Fohat ist der Schlüssel im Occultismus, welcher die vielgestaltigen Symbole und Allegorien in der sogenannten Mythologie einer jeden Nation auftut und enträtselt; indem er die wundervolle Philosophie und die tiefe Einsicht in die Geheimnisse der Natur zeigt, wie sie in der ägyptischen und chaldäischen, so gut wie in den ârischen Religionen enthalten ist. Fohat, in seinem wahren Charakter dargestellt, beweist, wie eingehend alle jene vorgeschichtlichen Völker mit allen Wissenschaften der Natur vertraut waren, die jetzt als die physikalischen und chemischen Zweige der Naturwissenschaft bezeichnet werden. In Indien ist Fohat der wissenschaftliche Aspekt sowohl von Vishnu, als auch von Indra, welcher letztere älter und bedeutender ist im Rig Veda als sein sektiererischer Nachfolger; während in Ägypten Fohat bekannt war als der aus der Nut hervorgegangene Tum [10] , oder als Osiris in seinem Charakter eines ursprünglichen Gottes, Schöpfers des Himmels und der Wesen. [11] Denn Tum wird erwähnt als der proteusartige Gott, welcher andere Götter erzeugt, und sich selbst die Form gibt, die ihm beliebt; als der „Meister des Lebens, welcher den Göttern ihre Stärke gibt“. [12] Er ist der Aufseher der Götter und derjenige, welcher „die Geister erschafft und ihnen Gestalt und Leben gibt“; er ist „der Nordwind und der Geist des Westens“; und endlich die „untergehende Lebenssonne“, oder die lebengebende elektrische Kraft, welche den Körper beim Tode verläßt; weshalb der Tote bittet, daß Tum ihm den Atem aus seinem rechten Nasenloche (positive Elektricität) geben solle, damit er in seiner zweiten Form leben könne. Sowohl die Hieroglyphe, als auch der Text im Kapitel XLII des Totenbuches zeigen die Wesensgleichheit von Tum und Fohat. Die erstere stellt einen aufrechtstehenden Mann mit der Hieroglyphe der Atem in seinen Händen dar.

Der letztere sagt:

Ich öffne dem Oberhaupte von An (Heliopolis). Ich bin Tum. Ich durchquere das von Thot-Hapi, dem Herrn des Horizontes, vergossene Wasser, und ich bin der Teiler der Erde (Fohat teilt den Raum und, mit seinen Söhnen, die Erde in sieben Zonen) ...
Ich durchquere den Himmel; ich bin die Löwen. Ich bin Ra, ich bin Aam, ich esse meinen Erben. [13] ... Ich gleite dahin auf dem Boden des Gefildes von Aanru, [14] das mir verliehen ist von dem Meister der schrankenlosen Ewigkeit. Ich bin ein Keim der Ewigkeit. Ich bin Tum, welchem Ewigkeit bewilligt ist.

Genau die Worte, die Fohat im elften Buche gebraucht, und genau die ihm gegebenen Titel. In den ägyptischen Papyri findet sich die ganze Kosmogonie der Geheimlehre in vereinzelten Sätzen verstreut, sogar im Totenbuche. Die Zahl Sieben wird darin ebenso hervorgehoben und betont, wie in dem Buche des Dzyan. „Das Große Wasser (die Tiefe oder das Chaos) wird sieben Ellen tief genannt“ – wobei hier „Ellen“ natürlich für Einteilungen, Zonen und Prinzipien steht. Daraus, „aus der großen Mutter sind alle Götter und die sieben Großen geboren.“ Beide, Fohat und Tum, werden als die „Großen der sieben magischen Kräfte“ angerufen, welche „die Schlange Apap besiegen“, oder die Materie. [15]

Kein Schüler des Occultismus sollte sich jedoch durch die in den Übersetzungen hermetischer Werke gebrauchte übliche Ausdrucksweise verleiten lassen zu glauben, daß die alten Ägypter oder Griechen mönchsartig in jedem Augenblicke des Gespräches von einem Höchsten Wesen, Gott, dem „Einen Vater und Schöpfer von allem“ usw. sprachen und sich darauf beriefen, auf die Art, wie es sich auf jeder Seite solcher Übersetzungen findet. Nichts derartiges in der Tat; und jene Texte sind nicht die ursprünglichen ägyptischen Texte. Sie sind griechische Kompilationen, deren älteste nicht über die erste Periode des Neuplatonismus zurückgeht. Kein von den Ägyptern geschriebenes hermetisches Werk – wie wir aus dem Totenbuche ersehen können – würde von dem Einen universalen Gott der monotheistischen Systeme sprechen; die eine unbedingte Ursache von allem war in dem Gemüte des alten Philosophen Ägyptens ebenso unnennbar und unaussprechlich, wie sie für immer unerkennbar ist in der Vorstellung des Herrn Herbert Spencer. Was den Ägypter im allgemeinen anbelangt, wie Herr Maspero richtig bemerkt, so oft er

zum Begriffe der göttlichen Einheit gelangte, so war der Gott Eins niemals „Gott“ schlechtweg. Herr Lepage-Renouf beobachtete sehr zutreffend, daß das Wort Nuter, Nuti, „Gott“, niemals aufgehört hat, ein Gattungsname zu sein, um ein Personenname zu werden.

Jeder Gott war der „eine lebendige und einzige Gott“ für sie. Ihr

Monotheismus war rein geographisch. Wenn der Ägypter von Memphis die Einheit des Phtah bis zur Ausschließung des Ammon verkündigte, so verkündigte der thebanische Ägypter die Einheit des Ammon bis zur Ausschließung des Phtah (wie wir es jetzt in Indien geschehen sehen in dem Falle der Shaivas und der Vaishnavas). Ra, der „Eine Gott“ zu Helioplis, ist nicht derselbe wie Osiris, der „Eine Gott“ zu Abydos, und kann Seite an Seite mit ihm verehrt werden, ohne von ihm absorbiert zu werden. Der Eine Gott ist nur der Gott des Gaues oder der Stadt, Nutir Nuti, und schließt nicht das Dasein des Einen Gottes der Nachbarstadt oder des Nachbargaues aus. Kurz gesagt, so oft wir vom ägyptischen Monotheismus sprechen, sollten wir von den Göttern Eins von Ägypten sprechen, und nicht on dem Einen Gotte. [16]  
Nach diesem, vorzugsweise ägyptischen Merkmale sollte die Authenticität der verschiedenen sogenannten Hermetischen Bücher geprüft werden; und dasselbe fehlt gänzlich an den griechischen Bruchstücken, die unter diesem Namen bekannt sind. Dies beweist, daß eine griechische, neuplatonische oder vielleicht christliche Hand an der Herausgabe solcher Werke keinen geringen Anteil hatte. Gewiß ist die Grundphilosophie vorhanden, und an vielen Stellen – unversehrt. Aber der Stil ist geändert und in einer monotheistischen Richtung geglättet worden, ebenso sehr, wenn nicht mehr, als jener der hebräischen Genesis in ihren griechischen und lateinischen Übersetzungen. Sie mögen Hermetische Werke sein, aber nicht Werke, die von einem der beiden Hermes geschrieben wurden – oder eigentlich, von Thot Hermes, der leitenden Intelligenz des Weltalls [17] , oder von Thot, seiner irdischen Inkarnation, genannt Trismegistos, vom Rosettastein.
Aber alles ist Zweifel, Verneinung, Bildersturm und brutale Indifferenz in unserem Zeitalter von hundert „ismen“ und keiner Religion. Jedes Götzenbild ist zerbrochen mit Ausnahme des goldenen Kalbes.


[10] O Tum, Tum! Hervorgegangen aus der (weiblichen) Großen, welche im Schoße der Wasser ist (der großen Tiefe oder dem Raume), leuchtend durch die zwei Löwen“, die doppelte Kraft oder Macht der zwei Sonnenaugen, oder der elektropositiven und der elektronegativen Kraft. Siehe Totenbuch, Kap. III.

[11] Siehe Totenbuch, Kap. XVII.

[12] Kap. LXXIX.

[13] Ein Bild, welches die Aufeinanderfolge der göttlichen Tätigkeiten, die Verwandlung von einer Form in eine andere, oder die Wechselbeziehung der Kräfte ausdrückt. Aam ist die elektropositive Kraft, welche alle anderen verschlingt, so wie Saturn seine Nachkommenschaft verschlang.

[14] Aanru ist der Bereich des Osiris, ein Feld, das in vierzehn Abteilungen geteilt ist, „umgeben von einer eisernen Einfriedung, innerhalb derer das Korn des Lebens sieben Ellen hoch wächst“, der Kâma Loka der Ägypter. Nur jene von den Toten, welche die Namen der Türhüter der „sieben Hallen“ kennen, werden in Amenti für immer eingelassen werden; d. h. jene, welche die sieben Rassen einer jeden Runde durchlaufen haben – im anderen Falle werden sie in den niedrigeren Gefilden rasten; und auch die sieben aufeinanderfolgenden Devachans oder Lokas werden dadurch repräsentiert. In Amenti wird man zum reinen Geist für die Ewigkeit (XXX, 4); während in Aanru die „Seele des Geistes“, oder der Verstorbene, jedes Mal verschlungen wird vom Uräus – der Schlange, dem Sohne der Erde (in einem anderen Sinne die ursprünglichen Lebensprinzipien in der Sonne), d. h. der Astralkörper des Verstorbenen oder der „Elementar“ vergeht und verschwindet in dem „Sohne der Erde“, in der begrenzten Zeit. Die Seele verläßt die Gefilde von Aanru und geht zur Erde unter irgendwelcher Gestalt, die sie anzunehmen beliebt. (Siehe Kap. XCIX des Totenbuches.)

[15] Siehe Totenbuch, Kap. CVIII. 4.

[16] Maspero im Guide au Musée de Boulaq, p. 152. Ausg. 1883.

[17] Siehe Totenbuch, Kap. XCIV