Es ist ein Mißverständnis von Seite jener, die nichts von
der von der Wiege der Menschenrassen an bestehenden Universalität
der occulten Lehren wissen, und insbesondere von jenen Gelehrten, die
den bloßen Gedanken an eine "Uroffenbarung" verwerfen:
zu lehren, daß die Anima mundi, das Eine Leben oder die "Universalseele"
erst von Anaxagoras oder während seiner Zeit gelehrt wurde.
Dieser Philosoph veröffentlichte die Lehre, einfach um den allzu
materialistischen Vorstellungen über die Weltentstehung, nach Demokrit,
die auf der exoterischen Theorie von den blindlings getriebenen Atomen
beruhte, entgegenzutreten. Anaxagoras von Klazomenae war jedoch nicht
der Erfinder dieser Lehre, sondern nur ihr Verbreiter, ebenso wie Plato.
Was er Weltintelligenz nannte, den Nous [im Buch nachzulesen] das
Prinzip, das nach seiner Ansicht gänzlich getrennt und frei vom Stoff
ist und planmäßig handelt, wurde sehr lange vor dem Jahre 500
v. Chr. in Indien Bewegung, das Eine Leben, oder Jîvâtmâ
genannt. Nur legten die irischen Philosophen dem Prinzipe, das ihnen ein
unendliches ist, niemals das endliche "Attribut des Denkens"1
bei.
Dies führt naturgemäß auf den "höchsten Geist"
Hegels und der deutschen Transcendentalphilosophen - als zu einem Kontraste,
welchen zu zeigen nützlich sein mag. Die Schulen von Schelling und
Fichte entfernten sich weit von dem ursprünglichen archaischen Begriff
eines Absoluten Prinzips, und spiegelten nur einen Aspekt der Grundidee
des Vedânta wieder. Selbst der "absolute Geist", den von
Hartmann in seiner pessimistischen Philosophie des "Unbewußten"
ahnen läßt, bleibt hinter der Wirklichkeit ähnlich weit
zurück, wenn er auch vielleicht die engste Annäherung der europäischen
Spekulation an die indischen Advaita-Lehren darstellt.
Nach Hegel würde das "Unbewußte" niemals die weitläufige
und mühevolle Arbeit der Evolution des Weltalls unternommen haben,
außer in der Hoffnung, klares Selbstbewußtsein zu erlangen.
In diesem Zusammenhange muß man es sich vor Augen halten, daß
die europäischen Pantheisten, wenn sie den Geist, den sie als äquivalent
zu Parabrahman gebrauchen, als unbewußt bezeichnen, diesem Ausdrucke
nicht die gewöhnlich übliche Bedeutung beilegen. Er wird in
Ermangelung eines besseren Ausdruckes verwendet, um ein tiefes Geheimnis
zu symbolisieren.
Das "hinter den Erscheinungen stehende absolute Bewußtsein",
das nur wegen der Abwesenheit jedes persönlichen Elementes als Unbewußtsein
bezeichnet ist, übersteigt, sagen sie uns, das menschliche Begriffsvermögen.
Der Mensch, unfähig Begriffe anders als aus den empirischen Phänomenen
entnommenen Bestandteilen zu bilden, ist eben infolge der Beschaffenheit
seines Wesens machtlos, den Schleier zu heben, der die Majestät des
Absoluten verbirgt. Nur der befreite Geist kann undeutlich die Natur der
Quelle sich vergegenwärtigen, aus der er entsprang und in die er
gegebenenfalls zurückkehren muß. Aber da selbst, der höchste
Dhyân-Chohan sich nur in Unwissenheit vor dem schrecklichen Geheimnis
des Absoluten Wesens beugen kann; und da selbst in dem Höhepunkt
der bewußten Existenz - "dem Versenken des Individuums in das
universale Bewußtsein" - um einen Ausdruck Fichtes zu gebrauchen
- das Endliche das Unendliche nicht begreifen kann, noch an dasselbe den
Maßstab seiner eigenen Gemütserfahrungen anlegen kann; wie
kann man da sagen, daß das Unbewußte und das Absolute einen
auch nur instinktiven Trieb oder Hoffnung haben kann, klares Selbstbewußtsein
zu erlangen?2
Ein Vedântist übrigens würde niemals dieser Hegelschen
Idee beistimmen; und der Occultist würde dazu sagen, daß sie
vollständig zutreffe bezüglich des erwachten Mahat, des universalen
Gemütes, das bereits in diese Erscheinungswelt als erster Aspekt
des unwandelbaren Absoluten projiziert worden ist, aber niemals bezüglich
des letzteren selbst. "Geist und Stoff, oder Purusha und Prakriti
sind bloß die zwei ursprünglichen Aspekte des Einen und Zweitlosen,"
hat man uns gelehrt.
Der stoffbewegende Nous, die belebende Seele, die jedem Atom innewohnt,
sich im Menschen offenbart, im Stein verborgen liegt, hat verschiedene
Grade der Kraft; und diese pantheistische Idee einer allgemeinen Geist-Seele,
die die ganze Natur durchdringt, ist die älteste aller philosophischen
Anschauungen. Ebenso wenig war der Archäus eine Entdeckung des Paracelsus
oder seines Schülers Van Helmont; denn derselbe Archäus ist
der "VaterÄther" - die geoffenbarte Grundlage und Quelle
der unzähligen Phänomene des Lebens - lokalisiert. Die ganze
Reihe der zahllosen Spekulationen dieser Art sind bloß Variationen
über dasselbe Thema, dessen Grundton in dieser "Uroffenbarung"
angeschlagen war.
(b) Der Ausdruck "Anupâdaka", elternlos, oder
ohne Vorfahren, ist eine mystische Bezeichnung, die verschiedene Bedeutungen
In unserer Philosophie hat. Es sind damit gewöhnlich himmlische Wesen,
die Dhyân-Chohans oder Dhyâni-Buddhas, verstanden. Diese entsprechen
mystisch den menschlichen Buddhas und Bodhisattvas, bekannt als die "Mânushi
(menschlichen) Buddhas", welch letztere auch als Anupâdaka
bezeichnet werden, sobald ihre ganze Persönlichkeit in ihr verbundenes
sechstes und siebentes Prinzip, oder Âtmâ-Buddhi, versunken
ist, und sie zu "Diamantenseelen" (Vajra-sattvas),3
zu vollen Mahâtmâs geworden sind.
Der "verborgene Herr" (Sangbai Dag-po), "der mit dem Absoluten
Verschmolzene", kann keine Eltern haben, da er selbstexistent und
eins mit dem Universalgeist (Svayambhû)4
, Svâbhavat in seinem höchsten Aspekt, ist.
Das Geheimnis der Hierarchie der Anupâdakas ist groß; ihr
Gipfelpunkt ist die universale Geist-Seele, und die untere Sprosse der
Mânushi-Buddha; ja sogar jeder seelenbegabte Mensch ist ein Anupâdaka
in latentem Zustand. Daher, wenn vom Universum als formlosem, ewigem und
absolutem Zustand, bevor es von den "Bauleuten" gestaltet wurde,
die Rede ist, der Ausdruck: "das große Rad (Universum) war
Anupâdaka".
1) Ich meine damit endliches Selbstbewußtsein.
Denn wie kann das Alsolute es anders als als einen einfachen Aspekt
erlangen, von welchen Aspekten der höchste uns bekannte das menschliche
Bewußtsein ist? zurück zum Text
2) Siehe Schweglers "Handbuch der Geschichte
der Philosophie". (Sterlings engl. Übersetzung. p. 28.)
zurück zum Text
3) Vajrapâni oder Vajradhara bedeutet der Diamanthalter:
im Tibetanischen Dorjesempa; sempa bedeutet Seele, ihre diamantengleiche
Qualität bezieht sich auf ihre Unzerstörbarkeit in der Zukunft.
Die Erklärung betreffs Anupâdaka, die im Kâla Chakra,
der ersten in der Gyut-Einteilung des Kanjur, gegeben ist, ist
halb esoterisch. Sie hat die Orientalisten zu irrtümlichen Spekulationen,
über die Dhyâni-Buddhas und die im Irdischen ihnen entsprechenden
Mânushi-Buddhas verleitet. Der wirkliche Lehrsatz ist in einem folgenden
Bande angedeutet und wird an gehöriger Stelle ausführlicher
erklärt werden. zurück zum Text
4) Um nochmals Hegel, der wie Schelling thatsächlich
die pantheistische Vorstellung von periodischen Avatârs (speziellen
Inkarnationen des Weltgeistes im Menschen, wie solche im Falle aller großen
religiösen Reformatoren zu sehen waren) angenommen hat, zu citieren:
"Das Wesen des Menschen ist Geist... nur wenn er sich seiner Endlichkeit
begiebt und sich selbst der reinen Selbsterkenntnis überläßt,
erlangt er die Wahrheit. Der Christus--Mensch, als Mensch, in welchem
die Einheit des Gott-Menschen (Identität des individuellen mit dem
universalen Bewußtsein, wie sie von den Vedântisten und einigen
Advaitisten gelehrt wird) erschien, hat, in seinem Tode und überhaupt
in seiner Geschichte, selbst die ewige Geschichte des Geistes dargestellt
- eine Geschichte, die jeder Mensch in sich selbst durchmachen muß,
um als Geist zu existieren." - Philosophie der Geschichte,
Sibrees englische Übersetzung, p. 340. zurück
zum Text
|