht, daß die indischen Epochen von 1491 und vom Jahre 3102 von den Epochen des Ptolemäus oder des Ulug-beg hätten abgeleitet sein können. Es bleibt zu vermuten übrig, daß die Inder, bei Vergleich ihrer Beobachtungen von 1491 mit den vorher von Ulug-beg oder Ptolemäus gemachten Beobachtungen sich der Zwischenzeiten dieser Beobachtungen edient hätten, um die mittleren Bewegungen zu bestimmen. Die Zeiten des Ulug-beg waren zu nahe für eine derartige Bestimmung; jene des Ptolemäus und des Hipparch waren von einem knapp genügenden Abstand. Wenn aber die indischen Bewegungen durch diese Epochen des Ulug-beg und des Ptolemäus ausgehend würde man alle Epochen der Inder wiederfinden. Die fremden Epochen sind daher den Indern unbekannt oder für sie nutzlos gewesen. [32] Wir wollen noch eine wichtige Überlegung hinzufügen; nämlich die, daß, wenn ein Volk gezwungen ist, von seinen Nachbarn die Methoden oder die mittleren Bewegungen ihrer astronomischen Tafeln anzunehmen, es noch viel nötiger haben wird, von ihnen auch die Kenntnis der Ungleichheiten der Bewegungen, und die Bewegung des Apogäums, der Knoten, und die Schiefe der Ekliptik zu entlehnen; schließlich alle Elemente, deren scharfe Bestimmung die Kunst des Beobachtens, irgend einen Apparat von Instrumenten und vielen Fleiß voraussetzt. Alle diese Elemente der Wissenschaft, mehr oder weniger verschieden bei den alexandrinischen Griechen, den Arabern, den Persern und den Tartaren, haben gar keine Ähnlichkeit mit jenen der Inder. Die Inder haben daher nichts von ihren Nachbarn entlehnt. Wenn die Inder ihre Epoche nicht entlehnt haben, so müssen sie eine solche reelle, auf ihren eigenen Beobachtungen begründete gehabt haben; es kann dies keine andere sein als die Epoche des Jahre 1491, oder jene des Jahre 3102 vor unserer Zeitrechnung, welche der Epoche von 1491 um 4592 Jahre voranging. Es handelt sich darum, zwischen diesen zwei Epochen zu wählen, und zu entscheiden, welche von beiden auf einer Beobachtung begründet ist. Bevor wir aber die Gründe auseinandersetzen, welche das Problem lösen können und sollen, sei es uns gestattet, einige Betrachtungen jenen vorzulegen, welche geneigt sein möchten, zu glauben, daß moderne Beobachtungen und Berechnungen die Inder den vergangenen Zustand des Himmels haben feststellen lassen. Es ist keine leichte Sache, die himmlischen Bewegungen mit hinreichender Genauigkeit zu kennen, um in der Zeit um einen Abstand von 4592 Jahren zurückgehen, und die Erscheinungen beschreiben zu können, welche zu jener Epoche sich ereignet haben mußten. Wir besitzen heutzutage ausgezeichnete Instrumente, wir stellen seit zwei oder drei Jahrhunderten exakte Beobachtungen an, welche bereits genügen, uns die mittleren Bewegungen der Planeten hinlänglich kennen zu lassen; wir haben die Beobachtungen der Chaldäer, des Hipparch und des Ptolemäus, welche durch ihren Abstand von der Zeit, in der wir uns befinden, das heißt durch das Vergangensein von fünfundzwanzig Jahrhunderten, uns gestatten, die Bewegungen mit größerer Genauigkeit zu bestimmen. Gleichwohl können wir nicht dafür bürgen, immer die Beobachtungen in diesem großen Zeitabstand seit den Chaldäern bis zu uns getreu darzustellen; noch weniger können wir dafür bürgen, mit Genauigkeit die Erscheinungen wiederzufinden, die sich 4 592 Jahre vor uns ereignet haben. Cassini und Maier haben der eine und der andere die säkulare Bewegung des Mondes bestimmt, und sie gehen um 3’ 43’’ auseinander. Dieser Unterschied würde in sechsundvierzig Jahrhunderten auf den Mondort eine Unsicherheit von nahezu drei Graden hervorbringen. Ohne Zweifel ist eine von diesen beiden Bewegungen genauer als die andere; sehr alte Beobachtungen müssen das entscheiden. Aber in den entfernten Zeiten, wo die Beobachtungen fehlen, folgt aus dieser Unsicherheit, daß wir über die Erscheinungen im Unsichern sind. Wie nun hätten die Inder es machen sollen, wenn sie Neulinge in der Astronomie gewesen wären, um vom Jahre 1491 auf das Jahr 3102 vor unserer Zeitrechnung zurückzugehen? Die Orientalen sind niemals das gewesen, was wir sind. Welch gute Meinung von ihrem Wissen auch die Untersuchung ihrer Astronomie geben kann, so kann man doch nicht annehmen, daß sie jemals einen so großen Apparat von Instrumenten gehabt hätten, wie er unsere modernen Sternwarten auszeichnet, und welcher das Ergebnis der gleichzeitigen Fortschritte verschiedener Künste ist, noch jenes Entdeckungsgenie, welches bisher Europa allein anzugehören schien, und welches, die Zeit ersetzend, die Wissenschaften und den menschlichen Geist so rasche Fortschritte machen läßt. Wenn die Asiaten mächtig, gelehrt und weise gewesen sind, so haben die Kraft und die Zeit ihr Verdienst und ihren Erfolg auf allen Gebieten bewirkt. Die Kraft hat die Reiche gegründet oder zerstört; bald hat sie die durch ihre Masse imponierenden Gebäude aufgerichtet, bald hat sie daraus ehrwürdige Ruinen gemacht; und während diese großen Umwälzungen vor sich gingen, häufte die Geduld langsam die Kenntnisse an, und eine lange Erfahrung bewirkte die Weisheit. Das hohe Alter der orientalischen Völker hat ihren Ruhm in den Wissenschaften bewirkt. Wenn die Inder im Jahre 1491 eine hinlänglich genaue Kenntnis der himmlischen Bewegungen hatten, um über einen Zwischenraum von 4592 Jahren zurückzugehen, so konnten sie diese Kenntnis nur aus alten Beobachtungen besitzen. Ihnen diese Kenntnis zugestehen, und ihnen die alten Beobachtungen abstreiten, heißt das Unmögliche annehmen; heißt wollen, daß sie beim Eintritt in ihre Laufbahn die Früchte der Zeit und der Erfahrung geerntet haben; während, wenn ihre Epoche vom Jahre 3102 als reell angenommen wird, man sieht, daß die Inder, von dieser Epoche ausgehend, bis zum Jahre 1491 unserer Zeitrechnung mit den Jahrhunderten selbst herabgestiegen sind: die Zeit ist es, die sie stufenweise belehrt hat; sie haben die himmlischen Bewegungen in diesen Zwischenzeiten gut gekannt, weil sie dieselben gesehen haben; und die Dauer dieses Volkes auf der Erde ist der Grund für die Treue ihrer Berichte und die Genauigkeit ihrer Rechnungen. Die Frage, welche von den beiden Epochen, der vom Jahre 3102 und jener vom Jahre 1491, die wirkliche ist, muß anscheinend durch eine einzige Überlegung gelöst werden, daß nämlich die Alten im allgemeinen, und die Inder im besonderen, wie man aus der Anordnung ihrer Tafeln sieht, niemals etwas anderes berechnet und infolgedessen auch nichts anderes beobachtet haben als Finsternisse. Nun findet sich keine Sonnenfinsternis im Augenblicke der Epoche von 1491; und es hat weder vierzehn Tage vorher, noch vierzehn Tage nachher eine Mondfinsternis stattgefunden. Die Epoche des Jahre 1491 beruht demnach auf keiner Beobachtung. Was die vom Jahre 3102 anbelangt, so versetzen sie die Brâhmanen von Tirvalour auf den Augenblick des Sonnenaufganges am 18ten Februar. Die Sonne war damals ihrer wahren Länge nach im Anfangspunkte des Tierkreises. Die anderen Tafeln lassen uns erkennen, daß zur vorhergehenden Mitternacht der Mond an derselben Stelle war, aber seiner mittleren Länge nach. Die Brâhmanen berichten uns zugleich, daß dieser erste Punkt, der Anfang ihres Tierkreises, im Jahre 3102 um 54° weniger vorgerückt war, als das Äquinoktium. Es folgt daraus, daß dieser Anfang damals im sechsen Grade des Wassermannes war. Es fand also um jene Zeit, und an jenem Punkte eine mittlere Konjunktion statt; unsere besten Tafeln, nämlich jene des la Caille für die Sonne, und jene des Maier für den Mond geben thatsächlich diese Konjunktion. Es fand damals keine Sonnenfinsternis statt, weil der Mond zu weit von seinem Knoten entfernt war; aber vierzehn Tage danach mußte der Mond, der sich dann dem Knoten genähert hatte, sich verfinstern. Die Maierschen Tafeln, ohne Acceleration angewendet, geben diese Finsternis; nur lassen sie dieselbe sich am Tage ereignen, und die Erscheinung hätte in Indien nicht beobachtet werden können. Die Tafeln des Cassini lassen sie in der Nacht stattfinden; dies zeigt, daß die Bewegung des Maier für die langvergangenen Jahrhunderte zu schnell ist, wenn man die Acceleration nicht in Rechnung zieht; und es beweist auch gleichzeitig, daß wir trotz unserer vervollkommneten Kenntnisse noch immer in einer gewissen Unsicherheit über den Zustand des Himmels in den vergangenen Zeiten sein können. [32] Wegen eines ausführlichen wissenschaftlichen Beweises dieser Schlußfolgerung siehe S. 121 von Herrn Bailly’s Werk, wo der Gegenstand fachmännisch erörtert ist
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