(b) Der "Atem" der Einen Existenz wird voll der archaischen
Esoterik bloß in Bezug auf den geistigen Aspekt der Kosmogenie als
Bezeichnung gebraucht; in anderen Fällen wird er durch sein Äquivalent
auf der materiellen Ebene - Bewegung, ersetzt. Das Eine ewige Element,
oder Element enthaltende Vehikel, ist der in jedem Sinne dimensionslose
Raum: coexistent mit demselben sind endlose Dauer, ursprüngliche
(und somit unzerstörbare) Materie, und Bewegung - absolute "beständige
Bewegung," die der "Atem" des Einen Elementes ist. Dieser
Atem kann, wie wir gesehen haben, niemals aufhören, nicht einmal
während der pralayischen Ewigkeiten.
Aber der Atem der Einen Existenz bezieht sich trotzdem nicht auf die Eine
unverursachte Ursache oder die All--Seinheit, im Gegensatz zum All-Seienden,
, welches Brahmâ oder das Weltall ist. Brahmâ, der viergesichtige
Gott, der, nachdem er die Erde aus den Wassern erhoben. "die Schöpfung
vollendete", gilt bloß für das Werkzeug, und nicht, wie
klar inbegriffen, für die ideale Ursache. Kein Orientalist scheint
bisher den wirklichen Sinn der Verse in den Purânen, die
von der "Schöpfung" handeln, vollständig verstanden
zu haben.
In denselben ist Brahmâ die Ursache der Potenzen, welche in der
Folge für das Werk der "Schöpfung` erzeugt werden sollen.
So würde z. B. im Vishnu Purâna1
die Übersetzung: "und von ihm (masc.) gehen aus die Potenzen,
die zu erschaffen sind, nachdem sie die wirkliche Ursache geworden sind",
vielleicht richtiger lauten: "und von ihm (neutrum) gehen
aus die Potenzen, welche erschaffen werden, so wie sie die wirkliche
Ursache (auf der materiellen Ebene) werden." Außer dieser
Einen, unverursachten, idealen "Ursache" ist keine andere, auf
die das Weltall zurückgeführt werden kann. "Würdigster
der Asketen, durch ihre Macht - d. h. durch die Macht dieser Ursache -
erscheint jedes geschaffene Ding in seiner ihm inhärenten oder entsprechenden
Natur." Wenn "im Vedânta und Nyâya, nimitta
die wirkende Ursache, im Gegensatze zu upâdâna, der
materiellen Ursache, (und) im Sânkhya pradhâna die Funktionen
beider in sich schließt"; so kann in der esoterischen Philosophie,
die alle diese Systeme versöhnt, und deren annähernster Vertreter
der Vedânta ist, wie er von den Advaita Vedântisten dargestellt
wird, über nichts als über das upâdâna spekuliert
werden. Das, was im Sinne der Vaishnavas (der Visishthadvaitas) als Ideales
im Gegensatze zum Realen - oder Parabrahman zu Îshvara - steht,
kann in publizierten Spekulationen keinen Platz finden, da dieses Ideale
selbst eine Mißbenennung ist, wenn es auf das angewendet wird, von
dem sich keine menschliche Vernunft - selbst die eines Adepten nicht -
eine Vorstellung machen kann.
Sich selbst zu kennen erfordert als Erkenntnisgegenstand Bewußtsein
und Auffassungskraft - beides für jedes Subjekt mit Ausnahme von
Parabrahman beschränkte Fähigkeiten. Daher der "ewige Atem,
der sich selbst nicht kennt." Unendlichkeit kann Endlichkeit nicht
verstehen. Das Schrankenlose kann keine Beziehung zum Beschränkten
und Bedingten haben.
In den occulten Lehren ist der unbekannte und unerkennbare Beweger oder
das Selbstexistierende die absolute göttliche Wesenheit. Und da er
somit absolutes Bewußtsein und absolute Bewegung ist, so ist er
für die beschränkten Sinne jener, welche dieses Unbeschreibliche
beschreiben, Unbewußtsein und Unbeweglichkeit.
Konkretes Bewußtsein kann dem abstrakten Bewußtsein nicht
mehr als Prädikat zugesprochen werden, als die Qualität "naß"
dem Wasser; Nässe ist demselben als Attribut zu eigen und ist die
Ursache des Naßseins anderer Dinge. Bewußtsein schließt
Beschränkungen und Qualifikationen in sich: etwas, dessen man sich
bewußt wird, und jemanden, der sich bewußt dessen wird.
Aber absolutes Bewußtsein enthält den Erkenner, das Erkannte
und die Erkenntnis alle drei in sich selbst und alle drei als Eines. Niemand
ist sich eines mehreren bewußt als jenes Teiles seines Wissens,
welcher gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt ihm zufällig erinnerlich
ist, und die Armut unserer Sprache ist so groß, daß wir keinen
Unterschied im Ausdruck-machen können zwischen dem Wissen, an das
wir eben nicht denken, und dem Wissen, welches ins Gedächtnis zurückzurufen
wir unfähig sind. Vergessen ist synonym mit nicht erinnern. Um wie
viel größer muß nun die Schwierigkeit sein. Ausdrücke
zu finden, um abstrakte metaphysische Thatsachen oder Verschiedenheiten
zu beschreiben oder zu unterscheiden! Wir dürfen ferner nicht vergessen,
daß wir die Dinge nach den Erscheinungen, die sie für uns annehmen,
benennen. Wir nennen absolutes Bewußtsein "Unbewußtsein",
da es uns scheint, als müßte es notwendigerweise so sein, gerade
so wie wir das Absolute "Dunkelheit" nennen, weil es unserem
beschränkten Verstand ganz undurchdringlich erscheint: trotzdem erkennen
wir vollständig, daß unsere Wahrnehmung solcher Dinge diesen
selbst nicht gerecht wird. Wir unterscheiden unwillkürlich in unserem
Denken z. B. zwischen unbewußtem absoluten Bewußtsein, und
zwischen Unbewußtsein, indem wir ersteres stillschweigend mit irgend
einer unbestimmten Qualität ausstatten, welche auf einer für
unsere Gedanken unerreichbaren Ebene dem entspricht, das wir in uns selbst
als Bewußtsein kennen. Aber es ist das keinerlei Art von Bewußtsein,
welche wir von dem, welches uns als Unbewußtsein erscheint, zu unterscheiden
im stande wären.
1) Wilson, I. IV. zurück zum Text
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